Kapitel 38
Sam
Grace und ich wurden zurück nach Downtown gebracht, wo wir von ein paar netten Polizisten vom LAPD empfangen wurden. Grace trottete völlig gelassen von einem zum Nächsten, ließ sich begrüßen und gähnte dabei, als wäre ihr das alles vollkommen egal.
Oder es kommt nicht das erste Mal vor... dachte ich. Alles in allem merkte man ihr jedoch deutlich an, dass sie ihre alte Stelle vermisst hatte.
„Grace?", fragte ich. Sie drehte ihren Kopf und blinzelte.
„Was ist denn los, Sam?"
„Warum bist du uns gefolgt, wenn du doch eigentlich gerne hier bist?"
„Weil du in Gefahr warst! Sakura, sie..."
„Grace!", ein Mann in Polizeiuniform stand im Gang und hob die Hände zur Decke. Grace brach mitten im Satz ab, sprang auf und rannte schwanzwedelnd zu ihrem Herrn. Mir wurde das alles zu blöd. Ich wurde von einem blonden Lockenkopf übernommen, der sehr freundlich aussah, aber so roch, als wäre ihm kürzlich etwas verbrannt. Er brachte mich in ein Zimmer, das abgedunkelt war und in dem man Stimmen hören konnte, dann roch ich IHN...
Der Schwarze Mann... er saß im Raum nebenan und unterhielt sich mit einem anderen Polizisten. Er weinte. Ich schaute perplex durch die dunkle Scheibe hindurch und glaubte nicht, was ich dort sah. Das Monster, das meine gesamte Familie ausgelöscht hatte und auch mich hatte töten wollen, das existierte nicht mehr. Hier saß ein gebrochener Mann, der alles verloren hatte, was ihm lieb war.
Traurig tapste ich umher und schnappte noch einen weiteren Geruch auf. Ein Geruch, den ich beinahe vergessen oder vielleicht auch verdrängt hatte. Martínez. Der Nachbar aus Valencia, der ehemalige Hundefänger, derjenige, der mich abstechen wollte, er war hier gewesen und das vor nicht einmal allzu langer Zeit. Was machte der nur hier?
Nachdem man den Schwarzen Mann alias Ronald Johnson aus dem Verhörraum gebracht hatte, verließ auch der Lockenkopf das Zimmer und sperrte mich in dem dunklen Raum ein. Und was passierte jetzt mit dem Rest meines Rudels? Das konnte doch nicht wahr sein! Jetzt stand ich hier alleine herum. Wahrscheinlich suchten mich die anderen schon überall! Unruhig schritt ich auf und ab, bis ich ein Kratzen an der Tür hörte.
„Pst, Sam! Bist du noch da drin?"
Es war Grace. War sie jetzt doch zur Vernunft gekommen?
„Ja, ich bin hier!", bellte ich verzweifelt, „Lass mich raus! Bitte!"
Grace streckte sich an der Tür entlang, drückte die Klinke herunter und schob dann die Tür auf. Freudig schwanzwedelnd sprang ich ihr entgegen und leckte ihr die Schnauze.
„Danke Grace, du bist ein Engel!"
Grace blinzelte mir nur überrascht zu und wurde dann aber ganz schnell wieder ernst.
„Sam, verschwinde von hier! Hier stimmt irgendwas nicht. Ich kann es riechen! Ich bin gerade mit Josh nach unten gegangen und da roch es ganz scharf und gefährlich. Ich weiß nicht, was es ist aber ich glaube, es ist sehr gefährlich!"
„Was?"
„Sam! Hau ab! Verschwinde! Ich warne die anderen!", Grace wirkte panischer als je zuvor. Ich konnte sie doch jetzt nicht alleine lassen.
„Ich helfe dir!"
„Nein! Dich sperren sie nur wieder ein und dann hat sich's ausgebellt! Nein, ich habe es gerochen und ich werde auch dafür sorgen, dass keiner verletzt wird!"
„Grace, ich werde in Spanien nicht umsonst Sam, el Valiente genannt, ich..."
„Das einzige, was du nach dieser Aktion wärst ist ein „Sam, el Muerte" also beweg endlich deinen schwarzen Hundehintern! Und zwar nicht hinter mir her, sondern Richtung Ausgang!"
