Letzte Chance - Kevin

Kevins PoV

  "Ich warte vor der Tür", meinte Louise, legte noch für einen Moment ihre Hand auf meiner Schulter und verließ dann den Raum. Hilfesuchend sah ich durch einen Schleier aus Tränen zum Arzt, der Nico nachdenklich musterte. Plötzlich drehte er sich nochmal zur Maschine und stellte an dieser etwas ein.

  "Was machen Sie?", wollte ich wissen, während ich nach Nicos Hand griff und diese fest mit meiner umschloss.

  "Damit Mr. Hülkenberg sich besser erholen kann, hatten wir ihm neben dem Schmerzmittel noch eine Art Schlafmittel gegeben. Das habe ich nun komplett abgesetzt und das Schmerzmittel etwas reduziert." Er schloss einen kleinen Schrank auf und holte aus diesem eine kleine Flasche, dessen Inhalt er in eine Spritze zog und anschließend Nico über den gelegten Zugang injizierte. "Das Medikamente sollte die Wirkung des Schlafmittels aufheben."

  "Und was genau soll das bringen?"

  "Da Patientenverfügung und die Entscheidung der Ehefrau übereinstimmen, bleibt nur eine Möglichkeit davon abzuweichen. Mr. Hülkenberg selbst musst mir eine andere Entscheidung mitteilen. Ich versuche ihn zumindest für einen kurzen Moment wach zu bekommen, damit er uns seinen wirklichen Willen mitteilen kann. Es ist riskant, aber die einzige Chance, die wir haben. Da seine Lunge den Körper nicht ausreichend mit Sauerstoffversorgen kann, müssen wir hoffen, dass er aufwacht, bevor die Organe versagen." Ich wandte mich Nico zu und legte meine freie Hand an seine Wange.

  "Hast du gehört, Nico? Du musst jetzt kämpfen und aufwachen. Danach darfst du dich solange ausruhen, wie du möchtest, aber jetzt ist es wichtig, wachzuwerden. Denk an Noemi. Sie braucht dich. Und ich brauche dich auch. Das mit uns hat doch gerade erst begonnen, das darf nicht jetzt schon enden und erst Recht nicht so. Bitte, Nico, kämpf. Kämpf für Noemi und mich. "Ich drückte ihm einen Kuss auf den Handrücken.


Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, die ich einfach neben dem Bett saß und Nico anstarrte, der weiter reglos dort lag. Der Arzt blieb im Raum und war bereit jeden Moment einzugreifen. Unaufhörlich liefen mir die Tränen übers Gesicht.

Als Nicos Augenlider plötzlich zuckten, war ich sofort auf den Beinen und lehnte mich über ihn.

  "Nico", flüsterte ich und strich ihm über die Wange. "Mach die Augen auf, bitte." Erneut zuckten seine Augenlider. Der Arzt trat nun ebenfalls ans Bett, nachdem er eine Krankenschwester in den Raum geholt hatte. Dann öffneten sich endlich Nicos Augen einen Spaltbreit. Vor Freude hätte ich schreien können, riss mich aber gerade noch zusammen. Der Arzt schob mich etwas zu Seite.

  "Mr. Hülkenberg, hören Sie mich?" Nicos Blick wanderte durch den Raum. "Ich brauche einen ganz kurzen Moment Ihre Aufmerksamkeit. Wenn Sie mich verstehen, blinzeln Sie zwei Mal." Keine Reaktion. Der Arzt richtete sich auf und gab mir ein Zeichen, dass ich wieder näher kommen sollte. Sofort lehnte ich mich wieder über Nico, strich ihm sanft über die Wange und hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Als ich mich löste, waren Nicos Augen wieder geschlossen, öffneten sich im nächsten Moment aber bereits wieder einen Spaltbreit. Sein Blick fokussierte nun mich.

  "Kev", kam es gehaucht über Nicos Lippen. Wenn ich nicht schon längst geweint hätte, hätte ich spätestens in dem Moment vor Erleichterung damit begonnen.

  "Ich bin bei dir. Es wird alles gut."

  "Ich möchte Sie ungern stressen oder den Moment zerstören, aber die Sättigung fällt immer weiter. Wir brauchen eine Entscheidung bezüglich der Beatmung", erinnerte mich der Arzt an unser eigentliches Vorhaben.

  "In deiner Patientenverfügung steht, dass du eine künstliche Beatmung ablehnst. Stimmt das?" Nico sah mich einige Sekunden an, als würde er nicht verstehen, wovon ich spreche, schüttelte dann aber minimal den Kopf.

