Kapitel 50
Ron
„Mr. Johnson, sie sollten sich jetzt endlich mal für die Verhandlung fertig machen!", rief Belsward und drückte mir den Arm, „Sie können sich nicht ewig davor drücken. Wir alle wünschen nur das Beste für sie."
Ich nickte mit abwesendem Blick und lockerte meine Krawatte etwas. Es war ungewohnt für mich, derartige Kleidung zu tragen, aber Steve hatte darauf bestanden, auch wenn ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte.
„So bescheuert habe ich seit meiner Konfirmation nicht mehr ausgesehen und das ist mehr als fünfundzwanzig Jahre her", knurrte ich und keuchte, weil mir Steve die Krawatte wieder enger geschnürt hatte.
„Du sollst nicht aussehen, wie ein alleinstehender Büromensch, der gerade aus einer Verhandlung mit seiner Sekretärin zurück kommt, also lass gefälligst die Krawatte wo sie ist und mach dein Hemd richtig zu!"
„Das ist verdammt unbequem!"
„Deal with it!"
Ich grummelte einige Worte vor mich hin, die ich selbst nicht verstand und betrachtete mich im Spiegel. Ich sah nicht aus, als wollte ich da drin meine Unschuld beweisen, sondern eher, als wollte ich Mitglied einer Mafiabande werden, was wohl weniger an meiner Kleidung, als an meinem restlichen Aussehen lag. Selbst meine Haare waren ekelhaft nach hinten geklatscht und ich fühlte mich wie eine Schaufensterpuppe, die Leim geschnüffelt hatte.
Als ich so vor dem Spiegel stand versteckte ich meine vernarbte Gesichtshälfte hinter meiner Hand, denn die Erinnerungen mit denen die Narben behaftet waren lasteten auf mir wie tonnenschwere Steine.
Plötzlich fühlte ich eine sanfte Berührung an meinem Arm und jemand schob meine Hand von meinem Gesicht weg.
„Hab etwas mehr Selbstvertrauen. Du bist der Mann der die größte Verbrecherbande Kaliforniens freiwillig, alleine und unter größter Lebensgefahr entlarvt hat, das wissen auch die Richter."
Ich musste lächeln und betrachtete mich wieder im Spiegel, doch dieses Mal durchfuhr mich ein warmes Gefühl, das ich nicht kannte. Ich fühlte mich sicher und entschlossen. Nichts konnte meine Entscheidung nun noch abwenden. Ich würde alles dafür geben, nicht noch einmal ins Gefängnis zu müssen und ich würde dafür kämpfen, endlich ein normales Leben führen zu können.
Mit Rose im Arm ging ich zum Gerichtssaal, wo mein Schicksal auf mich wartete. Vor der Tür nahm Rose mich noch einmal in den Arm und küsste mich.
„Ich liebe dich , Ron das schaffst du schon!", dann öffnete sie mir die Tür und ließ mich eintreten, denn sie selbst musste draußen warten. Doch auch ohne ihre physische Anwesenheit spürte ich, dass sie an mich dachte und das gab mir die Kraft, die ich benötigte. Die Kraft mit der ich diesen Prozess gewinnen würde.
Ein paar Stunden später öffneten sich die Türen des Gerichtssaals für mich. Mit Steve und Belsward an der Seite marschierte ich erhobenen Hauptes hinaus, gefolgt von den Blicken unzähliger Zuschauer.
„Und? Was habe ich gesagt?", jubelte Steve, als wir draußen waren, „Du bist ein freier Mann, Ron! Keine Gefängnisstrafe, nur das kleine Bisschen Sozialarbeit. Das ist nichts! Das ist Pustekuchen im Gegensatz zu dem, was dich sonst erwartet hätte."
Ich nickte abwesend und ließ mich rückwärts auf eine der Wartebänke fallen. Zu lange hatte ich meine Fassung wahren müssen. Zu viele Menschen, zu viel Sitte, zu viel Ordnung. Jetzt fiel meine Fassade wie ein baufälliges Gebäude in sich zusammen.
„Alles in Ordnung?", fragte Steve.
Ich nickte, jedoch war ich nicht sicher, ob ich das aus Freundlichkeit oder Abwesenheit tat. Jetzt war ich endlich frei und doch fühlte es sich an, als wäre ich in Ketten gelegt worden. Der Staat hatte ein Auge auf mich geworfen und würde mich bei dem kleinsten Ausfall wieder vor Gericht zerren, ja, vielleicht sogar wieder nach Spanien abschieben. Ich war mir nicht sicher, ob ich für diese Art von Freiheit schon gewachsen war.
„Was ist?"
„Es ist nur...", ich seufzte tief, „Ich kann mit meiner Freiheit nicht viel anfangen, wenn ich vom Staat beobachtet werde, als plane ich ein Attentat auf das Weiße Haus."
„Du bist, wie Joseph Conrad in „An Outpost of Progress" schrieb, wie ein lebenslanger Gefangener, der nach seiner Freilassung nichts mit seiner Freiheit anzufangen weiß", zitierte Belsward in seiner typischen Manier, um alle anderen fühlen zu lassen, dass er gebildeter war als sie.
„Aha", entgegnete ich nur.
„Mein Angebot steht übrigens noch...", lächelte Steve, doch in diesem Moment kam Rose angerannt und umarmte mich überschwänglich.
„Du hast es geschafft! Du hast es wirklich, wirklich geschafft! Ich bin so stolz auf dich!"
Einen Moment blieben wir nur still Arm in Arm stehen, dann blickte ich auf und sah in Steves Zügen, dass er auf eine Antwort wartete. Ich nickte still und lächelte, dann vergrub ich mein Gesicht wieder in Roses Haar.
Ich würde ein Polizist werden, welch Ironie. Doch wenn ich so darüber nachdachte war das genau das, was zu mir passte. Ich hatte Risiko, ich würde mich mit Konflikten auseinandersetzen. Ich hatte Spannung und es würde mit Steve, Rose und Belsward garantiert nicht langweilig werden.
Als wir zusammen das Gerichtsgebäude verließen, blinzelte ich erst ein paarmal gegen die grelle Sonne, dann atmete ich tief ein, denn es gibt nichts schöneres, als nach mehreren Stunden in einem Gebäude, nach frischer Luft zu schnappen. Ein Streifenwagen stand schon für uns bereit und ich wollte gerade schon hinten einsteigen, wie ich es seit jeher gewohnt war, doch Steve schlug mir auf die Finger, als ich nach dem Türgriff langte..
„Heute nicht!", sagte er mit einem verschmitzten Lächeln, „Hopp, du sitzt heute vorne! Belsward, hinter!"
„Aww. Solange es nur eine Ausnahme bleibt", grummelte Belsward mit zusammengekniffenen Augen. Rose stieg nach ihm ebenfalls hinten ein. Ich konnte mein Glück selbst kaum fassen.
„Du meinst also wirklich... das geht in Ordnung, wenn ich...?"
„Halt' die Klappe und steig ein, bevor ich meine Meinung ändere!", lachte Steve.Und so fuhren wir zum LAPD zurück, wo mein neues Leben auf mich wartete. Im Seitenspiegel des Streifenwagens erkannte ich meine vernarbte Gesichtshältfe, doch dieses Mal bedeckte ich sie nicht.
Ich dachte an ein Zitat aus dem Buch „Roter Drache" von Tom Harris:
Unsere Narben haben die Kraft uns daran zu erinnern das die Vergangenheit Realität war.
Und ich wollte mich erinnern. Das war die Realität. Meine Realität. Und ich würde es nie wieder in meinem Leben so weit kommen lassen.
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