Kapitel 14
Sunny
Es hatte ziemlich lange gedauert, bis mir klar wurde, was eigentlich passiert war. Mein Kopf schmerzte ein wenig, als ich erwachte. Ich spitzte die Ohren und blinzelte ins Dunkel, bis ich erkannte wo ich war. Ich steckte in einem Käfig im Laderaum eines Autos. War das Jakes Wagen? Ich schnupperte. Nein. Der Geruch war nicht im Geringsten, wie der bei Jake. Spannung knisterte in der Luft. In den Käfigen neben mir waren fremde Tiere. Was war nur geschehen?
„Mama?", hörte ich eine zittrige Stimme rufen, „Du lebst ja!"
Es war Rascal. Er saß in einem Käfig neben mir. Seine Wangen waren nass von Tränen, doch nun erschien ein freudiges Strahlen auf dem Gesicht meines kleinen Sohnes. Schlagartig wurde mir bewusst, was ich getan hatte.
„Na endlich hört der Kurze mal mit dem Gejaule auf!", knurrte ein junger, völlig vernarbter Jack Russell mit nur einem Ohr, unter mir, „Ich dachte schon, mir fliegen die Ohren ab."
„Was hab ich nur getan?", murmelte ich leise. Ich hätte auf meinen Bruder hören sollen, als er mir gesagt hatte, dass ich warten sollte. Alleine hatte ich nicht die geringste Chance gehabt, die beiden Kerle aufzuhalten.
„Mama, wohin bringen die uns?", wimmerte Rascal. Ich schleckte sein Näschen durch die Gitterstäbe ab, um ihn zu beruhigen. Rascal jedoch hatte die Augen weit aufgerissen und hechelte vor Angst.
„Ins Tierheim geht es jetzt", brummte der Jack Russell, „Aber macht euch keine Sorgen. Menschen stehen auf so niedliche Kläffer wie euch. Ganz im Gegensatz zu mir. Die nächsten fünf Tage entscheiden darüber, ob ich leben werde oder ob die mich nach hinten bringen."
„Wer bist du?", fragte ich. Der Jack Russell schien sich damit auszukennen, was mit Hunden passierte, die von der Straße geholt wurden.
„Mein Name ist Grant", wuffte er und räkelte sich in seinem Käfig, „Ihr riecht wie Haustiere, oder täusche ich mich?"
Rascal hatte seinen Kopf zwischen die Pfoten gesteckt und presste die Schnauze durch das Gitter, das den Boden seines Käfigs bildete. Grant saß direkt unter ihm und blickte frech zu dem kleinen Welpen auf, der freundlich mit dem Schwanz wackelte.
„Mein Name ist Sunny und das ist mein Sohn, Rascal", stellte ich uns vor. Grant sah noch immer zu Rascal hinauf und lächelte.
„Du siehst aus, wie ein richtiger, kleiner Satansbraten. Erinnerst mich an mich als ich in deinem Alter war. Lass mich raten. Du wusstest nicht, wer diese Typen waren, sie haben dich mit Leckerlis vollgestopft und Mama hat versucht, dich zu retten?"
Rascal nickte eifrig und der Stummel von Grants abgerissenem Ohr zuckte vor Amüsement. Ich verstand nicht, was er an der ganzen Geschichte so lustig fand.
„Diese Menschen leben von der Naivität von Haushunden", brummte Grant, „Sie locken, sie hätscheln, sie tun ja ach so lieb. Sie sind es normalerweise auch. Keiner von denen hat einem Hund je etwas zuleide getan und dennoch wissen sie genau, dass sie uns ans Messer liefern, wenn wir im Tierheim ankommen."
Im Laderaum machte sich hysterische Stille breit, als der Wagen anhielt. Ich erinnerte mich, wie Tomtom beim Umzug davon erzählt hatte, dass Tiere in den Tierheimen hier nur fünf Tage zu leben hatten. Rascal und ich hatten kein Halsband an. Jake hatte es uns zum Baden abgenommen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Rascal durchbrennen und von Hundefängern aufgesammelt werden würde. Doch wusste Jake davon? Würde er uns suchen? Würde er uns dort heraus holen?
„Mein Bruder wird sicherlich nach mir suchen", winselte ich und bedeckte meine Augen mit den Pfoten, „Oh nein, dabei weiß er doch, dass Jake weiß wo wir hinkommen werden."
„Dein Bruder?", bellte Grant nun neugierig.
„Sam, el Valiente. Der Steuner mit dem blauen Blick", antwortete ich. Nun schien Grant die Fassung aus dem Gesicht zu fallen, denn seine Kinnlade klappte herunter und seine Zunge hing ihm bis zur Brust aus dem Maul heraus.
„Du bist die Schwester von Sam, el Valiente? Du willst mich wohl veralbern!"
„Sieht sie etwa so aus?", fauchte Rascal frech nach unten, „Sam ist mein Onkel und ich bewundere ihn dafür, dass er all das ausgehalten hat, was die Menschen ihm angetan haben!"
Grant war nun endgültig still geworden. Ihm schien es wohl die Sprache verschlagen zu haben.
