Kapitel 3


Sam

In der Nacht blieb alles ruhig. Nur das regelmäßige Rattern der Räder auf dem Asphalt und das vorüberziehen der überholenden Autos war zu hören. Wir machten einmal kurz an einer Tankstelle, danach wechselten sich Sara und Jake mit dem Fahren ab, ansonsten gab es keinerlei Reibungen. Wir Hunde schliefen die ganze Nacht hindurch.

Es war, als hätten wir am Tag zuvor einen großen Spaziergang gemacht, weil alle so müde waren... vielleicht lag unsere Müdigkeit aber auch an der kleinen Spritze, die noch immer Wirkung zeigte, nun gut, irgendwie tat uns der Schlaf ja auch gut und neben mir hörte ich Charlie einige Male zufrieden seufzen.

Selbst ich war mühelos ins Land der Träume geglitten und sprang über eine Wiese aus halbhohem Gras, das herrlich duftete. Plötzlich sah ich in der Entfernung einen kleinen, weißen Punkt, dem ich immer näher kam. Nana! Ich setzte alles daran, zu ihr zu gelangen. Nana war meine Gefährtin aus dem Labor, doch sie war bereits tot. Doch in meinen Träumen wirkte sie immer so lebendig und so fröhlich, wie ich sie zu Lebzeiten gekannt hatte.

„Nana!", jaulte ich und meine Freundin kam näher. Die wunderschöne Australian Sheperd Hündin mit dem grau-rot-weiß gefleckten Fell und den wundervollen blauen Augen stand in einiger Entfernung und lächelte mir zu.

„Hallo, Sam", sagte sie leise und trat näher, „Es hat eine Weile gedauert, dich hier zu finden. Du bist sehr weit weg von zu Hause, weißt du das?"

Ich nickte. Schon allein die Reise war Beweis dafür, dass ich wohl in einer ganz anderen Ecke der Welt gelandet sein musste. Ich schmiegte mich an ihr weiches Fell und sog ihren Duft durch meine Hundenase ein. Ich vermisste sie so sehr.

„Mit dieser neuen Welt kommen auch neue Gefahren und neue Aufgaben auf dich zu, Sam", sagte Nana. Warum musste sie das sagen? Warum kam sie immer, um mir meine Aufgaben zu prophezeien? Warum konnte sie nicht einfach den Moment genießen?

„Ich verstehe, dass du lieber deine Zeit hier mit mir verbringen willst, Sam, aber ich bin nicht real. Ich lebe nicht mehr. Du darfst dich nicht an das hängen, was du bereits vor langer Zeit verloren hast. Du musst über mich hinweg kommen, Sam!"

„Das will ich aber nicht! Ich will dich nicht vergessen!"

Nana lachte kurz auf und ihre süßen Öhrchen wackelten dabei. „Du sollst mich nicht vergessen, Dummkopf!", lachte sie und gab mir eine Kopfnuss, dann sprang sie auf und rannte schwanzwedelnd davon. Ich wartete nicht lange und lief ihr hinterher, um sie zu fangen. Wir spielten eine Weile im weichen Sommergras, bis sich Nana unterwarf und ich lachend und einfach nur glücklich über ihr stand.

„Du sollst mich nicht vergessen, du sollst darüber hinweg kommen, was damals passiert ist. Das war mein Schicksal. Erfülle du auch deines."

Ich legte mich zu ihr und wir genossen noch eine Weile die warme Luft über der Wiese. Irgendwann bemerkte ich nur, wie ich aus meiner Traumwelt wieder im Hier und Jetzt gelandet war. Nanas Gestalt war nicht verblasst. Sie war noch immer bei mir. Es war, als fühlte ich ihr Fell noch an meinem, als ich mich in meiner Box umsah.

Einmal wurden wir Hunde noch aus dem Wagen gelassen, damit wir uns erleichtern konnten. Mit taten meine Beine langsam weh, doch als ich aus dem Wagen kam, sah ich mich völlig verdattert um.

„Hier sieht es aber ganz anders aus, als bei uns Zuhause", gab Seven zu bedenken, als wir über eine Wiese blickten, die grüner nicht hätte sein können. Es war einfach traumhaft. Der Vollmond schien über das Gras und tauchte es in Silber. Wind strich über die Halme und brachte das lange Gras wellenförmig in Bewegung.

„Wir sind im Paradies gelandet", seufzte Sunny und setzte sich. Der Anblick rührte sie so sehr, dass ihr die Tränen kamen. „Jetzt wird alles gut, ich glaube daran. Ja, ich glaube ganz fest daran, dass wir das Paradies gefunden haben!"