Ich nickte, doch als Grace davon rannte, folgte ich ihr trotzdem. Ich wollte ihr helfen, das Gebäude zu evakuieren, aber ich kannte mich nicht aus und so folgte ich doch einfach der flinken Colliemix Hündin, die zielstrebig zu einem Raum rannte, in dem allerlei Technikkram und Besen herum standen und dort gegen einen Kasten an der Wand sprang, bis die schützende, dünne Glasscheibe davor zersplitterte und einen ohrenbetäubenden Alarm auslöste.
Grace bemerkte jedoch ziemlich schnell, dass ich nicht auf sie gehört hatte. Wütend sprang sie auf den Gang zu mir hinaus und knurrte mich an.
„Was an: Verschwinde! Hast du nicht verstanden?", jaulte sie zornig. Auf dem Gang rannten bereits die ersten, panischen Menschen durcheinander. Die meisten Zivilisten, keine Angestellten, die auf Polizeibeamte gewartet hatten, um ihnen ihr Anliegen zu erzählen.
Plötzlich wurde Grace umgerannt, stürzte und wurde unter einem Putzwagen begraben, unter dem sie sich ächzend hervor zu winden versuchte, es aber nicht schaffte.
Ich schob meinen Kopf unter den Wagen, um ihn leicht anzuheben und Grace schaffte es, sich zu befreien. Sie warf mir nur einen dankbaren Blick zu, dann sah sie sich wieder hektisch um.
„Okay, danke, aber Sam! Wirklich! Du musst hier raus! Bitte, bitte, tu mir den Gefallen!"
„Aber...!"
Grace ließ mich nicht ausreden, sondern gab mir nur einen kleinen Schlecker über die Schnauze. Ich war so überrumpelt, dass ich einfach nicht widersprechen konnte. Schließlich nickte ich nur und rannte fort.
Zu beiden Seiten taten sich Räume auf, die mit Glaswänden abgegrenzt waren und teilweise durch Jalousien als Sichtschutz verdeckt waren. An manchen Scheiben waren wirre Zeichnungen angebracht, die wirklich nur Menschen verstehen konnten, aber anscheinend halfen sie dabei, verworrene Kriminalfälle aufzulösen.
Ich rannte weiter, bis ich an geschlossenen Räumen vorbei kam, doch plötzlich roch ich etwas, das meine Pfoten und meinen gesamten Körper sofort erstarren ließ, wodurch ich eine ungeplante Vollbremsung hinlegte.
Johnson. Er war in einem der Räume. Ich stand still und starrte, während an mir einige, panische Menschen vorbei rannten, die sich aber nicht um meine Anwesenheit zu kümmern schienen. Es schien auch niemanden zu kümmern, dass noch jemand in einem der Räume fest saß und nicht heraus kam.
Egal, was er schon alles getan hatte, ich konnte doch nicht zulassen, dass er einfach so drauf ging. Selbst er, der schon so oft versucht hatte, mich einen qualvollen Tod sterben zu lassen und der so vielen anderen Tieren, das Leben gekostet hatte. Nur wie bekam ich ihn aus der Zelle heraus?
Ich sah mich um und entdeckte neben der Tür einen Haken mit Schlüsseln. Oben in der Tür war eine Luke eingebaut, um nachzusehen, ob die Zelle besetzt war. Vielleicht schaffte ich es ja, die Schlüssel dort hindurch zu schleusen, damit Johnson sich selbst befreien konnte.
„Hola? Hola?", rief ein Stimme von innen und jemand klopfte gegen die Tür. Das Geräusch ging jedoch im Getöse der panischen Menschen und dem Alarm unter, „Hört mich jemand? Was ist hier los?"
Ich bellte. Plötzlich verstummte das Klopfen. Ich bellte erneut. Stille. Die Pfoten nach vorne gestreckt sprang ich gegen die Tür. Es rumste und ich bellte erneut.
„Sam?", hörte ich es von innen. Die kleine Luke, oben in der Tür, wurde zur Seite geschoben und ich sah hinauf in zwei sehr verwunderte, tiefblaue Augen, während ich mit dem Schwanz wedelnd an der Tür entlang gestreckt stand.
