Ängste - Lando

Landos PoV

Allein lag ich in meinem Bett und starrte an die Decke. Carlos hatte mit Ende der Besuchszeit das Krankenhaus verlassen müssen. Danach hatte eine Krankenschwester noch kurz nach dem Rechten gesehen und seitdem war ich allein, damit ich mich ausruhen konnte. 

Die Wahrheit war jedoch, dass ich mich viel besser erholen könnte, wenn Jemand bei mir war. Ich wollte nicht allein sein. Mit jeder Minute, die ich dort lag, spürte ich, wie ich unruhiger wurde. Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Es fühlte sich an, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Allein der Gedanke daran einzuschlafen ohne Jemanden bei mir zu haben löste bereits Panik in mir aus. 

In Carlos Armen hatte ich mich sicher gefühlt. Ich hatte gewusst, dass mir nichts passieren könnte und wenn doch, der Ältere bei mir wäre. Doch nun war ich allein und auf mich gestellt. Zudem war da noch die Angst vor einem weiteren Albtraum. Ich wollte nicht noch einmal meinen eigenen Tod, auch wenn es nur im Traum war, durchleben müssen. Die Erinnerungen an den Unfall reichten mir. 

Es war alles verschwommen. Nur für einen winzigen Moment hatte ich es geschafft die Augen zu öffnen. Ich hatte mich mitten in einem Trümmerfeld befunden. Alles war voller Qualm gewesen. Von irgendwoher waren panische Stimmen zu mir gedrungen. Irgendwann hatte mir die Kraft gefehlt, um die Augen offen zu halten. Der Schmerz war jedoch geblieben und mit ihm auch die Angst. Ich wusste nicht genau was passiert war, aber der Gedanke, dass ich vielleicht sterben würde, war da. Ich hätte sterben können ohne mich mit Carlos zu vertragen. Egal wie dämlich der Spanier sich in den letzten Monaten aufgeführt hatte, ich liebte ihn.  

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Die Einsamkeit trieb mich in den Wahnsinn. Ich sollte mich ausruhen. In Ordnung. Aber dafür brauchte ich Jemanden in meiner Nähe. Vorzugsweise Carlos. Da dieser aber nicht vor Ort war, entschloss ich auf meinen Plan aus der vorherigen Nacht zurückzugreifen. 

Gegen mein Versprechen Carlos gegenüber verließ ich mein Bett ein weiteres Mal ohne Erlaubnis. Die Krankenhauskleidung hatte ich bereits am Nachmittag mit Carlos Hilfe gegen Klamotten von mir getauscht. Ich musste also nur noch in meine Schuhe schlüpfen, ehe ich mich aus meinem Zimmer schleichen konnte. Vom Beistelltisch schnappte ich mir noch einen Schokoriegel, den Carlos mir dagelassen hatte. 

Zu meinem Glück gelang ich erneut ungesehen bis zur Intensivstation, wo ich in das Zimmer von Esteban schlüpfte. Dieses Mal war der Franzose wach, wirkte jedoch erschöpft. 

  "Wird das jetzt zur Gewohnheit, dass du nachts vorbeikommst?", erkundigte er sich und legte einen kleinen Stoffbären, den er zuvor in den Händen gehalten und gemustert hatte, zur Seite. 

  "Ich hab Schokolade dabei", berichtete ich, wobei ich den Riegel hochhob. Esteban schmunzelte und rutschte vorsichtig etwas zur Seite, was ich als Einladung ansah. Ich durchquerte im Dämmerlicht den Raum, schlüpfte aus meinen Schuhen und nahm meinen Platz aus der vorherigen Nacht wieder ein, ehe ich Esteban den Riegel hinhielt. 

  "Den kannst du selbst essen. Ich hab keinen Hunger." 

  "Für Schokolade muss man keinen Hunger haben", widersprach ich, während ich den Riegel öffnete, was ohne die Schiene und die Schlinge einfacher gewesen wäre. Den Riegel brach ich in der Mitte durch und hielt Esteban die Hälfte hin. Seufzend nahm er mir das Stück ab. 

  "Was sagt Carlos eigentlich dazu, dass du deine Nächte bei einem anderen Mann im Bett verbringst?", erkundigte er sich, während er ein kleines Stück vom Schokoriegel abbiss. 

  "Er weiß nichts davon und eigentlich hatte ich auch nicht vor, es ihm zu erzählen. Er ist schon dagegen, dass ich überhaupt mein Bett verlasse, weil es wohl einen Grund hat, wenn Ärzte Bettruhe verschreiben." 

  "Ist meistens auch so. Gibt es einen Grund, wieso du dich nicht dran hältst?" Ich zögerte, entschloss dann aber ehrlich zu sein. Carlos machte sich schon genug Sorgen um mich, aber Esteban hatte das Gleiche durchgemacht wie ich. Vielleicht könnten wir uns gegenseitig helfen. Zudem nahm er mich nun schon die zweite Nacht bei sich auf und hatte damit eine Erklärung verdient. 

