04. Unter Schwestern
»Was hast du nun schon wieder angestellt, kleine Schwester?«, fragt Meghan, während sie ihre strahlendblonden Haare hinter ihr Ohr streicht und mich mit einer gehobenen Augenbraue betrachtet, nachdem ich ihren Schreibtisch im N.Y. Police-Department erreicht habe. Meine Schwester hat sich nach ihrem Schulabschluss zur Polizistin ausbilden lassen, bevor sie eine Weiterbildung zur Kommissarin gemacht hat.
Ein unschuldiges Lächeln umspielt meinen Mund. »Angestellt? Ich? Wie kommst du denn darauf? Ich wollte einfach mein liebstes Schwesterchen auf der Arbeit besuchen. Ich wusste nicht, dass es verwerflich ist«, lüge ich, während ich mir einen Stuhl schnappe und mich zu ihr an den Schreibtisch setze.
Ihre Augenbraue ist noch immer gehoben, als sie eine Fallakte zur Seite legt, um sich auf mich zu konzentrieren. »Ich habe vor einem Jahr einen Profiler-Kurs besucht, mich auf Verhalten spezialisiert, Juliet. Du kannst mir nicht in die Augen schauen, spielst lieber mit deinen Händen und dein Pulsschlag hat sich sichtlich erhöht«, erklärt sie, zeigt auf meine Halsschlagader und lacht anschließend. »Und vergiss nicht, dass ich deine große Schwester bin und mit dir aufgewachsen bin«, sagt sie amüsiert.
Ich grinse. »Nun, hast du meine Lüge anhand deiner Profiler-Kenntnisse aufgedeckt oder weil du mit mir aufgewachsen bist?«
Sie zeigt auf ihre Armbanduhr. »Weder noch, ich kann einfach meine Uhr lesen, die mir gesagt hat, dass du gerade eigentlich auf Arbeit sein müsstest«, teilt sie mir schmunzelnd mit. »Also, wieso bist du nicht auf Arbeit? Hm? Was hast du angestellt?« Selbst wenn sie nicht meine Schwester wäre und mich nicht seit Jahren kennen würde, hätte sie gewusst, dass ich sie anlüge. Meghan kann in die Seelen der Menschen blicken, sich in Menschen hineinversetzen und hat ein Gespür für die Wahrheit. Sie hat immer die richtigen Worte parat, wenn es einem nicht gut geht und erteilt die besten Ratschläge. Ich bin froh, dass es sie gibt.
Ein Seufzen kommt über meine Lippen, während ich frustriert an meine Schläfen fasse, da ich das Gefühl habe, Kopfschmerzen zu bekommen. »Nun, ich habe es mir eventuell mit unserem Geschäftsführer verspielt...«
Ihre Augen weiten sich. »Sag mir bitte nicht, dass du auch noch sein Herz gebrochen hast, Juliet? Du musst langsam gegen deine emotionale Verkrüppelung ankämpfen, sonst wirst du wirklich noch einmal allein sterben!«, weist sie mich zurecht und setzt noch einen drauf. »... und anscheinend auch deine Arbeit verlieren, du Idiot«, rügt sie mich.
»Hast du mich gerade emotional verkrüppelt genannt? Frech.«
Meghan hebt wie üblich ihre geliebte Augenbraue und schaut mich vielsagend an. »Juliet, ich liebe dich, aber du bist wirklich emotional unterentwickelt. In den letzten Jahren hast du unendlich viele großartige Männer abserviert, sobald sie dir ihre Gefühle gestanden haben.«
»Weil sie damit alles verkomplizieren!«
»Nein, sondern weil du beziehungsunfähig bist«, berichtigt sie mich streng.
Seit Jahren verteufelt Meghan meinen Lebensstil, da ich mich nur für ungezwungene und ungebundene Affären interessiere. Beziehungen habe ich nicht immer abgelehnt, doch nachdem mein Vertrauen mehrmals zutiefst erschüttert wurde, lehne ich tiefere Verbindungen ab. Bis vor einigen Jahren ist es mir immer gleich ergangen, ich habe mich unsterblich verliebt und würde immer wieder enttäuscht. Um mich selbst zu schützen, gibt es nur eine Alternative - keine Gefühle entwickeln. Ich lerne einen attraktiven Mann kennen, wir verbringen unzählige Stunden im Bett und amüsieren uns einige Monate lang, doch sobald dieses eine tragische Wort fällt, beende ich das Verhältnis.