„Oder eine Autobahnraststätte mit einem verkommenen Motel und einer schönen Wiese dahinter...", grinste Seven. Fünf genervte Blicke richteten sich auf ihn, doch das schien ihn nicht wirklich zu stören.

„Upps! Unangebrachter Kommentar, schon kapiert", wuffte er scheinheilig und zog sich zurück. Eine Weile saßen wir einfach da und genossen den neuen Anblick, da drängte Jake, dass wir endlich mal schneller machen sollten, denn er wollte weiter fahren.

Gerade, als Jake uns an die Leine nehmen wollte, um uns wieder ins Auto zu stecken, traf ihn ein auf Fernlicht gestellter Scheinwerfer ins Gesicht. Ein Wagen kam angerast, hielt mit quietschenden Reifen an, die Fahrertür wurde aufgerissen und eine weiße Hündin flog heraus. Nein, sie war nicht weiß, sie war gestreift, wie Tomtom. Eine Kai-Ken Hündin! Nachdem man sie herausgeworfen hatte, fuhr der Wagen einfach weiter.

„Halt!", rief sie verzweifelt. „Halt, du Idiot! Was machst du denn da? Ich bin nicht fertig mit dir!"

Ein Geruch strich mir um die Nase, den ich fast vergessen hatte. Er ließ mir jedoch das Blut in den Adern gefrieren. Ungewollt spannte sich meine Rückenmuskulatur an. Ich wollte fliehen, aber ich hatte Jake an meiner Seite. Wenn er dabei war, würde mir nichts passieren.

„Der Schwarze Mann!", rief ich und Seven sah mich entgeistert an.

„Ich dachte, er wäre tot!", knurrte er, ohne den Blick von dem fliehenden Wagen abzuwenden.

„Ich auch...", gab ich zu, doch so schien es nicht zu sein. Er lebte. Und wenn er lebte und wenn er mich gesehen hatte, dann hatte ich so einige Probleme am Hals. Ich mochte gar nicht darüber nachdenken, was mich erwartete, wenn er mich ein weiteres Mal erwischte. Das war gar nicht gut, überhaupt nicht gut!

„Halt!", rief die Hündin. „Lass mich hier nicht sitzen!"

„Kann ich irgendwie...helfen?", fragte ich sie. Sie sah mich an und ihre giftgrünen Augen trafen mich wie ein Tritt in die Seite. Sie sah aus, als hätte sie mich am liebsten auf der Stelle gekillt, anstatt sich für mein Angebot zu bedanken.

„Du?! Hier?", knurrte sie, besann sich dann aber eines Besseren. Ich verstand überhaupt nicht, was eigentlich los war.

„Keiner kann mir helfen! Niemand kann das! Und du erst recht nicht! Was will ich von einer Promenadenmischung wie dir auch anderes erwarten?"

Ich hatte keine Ahnung, was ich ihr getan hatte, dass sie so unfreundlich war. Und ihre Verwunderung mich hier zu sehen, machte mich stutzig. Kannte sie mich? Ich jedenfalls hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass sie mich jemals schon einmal gesehen hatte. Sie musste mich verwechselt haben. Aber wen konnte man denn mit mir verwechseln, außer meinen Bruder, Juan?

Ich schob diesen Gedanken schnell beiseite. Wahrscheinlich hatte sie einfach denselben unliebsamen Charakter, wie Caprice, Baileys Mutter. Die Hündin schoss ganz plötzlich an mir vorbei und wollte hinter dem Auto her, doch sie war zu langsam. Das schaffte sie nie.

„Mist!", bellte sie. Plötzlich beschleunigte die Hündin und es kam mir auf einmal vor, als würde ein schwarz-weißer Pfeil hinter dem Auto herjagen.

„Hey! Achtung, da vorne ist der Highway! Du wirst überfahren, wenn du dort hinläufst!", bellte Seven zur Warnung, doch die Hündin ignorierte ihn einfach. Jake stand genau so verdutzt da, wie wir anderen auch und starrte hinter der schwarzweißen Hündin her, ohne zu wissen, was jetzt zu tun war.

„Wow, was du nicht sagst!", hörte ich die Hündin noch rufen. Die machte mich noch rasend. Sollte sie doch dem Auto hinterherrennen, bis sie tot umfiel. Vielleicht dauerte das gar nicht mehr so lange. Wenn sie unbedingt zum Schwarzen Mann zurückwollte, dann sollte sie doch. Er würde sie töten, bevor sie die Gelegenheit bekam, ihm hallo zu sagen. Während die Hündin immer weiter rannte, verschwamm ihre Gestalt zu einem undeutlichen Punkt in der Ferne.

