Wartezeit - Pierre

Pierres PoV

Während Daniel und Checo irgendeine unnötige Diskussion führten, deren Sinn ich noch nicht wirklich verstanden hatte, kam von Logan kein einziges Wort mehr. Ich lief an der einen Wand des Wartebereiches auf und ab. Yuki und George hatten sich an je einer Ecke positioniert. Lance und Mick saßen etwa auf der Hälfte meiner Strecke auf einer der Bänke. 

  "Wissen Estebans Eltern schon Bescheid?", fragte Mick leise.

  "Ich hab vorhin kurz mit ihnen telefoniert und versprochen wieder anzurufen, wenn es etwas Neues gibt", antwortete Lance. "Solange werden sie erstmal in Frankreich bleiben, da sie während eines Fluges eventuell nicht erreichbar wären." 

  "Du hast die Handynummer seiner Eltern?", hakte Yuki nach. 

  "Ja, für Notfälle." Es machte Sinn, doch leider könnte es gleichzeitig auch ein Hinweis darauf sein, dass zwischen Lance und Esteban mehr als Freundschaft war. 

  "Ich hab es ihm gesagt", murmelte ich, als ich Yukis Ecke erreichte. 

  "Wem was gesagt?", hakte dieser sofort nach. 

  "Esteban, dass ich ihn liebe." 

  "Wann? Wo?"

  "Vorhin im Rettungswagen. Ich weiß aber nicht, ob er es gehört hat." Ich schüttelte den Kopf und versuchte dadurch die Bilder von der Reanimation wieder aus meinen Gedanken zu bekommen. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen. War Esteban stabil genug, um eine solange OP zu überstehen? War er überhaupt noch am Leben? 

  "Bestimmt", versuchte Yuki optimistisch zu wirken, obwohl wir beide wussten, dass er es nicht wissen konnte. Niemand konnte wissen, ob Esteban meine Liebeserklärung gehört hatte. Und selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, blieb die Frage, ob er sich auch noch daran erinnern würde. 

Als ein Arzt den Wartebereich betrat, verstummten sofort sämtliche Gespräche. Angespannt beobachteten wir alle in welche Richtung er ging. Nachdem der Arzt seinen Blick einmal durch den Raum hatte wandern lassen, kam er in unsere Richtung. Yuki trat an meine Seite und legte eine  Hand auf meine Schulter, als Zeichen dass er bei mir war. 

  "Mr. Stroll ...", sprach der Arzt Lance an, der daraufhin aufstand, was Mick ihm gleichtat. "Wir haben gerade mit den Eltern von Mr. Ocon telefoniert. Da diese noch in Frankreich sind, haben sie uns die Erlaubnis gegeben ebenfalls mit ihnen zu sprechen. Mögen sie kurz mitkommen?"

  "Natürlich", brachte Lance nervös heraus, ehe er dem Arzt folgte. Yuki hielt ihn jedoch am Handgelenk fest, weswegen auch der Arzt stehen blieb. 

  "Nimmst du Pierre mit?" Lance sah zwischen Yuki und mir hin und her. "Bitte", schob Yuki hinterher, woraufhin Lance nickte. Da der Arzt nichts dagegen zu haben schien, folgte ich den Beiden. 

Mein Herz raste. Ich fühlte mich, als würde ich jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Unzählige Gefühle strömten auf mich ein. 

Wir gingen nur wenige Meter, ehe wir in einer ruhigen Ecke stehen blieben, doch fühlte sich die Strecke endlos an. Am liebsten hätte ich Yuki einfach mitgenommen. Oder George. 

