Sterne - Charles
Charles PoV
Sophie und Victoria waren am frühen Morgen gelandet und vom Flughafen direkt zum Krankenhaus gefahren. Seitdem saßen die Beiden gemeinsam mit Jos und mir nun schon am Krankenbett und wachten über Max. Die Ärzte schienen noch immer nicht zufrieden mit den Werten zu sein. Die Dosierung der Medikamente wurde nicht mal minimal reduziert.
Die ersten vierundzwanzig Stunden waren vorbei, Max's Zustand unverändert und ich schon jetzt am Ende meiner Kräfte. Ich wusste, dass wir gemeinsam alles, was nach dieser Zeit kommen würde, schaffen konnten. Ich würde Max bei allen unterstützen und immer an seiner Seite sein. Doch sollte ich ihn für immer verlieren, wüsste ich nicht, wie ich das überstehen sollte. Es fühlte sich an, als würde von Max's Leben auch mein Leben abhängen.
"Ihr solltet ins Hotel fahren", unterbrach Sophie die herrschende Stille, die bisher lediglich durch die Geräusche der Maschinen zerstört wurden war. Schweigend schüttelte ich den Kopf ohne den Blick von meinem Ehemann, dessen Hand ich fest umklammert hielt, abzuwenden. Ich hatte Sophie den Stuhl überlassen und selbst auf der Bettkante Platz genommen.
"Mama und ich bleiben bei ihm", versuchte Max's Schwester mich zu überzeugen, wobei sie eine Hand auf meine Schulter legte. "Ihr seid beide seit über vierundzwanzig Stunden hier. Du hast sogar noch deinen Rennoverall an. Fahr ins Hotel, Charles, leg dich ein paar Stunden hin und dann kommst du morgen, nachdem du zumindest ne Kleinigkeit gegessen hast, wieder her."
"Und das gleiche gilt für dich auch, Jos", wandte Sophie sich an ihren Ex-Mann.
"Ich kann sowieso nicht schlafen und Hunger habe ich auch nicht, dann kann ich auch hier bleiben", antwortete ich.
"Max wird dich brauchen, wenn er aufwacht, aber du wirst ihm nicht helfen können, wenn du bis dahin nichts isst und dich nicht hin und wieder etwas ausruhst. Sobald sich hier irgendwas ändert, sagen wir dir sofort Bescheid, das verspreche ich dir", versuchte Victoria es erneut.
"Ich kann ihn nicht einfach allein lassen", nuschelte ich.
"Wir passen auf ihn auf", versprach Sophie, wobei sie eine Hand auf meinen Unterarm legte. Ich zögerte.
"Ich befürchte, die Beiden haben Recht. Wir sollten wirklich zumindest für ein paar Stunden ins Hotel", stimmte Jos zu, weswegen ich kurz zu ihm schaute. Er sah einfach nur schrecklich aus und vermutlich sah ich nicht viel besser aus.
"Aber nur ganz kurz", stellte ich klar.
"Wir halten euch aufm Laufenden", meinte Victoria ohne auf meine Aussage einzugehen. Ich lehnte mich vor und drückte Max einen Kuss auf die Schläfe.
"Ich bin bald wieder bei dir. Mach bitte in der Zwischenzeit keinen Mist." Ein zweiter Kuss folgte. "Ich liebe dich." Mehr als nur widerwillig stand ich vom Bett auf, wobei ich Max's Hand los ließ. Victoria umarmte mich einmal fest, ehe sie mich Richtung Tür schob. Jos hatte Max eine Hand auf die Schulter gelegt und flüsterte ihm noch etwas zu, ehe er mir raus auf den Flur folgte.
Im Gang herrschte eine beängstigende Stille. Die offizielle Besuchszeit war längst um und die Patienten hielten sich alle in ihren Zimmern auf. Dass wir außerhalb der Besuchszeit bei Max bleiben durften, verdeutlichte wie kritisch sein Zustand weiterhin war.
