Kapitel 50 - Seven

Ich schlief die ganze Nacht bei Trueno und rührte mich bis zum nächsten Morgen nicht vom Fleck. Charlie blieb auch bei mir. Er weinte die ganze Nacht und hielt mich dabei dezent vom Schlafen ab.

„Es ist okay, Charlie. Wenn du um ihn weinst, bringt ihn das auch nicht mehr zurück. Sieh, er hat es jetzt gut. Er ist bei Diana und bei seinem alten Freund Windläufer, bei seinen Eltern und Geschwistern. Bei seiner Familie."

Charlie sah traurig zu mir auf und schniefte noch einmal, dann lächelte er. „Dann bin ich froh. Ich gönne Trueno nichts noch mehr, als Frieden und alles, was er schon immer wollte."

Er kuschelte sich still an seinen alten Freund. Jetzt konnte auch ich endlich schlafen, traurig zwar, aber immerhin. So gelang es uns bis zum Morgen durchzuschlafen. Es kam mir fast so vor, als hätte ich nur kurz die Augen geschlossen, als Jake aus dem Haus kam, und nach mir rief. Er erstarrte, als er Charlie und mich neben Trueno liegen sah.

„Der alte Windhund...Er war dein Freund, nicht wahr, Seven?", fragte Jake. Ich winselte und legte meinen Kopf auf sein Knie, als er in die Hocke ging. Er strich mir sanft über den Kopf.

„Er war alt. Wahrscheinlich war es besser so."

So weit war ich mit meiner Akzeptanz auch schon gekommen. Bravo, Jake! Mein Freund hob Trueno vorsichtig hoch und brachte ihn hinter das Haus, dann holte er Sara, die ihn sich besah und dann im Haus verschwand, um eine Decke und eine Schaufel zu holen. Jake wickelte Trueno in die Decke ein und Sara grub ein Loch in ihrem Rosenbeet. Dort legten sie Trueno hinein.

Ich warf noch einen letzten Blick, auf den vermummten Hundekörper, bis man ihn wieder mit Erde bedeckte und die Erde darüber festdrückte. Sara hatte sogar eine rote Rose geopfert, um sie ihm ins Grab zu legen. Ich mochte sie. Sie war eine tolle Hundefreundin. Richtig zum Liebhaben. Und sie passte so gut zu Jake... „Das war es dann wohl...", sagte Jake traurig. „Wir werden Sam wohl nicht mehr finden, oder?"

Sara senkte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er entkommen konnte. Wahrscheinlich ist er irgendwo liegen geblieben. Sie haben ihn angeschossen. Seine Chancen stehen schlecht. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass sie sich für ihn geopfert hat. Sie muss ihn wirklich geliebt haben..."

„Aber man hat Sam nicht erschossen! Man hat ihn weggebracht! Ich habe es gesehen!", protestierte ich. Natürlich verstand mich keiner. Nur Jake sah plötzlich nachdenklich aus. Da kam mir eine Idee. Ich zerrte an seinem Hosenbein, Jake versuchte sich loszureißen, aber ich ließ nicht locker.

„Ich will jetzt nicht spielen, Seven!", rief er. Spielen? War das sein Ernst. Sah ich wirklich so aus, als wäre ich zu Spielchen aufgelegt? Ich zerrte fester.

„Ich glaube, er will dir was zeigen!", lachte Sara. Das war eigentlich ironisch gemeint, doch sie traf den Nagel damit auf den Kopf. Jake seufzte, und ging, ohne mich weiter zu beachten nach vorne. Falsche Reaktion! Aber richtige Richtung! Ich ließ los und trabte neben ihm her.

An die Hauswand angelehnt stand ein Fahrrad. Ich wollte, dass er auf das Fahrrad stieg und mir folgte, aber er öffnete nur die Tür und ging hinein. Mist! Ich musste irgendwie ein Beweisstück bringen, dass Sam am Leben war und er mir vertrauen konnte, dass ich ihn zu ihm führte. Mir blieb keine Wahl. Ich musste zu dem Abhang zurück. Nach irgendetwas suchen, was beweisen konnte, dass ich wusste, wo Sam steckte.

Unauffällig schlich ich mich davon, die anderen sollten nichts von meinem ‚Ausflug' wissen. Ich durfte mich nur nicht erwischen lassen, sonst war ich verloren. Den Weg zurück fand ich im Schlaf. Ich schnupperte den Weg entlang, den Sam gelaufen sein musste. Sein Geruch war noch gut erkennbar und hin und wieder fand ich einen Tropfen Blut von ihm.

Als ich an dem Hügel ankam hatte ich ein schlechtes Gefühl. So nah war ich ihm gekommen. So nah war ich an ihm dran gewesen nach all der Anstrengung. Und all die Arbeit war für die Katz' gewesen.

