Kapitel 45 - Sam
Nana lag auf dem Tisch. Genau wie ich am Tag zuvor. Der kleine Krauskopf ging um den Tisch herum und prüfte, ob alles richtig saß. So hatte ich also ausgesehen. Mir wurde der Grad dieser Grausamkeit erst jetzt bewusst. Wer machte so etwas freiwillig? Und vor allem, wer kam auf so eine Idee?
„Bitte! Tut das nicht!", wimmerte Nana leise flehend.
„Wie stark sollen die Impulse sein?", fragte Señor Schmierig den Krauskopf. Dieser murmelte etwas Unverständliches und klapperte dabei eifrig mit einigen Messinstrumenten herum, die er schließlich zu dem Metalltisch trug.
„Wie viel?", fragte Señor Schmierig.
Wieder murmelte der Krauskopf konzentriert etwas Unverständliches vor sich hin. Señor Schmierig befolgte seine Anweisungen mit erschütternder Gleichgültigkeit. Grob packte er Nana am Kopf und klatschte ihr ebenfalls zwei Klebepunkte an beide Schläfen, die er zuvor, wie bei mir, kahl geschoren hatte. Irgendetwas war bei diesem Versuchsaufbau anders, als bei mir. Ich konnte nur nicht sagen, was.
„Können wir anfangen?", fragte Señor Schmierig.
Der Krauskopf nickte und sein Kollege drückte wild einige Knöpfe auf einer Schaltfläche. Zwei Sekunden lang lag Nana friedlich da, dann, ganz plötzlich fing das Gerät, das Señor Schmierig bediente, zu zischen und zu brummen an. Nana begann zu zappeln und vor Schmerz laut aufzuheulen.
„Bitte! Lasst das sein! Um Himmels Willen!", jaulte sie. Ich knurrte und bellte. Señor Schmierig trat gegen meinen Käfig.
„Hör auf mit dem Scheiß!", sagte er, „Du kommst auch noch dran!"
„Von dir lasse ich mir gar nichts sagen!", knurrte ich mit gefletschten Zähnen zurück, „Sieh zu, dass ich dir die andere Hand nicht auch noch zerfetze!"
Ein weiterer Schock. Wieder ein Jaulen. Der Versuch schien wesentlich schmerzhafter zu sein, als der, den sie an mir durchgeführt hatten. Von Stufe drei zu Stufe fünf wurden Nanas Hilferufe immer fürchterlicher. Sie schallten in meinem Kopf wieder und brachten mein Herz beinahe zum zerbersten, während ich untätig mit zusehen musste, wie sie meine liebe Gefährtin Stück für Stück zu Tode folterten.
„Bitte, bitte, tötet mich doch einfach!", schrie Nana verzweifelt und mit furchtbar schwacher Stimme, „Sam! Sam, bitte lass nicht zu, dass sie mir weiter weh tun!"
„Lasst sie gehen, ihr verfluchten Bastarde!", jaulte ich zornig und polterte in meinem Käfig herum. Das scheppernde Metallgestell schepperte und polterte auf dem Boden herum.
„Stellen sie den Köter ruhig!", sagte der Krauskopf und verabreichte der armen Nana einen weiteren Schock.
Nanas Schrei ging mir durch Mark und Bein. Der seelische Schmerz verlieh mir Bärenkräfte. Ich stieß gegen meine Käfigwand, die dem Druck nicht mehr standhalten konnte und aufsprang. Ich schoss heraus und machte gewaltig Randale. In meinem Zorn riss ich ein paar Kabel aus ihren Verankerungen, weil ich mich in ihnen verheddert hatte und warf sämtliche technische Geräte um, die auf den Boden fielen und dort jämmerlich zu Bruch gingen.
Zu zweit versuchten sie mich einzuengen und wieder zu in den Käfig zu drängen, doch dieses Spiel kannte ich bereits zu gut. Wenigstens hatten sie Nana in Ruhe gelassen.
Da fiel mir auf, dass ich meinen Plan nicht zu Ende gedacht hatte, denn wenn sie mich jetzt fingen und wieder einsperrten, dann würden sie Nana einfach weiter foltern. Satz mit X. Señor Schmierig bekam mich am Schwanz zu fassen und warf sich mit siegessicherem Kampfgeschrei auf mich.
