Kapitel 10
Rose
Ich saß neben Ron im Krankenwagen. Die Krankenschwester tupfte mir mit einem Tuch die Schürfwunden sauber und half dann ihrem Kollegen, Rons Blutung zu stillen.
„Haben sie einen Ausweis dabei?", fragte die Schwester Ron, der griff mit zitternder Hand in seine Tasche und zog einen Blutverschmierten Ausweis heraus.
„Mr. John Thomas. Ok, ich glaube wir haben eine Akte von ihnen. Bleiben sie ruhig, wir regeln das schon!"
John Thomas? Entweder das war ein gefälschter Ausweis, oder er hatte mir vorhin seinen falschen Namen genannt. Ich sah ihn mit skeptischem Seitenblick an, er blickte zurück und lächelte kurz, ganz kurz, bevor er wieder einen neutralen Blick auflegte und mit seinem gesunden Auge in Richtung der Schwester deutete. Ich verstand es mal so, dass ich nichts sagen sollte und nickte unauffällig.
Wir wurden ins Krankenhaus gebracht und ich wurde von einem sehr jungen Polizisten vernommen, der anscheinend gar nichts von seinem Job verstand. Ich war zwar schon Mitte dreißig und hatte ein bisschen mehr Erfahrung, aber trotzdem hätte man sich ein wenig zivilisierter verhalten können. Er kaute unablässig auf seinem Kaugummi herum, gähnte dabei mit offenem Mund und wirkte so, als hätte er überhaupt keine Lust auf diese Arbeit.
„Hören sie, ich kann meinem Bruder auch selbst von dem Vorfall erzählen!", rief ich, leicht gereizt. Der Cop blickte mich an.
„Wie jetzt?", schmatzte er und kratzte sich mit dem Finger in der Nase.
„Steve Peter Matthiews, mein Bruder, Chef des Distrikts Nummer drei! Das Revier, das hier genau in der Gegend liegt!", nun war ich tatsächlich genervt von dieser Energiesparlampe. Der Azubi rollte einen kleinen Popel zwischen seinen Fingern und schnipste ihn von sich, als ihm endlich ein Licht aufzugehen schien.
„Ach der, oh, warten sie... sie sind Rosebeth Matthiews, die Rosebeth Matthiews?"
„Sind sie da ganz alleine drauf gekommen?", entgegnete ich mit verschränkten Armen und erhobener Braue. Der Azubi grinste mich beschämt an und kratze sich dann verlegen am Hinterkopf.
„Oh, ähm, tun sie mir den Gefallen und erzählen ihm nichts von mir? Er hat mich sowieso auf dem Kicker und, naja, sagen wir, wir haben nicht das beste Verhältnis zueinander."
„Da kann ich ihn gut verstehen", murmelte ich und schickte den Azubi weg. Der trollte sich ohne einen weiteren Kommentar. Erleichtert seufzte ich auf. Wenn Ron sich unter falschem Namen hier anmeldete, konnte das nur bedeuten, dass er was ausgefressen hatte. Ehrlich gesagt wollte ich weder wissen, was, noch warum.
Ich war nur froh, dass ich den nervigen Azubi hatte abwimmeln können und er nicht auch noch Ron befragt hatte. Wenn er das nämlich getan hätte, wäre Ron Gefahr gelaufen, enttarnt zu werden und ich wollte ihm wenigstens noch einige, ruhige Tage im Krankenhaus bescheren. Die hatte er sich wirklich verdient. Schließlich hatte er mir anderthalb mal das Leben gerettet. Das zum Postamt Fahren sah ich nach der heutigen Aktion eher als halbes Leben retten an. Nach etwa einer Stunde meinte der Arzt, dass er alles in den Griff bekommen hatte und dass John schon in ein paar Tagen wieder ganz der alte wäre. Ich bei ihm im Krankenzimmer und sollte aufpassen, wann er aufwachte.
„Sie haben einen unglaublich geilen Arsch", war das erste, was er von sich gab, als er aus der Narkose erwachte. Mir stockte der Atem. Ich hatte mich wohl verhört.
„Pardon, bitte was?", er stand unter Drogen, also ließ ich das Donnerwetter erst einmal aus. Männer waren manchmal echt das letzte! Natürlich hätte ich mich geehrt fühlen sollen. Doch musste er so mit der Tür ins Haus platzen?
„Sie haben mich schon verstanden", kicherte er und hob seine noch schlaffe Hand, um sich übers Gesicht zu reiben. Er war jedoch noch zu schwach und ohrfeigte dabei äußerst ungeschickt sich selbst, „Was meinst du was ich vorhin gemeint hab?"