„Sakura!", jaulte Tomtom entsetzt. Plötzlich ein schmerzverzerrtes Jaulen in der Ferne. Die Hündin lag am Seitenstreifen, ihr linkes Hinterbein war blutverschmiert und sie war bewusstlos. Jake packte uns schleunigst in sein Auto und fuhr zur umgehend zur Unfallstelle. Dort las er die Hündin vom Seitenstreifen auf, wickelte sie in eine Decke und legte sie zu uns in den Raum mit den Hundeboxen.

„Idiot!", knurrte sie Jake an. „Ich muss weiter, lass mich los!"

Jake jedoch blieb unbeeindruckt und schlug die Tür des Kofferraums wieder zu.

„Lass mein Bein gefälligst los! Ich muss ihm hinterher und ihm die Kehle durchbeißen, diesem, diesem Ron...", schon wieder wurde sie ohnmächtig. Was die Hündin wohl nicht bemerkt hatte war, dass niemand ihr Bein fest hielt. Sie konnte es schlichtweg nicht mehr bewegen. Es war wohl gebrochen.

Wir fuhren zurück zu der Autobahnraststätte, wo Jake einen unfreundlichen, ungepflegten Kerl nach einer Tierklinik in der Nähe fragte (er hatte ja nicht die nötige Ausrüstung für eine Operation dabei). Glück gehabt! Kaum zehn Minuten von hier gab es eine große Tierklinik, in der diese Sakura angeblich sehr gut aufgehoben sei. Sofort fuhr Jake los und ich durfte mit Tomtom mitkommen, aber nur, weil er darauf bestanden hatte.

„Meine Güte, Sakura...was hast du dir dabei nur gedacht!", wimmerte er und leckte der Hündin durch das Gitter seiner Box das Gesicht. Die jedoch lag noch immer schlaff in die Decke gewickelt da und rührte sich nicht.

„Kennst du sie?", fragte ich. Tomtom nickte wimmernd.

„Wir sind zusammen aufgewachsen. Sie ist meine Halbschwester. Wir haben denselben Vater, aber verschiedene Mütter."

„Sakura heißt sie? Was bedeutet das denn?", fragte ich. Tomtom wackelte mit den Ohren.

„Das bedeutet Kirschblüten auf Japanisch. So ein passender Name. Sie ist wirklich so wunderschön, wie eine Kirschblüte im Frühling."

„Sakura...", sagte ich langsam und bedächtig, um jedem Laut des Namens seine Ehre zu erweisen. Ein wirklich schöner Name. Man sah Tomtom jedoch an, dass er sich große Sorgen um seine Halbschwester machte und als Jake anhielt, um sie in die Klinik zu bringen, bellte er wütend in seiner Box herum. Zum Glück durften wir beiden mitkommen. Man brachte Sakura sofort in einen OP-Saal und ließ uns warten.

Eine nette Dame namens Charlotte wartete bei Tomtom und mir draußen, bis Jake von der Rezeption zurück kehrte. Sie streichelte uns, was sich sehr nett anfühlte.

„Na du bist ja ein Hübscher...", sagte sie zu mir und streichelte meine weiße Brust. Ich legte mich auf den Rücken und ließ sie meinen Bauch kraulen. Dabei zuckte ich genüsslich mit meiner Hinterpfote.

„Schon gut, Casanova. Sie hat's kapiert, dass du das ganz toll findest!", knurrte Tomtom. Er war wohl eifersüchtig.

„Neidisch?", grinste ich von unten zu ihm auf und hängte dann auch noch vor Genuss meine Zunge aus dem Maul.

„Auf dich?"

Tomtom sah mich nur mit zusammengekniffenen Augen an. Charlotte kraulte ihn zur Abwechslung auch mal zwischen den Ohren, wobei er ihr den Kopf auf die Knie legte und vor Entzücken laut brummte und grunzte.

„Und du sagst, ich soll mich nicht so aufspielen?"

Als Jake nach mehr als einer Stunde erschöpft aus dem OP-Saal kam, setzte er sich erst einmal neben Charlotte, die beim Warten eingenickt war. Ich hatte mich neben sie auf einem Stuhl platziert und ihr den Kopf auf den Bauch gelegt. Sie streichelte mich, als sie aufwachte und sah Jake an.

„Wie lange sitzen sie schon hier?", fragte sie etwas zögerlich. Sie hätte wohl nicht einschlafen dürfen.

„Sie haben es verpasst, aber gestern Nacht bin ich mit der OP fertig geworden und warte seither, dass sie aus dem Koma aufwachen", lächelte er nur und ließ sich deutlich anmerken, dass er sich einen kleinen Scherz erlaubt hatte. Charlotte lachte kurz, hakte dann aber trotzdem nach.

