Ein neuer Versuch - Pierre
Pierres PoV
Nachdem Kevin sich auf den Weg zu Nico gemacht hatte, kehrte ich zu Estebans Zimmer zurück, welches ich, nachdem ich geklopft hatte, betrat. Mick und Lance waren beide noch dort. Sie hatten den Beistelltisch so gedreht, dass die Tischplatte sich übern Bett befand. Darauf hatten sie ein Schachbrett aufgebaut. Die beiden Besucher saßen auf je eine der Bettkanten. Esteban war inzwischen auch wieder wach und hatte sich im Bett aufgesetzt, wofür das Kopfteil des Bettes hochgefahren wurde. Er wirkte aber nicht wirklich angetan von dem Schachspiel der Beiden.
"Könnt ihr uns kurz allein lassen?", bat ich.
"Wir sind mitten im Spiel", merkte Lance an, der konzentriert das Brett musterte, während Mick mich fragend ansah.
"Ihr könnt draußen weiterspielen. Esteban spielt doch gar nicht mit, oder?", schlug ich vor.
"Nein, das geht nicht", widersprach Lance.
"Lance, du kannst gar kein Schach spielen", merkte Esteban an.
"Ich bin aber gerade dabei es zu lernen."
"Nein, du bist gerade dabei, mich zu erpressen."
"Sowas nennt man motivieren." Da ich dem Gespräch der Beiden nicht folgen konnte, schaute ich hilfesuchend zu Mick.
"Lance hat entschlossen, dass wir solange bleiben, bis Esteban sein Mittagessen zumindest zur Hälfte aufgegessen hat", erklärte dieser mir, woraufhin ich mich wieder Lance zuwandte.
"Mick kann dir in der Cafeteria weiter Schach beibringen und ich kümmere mich solange um die Erpressung", machte ich einen neuen Vorschlag. Misstrauisch blickte Lance zu mir, ehe er sich Esteban zuwandte und diesem mit dem Zeigefinger drohend gegen die Brust tippte.
"Wenn ich wiederkomme und die Suppe ist nicht leer..."
"Eben war es noch halbleer", warf Esteban ein.
"Wir haben neue Verhandlungsbedingungen", erwiderte Lance, wobei er die Schachfiguren in den Karton schob.
"Wir fangen ganz von vorne an?", fragte Mick seufzend.
"Lasst euch Zeit", meinte ich, wobei ich die Zimmertür bereits öffnete.
"Eine schnelle Schachpartie mit Lance ist auch nicht möglich, da man ihm ständig die Regeln neu erklären muss", grummelte Mick, der mit dem Spielbrett in der Hand an mir vorbei lief.
"Du änderst die Regeln ja auch ständig", warf Lance ihm vor, ehe sich dieser nochmal Esteban zuwandte. "Suppe essen und zwar komplett." Ohne eine Antwort abzuwarten folgte Lance Mick aus dem Zimmer. Bevor einer der Beiden es sich anders überlegen konnte, schloss ich die Zimmertür hinter ihnen.
"Wo warst du?", erkundigte sich mein Teamkollege, während ich aufs Bett zuging.
"Ich hab Kevin Gesellschaft geleistet, während Nico operiert wurde." Ich nahm Mikes Platz auf der Bettkante ein. Auf der Tischplatte stand die erwähnte Schüssel mit Suppe, die ich kurz musterte, ehe ich mich Esteban zuwandte. "Wie fühlst du dich?"
"Du hast mich gerade vor Lances miserablen Schachspielfähigkeit gerettet."
"Er macht sich nur Sorgen um dich."
"Ich weiß."
"Du bist ihm wichtig." Aufmerksam musterte ich Esteban, um so vielleicht mehr Informationen darüber zu bekommen, ob zwischen den Beiden mehr als Freundschaft war.
"Er ist seit Jahren mein bester Freund. Wir haben einiges zusammen durchgemacht."
"Nur bester Freund?", wagte ich eine direkte Nachfrage. Statt zu antworten, musterte der Jüngere mich aufmerksam.
"Ja, nur bester Freund", bestätigte er dann doch noch. "Würde es dich stören, wenn es anders wäre?" Ich zögerte.
"Möglich", flüsterte ich. Unsere Blicke trafen sich. Ohne den Augenkontakt zu unterbrechen, lehnte ich mich weiter zu ihm vor. Erst kurz vor seinen Lippen stoppte ich ein letztes Mal. Esteban überbrückte die letzten Zentimeter. Ganz sachte berührten sich unsere Lippen, als sich plötzlich die Zimmertür öffnete und wir auseinander schreckten.
Im ersten Moment dachte ich, Lance wäre ein weiteres Mal derjenige, der uns stören würde, dann realisierte ich, dass Oscar das Zimmer betreten hatte und schüttelte fassungslos den Kopf. Der Australier war mitten im Zimmer stehen geblieben und starrte uns an.
"Ist irgendwas mit Lando?", fand Esteban als Erster seine Stimme wieder.
"Nein, er ist in Ordnung ... Komme ich ungelegen? Ich wollte nicht stören. Tut mir leid ... Ich wusste nicht, dass ihr ... Es geht mich auch gar nichts an ..."