„Ich, ähm..."
„War ganz schön schwer, von so einer Schönheit die Finger zu lassen. Ich meine ich hatte die Gelegenheit. Vor allem bei solchen Brü..."
„Wenn das eine Anmache sein soll, dann stehe ich sofort auf und gehe!", rief ich entrüstet, doch Ron hob nur schlaff den Kopf und glubschte mit großen Augen zu mir herüber. Seine Pupillen waren stark geweitet, doch sein Blick war unverkennbar. Ich sollte bleiben. Ich blieb.
Ich ließ ihn eine Weile zur Ruhe kommen, bevor ich ihn erneut ansprach. Etwa eine Stunde dauerte es, bis Ron wieder bei Verstand war. Erst dann hatten auch endlich seine nervigen Anmachen aufgehört, die er nicht einmal unterlassen hatte, als eine Krankenschwester nach dem Rechten gesehen hatte. Mein Kopf hatte indes eine äußerst ungesunde rote Farbe angenommen.
„Alles klar, John?", fragte ich Ron, oder John, oder wie auch immer er hieß. Er war gerade wieder von einem kleinen Nickerchen aufgewacht und egal, was er hatte, er sah mich ziemlich verschmitzt an.
„Für sie immer noch Ron, comprehende? Ich hab von ihnen geträumt", sagte er und lächelte zufrieden.
„Wie schön für sie", murmelte ich und wollte im Hinblick auf seine zweideutigen Anmerkungen gar nicht wissen, was für eine Art von Traum er wohl gehabt hatte. Wir unterhielten uns noch ein Weilchen. Es war an sich ganz nett, denn seit er auf Morphium war, unterließ er es endlich, mich immer genauestens im Auge zu behalten.
„Wie geht's dem Bein?", fragte ich. Ron räkelte sich etwas, um in eine bequemere Lage zu kommen.
„Ja, es schmerzt noch ein wenig, aber sonst ist es eigentlich ganz erträglich."
„Warum haben sie mich schon wieder gerettet?", fragte ich noch einmal. Das letzte Mal hatte er mir nicht geantwortet und auch dieses Mal zögerte er. Er lachte nur kurz, sah auf seine Finger und dann zum Fenster der Krankenstation nach draußen.
„Also, ich höre!", forderte ich. Ron verzog keine Miene, aber man merkte, dass ihm dieses Gespräch unangenehm war. Er wäre wohl sehr gerne davor geflohen, aber das ging ja in seiner momentanen Verfassung wohl eher nicht.
„Wissen sie, die ganze Sache ist mir eigentlich etwas peinlich, weil ich dieses Mal gar nicht wirklich die Absicht hatte, ihnen das Leben zu retten."
„Ok, wie soll ich das verstehen?", sagte ich, verschränkte die Arme und rückte etwas näher an sein Krankenbett. Ron mied meinen Blick und sah wieder nach draußen.
„Erinnern sie sich an den Hund, der an ihnen vorbei über die Straße gerannt ist? Eigentlich war ich hinter ihm her..."
„Ist das ihr Ernst?", rief ich verwundert, „Sie riskieren ihr Leben, um einem Hund hinterher zu jagen? Sind sie irre?"
Man merkte es ihm kaum an, aber Ron schien wirklich etwas verlegen zu sein. Er knirschte mit den Backenzähnen und sah erneut auf seine Finger. Einer fehlte ihm. Ich hatte keine Lust zu fragen, wo er geblieben war.
„Nun ja, manchmal zweifle selbst ich an meinem Verstand. Halten sie mich ruhig für verrückt, da wären sie nicht die einzige."
Seine Stimme hatte plötzlich einen Tonfall, der in mir sofort Mitleid erweckte. Jeder tat mal etwas, das er bereute. Früher oder später passierte das jedem einmal. Doch warum hatte er den Hund überhaupt gejagt? Er war doch arbeitslos, hatte er gesagt. War er am Ende doch einer der Tierdiebe?
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich sie jetzt in Ruhe lasse. Ruhen sie sich aus, dann geht es ihnen bald besser, ich werde morgen noch einmal vorbei schauen und nachsehen, wie es ihnen geht. Versprochen!"
Ron sah mir hinterher, als ich das Krankenzimmer verließ. Ich hatte starke Schuldgefühle, weil ich ihn alleine ließ, aber ich machte mir klar, dass ich auch mal wieder nach Hause gehen musste. Ich würde sowieso morgen wieder zurück kommen. Ganz sicher. Ich fragte mich nur, was mich an diesem mehr als seltsamen Menschen so unglaublich faszinierte.
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