Ich spähte zu der Furche, die Sam nach seinem Sturz hinterlassen hatte und schnupperte. Hier roch es noch sehr stark nach ihm. Mir hüpfte das Herz, als ich die Kakteen bemerkte, die die Furche säumten, die Sam geschaffen hatte.

Mit einem gewaltigen Satz hechtete ich den Hang hinunter, übersah jedoch die scharfen Stacheln der Kakteen, die mir schmerzhaft in die Pfoten stachen. Jaulend hüpfte ich vorwärts, verhedderte mich in den Überresten eines Plastikmüllsackes, den jemand hier entsorgt hatte und stürzte ebenfalls den Hang hinab. Betäubt kam ich auf dem Boden auf und versuchte zu realisieren, wo ich war.

Ich lag mitten auf der Straße. Mein Herz fing wild an zu klopfen, als ich bemerkte, dass meine Pfoten noch immer in dem Plastiksack verheddert waren, der mit jeder Bemühung, ihn abzustreifen die Kakteenstacheln schmerzhaft in meine Pfoten drückte. Ein Auto rollte mit rasender Geschwindigkeit in der Ferne heran und ich versuchte aus dem Weg zu kommen, doch es war hoffnungslos.

Jaulend strampelte ich mit den Pfoten, doch es nützte alles nichts. Das Auto kam immer näher, die Lichter blendeten mich, die Hupe ertönte, Reifen Quietschten, dann spürte ich einen harten Aufschlag. Stille.

Ich öffnete ein Auge. Ich öffnete beide Augen, weil ich meinem einen Auge nicht glaubte, was es mir zeigte.

„Basta?!", bellte ich erschreckt und zappelte noch mehr. Den Kopf stolz erhoben, ein freundlich-verschmitztes Lächeln im Gesicht stand der Verbannte nun vor mir.

„Nicht zappeln. Du machst es nur schlimmer!", brummte er kühl. „Du hast unser Gespräch belauscht, nicht wahr?"

Ich nickte und hustete. „Was...was ist passiert?"

„Du alter Tollpatsch bist den Hang hinunter gestürzt und auf der Straße gelandet. Ernsthaft! Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich zusehen kann, wie eines dieser blöden Blechkarren einen weiteren, matschigen Fleck am Boden hinterlässt", Basta zerrte an dem Plastiksack und zerriss ihn, sodass meine Beine wieder frei waren und ich mich wieder bewegen konnte, dann zog ich mir die Stacheln aus den Pfoten.

„Bäh!", murrte ich. Basta hatte wirklich einen etwas kranken Humor, an den man sich erst noch gewöhnen musste.

„Oh ja, ich habe ja noch etwas für dich!", er hob ein schwarzes Fellbüschel auf und ließ es vor meine Pfoten fallen. Es trug den Geruch von Sam.

„Du willst mir doch nicht weismachen, dass du nur hierhergekommen bist, um dir das Leben zu nehmen, nicht wahr?"

„Warum tust du das?"

„Machst du Witze? Ich habe dir das Leben gerettet!"

„Genau! Warum hast du das getan! Ich meine, du hättest es viel einfacher haben können, wenn du mich einfach dem Auto überlassen hättest, aber stattdessen hast du mich gerettet. Willst du mich leiden sehen, wenn ich sterbe?"

„Was redest du nur für einen Unsinn!"

„Komm, bring mich um, aber mach schnell, ich bin ziemlich wehleidig!"

Basta knurrte leicht und sträubte sein Fell, aber es sah nicht danach aus, als wollte er mich wirklich umbringen.

„Seven, ich hatte niemals vor, irgendjemanden zu töten oder irgendjemanden im Stich zu lassen!", bellte er. Ich traute meinen Ohren nicht. Also hatte Trueno doch nicht recht behalten? „Ich habe gesagt, was ich gesagt habe, weil zwischen mir und meinem Vater Dinge vorgefallen sind, die wirklich jenseits meiner Toleranz liegen. Er hat meine Mutter umgebracht, als ich noch ein Welpe war, er hat den Menschen zu Diana gelockt, als ich gerade auf Futtersuche war und er hat meine Brüder zu Verrätern gemacht. Ich wollte niemals werden wie er. Aus keinem anderen Grund ist das alles vorgefallen!"

„Warum hast du dann das alles erzählt? Warum wolltest du wie ein Held dastehen? Warum bist du auf seine Provokation eingegangen?", fragte ich. Jetzt ergab es wenigstens etwas Sinn, was er sagte.

„Weil ich mich geschämt habe, Seven. Er hat mich großgezogen und... nun ja. Die Leute, die man am meisten liebt, sind meistens die Leute, die man am meisten hasst, weißt du? Weil sie diejenigen sind, die einen am meisten verletzen können..."

Jetzt war ich vollkommen verwirrt. Das war nicht die Antwort gewesen, die ich erwartet hatte. Also hatte Basta die ganze Zeit vorher mit diesem Compadre zusammengelebt? War es das gewesen, warum Trueno ihm nicht getraut hatte? Er hatte wahrscheinlich gar nicht realisiert, dass Basta gar nichts dazukonnte, dass Diana gestorben war.