  "Ich möchte einfach nicht allein sein. Wenn Jemand da ist, ist alles in Ordnung, aber sobald ich alleine bin, fühlt es sich an, als würde ein schweres Gewicht auf meiner Brust liegen. Ich ... ich hab Angst und ehrlich gesagt weiß ich nicht mal genau wovor. Es gibt doch kaum einen sichereren Ort als ein Krankenhaus. Es ist überhaupt nicht mit meinem Cockpit zu vergleichen. Aber die Angst ist da. Letzte Nacht, bevor ich hergekommen bin, hab ich vom Unfall geträumt. Ich hab Carlos noch meinen Namen schreien gehört. Ich hab ihn durch den Rauch gesehen. Dann gab es eine Explosion. Es war einfach ein Instinkt, dass ich danach irgendjemanden, den ich kenne, gesucht habe. Wenn ich allein geblieben wäre, hätte ich mich vermutlich die ganze Nacht über nicht mehr beruhigt. Ich konnte einer Krankenschwester die Information entlocken, dass ihr auf der Intensivstation liegt. Also habe ich mir hergeschlichen und einfach in jedes Zimmer geschaut bis ich dich gefunden habe. Zum Glück, denn ich weiß nicht, wie ich in den Moment auf den Anblick von Max oder Nico, die beide künstlich beatmet wurden, reagiert hätte."

  "Meinst du nicht, du solltest mit Carlos darüber reden?" 

  "Er macht sich genug Sorgen." Esteban nickte leicht. "Wenn ich lieber gehen soll, kannst du das sagen."

  "Nein, alles in Ordnung. Bleib ruhig."

  "Hat Pierre sich heute nochmal mit der Krankenschwester angelegt?" Der Franzose schmunzelte, was ich bereits als Zustimmung ansah. Gleichzeitig blitzte in seinen Augen aber auch Enttäuschung auf. 

  "Er hat es versucht. Kurz nachdem er heute morgen gekommen ist, kamen auch Lance und Mike. Etwas später kamen meine Eltern dann auch noch dazu. Pierre hat irgendwann das Zimmer verlassen. Lance und Mike sind am frühen Nachmittag gefahren. Meine Eltern sind bis zum Ende der Besuchszeit geblieben. Kurz danach kam Pierre zurück. Direkt nach ihm aber auch bereits die Krankenschwester, die Pierre im Gang hat laufen sehen. Wir kamen gar nicht dazu noch irgendwie miteinander zu sprechen."

  "Er macht sich ziemliche Sorgen um dich. Als wir heute morgen in der Cafeteria saßen, war er nicht besonders gesprächig. Oscar schreibt mir zwar im Stundentakt, aber Pierre verbringt ja sogar noch mehr Zeit im Krankenhaus als Carlos. Dafür dass ihr, soweit ich weiß, nur Teamkollegen seid und nicht mal wirklich Freunde, überrascht mich das." 

  "Es ist kompliziert. Vielleicht auch nicht. Aber was auch immer das zwischen uns ist, wir bekommen es nicht geklärt, weil immer Jemand dazwischenfunkt."

  "Soll ich morgen Wache vor deiner Tür halten, damit ihr in Ruhe reden könnt?", bot ich an. 

  "Dein Wachdienst würde spätestens enden, wenn Carlos dich findet." 

  "Das könnte passieren", gab ich zu. 

  "Trotzdem danke fürs Angebot."

  "Naja, du lässt mich bei dir schlafen, irgendwie muss ich das ja wieder gut machen." 

  "Ich bin eigentlich ganz froh über Gesellschaft, dann habe ich keine Zeit zum Grübeln." 

  "Worüber grübelst du nach?" 

  "Über den Unfall. Der Gedanke, dass mein Herz für einen Moment komplett aufgehört hat zu schlagen, ist beängstigend. Hätten sie mich nur ein paar Sekunden später erst aus den Wagen bekommen, würde ich jetzt vielleicht nicht mehr leben oder hätte schwerer Folgeschäden davongetragen. Mein Herz schlägt gleichmäßig. Das spüre ich und sehe es aufm Monitor ja sogar. Ich hab beim Unfall erlebt, wie schnell sich das ändern kann. Ich würde gerne behaupten, dass das nichts mit mir macht und ich keine Angst habe, dass mein Herz einfach wieder aufhört zu schlagen, aber das wäre eine Lüge. Ich habe eine verdammte Angst davor. Das Schlimmste ist, ich bin komplett machtlos. Ich habe keine Chance es zu verhindern. Niemand kann das. Ich liege in einem Gebäude voller Ärzte und trotzdem könnte jeder Herzschlag, der letzte sein." 

  "Hast du schon mit Pierre, Lance oder deinen Eltern darüber gesprochen?"

  "Mir geht's da genauso wie dir mit Carlos. Sie machen sich schon genug Sorgen." 

  "Aber ich weiß jetzt davon und du weiß von meiner Angst, also lass uns das zusammen durchstehen. Eine Art anonyme Selbsthilfegruppe", schlug ich vor. 

  "Und die Treffen finden nachts in meinem Bett statt?", hakte Esteban nach. 

  "Ich kümmere mich um die Snacks." Ich hielt Esteban die eingeschiente Hand hin. "Einverstanden?" Er zögert, seufzte dann aber lächelnd und  griff vorsichtig nach meiner Hand. 

  "Einverstanden." 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top