Ich war gerade dabei, ihm seine ekelhafte Frisur zu verwüsten, da wurde plötzlich die Tür aufgerissen. „Nana!", schrie eine Frau entsetzt und stürzte auf den Operationstisch zu. Der Krauskopf versuchte sie aufzuhalten, bekam von ihr jedoch nur einen saftigen Tritt ins Gemächt verpasst.
Señor Schmierig ließ einen Moment von mir ab, den ich nutzte, um mich frei zu strampeln. Inzwischen hatte die Frau Nana befreit und schluchzend vor sich auf den Boden gelegt. Nana hechelte erschöpft. Sie lebte! Ich näherte mich ihr vorsichtig und schnüffelte an ihr. Plötzlich peitschte ein Schuss durch den Raum. Er streifte mein Halsband so knapp im Nacken, dass es an einer Stelle zerriss und vor mir auf den Boden fiel. Jedoch ohne mir weitere Verletzungen zuzufügen.
Señor Schmierig hatte ein Gewehr in der Hand und zielte auf mich. Sam, bleib ruhig, zwang ich mich. Du wirst jetzt sterben, aber es wird schnell gehen, du wirst nichts spüren. Ich atmete tief durch. Die Zeit um mich herum spielte alles nur noch in Zeitlupe ab. Ich sah das Gewehr, roch das scharfe Schießpulver, den Geruch von Eisen und Feuer und Tod. Wie ein Krieger würde ich untergehen. Wie ein Soldat würde ich dem Kerl in die Augen sehen, wenn ich starb.
Ich hob den Blick, fixierte ihn mit den Augen und hörte einen Knall. Doch auf einmal bemerkte ich fleckiges Fell in meiner Sichtbahn. Rotbraunweiß geflecktes Fell. Mit blutroten Tupfen auf der Brust.
„Nana!", heulte ich verzweifelt. Sie hatte sich mit letzter Kraft aufgerappelt und in die Schusslinie befördert. Die Frau, die sie gerettet hatte, heulte vor Schmerz.
„Was haben Sie getan?!", schrie sie verzweifelt und sprang auf, um Señor Schmierig an den Kragen zu gehen. „Sie Mistkerl, was haben Sie getan?!"
„Wir hätten sie sowieso nach diesem Versuch getötet, Señora. Nicht alle Tiere, die in unsere Versuchsreihen eingebunden waren, dürfen dieses Gebäude wieder lebend verlassen. Manche von ihnen wären eine Gefahr für die Öffentlichkeit.. Würden Sie jetzt bitte zur Seite gehen? Den schwarzen Hund muss ich auch noch-"
„Sie werden nichts dergleichen tun!", heulte sie, als man ihre Arme ergriff und sie nach hinten auf den Rücken brachte. „Selbst wenn Sie mich hier festhalten, meinen Kollegen kriegen Sie nicht. Ich bin sicher, die Polizei wird das hier sehr interessieren."
„Verdammt noch mal! Sicherheitsdienst! Finden Sie diesen Kerl!", rief einer der Weißkittel, dann wandte er sich wieder der Frau zu. „Sagen wir mal so, die Polizei wird vielleicht nie etwas davon erfahren! Erschießen Sie endlich den Hund, Señor!"
Señor Schmierig stand da und zielte wieder, dieses Mal würde er mich treffen. Ich wusste es.
„Ich bin ein guter Hund, nicht wahr? Oder?"
„Nana, du bist der beste Hund, den ich kenne. Halte durch! Das schaffst du-"
„Lauf, Sam! Tu mir den Gefallen und lauf!", hechelte Nana mit einer fürchterlich schwachen Stimme. Ihre Zunge hing ihr aus dem Maul und sie begann, Blut zu husten.
"Schh. Ich bleibe bei dir, bis zum bitteren Ende. Ich habe es dir versprochen, weißt du nicht mehr? Wir stehen das zusammen durch", beruhigte ich sie. Ich kuschelte mich in ihr weiches Fell, das vor Blut befleckt war.