Eine Weile standen wir einfach nur so da und starrten uns gegenseitig an, dann wanderte Johnsons Blick von mir zu den fliehenden Menschen.
„Puta mierda, was ist denn hier los?"
Er sah den Schlüssel neben der Tür hängen und streckte seinen Arm danach durch das Fensterchen aus, konnte sie aber nicht erreichen. Ich wollte ihm helfen, schnappte die Schlüssel und behielt sie in der Schnauze.
„Chucho! Gib die verdammten Schlüssel her! Blödes Mistvieh!"
So nicht... dachte ich. Da wurde mir klar, dass er nicht freundlicher werden würde, je länger ich wartete, also streckte ich mich entlang der Tür erneut hoch und versuchte, ihm die Schlüssel in die Hand zu geben.
Er musste sich gewaltig verrenken, bis er sie zu fassen bekam. Als er sie hatte, schloss er sich damit selbst die Tür auf und stürmte nach draußen, wo ich noch immer saß. Nun wusste er anscheinend nicht, was er tun sollte.
„Normalerweise hätte ich jetzt versucht, dich aufzuschlitzen...!", sagte er. Ich schluckte.
„Versuch es und du bereust es!", knurrte ich und rannte davon, in der Hoffnung, dass ihn seine Dämonen packten und er mir hinterher rannte. In Sicherheit. Das war jetzt mein einziges Ziel, doch als ich mich umdrehte stand er noch immer an der Stelle, an der ich ihn zurückgelassen hatte. Sein Blick wanderte von den Schlüsseln zu mir und wieder zurück, ohne einen Schritt weiter zu tun.
„Beweg dich endlich, Mensch!", jaulte ich. Mittlerweile rannte niemand mehr durch die Gänge, weil alle bereits geflohen waren. Mit wachsender Panik rannte ich zu ihm hin und zerrte an seinem Hosenbein.
„Ich könnte alles mit dir machen, es ist keiner hier, der uns hören könnte...", meinte er und da huschte auch wieder dieser seltsame, zu allem entschlossene Ausdruck über sein Gesicht. Er griff nach meinem Halsband und packte es fest. In diesem Moment rannte ich los und zerrte ihn hinter mir her. Wir haben nicht mehr viel Zeit, dachte ich.
„Ah! Mierda...! Por qúe...ahh...como? Ayudamé!"
Ich riss ihn einige Stufen hinunter und er klammerte sich vor Schreck noch fester an mich.
„Was zum Geier ist hier eigentlich los?", schrie er, doch das war jetzt nicht wichtig. Hier zählte im Moment nur das Überleben.
Wir waren schon fast am Ausgang, da wurde es plötzlich heiß. Ein gewaltiger Knall, gefolgt von einer Druckwelle voller Glassplitter schleuderte uns den restlichen Weg nach draußen.
Johnson hatte mich losgelassen und lag in einiger Entfernung von mir sich vor Schmerz windend am Boden. Er hielt sich die Ohren und überall in seinen Armen steckten Scherben.
Mich hatte es nicht ganz so schlimm getroffen. Mein Fell hatte die meisten Verletzungen verhindert, doch auch ich hatte einen Gehörsturz erlitten. Ich taumelte und ich hörte nichts als das Pochen meines Blutes und ein eintöniges, andauerndes piepsen, durchwachsen von verzerrten Geräuschfetzen aus meiner Umwelt.
Mein Instinkt sagte mir: Du musst fliehen, rennen... Doch da stürzte ich wieder in mich zusammen und atmete schwer.
„Meine Ohren! Scheiße tut das weh!", der arme Kerl zappelte am Boden und hielt sich die Hände über die Ohren. Ich packte sein Shirt im Nacken und zerrte ihn einige Meter weiter von dem Haus weg. Gerade rechtzeitig, bevor eine weitere Bombe hochging und die unteren drei Geschosse in sich zusammen fielen.
Nun hatte das gesamte Gebäude nicht mehr genug halt und stürzte komplett ein. Ein Gebäude weniger auf dem Grundstück des LAPD. Das Hauptgebäude, ein großes Glas-Metall Konstrukt war jedoch erhalten geblieben. Ein Glück, dachte ich. Letztendlich doch ein Funke Hoffnung für die Gerechtigkeit.