„Du wolltest also nur deine Ehre wahren und ein neues Leben anfangen?"

„So ist es."

„Und was macht dein Vater jetzt...!?!"

„Was weiß ich. Soll ihn doch der Teufel holen! Ich würde es verstehen, wenn du mich nicht mehr bei dir haben willst, aber ich habe meine Aufgabe erfüllt und das ist alles, was zählt."

„Komm doch wieder mit uns", hörte ich mich sagen und war verblüfft von meiner plötzlich auftretenden Güte. Als hätte mich irgendjemand gesteuert... Basta schüttelte den Kopf.

„Ich werde meiner Wege ziehen. Du magst deinen Jake haben, aber ich habe noch mein Leben. Und ich danke dir für alles, was du mich gelehrt hast, Seven. Für deine Treue und für deine Stärke..", Basta wandte sich ab und trottete gemächlich davon.

„Warte", bellte ich. Basta drehte sich noch einmal um.

„Es geht um Sam! Jake muss erfahren, dass ich weiß, wo er ist. Möchtest du mich nicht wenigstens noch nach Hause begleiten?", jaulte ich.

„Wo ist er denn?", fragte Basta und kam wieder zurück.

„In einer Perrera!", jaulte ich.

„Und in welcher? Es gibt zwei oder drei in dieser Gegend."

Das war jetzt irgendwie peinlich. Ich ließ das Fellbüschel fallen und setzte mich. „Mist!"

„Wenn du gesehen hast, wo sie ihn gefangen haben, kann ich dir vielleicht sagen, in welche sie ihn gebracht haben."

„Er hat am Straßenrand gelegen, als ich ihn gesehen habe. Genau hier, wo wir jetzt sitzen", ich machte mir wenig Hoffnung, dass mir Basta wirklich sagen konnte, in welche Perrera man meinen Freund gesteckt hatte.

„Da kämen zwei infrage, aber die eine ist kurz vor der Pleite und schon halb im Abriss. Ich glaube, sie haben ihn in die neuere gebracht. Ich kann dich hinbringen!"

„Okay, ich muss nur noch Jake dazu bringen, mir zu folgen!"

Basta folgte mir zu Saras Haus zurück wo ich an der Tür hochsprang und ein riesiges Theater veranstaltete. Ich kratzte an der Tür, jaulte, bellte, warf mich gegen das massive Holz, bis Sara die Tür öffnete und große Augen machte.

„Jake! Seven ist da und er hat ganz verdrecktes Fell und ein schwarzes Fellbüschel in der Schnauze!"

Es polterte im Treppenhaus. Jake kam die Treppe heruntergestürzt, blieb am Geländer hängen und übersprang die letzten sechs Treppenstufen.

Etwas ungeschickt aber elegant landete er auf seinen Füßen, kippte nach vorne, ruderte mit den Armen unkoordiniert in der Luft herum und fiel auf die Knie. Ich stand nur da und sah mir das Schauspiel an, während sich Sara kaputtlachte.

„Jaja, gewöhn dich besser dran! Das ist der Jake, den ich kenne", winselte ich freudig. Jake hob den Kopf mit den wuscheligen, braunen Haaren und sein Blick blieb an dem Fellbüschel hängen. Es war zwar schon etwas sehr vollgesabbert und verklebt, aber es schien Jake zu reichen, um völlig auszuflippen.

„Sara, weißt du, was das bedeutet?", rief er und nahm mir das Büschel ab. Saras Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen.

„Seven weiß, wo dein Hund ist! Vielleicht lebt er ja sogar noch. Ich hab dir vorhin schon gesagt, dass er dir anscheinend was zeigen will!"

„Gut gebrüllt, Löwin!", jaulte ich und zog Jake am Hosenbein nach draußen. Jetzt mussten wir Tempo an den Mann legen. Wenn wir Glück hatten, fanden wir Sam, bevor...bevor es zu spät war. Basta zuckte zusammen, als Jake und Sara aus dem Haus gestürzt kamen und sich zwei Fahrräder schnappten. Jake bekam ein altes von Sara, das sie noch in der Garage stehen hatten und sie nahm sich ihr neueres.

„Hast du auch eine andere Farbe, als Pink?", fragte er ungehalten. „Da wirke ich ja irgendwie..."

„...Willst du jetzt deinen Sam retten, oder nicht? Da wird dir doch wohl die Farbe deines, äh, meines Fahrrades egal sein!"

Jake stöhnte ungehalten: „Wenn's denn sein muss!", und radelte hinter Basta und mir her. Charlie, Stella, Tomtom und Salvatore folgten uns, während Basta und ich die Richtung angaben. Bald schon würde Sam in Sicherheit sein. Da war ich mir sicher.

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