„Nein im Ernst, wie lange sind sie schon hier?"

„Vielleicht eine halbe Stunde, länger nicht. Ich wollte sie nicht wecken. Ich weiß ja wie anstrengend Nachtdienste sind."

Verlegen räusperte sich Charlotte. „Tut mir wirklich, wirklich leid."

Ich leckte sie einmal übers Gesicht, um ihr zu zeigen, dass mir das nichts ausmachte. Jake schien auch nurmehr amüsiert als verärgert darüber zu sein.

Charlotte beäugte Tomtom interessiert und strich ihm noch einmal übers Fell. „So einen Hund habe ich hier noch nie gesehen. Was ist das für eine Rasse?"

„Kai-Ken", antwortete Jake prompt, „Eine japanische Jagdhunderasse. Sie sind äußerst selten, darum kennen sie die Rasse wahrscheinlich eher nicht. Sakura wird bald aufwachen. Ich geh mal nachsehen."

Tomtom und ich sahen uns an, woher er wohl ihren Namen wusste. Da fiel mir ein, dass Sakura ein Halsband getragen hatte, auf dem ihr Name gestanden haben konnte. Genau wie bei mir und allen meinen Freunden auch. Noch dazu hatte uns Jake einen Ortungschip eingepflanzt, sodass er uns immer finden konnte, wenn wir mal verloren gingen. Das Ding spürte ich zwar nicht, aber der Gedanke, dass man mich so überall beobachten und finden konnte, egal, wo ich mich aufhielt gefiel mir überhaupt nicht. Kurze Zeit später tauchte Jake mit Sakura auf, die noch etwas wackelig stand. Ihr Hinterbein war dick in einen Gips gewickelt. Es sah einfach nur lächerlich aus, wie sie mit diesem Trichter um den Kopf ihr Bein hinterher zog, aber sie hatte ja nicht hören wollen.

„Lach nicht!", knurrte sie mich an. Ich konnte sie jetzt schon so richtig gut leiden. Nicht!

„Ich hab' dich ja gewarnt", brummte ich schadenfroh. „Wer muss also jetzt eine Studie über unnützes Wissen eröffnen? Seven über „Werde ich überfahren, wenn ich auf dem Highway einem Auto hinterherrenne?", oder du über „Wie fühlt es sich an, wenn man auf dem Highway angefahren wird, weil man nicht auf Studie1 gehört hat?""

„Ach, halts Maul! Ich habe mich gerade noch entschuldigen wollen, weil ich dich vorhin mit jemandem verwechselt habe, der genau so aussieht wie du, aber jetzt merke ich, dass du ein genau so großer Depp bist, wie dieser Juan! Hast du einen Bruder hier, oder sowas?"

Ich fiel aus allen Wolken. „Hast du das auch gehört, oder bilde ich mir das nur ein?", fragte ich Tomtom. Der jedoch sah skeptisch aus.

„Und dieser Juan sah genauso aus, wie unser Sam?"

„Sogar der Geruch war derselbe!", antwortete Sakura, „Und wie gesagt: Beide können mich gerne mal."

„Wo hast du ihn gesehen?", bellte ich. Ich wollte unbedingt wissen, wo ich meinen Bruder finden konnte. Wie war der überhaupt hierhergekommen? Er war also doch nicht tot!

„Immer langsam mit den jungen Hunden!", knurrte Sakura, „Als ob ich jetzt in der Lage wäre, dir eine detaillierte Wegbeschreibung zu geben!"

Mit einem Mal war meine Laune im Keller. „WO IST ER?", knurrte ich nur etwas heftiger. Jake sah mich verwundert an. Er kapierte ja nicht, welch emotionale Konversation hier unten gerade auf hündisch stattfand.

„Los Angeles. Da komme ich gerade her... dieser...dieser Johnson! Er hat meinen Wilson entführt und mich rausgeschmissen! Er wird ihn töten! Er wird meinen Wilson töten!"

Ich zitterte. Sie meinte wohl den Schwarzen Mann. Wahrscheinlich hatte er hier einen anderen Namen. Kurz darauf nahm Jake Sakura hoch und trug sie die letzten Meter zum Wagen. Dort schlief sie sofort wieder ein und war den Rest der Fahrt nicht mehr ansprechbar. Na toll!

Cheyenne lächelte zufrieden während sie schlief. Warum nur? Ich legte den Kopf auf die Pfoten und glitt wieder in meine kleine Traumwelt hinein. Ich merkte nicht einmal, wie Jake mit dem Wagen weiter fuhr. Wir schliefen die ganze Nacht durch, bis der Wagen am nächsten Morgen in unserem neuen Zuhause ankam. 

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