Kapitel 43

Sam

Ich konnte Schreie hören. In der Halle, in die man mich gebracht hatte war es dunkel und muffig. Um mich herum waren so viele Hunde in Käfigen zusammengepfercht, dass ich es schon nach wenigen Minuten aufgegeben hatte, sie zu zählen. Sakura schlief irgendwo in einer Ecke brav neben meinem alten Nachbarn, Pietro Martínez. Miese Verräterin!

Ich hatte mich in meinem Käfig niedergelegt und den Kopf zwischen die Pfoten gedrückt. Es war nicht das erste Mal, dass ich eingesperrt war. In Spanien war ich schon in einem Versuchslabor und in einer Perrera gewesen, also war das hier der reinste Urlaub im Gegensatz zu meinen früheren Aufenthalten.

Zwar bellten und fiepten die anderen Hunde ebenfalls, doch ihre Käfige waren mit Tüchern verhüllt, sodass es in der Gesamtheit eigentlich immer recht ruhig war. Ich seufzte und schloss die Augen. Die Schreie hatten aufgehört und waren einem Wimmern gewichen, das mir irgendwie bekannt vorkam.

Man zerrte eine Person in die Halle, in der ich war, zog ihn an den Beinen über den Boden und kippte ihm, als er sich wehrte einen Eimer Eiswasser ins Gesicht. Dann steckte man den armen Kerl in den Käfig neben mich, wo er zitternd vor Kälte saß und sein Gesicht gegen seine Knie drückte und herzzerbrechend schluchzte. Wäre er, nun ja, nicht er selbst gewesen, hätte ich ihn sofort getröstet, doch ich hatte mit ihm schon meine Erfahrungen gemacht.

Doch er saß einfach nur da und weinte. Eine halbe Stunde lang. Er bemerkte mich nicht einmal. Ich roch Schmerz und verbrannte Haut, außerdem drückte er sich immer die Hand auf die linke Brust. Ich vermutete, dass sie ihn gebrandmarkt hatten.

Jetzt tat er mir doch irgendwie leid. Ich hob den Kopf und wand mich nach oben, dann steckte ich meine Nase durch das Gitter und winselte. Keine Reaktion. Ich winselte erneut und tippelte hin und her. Johnson drehte den Kopf und musterte mich mit trauriger Gleichgültigkeit.

„Hör auf, mich zu erinnern", murmelte er, „Hör auf, mich zu erinnern, was ich deiner Art angetan habe. Ich beginne langsam zu verstehen..."

Ich legte den Kopf schief und streckte eine Pfote durch das Gitter, um sanft an seinem Arm zu kratzen.

„Lass mich in Ruhe, Sam!", rief er verzweifelt, Tränen auf seinen Wangen, „Ich will nicht mehr! Ich will einfach nicht mehr! Ich habe keine Lust mehr auf solche Spielchen. Siehst du nicht, dass ich am Ende bin? Siehst du nicht, was sie mir angetan haben?"

Er zog den Kragen seines klatschnassen T-Shirts ein Stück weit nach unten, ächzte dabei schmerzverzerrt und unterdrückte einen weiteren Schrei. Auf seinem linken Schlüsselbein prangte ein mächtiges Brandzeichen mit einem Pentagramm, das auf der Spitze stand.

Johnson zog sich das T-Shirt über den Kopf und drückte es auf die Brandnarbe, um sie so ein wenig zu kühlen. Er lehnte sich zurück und wischte sich übers tränennasse Gesicht, dann blickte er zu mir, der ich schuldbewusst die Ohren und den Kopf hängen ließ.

„Oh nein, es muss dir nicht leid tun! Das ist alleine meine Schuld. Ich habe mein Schicksal selbst ausgesucht. Ich war ein freier Mann, von der Polizei verfolgt, bin geflohen, zu einem Labor gegangen, wo man mich, wie dich auch, getestet hat. Während ich dort war, habe ich Rose kennen gelernt und ja, habe mich auch in sie verliebt. Doch ich wurde von Robin und ihren Dienern in die Enge getrieben, hatte keinen Ausweg mehr und nun bin ich hier. Kommt dir diese Geschichte vielleicht bekannt vor? Nur dass meine große Liebe nicht einen so schnellen Tod bekommen wird, wie deine damals. Frag mich nicht, wie die Geschichte ausgehen wird, denn ich mache mir keine großen Hoffnungen. Und jetzt sitze ich auch noch hier und rede mit einem Hund, als könntest du mich verstehen..."

Ich tippte ihn wieder mit meiner Pfote an und endlich nahm er mich auch wirklich wahr. Zuerst wrang er sein T-Shirt aus und zog es sich wieder über, dann drehte er seinen Kopf zu mir und sah verwundert aus.

„Was willst du, Sam?", fragte er. Ich steckte meine Nase durch das Gitter und tippelte an der Gitterwand unruhig hin und her. Er schien zu verstehen und streckte mir seine Hand entgegen. Auch, wenn mein Verstand sich dagegen wehrte, weil ich seit meiner Kindheit vor ihm hatte fliehen müssen, schenkte ich ihm einige sanfte Schlecker und stupste seine Hand an, um ihn zu ermutigen.

Nun konnte man ihm tatsächlich ansehen, wie es in seinem Kopf ratterte. Seine Augen begannen zu glänzen und er musste sich erneut übers Gesicht wischen, als auch schon die ersten Tränen an seiner Nase herunter rannen, Dann strich er mir über den Kopf und lächelte kurz, ganz kurz, bevor er seine Arme durch das Gitter streckte und mich so fest an sich drückte, wie ein Kind, das sich vor dem Donner fürchtete, bei seinen Eltern Schutz suchte.

In mir stieg Panik auf, als er mich so umarmte, doch ich redete mir ein, dass er nie wieder versuchen würde, einem Hund auch nur ein Haar zu krümmen. Nie mehr in seinem ganzen Leben. 

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