In diesem Moment ging die Tür des Laderaumes auf und ein paar Helfer begannen, die Türen zu den Käfigen zu öffnen und den Tieren darin Leinen anzulegen. Einer nach dem anderen wurden wir aus den Käfigen geholt und in ein großes Gebäude geführt, in dem es nach Angst und Exkrementen roch.
Die Frau, die mich führte war unglaublich fett und schob sich gerade eine Minisalami in ihren Rachen. Sie hatte nicht einmal einen Hals. Ihr Kopf schien einfach so in ihren Körper überzugehen.
Stopf dich nur voll, dachte ich. Denn wenn ich dir davon laufe wirst du dann Schwierigkeiten haben, mich wieder einzufangen.
Die Fette sperrte Rascal und mich zusammen mit Grant in einen Zwinger mit Auslauf. Etliche Hunde bellten um uns herum, doch wenn es zu laut wurde, konnte man einfach nach draußen fliehen. Ich hatte solchen Durst. Ich suchte den Wassernapf auf und schlabberte gierig nach dem kühlen Wasser. Es schmeckte schal und nach dem Sabber von etlichen anderen Hunden, doch in diesem Moment war mir das völlig egal.
„Weißt du, ich kenne Sam eigentlich gar nicht", hechelte Grant, der sich nun neben mich gesellte, „Aber die Geschichte, dass er einen Mann aus dem Feuer gerettet hat, ist bis hierher gekommen. Ich finde es sehr vorbildlich von eurem Herrn, dass er ihn aus einer Tötungsstation befreit hat. Welch Ironie, dass du jetzt hier gelandet bist."
Ich sagte nichts und trank einfach weiter.
„Ihr könnt von Glück bellen, dass ihr hier gelandet seid und nicht in den Katakomben der Pentagrams. Sie stehlen Haustiere und lassen sie bis zum Tod gegeneinander kämpfen. Einige meiner Freunde hat es leider auch schon erwischt."
Ich hielt inne. Das klang gar nicht gut. Wenn Sam und die anderen nun nach mir suchten und in die Hände dieser Verbrecher gerieten, war das gar kein gutes Omen. Weder für Sam, noch für den Rest des Rudels.
„Wenn dein Bruder, wie du sagtest, nach dir sucht, sollte er besser vorsichtig sein. Hoffentlich trifft er auf Pixies Bande. Die wären seine Rettung."
„Das ist schön und gut", japste ich, „Aber wer ist Pixie?"
„Eine alte Freundin von mir", lachte Grant, „Sie wurde am selben Ort ausgesetzt wie ich und wir sind zusammen auf der Straße aufgewachsen. Doch unsere Einstellungen zu den Menschen waren sehr verschieden. Sie wollte jedem helfen, während mir nur mein eigenes Überleben wichtig war. Und so hat sie ein eigenes Rudel gegründet, um Menschen und Tieren in Not helfen zu können. Sie ist eine ehrenhafte, hilfsbereite Dame. Vielleicht manchmal etwas zu ehrenhaft und hilfsbereit."
„Das klingt ja vielversprechend. Ich hoffe, dass Sam sie findet und dass sie ihm auch weiterhelfen kann."
„Wenn er wirklich der ist, für den ich ihn halte, so wird er damit sicherlich keine Schwierigkeiten haben", lachte Grant.
„Sam ist eh der beste", japste Rascal, „Ich wollte immer genau sein wie er. Aber irgendwie tauge ich zu nichts. Ich mache nur immer alles um mich herum kaputt."
Grant sagte nichts, sondern musterte Rascal nur mit gespitzten Öhrchen. Plötzlich sprang er auf und warf sich Rascal an den Hals. Rascal wich geschickt aus und zog Grant die Pfoten unterm Körper weg, als er landen wollte. Grant landete auf der Schnauze, bekam jedoch keine Gelegenheit sich aufzurappeln, da hatte Rascal sich schon auf ihn geworfen und ihn im Nacken mit den Zähnen fixiert.
„Wusste ich's doch!", jaulte Grant begeistert, „Bei solchen Muskeln musstest du ein guter Kämpfer sein. Und du dachtest du taugst zu nichts. Pah, dass ich nicht lache!"
Rascals Augen leuchteten vor Stolz.
„Meinst du echt?"
Grant grinste und begann, Rascal durch zu kitzeln. Die beiden jungen Hunde quiekten vergnügt, als sie zusammen über den Boden kugelten. Der kleine Haushund und der verwegene Streuner.
Ich blickte die beiden an und merkte sofort, dass Rascal etwas gefunden hatte, das er so lange gesucht hatte. Einen Freund, der genau das verkörperte, was er immer hatte sein wollen. Frech, stark und frei. Vielleicht hatte er genau das in all den Monaten gebraucht, in denen Jake ihn so oft für seinen Übermut getadelt hatte. Rascal war am Ende eben doch nur ein Welpe, der seinen Platz in der Welt suchte.
Und genau hier, in diesem überfüllten, lauten, nach Angst riechenden Tierheim, hatte er ihn gefunden. Jetzt mussten wir nur abwarten, wann Jake uns wieder abholte und ob Grant innerhalb der nächsten fünf Tage ebenfalls ein neues zu Hause fand, bevor er dem Tod schutzlos ausgeliefert wurde.
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