Ich verdrehe meine Augen. »Ich bin nicht beziehungsunfähig, wenn ich einen führen wollte, könnte ich es, aber ich möchte es nicht«, erkläre ich ihr zum hundertsten Mal, da sie mich immer umstimmen möchte. Im Gegensatz zu mir, glaubt sie noch immer an die wahre Liebe, selbst wenn sie noch nicht fündig geworden ist. »... und außerdem«, fange ich an, um auf ihre eigentliche Behauptung einzugehen. »... habe ich nicht mit dem Geschäftsführer geschlafen.«
»Hast du nicht?«
Ich verschränke meine Arme vor der Brust. »Jetzt tue doch nicht so überrascht, ich springe doch nicht mit jedem ins Bett!«, verteidige ich mich. Ich würde schon behaupten, dass ich ziemlich wählerisch bin, wenn es um meine Sexpartner geht. Bei mir kommt niemand ins Bett, der nicht attraktiv, athletisch und groß ist. Diese Kriterien können zwar von vielen erfüllt werden, doch das reicht mir noch lange nicht. Ich setze Intelligenz, die Kunst der Konversation und den Respekt vor Frauen voraus. Ein vergebener Mann, der nur nach einem schnellen und aufregenden Abenteuer sucht, hat bei mir keine Chance.
»Außerdem...«, füge ich hinzu, während ich die Augen verdrehe. »... würde ich niemals mit ihm ins Bett gehen. Er ist unverschämt, ungehobelt und besitzt keine Manieren. Er kann mir den Buckel herunterrutschen, da er mir sowas von egal ist«, sage ich genervt.
Meghan beißt sich auf die Lippe, um ein Schmunzeln zurückzuhalten. »Nun, Juliet, dafür, dass er dir sowas von egal ist, geht er dir ziemlich unter die Haut«, stellt sie fest und beugt sich zu mir herüber, um mich genauer zu studieren. »Er ist attraktiv, nicht wahr?«
Ugh, ich kotze gleich.
Meine Kinnlade fällt zu Boden. »Pfff, also bitte«, sage ich, während ich angewidert mit meinem Kopf schüttele. »Zachary ist so attraktiv wie ein Hoden - überhaupt nicht. Es ist zwar halbwegs notwendig, dass er vorhanden ist, trotzdem werde ich ihm keine Aufmerksamkeit schenken, da er mich nicht im Geringsten anmacht«, verteidige ich mich.
Meghan grinst. »Zachary, hm?«, fragt sie. »Interessant, dass du deinen Geschäftsführer beim Vornamen nennst.«
Ihre Bemerkung lässt mich meine Augen verdrehen, da mich ihre Unterstellungen gerade ziemlich nerven. Es gibt einen bestimmten Grund, wieso ich ihn nicht mit dem Nachnamen anspreche. Würde ich meinen Geschäftsführer respektieren, würde ich ihm diese Höflichkeit gewähren, doch er hat sich dieses Privileg nicht verdient. Ich habe noch immer nicht verstanden, wie er mit seinem Vater verwandt sein kann. Die beiden haben absolut keine Ähnlichkeiten.
Ein Seufzen verlässt meine Lippen, während ich der Versuchung widerstehe erneut mit meinen Augen zu rollen. »Das hat nichts mit Anziehung zu tun, Meghan. Ich spreche ihn mit dem Vornamen an, da ich ihm die Anerkennung nicht gönne. Ihn Mr. Birmingham zu nennen, würde bedeuten, dass ich ihn respektiere - was ich niemals tun werde«, verteidige ich mich.
Meine Schwester schaut mich mit einem vielsagenden Blick an. »Das wird sicherlich noch ziemlich spannend mit euch werden«, bemerkt sie schmunzelnd. »Entweder ihr reißt euch beim nächsten Treffen die Klamotten vom Leib oder ihr bringt euch gegenseitig um«, sagt sie nachdenklich, bevor sie lacht. »... oder auch beides.«
Man reiche mir bitte eine Machete.
Zur Kastration.
»Mit dem Meucheln bin ich einverstanden«, gebe ich aufrichtig von mir, da ich dieses Verlangen deutlich in mir pulsieren spüre. Bereits seit unserer ersten Begegnung möchte ich diesen unverschämten Mann in eine Box stecken und zurück nach England schicken. Mit einem Abschiebestempel zwischen seine Beine.
»Nun, ich würde gerne mit dir weiterquatschen, aber ich muss zurück an die Arbeit«, erklärt sie, während sie ihre Fallakte wieder öffnet. »Ein Doppelmord verlangt meine gesamte Konzentration.«
Nachdem ich aufgestanden bin, nehme ich sie zur Verabschiedung in den Arm. Meghan steht mit dem Rücken zum Schreibtisch, weshalb ich einen Blick auf ihre Unterlagen werfen kann. Ein Dokument erhascht meine Aufmerksamkeit, weshalb ich sie überrascht anschaue, bevor ich sie zur Seite schiebe, um mir das Blatt Papier zu schnappen.