"Können wir dir irgendwie helfen, Oscar?", brummte ich, wobei ich die Arme vor der Brust verschränkte.
"Nein, schon okay, bin schon wieder weg." Er wollte aus dem Zimmer flüchten, stoppte dann aber doch nochmal und drehte sich wieder zu uns. Sein Blick lag auf Esteban. "Irgendwas belastet Lando, aber er will nicht darüber reden."
"Und wie soll Esteban ihn zum Reden bekommen?", hakte ich nach. Oscar musterte meinen Teamkollegen, weswegen ich diesen ebenfalls ansah. Esteban schien nicht überrascht zu sein von Oscars Worten.
"Er hat mit dir darüber gesprochen", schlussfolgerte Oscar.
"Ja, aber im Vertrauen. Ich werde dir nichts davon erzählen", stellte Esteban sofort klar.
"Deswegen war Lando gestern und heute bei dir", verstand ich nun die Besuche des Briten.
"Du brauchst mir nicht zu erzählen, worüber ihr gesprochen habt. Es ist Landos Entscheidung mit wem er worüber spricht. Mir war nur wichtig, dass er das, was auch immer ihn belastet, nicht allein mit sich aus macht, sondern mit irgend Jemanden darüber spricht. Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass er sich dir anvertraut hat und uns deswegen nicht sagen wollte, wieso er dich so dringend besuchen wollte obwohl er im Bett hätte bleiben sollen. Danke für die Information." Oscar schien wieder einzufallen, dass er uns gestört hatte, da er sich verlegen räusperte und einen Schritt Richtung Tür machte. "Ich bin dann auch mal wieder weg. Tut mir wirklich leid für die Störung. Gute Besserung noch. Und ... Tschüss." Ehe einer von uns noch etwas sagen konnte, hatte Oscar das Zimmer verlassen.
Seufzend wandte ich mich Esteban wieder zu, der jedoch noch nachdenklich Richtung Tür schaute.
"Worüber denkst du nach?", erkundigte ich mich, wobei ich eine Hand auf seine Brust legte und dadurch seinen Herzschlag spüren konnte. Esteban schaute mich an.
"Kannst du mir mein Handy besorgen?"
"Damit du und Lando Kontakt habt?", hakte ich nach.
"Ich möchte nicht, dass er einen erneuten Sturz riskiert, indem er heute Nacht wieder herkommt, aber ich weiß auch nicht, ob er die Nacht allein übersteht. Vielleicht würde es schon helfen, wenn wir telefonieren. Es wäre zumindest ein Versuch wert." Unsicher sah ich den Jüngeren an.
"Meinst du nicht, dass du dich auf deine Genesung konzentrieren solltest? Lando kann doch genauso gut mit Carlos oder Oscar reden."
"Ist das ein Nein?", kam Esteban auf seine ursprüngliche Frage zurück.
"Dann würdest du Lance oder Mick darum bitten."
"Oscar würde es sicher auch tun. Für ihn wäre es nur etwas schwieriger ans Handy heran zu kommen als für dich." Seufzend nickte ich.
"Okay, ich besorg dir dein Handy." Esteban legte seine Hand auf meine, die noch immer auf seine Brust lag.
"Danke." Sanft drückte er meine Hand, wobei er mich anlächelte. Ehe ich noch etwas erwidern konnte, öffnete sich die Zimmertür ein weiteres Mal. Mick betrat gefolgt von Lance das Zimmer.
"Was Schach angeht, ist Lance ein hoffnungsloser Fall", beklagte Mick sich. Lance trat näher ans Bett. Mit hochgezogener Augenbraue blickte er von der unberührten Suppe zu Esteban und weiter zu mir.
"Ich geh das Handy besorgen", entschloss ich und erhob mich vom Bett. Unsicher blickte ich zu Esteban. Wir hatten uns geküsst, zumindest ganz kurz, doch deswegen wusste ich trotzdem nicht, ob er meine Gefühle erwidert, wie es mit uns weitergehen sollte, ob es überhaupt ein uns gab oder wie ich mich verabschieden sollte.
"Ich warte hier auf dich", erwiderte Esteban, weswegen ich lächelnd die Augen verdrehte.
"Ich weiß. Charles und Kevin haben heute auch schon angemerkt, dass du mir zur Zeit nicht wegrennen kannst."
"Wieso sollte Esteban vor dir wegrennen?", hakte Mick irritiert nach.
"Du redest mit Charles und Kevin über mich?", hinterfragte Esteban. Mein Blick fiel auf Lance, der sich zurück auf die Bettkante gesetzt hatte und aufmerksam zwischen Esteban und mir hin und herschaut. Für einen Moment überlegte ich, ob er vielleicht doch mehr über uns wusste, als er beim Gespräch am Morgen hatte durchblicken lassen.
"Bis später", ließ ich die Fragen unbeantwortet und machte mich stattdessen auf den Weg, um in Erfahrung zu bringen, wohin man Estebans persönlichen Sachen aus dem Fahrerzimmer nach dem Unfall gebracht hatte.
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