Johnson neben mir war zur Ruhe gekommen. Er atmete flach und stockend und starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Mund stand halb offen, während er so keuchend auf dem Pflasterstein lag.
„Warum?", ächzte er. Ich streckte meinen Kopf zu ihm herunter und berührte sein Kinn mit meiner Nase. Eine neue Chance für ihn. Ich hoffte, dass er sie nutzen würde.
Dann flitzte ich davon. Mit Tränen in den Augen beobachtete ich das Gebäude und verfluchte mein Leben.
„Grace!", jaulte ich verzweifelt, doch da wurde ich angestupst und Grace stand hinter mir. Sie sah jedoch nicht wirklich glücklich aus.
„Warum hast du ihm geholfen? Sein Tod wäre kein Verlust für die Menschheit gewesen", knurrte sie.
„Ob du's glaubst oder nicht. Vergebung ist ein wichtiges Gut. Man sollte niemals auf Rache oder Vergeltung Fuß fassen. Sonst wird man am Ende genau so verbittert wie diejenigen, an denen man sich rächen will!", jaulte ich laut. Grace verstand sofort, dass ich gerade die Nachwirkungen eines Explosionstraumas austrug. Sie lächelte mich an und sprang mir dann überglücklich an den Hals.
„Du hast überlebt! Und ich dachte schon, ich hätte dich verloren!"
Wir sahen uns in die Augen und berührten Nasen. Graces Zunge fuhr über mein Gesicht und auch ich konnte mich nicht mehr zurück halten. Da entdeckte ich plötzlich einen schwarzweiß gestreiften Pelz im Hintergrund.
Sakura stand dort und beobachtete uns. Grace zuckte zusammen, zog den Schwanz ein und ging einige Schritte zurück.
„Oh nein. Oh nein!", knurrte ich, „Du wirst uns nicht noch länger verfolgen!"
Mit diesen Worten rappelte ich mich auf und raste wütend bellend auf Sakura zu. Erschrocken warf sie sich herum und floh.
Ich folgte ihr ohne nachzudenken, bis ich nicht mehr wusste, wo ich war. Graces Warnungen hatte ich überhört. Ob sie mir folgte, wusste ich nicht, aber ich nahm es an. Jedenfalls blieb Sakura stehen, als wir in einer Sackgasse ankamen. Sie sprang herum und sträubte ihr Rückenfell.
„Du hättest zu Hause in deinem Körbchen bleiben sollen!", schnappte sie, „Das hätte dir jede Menge Schwierigkeiten erspart!"
„Ach ja?", knurrte ich, „Ich habe versucht, dein Freund zu sein. Ich habe dich behandelt wie eines unserer Rudelmitglieder. Du bist eine Verräterin, denn du hast nicht nur mein Vertrauen, sondern auch das deines eigenen Bruders ausgenutzt!"
„Halbbruders!", Sakura stand still, „In einer Sache hast du recht, Sam! Ich bin eine Verräterin! Aber denke ja nicht, dass ich nicht weiß, wem ich meine Treue schuldig bin."
Nun bemerkte ich, dass Grace in einiger Entfernung stand. Sie gab mir Rückendeckung, auch, wenn das im Moment unnötig war.
Plötzlich tauchten im Gasseneingang mehrere Leute auf. Ihnen an der Spitze stehend Pietro Martínez. Grace warf sich auf einen von ihnen und jaulte vor Scheck auf, als ihr jemand einen Elektroschock verpasste und sie betäubt am Boden liegen blieb. Ich hockte in der Falle. Hier kam ich nicht so schnell wieder heraus.
Fünf ist eine mächtige Zahl. Sie ist teilbar nur durch eins, doch es gibt noch einen Teiler, eine Waffe, der sie nicht gewachsen ist. Nämlich sich selbst.
Die Pentagrams hätten es sich besser überlegen sollen, bevor sie sich mit Sam, el Valiente, dem Geisterhund, dem Schatten der Straßen, dem Schrecken der Hundefänger und Hoffnung aller Straßentiere angelegt hatten. Doch nun war ich erst einmal ein Gefangener. Und ob ich es jemals auf die Reihe brachte, sie gegen sich selbst aufzubringen, das stand noch in den Sternen.
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