»FBI Academy, Quantico«, lese ich vor.
Meghan nimmt es mir schnell aus den Händen und packt es unter den Stapel voller Mappen und Dokumente. »Du solltest eigentlich noch nichts davon wissen«, bemerkt sie und räuspert sich, da es ihr unangenehm ist.
Ihr Benehmen verwirrt und enttäuscht mich ein wenig. »Du wolltest mir verheimlichen, dass du dich dort nochmal bewirbst? Aber wieso das denn? Wir haben doch sonst keine Geheimnisse voreinander?«, erwidere ich.
Sie seufzt. »Dein erster Satz erklärt es doch am besten, Juliet. Ich habe mich bereits zweimal beworben und habe es nicht geschafft. Ich will nicht als Versager dastehen, wenn man mich erneut ablehnt«, erklärt sie. »... außerdem bin ich mir noch nicht sicher, ob ich meine Bewerbung wirklich überhaupt nochmal einreichen werde.«
»Wieso denn?«, will ich wissen.
Meghan setzt sich erneut. »Mein eigener Stolz, schätze ich. Wenn ich nochmal abgelehnt werde, verkrafte ich es nicht«, gibt sie aufrichtig zu. »Es wäre dann wirklich offensichtlich, dass ich nicht geeignet bin, zum FBI-Agent ausgebildet zu werden. Einmal abgelehnt zu werden, muss nichts bedeuten, da sich sehr viele bewerben. Zweimal nicht genommen zu werden, ist grenzwertig, da man sich nicht sicher sein kann, ob andere einfach besser waren oder man einfach nicht für diese Berufung geeignet ist. Wenn man allerdings dreimal abgelehnt wird, ist man einfach nicht qualifiziert genug.«
Ich lege ihr eine Hand auf die Schulter. »Wie hat Mama immer so schön gesagt? Aller guten Dinge sind drei«, versuche ich ihr Mut einzureden. »Sie werden sich diesmal definitiv nehmen, Meghan. Du bist die beste Kommissarin, die diese Stadt jemals hatte!«, sage ich, was auch stimmt. Seit Meghan befördert wurde, ist die Aufklärungsrate in ihrem Bezirk gestiegen und die Kriminalitätsrate gesunken. »Und wenn sie dich doch nicht nehmen sollten, was ich wirklich nicht glaube, dann macht das FBI einen riesigen Fehler.«
Sie lächelt. »Vielen Dank.«
»Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass du doch abgelehnt wirst...«, sage ich und krempele die Ärmel meiner Bluse hoch. »... dann bekommt es das FBI höchstpersönlich mit mir zu tun«, verspreche ich.
Meghan nimmt meine Arme, verwandelt meine Bluse in ihren ursprünglichen Zustand zurück und lacht. »Lieber nicht, sonst endest du noch im Gefängnis.«
Ich schmunzele. »Du wärst es mir wert.«
Meghan ist die wichtigste Person in meinem Leben, weshalb ich jedes Wort ernst gemeint habe. Ich würde alles für meine Schwester geben. Bereits in Kindheitstagen waren wir unzertrennlich, haben uns nie gegenseitig verraten und immer beschützt. Während die gesamte Familie musikalisch veranlagt ist, wollte Meghan nur Sport machen. In der High School, wo sie zwei Jahre über mir war, hat sie Leichtathletik und Kickboxen gemacht, weshalb sich in der gesamten Stadt niemand mit mir angelegt hat. Zugegeben habe ich es oft darauf ankommen lassen, da ich bereits damals kein Blatt vor den Mund genommen habe.
Meghan lächelt. »Du bist die beste Schwester.«
Ich lache. »Und deine einzige Schwester.«
Sie grinst. »Tja, da hast du wohl recht«, gibt sie mir recht, bevor sie neugierig das Thema wechselt. »Aber für Papas Geburtstag steht noch alles, oder?«, erkundigt sie sich bei mir. »Er freut sich wahnsinnig uns wiederzusehen.«
Ich kratze mich unsicher im Nacken. »Nun, ich werde Samstag wie geplant hinfliegen...«, fange ich an und erzähle ihr dann von der Planänderung, die aufgrund der Hektik heute im Unternehmen passiert ist. Und weil ich zudem vorzeitig nach Hause geschickt wurde, werde ich die nächsten Tage unzählige Überstunden leisten können.