  "Dürfen wir Sie künstlich beatmen?" Erneut dauerte es einen Moment bis Nico eine Reaktion zeigte, die dieses Mal aus einem Nicken bestand. Was mich erleichtert aufatmen ließ. "Wir unterstützen die Atmung erstmal nur durch eine Nasenkanüle. Vielleicht reicht das auch schon und wir können sogar auf eine vollständige künstliche Beatmung verzichten." Der Arzt griff nach einem dünnen Schlauch. Kaum hatte er ihn angebracht, schien der gefallene Wert langsam wieder zu steigen. Zufrieden nickte der Arzt und griff nach einem Tablett, dass er mit in den Raum genommen hatte. Er tippte einige Male darauf herum, ehe er Nico den Display zuwandte. "Das ist die Patientenverfügung, die uns Ihre Frau zukommen lassen hat. Ist die aktuell?" Nico Blick richtete sich zwar auf den Display, jedoch war ich mir unsicher, ob er die dort stehenden Worte wirklich lesen konnte. "Keine Lebenserhaltenden Maßnahmen, kein Reanimation, keine künstliche Beatmung", fasst der Arzt knapp zusammen. Nicos runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. "Soll Ihre Frau weiterhin alle medizinischen Entscheidungen treffen?" Ein weiteres Kopfschütteln.

  "Kev", murmelte Nico meinen Namen.

  "Wenn Sie selbst nicht dazu in der Lage sind, soll Mr. Magnussen sämtliche medizinischen Entscheidungen für Sie treffen, auch wenn diese von Ihrer Patientenverfügung abweichen, habe ich das richtig verstanden?" Nico nickte. Der Arzt wandte sich an mich. "Ich würde das Schmerzmittel, sowie auch das Schlafmittel jetzt wieder höher dosieren, was aber auch dazu führen wird, dass Mr. Hülkenberg die nächsten Stunden wieder schlafen wird. Für sein Körper ist es jedoch am Besten. Wir schauen, wie sich dadurch die Sättigung verändert. Im Zweifel müssten wir wieder zur künstlichen Beatmung wechseln." Ich nickte. Er wandte sich der Krankenschwester zu. "Du kannst im Zweifel bezeugen, dass die Patientenverfügung mündlich geändert wurde, ja?"

  "Ja. Ich notiere es auch gleich in der Krankenakte und markiere die Patientenverfügung als ungültig." Erneut wandte der Arzt sich mir zu.

  "Ich gehe mal nach meinen anderen Patienten schauen. Wenn etwas sein sollte, einfach Bescheid sagen."

  "Danke, dass Sie das getan haben", bedankte ich mich. Der Arzt nickte mir lächelnd zu, ehe er den Raum gemeinsam mit der Krankenschwester verließ. Ich setzte mich auf die Bettkante. Mein Blick traf den von Nico, der ganz offensichtlich Mühe hatte wach zu bleiben. "Schlaf etwas. Ich bin hier und pass auf dich auf, versprochen." Ich lehnte mich vor und küsste ihn zärtlich. "Ich liebe dich", hauchte ich, ehe ich ihn erneut küsste. Nico erwiderte den Kuss minimal, was mir sofort ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Als ich mich löste, waren Nicos Augen geschlossen. Ich drückte ihm noch einen kurzen Kuss auf die Lippen, ehe ich begann ihm durch die Haare zu streichen.

Die Tür öffnete sich langsam, weswegen ich aufsah. Louise hatte den Raum zögerlich betreten.

  "Egle hat das Krankenhaus verlassen."

„Sie wird noch früh genug erfahren, dass ihr Plan nicht funktioniert hat. Nico war für einen kurzen Moment wach. Er hat die Patientenverfügung zurückgezogen. Sie hat nicht mehr das Recht irgendwelche Entscheidungen für ihn zutreffen."

  "Das ist gut." Louise kam näher und setzte sich auf den Stuhl, auf dem ich zuvor gesessen hatte.

  "Du brauchst nicht hier bleiben."

  "Möchte ich aber", widersprach Louise. "Ehrlich gesagt mache ich mir etwas Sorgen, was passiert, wenn Egle herausfindet, dass Nico nicht mit irgendeiner Frau etwas am Laufen hat, sondern mit dir zusammen ist. Ich befürchte, das wird ihr noch viel weniger gefallen."

  "Sie kann Nico nichts mehr antun. Notfalls sorge ich dafür, dass sie hier Hausverbot bekommt."

  "Aber sie kann eure Beziehung veröffentlichen oder versuchen Nico das Sorgerecht für Noemi zu entziehen. Sie hätte Nico sterben lassen, obwohl sie noch nicht einmal die komplette Wahrheit kennt. Ich traue dieser Frau alles zu."

    "Noch weiß sie es aber nicht und ich werde es ihr sicherlich nicht verraten. Erst Recht nicht, da die ganze Sache mit der Patientenverfügung bisher nur mündlich geklärt wurde. Dann kann sie gerne versuchen einen Krieg mit mir anzufangen. Den wird sie aber verlieren." Ich schaute zu Nico. "Ich werde nicht zulassen, dass sie Nico in irgendeiner Form schadet."  

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