  "Mr. Ocon wird gerade auf ein Zimmer gebracht", begann der Arzt zu berichten und ließ mich aufatmen. Esteban lebte. "Da die Bergung einiges an Zeit in Anspruch genommen hat, hat Mr. Ocon durch Innere Verletzungen viel Blut verloren, was auch Auslöser für den Herzstillstand war. Die Blutungen wurden während der OP gestoppt und bereits einige Blutreserven zugeführt. Bei den ersten Untersuchungen nach der OP waren keine Hirnschäden oder Schäden am Herzen erkennbar. Jedoch können wir genaueres erst sagen, wenn Mr. Ocon zu Bewusstsein kommt. Ihnen muss allerdings bewusst sein, dass selbst wenn Hirn und Herz unbeschadet sind, der menschliche Körper eine Reanimation nicht einfach so wegsteckt. Angstsymptomen, Depression und ein monatelanger Erschöpfungszustand, der sich meist nicht nur körperlich, sondern auch seelisch und geistig bemerkbar macht, sind häufige Folgen. Bis zur Genesung wird es ein langer und schwieriger Weg, der eine intensive Rehabilitation benötigt. Des Weiteren kam es beim Unfall zu einer Patellafraktur, also einem Kniescheibenbruch. Bei der OP wurden die einzelnen Knochenteile wieder zusammengesetzt und fixiert. Die nächsten 6 Wochen darf das Bein nicht belastet werden. Eine Schiene zur Stabilisierung haben wir bereits angelegt."

  "Ist Esteban noch in Lebensgefahr?", fragte Lance, der genauso überfordert mit all den Informationen wirkte, wie ich mich fühlte. 

  "Es ist noch zu früh, um etwas sagen zu können", wich der Arzt der Frage aus. 

  "Dürfen wir zu ihm?", wollte ich wissen und erhielt zum Glück ein Nicken als Antwort. Der Arzt lief einfach los, weswegen wir ihm folgten. 

  "Mr. Ocon war bisher noch nicht bei Bewusstsein. Wie bereits gesagt, können mögliche Folgeschäden aufgrund des Herzstillstanden also noch nicht vollständig ausgeschlossen werden."

  "Wann wird er denn etwas aufwachen?", wollte Lance wissen. 

  "Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann ihn nicht einmal versichern, ob er aufwachen wird. Wir werden uns Gedulden müssen." 

Wir wurden auf die Intensivstation geführt. Als wir das Krankenzimmer betraten, wäre ich am liebsten einfach wieder umdreht und hätte mich zurück in den Wartebereich gesetzt. Doch es hatte sich bereits ein neues Bild in mein Gehirn gebrannt. Neben der Diskussion, ob Estebans Bein amputiert werden muss, der Reanimation und dem Bild wie er reglos im Rettungswagen lag, würde ich den Anblick von Esteban im Krankenhausbett, angeschlossen an unzähligen Maschinen, wohl nie wieder vergessen können. 

Tränen stiegen mir in die Augen, während ich die Lippen fest zusammenpresst, um ein Schluchzen zu unterdrücken. 

  "Wenn irgendwas sein sollte, einfach klingeln". erklärte der Arzt, ehe er uns allein im Zimmer ließ. Lance näherte sich langsam dem Bett, zog sich einen Stuhl ran und setzt sich auf diesen. Vorsichtig legte er eine Hand auf Estebans Arm. 

  "Wehe du wachst nicht auf, Esteban", murmelte er, wobei auch er mit den Tränen zu kämpfen hatte. "Du kannst mich hier nicht allein lassen und vor allem kannst du Mick nicht allein mit mir lassen. Du weißt, dass das in einer Katastrophe enden würde." Zögerlich trat ich nun ebenfalls näher an Bett, setzte mich auf die Bettkante und griff nach Estebans Hand, welche ich festumklammerte. 

  "Ausnahmsweise sind Lance und ich da mal einer Meinung und das hat schon was zu bedeuten", flüsterte ich. "Bitte, Esteban, du musst aufwachen. Du musst kämpfen. Aufgeben steht dir so überhaupt nicht." Schweigend musterten Lance und ich beide Esteban. Es war unrealistisch, dass er, nur weil wir ein paar Worte gesagt haben, sofort aufwachte, dennoch war die Hoffnung da. 

Ich würde die Hoffnung, dass Esteban aufwachte, auch nicht aufgeben.

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