Sie nickt. »Ich verstehe.«
Danach verabschieden wir uns, da sie zurück an die Arbeit muss und ich nach Hause fahren möchte. Ein Glück habe ich es nicht weit, da sie in einem Polizeirevier in Brooklyn arbeitet. Bis vor zwei Jahren haben wir uns ihre Wohnung geteilt, welche gegenüber dem Revier ist. Danach bin ich ausgezogen, da ich mehr Privatsphäre wollte. Ich wollte aber auch nicht zu weit von ihr entfernt sein, weshalb ich nur drei Straßen weitergezogen bin. Aufgrund meines sehr guten Gehalts kann ich mir eine mittelgroße Zwei-Zimmer-Wohnung leisten. Wenn man bedenkt, dass ich nur 1500 Dollar bezahle, dann ist diese Wohnung für New York ein wahres Schnäppchen. Während ich in Brooklyn 62 Quadratmeter zur Verfügung habe, würde ich für denselben Preis in Manhattan nur um die fünf Quadratmeter bekommen.
Wenn überhaupt.
Nachdem ich meine Wohnung betreten und meine Tasche abgestellt habe, laufe ich direkt ins Badezimmer. Kaum habe ich das Zimmer betreten halte ich inne. »Heilige Scheiße!«, fluche ich, während ich das Chaos betrachte. Mein Kater hat es geschafft, sein dreckiges Katzenstreu im ganzen Badezimmer zu verteilen.
Ich verlasse den Raum im Eiltempo, um den Übeltäter zu überführen. Die Szene, die sich mir eröffnet, ist ein weiteres Bild für die Götter. Mein übergewichtiger, grauer Britisch Kurzhaar Kater hat sein Körbchen vor seinen Futternapf gezogen. Erst gestern habe ich sein Körbchen umgestellt, damit er sich mehr bewegen muss. Anstatt sein Körbchen an seinen ursprünglichen Ort zu stellen, hat er es direkt zur Futterstelle geschoben.
Unglaublich.
»Fat Louie!«
Mein dicker Kater hebt seinen Kopf, schaut mich kurz an, beschließt mich zu ignorieren und legt sich wieder wie gewohnt schlafen. Natürlich. Fat Louie ist bereits seit über sieben Jahren an meiner Seite, doch ich interessiere ihn noch immer nicht die Bohne. Ich habe das Gefühl, dass mich mein Kater gerade so in seiner Wohnung toleriert. Wenn ich Fat Louie nicht füttern würde, hätte er mich bestimmt schon längst im Schlaf umgebracht. Darüber nachgedacht hat er sicherlich schon.
Katzen sind halt Arschlöcher.
Und dabei habe ich ihm das Leben gerettet. Ein Tierheim unweit meiner Wohnung, hat einen Aufruf gestartet, da es geschlossen werden sollte. Ich habe diesen grauen, dicken, verfressenen Kater gesehen und mich direkt verliebt. Wenn ich ihn nicht kurzerhand mit nach Hause genommen hätte, wäre er eingeschläfert geworden.
Über zwei Monate habe ich gedacht, dass man ihn Fat Louie genannt hat, weil er ein dicker, fetter, fauler Kater ist. Bei einem Filmeabend mit meiner Schwester habe ich dann den wahren Ursprung seines Namens kennengelernt. Plötzlich Prinzessin. Dieser Film hat dann auch sein verwöhntes Verhalten erklärt. Fat Louie hält sich für einen königlichen Kater.
Fat Louie wird von mir hochgehoben und auf mein Sofa gesetzt, damit ich sein Körbchen wieder umstellen kann. Er braucht dringend ein paar Kilos weniger auf seinen Rippen. Nachdem der Tierarzt eröffnet hat, dass seine Gesundheit ziemlich gefährdet ist, schleppe ich meinen lahmen und faulen Kater zur Katzenfitnesstherapie.
Er miaut unzufrieden.
Ich zucke mit meinen Schultern. »Sorry, Fat Louie, aber du hast den Onkel Doktor gehört, du musst dich mehr bewegen«, erkläre ich ihm und stelle sein Körbchen anschließend in mein Schlafzimmer, welches am weitesten von der Wohnküche entfernt ist. Nachdem er mich erneut an mauzt, verdrehe ich meine Augen. »Tja, das Leben ist kein Wunschkonzert, wenn ich mich bei meinem Arsch von Chef entschuldigen muss, dann wirst du abnehmen.«
Wir werden uns beide quälen müssen.
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