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Man hätte glauben können, eine göttliche Erscheinung hätte sich dort niedergelassen, so erhellt war es und hob sich damit vom Rest seines Umfelds ab. In einer solchen Masse an Lichtern starben also diese Menschen. Unverständlich, dass sie die Dunkelheit immer noch so fürchteten, obgleich sie endlich erkannt haben sollten, dass nicht diese ihr Erzfeind war.
Sollte ich wohl einen Schritt hineinwagen? Vielleicht war es besser, meine Neugier im Zaum zu halten und mich nicht diesen grellen Neonstrahlen auszusetzen. Eine fleckige Haut konnte ich mir unter keinen Umständen leisten. Zumal ich morgen die bedeutendste Rede meiner gesamten Karriere zu halten hätte. Die Siegesrede auf die Zerstörung der Menschheit.
Doch wenigstens einen Schritt näher herantreten konnte ich bestimmt. Ein einziges Mal wollte ich ihr Leiden sehen. Endlich würden sie dafür büßen, was sie meiner Spezies über Jahrhunderte angetan hatten. Ihre Lungen zerstörten sich nun dank eines mikroskopischen Virus wie von selbst. Lösten sich auf, um ihnen Zug um Zug das Atmen zu erschweren, bis sie grauenvoll ersticken würden. Wie gerecht dieses Schicksal war. Die, die sie uns Pflöcke in die Herzen rammten, würden nun so langsam ausbluten, wie es unsere Vorfahren zuvor getan hatten.
Mit einem behaglichen Grinsen leckte ich mir mit meiner langen Zunge über mein prachtvolles Gebiss. Ihr geplagter Anblick wäre beinahe so wohltuend, wie sie einen nach dem anderen auszusaugen und ihr purpurrotes Blut genüsslich in mich hinein zu schlürfen.
Ja, ich konnte es wagen. Ohnehin würde ich nur einen winzigen Augenblick bleiben. Hinter einem riesigen Müllcontainer fand ich Schutz sowohl vor den Blicken Schaulustiger als auch vor der blendenden Beleuchtung.
Wie für mich gerufen, näherte sich mir auch schon ein Krankenwagen. Mit heulenden Sirenen und loderndem Blaulicht hielt er nur einige Meter von meinem Versteck entfernt. Wenn das Glück heute nicht auf meiner Seite war...
Vorsichtig lugt ich hinter den metallenen Wänden hervor. Die Hintertür des Transporters wurde geöffnet und anschließend eine Rampe ausgefahren. In seinem Inneren kam eine Barre mit Rollen zum Vorschein, auf der ein Mensch zu liegen schien. Angeschlossen an einen Tropf und Beatmungsgeräte wurde er behutsam in Richtung Rampe bugsiert. Stück für Stück näherte sich die Trage meinem Blickfeld.
Wissbegierig lehnte ich mich nach vorne. Wollten wir doch mal sehen, wer hier zu Grabe gefahren wurde! Vor meinen Augen tauchte ein Gesicht auf, welches mir nur allzu bekannt war.
Was?
Das konnte nicht sein! Es war einfach unmöglich.
Hastig schloss ich die Augen und öffnete sie wieder. Doch kaum hatten meine Wimpern wieder meinen Pupillen die Sicht freigegeben, erschrak ich erneut. Ein eisiger Schauer lief meinen Rücken hinab, wobei sich alle meine Härchen senkrecht aufstellten. Selbst meine Knochen durchfuhr ein unerträglicher Schmerz. Ich hatte mich nicht getäuscht.
Schnell wandte ich meinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung. Noch ehe ich mich versah, hatten sich meine Beine auch schon verselbständigt und rannten los, als ginge es um ihr Leben. Der einzige Gedanke, der mir im Kopf herumschwirrte, war Folgender: Ich will nach Hause.
Als ich zum Anbruch der nächsten Dämmerung erwachte, fühlte ich mich, als wäre ich von mindestens zehn Menschen erstochen worden. Ich hatte das Gefühl, nicht eine Sekunde geschlafen zu haben.
Ständig war wieder dieses erschreckende Bild vor meinen Augen aufgetaucht und hatte die Erholung, die ich so dringen benötigt hätte, zunichte gemacht.
Ich war es gewesen! Unverkennbar!
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