Ein Moment der Ruhe kehrte ein. Wir waren endlich zusammen. Es gab nichts, was ich mir in den letzten Tagen sehnlicher gewünscht hatte. Ich hätte Nana am liebsten nie wieder losgelassen, doch sie wand sich unter mir und schob mich sachte von sich.
"Nein, Sam. Du bist der erste, dem sie die Hoffnung nicht entrissen haben. Sorge dafür, dass es so bleibt. Ich habe mir gewünscht, dass du lebend hier heraus kommst, wenn ich es nicht schaffe. Bitte mach, dass ich mein Leben nicht umsonst geopfert habe! Ich liebe dich."
Nana wurde still. Ein letztes Zucken durchlief ihren Körper, dann war es vorbei. Ungläubig starrte ich auf ihren schlaffen Körper herunter, unfähig, mich zu bewegen. Nanas Herrin weinte bitterlich und als ich die Fassung wieder zurück erlangte, beugte ich mich zu meiner lieben Freundin herunter und schloss ihr weit aufgerissenes Auge mit einem Stups meiner Nase, bevor ich ihr einen letzten, zärtlichen Schlecker über ihre Schnauze schenkte.
„Ich liebe dich auch, Nana," flüsterte ich leise. Ein Knoten in meinem Hals schnürte mir die Kehle zu. Ich wollte es einfach nicht wahr haben. Zornig kräuselte ich die Lefzen, als ich Nana ein letztes Mal ansah und dann zu den Menschen blickte, die sie mir genommen hatten.
„Verfluchte Bastarde!", schrie ich mit Schaum vor dem Maul, machte auf der Hinterhand kehrt und rannte davon. Ein Schuss fuhr mir in mein Hinterbein und ließ mich lahmen. Die Tür war noch offen. Jetzt oder nie! Ich rannte um mein Leben. Hinaus, einfach hinaus in die Freiheit. Das gesamte Gebäude war jedoch von einem hohen Zaun umgeben, aber seltsamerweise stand das Tor offen. Freudig rannte ich hinaus in die dunkle Nacht. Und ich rannte und ich rannte. Mein Puls auf hundertachtzig.
Ich war frei! Ich konnte wieder nach Hause! Mir wurde schwindelig und mein Hinterbein versteifte sich. Ich stürzte in vollem Lauf zu Boden, überschlug mich mehrere Male und rutschte dann einen Hang hinab.
Dornige Pflanzen krallten sich in mein Fell, rissen mir die Haut auf, kratzten, piksten, schmerzten fürchterlich. Stöhnend kam ich wieder auf die Beine. Völlig erschöpft und am Ende meiner Kräfte schleppte ich mich vorwärts. Irgendwann klappte ich am Straßenrand in mich zusammen, bevor ich eine vertraute Stimme hörte. Sie rief meinen Namen.
„Seven...", murmelte ich und versuchte die Augen offen zu halten, doch ich konnte einfach nicht mehr. Stoßweise hechelte ich und versuchte einfach nur wach zu bleiben, damit ich entkommen konnte, auch wenn das sinnlos war. Autos fuhren an mir vorbei. Sie hielten nicht. Keines, bis auf eines. Gebell drang aus dem Laderaum.
„Sieh mal an, noch ein Hund. Scheinen ja gewaltig viele aus dem Labor ausgebrochen zu sein, meinst du, wir sollten sie zurückbringen, Pedro?"
„Der hier trägt kein nummeriertes Halsband, das wird ein einfacher Straßenköter sein, der angefahren wurde. Schau nur, sein Bein blutet sogar. Pack ihn rein, der Wagen ist noch nicht ganz voll!"
Sevens Stimme in der Ferne verstummte. Ich wurde unsanft hochgehoben und wieder in einen Wagen gesteckt. Für mich war das keine verheerende Wendung mehr. Ich war schwach, hatte Schmerzen und ein gebrochenes Herz. Ich wollte einfach nur sterben. Die Gewissheit, dass es wenigstens Seven gut ging war das Einzige, das mich in diesem Moment noch am Leben hielt.
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