Schweigend lief ich mit Jos durchs Krankenhaus. Nur vereinzelt kamen uns Mitarbeiter entgegen. Im Eingangsbereich stand Daniel, der auf uns zu warten schien. Victoria oder Sophie mussten ihm Bescheid gesagt haben.
"Gibt es etwas Neues?", erkundigte er sich zurückhaltend. Ich schüttelte lediglich den Kopf. Weiterhin schweigend folgte ich den beiden Älteren durch einen Hinterausgang raus auf den Parkplatz und dort zu einen Mietwagen, hinter dessen Lenkrad sich Daniel setzte. Ich überließ Jos den Beifahrersitz und ließ mich auf der Rückbank nieder.
Die Fahrt verbrachte ich damit aus dem Fenster zu starren. Draußen war es dunkel geworden. Mein Blick glitt zum Sternenhimmel.
Zwei Tage zuvor hatte ich durch die offene Balkontür vom Bett aus die Sterne betrachtet. Sie schienen in der Nacht heller als je zuvor zu funkeln, was aber vermutlich nur Einbildung gewesen war. Mein Körper war noch immer voller Glückshormonen gewesen. Der Mann, der die Schuld dafür trug, hatte mich aus meinen Gedanken gerissen, indem er einen Kuss unter meinem Ohr platziert hatte.
"Ich würde dir jeden einzelnen Stern vom Himmel holen", hatte er mir zugeflüstert und dabei ein Kichern nicht unterdrücken können. Solche schnulzigen Sätze waren nichts Max's Style, doch hin und wieder nutze er sie, um sich über die Liebesfilme, die ich hin und wieder schaute, lustig zu machen. Grinsend hatte ich nur die Augen verdrehte, sein Gesicht zu mir gezogen und ihn geküsst.
"Charles", riss Daniels Stimme mich aus meiner Erinnerung. Als ich meinen Blick vom Sternenhimmel abwandte und in die besorgten Augen von Daniel schaute, realisierte ich erst, dass Tränen über mein Gesicht rannen.
Wir hatten das Hotel erreicht. Wortlos stieg ich aus. Jos hatte den Wagen bereits verlassen und befand sich auf den Weg zu den Aufzügen. Ich folgte ihm. Daniel erschien an meiner Seite.
"Möchtest du allein sein oder soll ich dir etwas Gesellschaft leisten?", überließ Daniel mir die Wahl. Die Option, die mir am liebsten wäre, stand jedoch nicht zur Wahl. Würde es nach mir gehen, würde ich zurück in die Nacht vor dem Rennen reisen und diese niemals enden lassen. Ich würde alles dafür geben, um mein für diese eine Nacht perfektes Leben zurückzubekommen. Nichts wollte ich mehr, als mich einfach in Max's Arme zu kuscheln und die Welt außerhalb des Hotelzimmers einfach zu vergessen.
"Kannst du bleiben?", bat ich. Zu groß war die Angst vor der Einsamkeit.
"Natürlich", stimmte Daniel sofort zu. "Wollen wir in mein Hotelzimmer?", bot Daniel an, was ich sofort mit einem Nicken annahm. "Geht du doch schonmal vor und ich hole noch eben schnell deinen Koffer zu mir rüber." Dankbar den Raum meiner perfekten Welt nicht ohne Max betreten zu müssen und dadurch vorgeführt zu bekommen, dass es diese perfekte Welt nicht mehr gab, nahm ich Daniel die Zimmerkarte, die er mir hinhielt, ab und machte mich auf den Weg zu seinem Zimmer.
Statt nach dem Betreten des Zimmers direkt das Licht einzuschalten, näherte ich mich der Balkontür. Ohne diese zu öffnen schaute ich hoch in den Sternenhimmel.
Ich wollte keinen einzigen dieser Sterne.
Ich wollte einfach nur meinen Max.
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