Kapitel 26 - Sam
„Es tut mir so leid!", jaulte ich und drückte mich fest an Stella, „ Ich wollte das nicht! Ich würde niemals einem Menschen weh tun, nie in meinem ganzen Leben, das könnte ich nicht! Ehrlich nicht! Aber es ging alles so schnell, ich..."
„Es war nicht deine Schuld", besänftigte mich meine Schwester, „Der Autofahrer hat nicht aufgepasst."
Ich blickte zu dem leblosen Körper der auf der Straße lag. Ich hatte den Kerl zuerst nicht erkannt, doch als ich die Schürfwunde an seiner Backe sah, wusste ich, dass es der fiese Typ war, vor dem ich Seven beschützt hatte. Er hatte mich angegriffen und mir die Pfote verrenkt, sodass ich immer noch humpelte. Der Schwarze Mann zerrte ihn von der Straße weg und kniete sich neben ihn, den Kopf gesenkt und er zitterte.
Er wirkte völlig verzweifelt und über sein Gesicht rannen Sturzbäche von Tränen. Oder war es nur der Regen? Ich hatte ihn noch nie zuvor in so einem Zustand gesehen. So schwach, so verletzlich, so... menschlich. Hatte er am Ende doch ein Herz? Oder war er vielleicht einfach nur sehr einsam und das machte ihn zu dem, wer er war. Ich musste mich sehr zusammenreißen, damit ich nicht zu ihm ging, um ihn zu trösten. Das wäre ja wohl der Gipfel gewesen.
Ich kehrte ihm den Rücken zu und lief zusammen mit Stella davon. Meine Laune war jetzt vollkommen im Eimer. Heute waren so viele Dinge geschehen, die nicht hätten passieren sollen, dass ich fast glaubte, mich verfolgte eine Pechsträhne.
Ich hatte Jake gerettet, doch dieser undankbare Schlauberger konnte sich angeblich nicht mehr an mich erinnern und bezeichnete mich als ‚irgendeinen Straßenhund', was alleine ja schon furchtbar genug war. Dann hatte Juan, mein Bruder, versucht mich umzubringen, weil ihm entweder die giftigen Dämpfe in dem brennenden Haus, oder seine Angst vor den Menschen den Verstand geraubt hatten. Schließlich hatte ich auch ihn verloren und das war ganz alleine meine Schuld gewesen. Hätte ich ihn nicht im Kampf von mir herunter gestoßen, sodass er auf der einstürzenden Treppe gelandet war, wäre er wahrscheinlich noch am Leben.
Als Sahnehäubchen des Tages, war ich jetzt auch noch Schuld daran, dass ein Mensch gestorben war. Jetzt hatte der Schwarze Mann tatsächlich einen Grund mir an den Kragen zu wollen. Zitternd schleppte ich mich vorwärts und wimmerte leise. Stella bemerkte das und stellte sich mit erhobenem Schwanz vor mich. Ihre Ohren waren neckisch aufgestellt und ihre Augen verrieten Hoffnung und Zuversicht.
„Sam, so geht das nicht weiter. Du kannst nicht ewig Trübsal blasen. Die Sonne geht immer wieder auf neue auf, du musst nur lernen die Nacht hinter dir zu lassen."
Ihre gelben Augen leuchteten, als sie mir einen Nasenkuss gab. Nachdenklich starrte ich in die Ferne. Sie hatte ja recht. Ich war wahrscheinlich einfach noch nicht dazu gekommen das Geschehene zu verarbeiten. Meine Schwester schlüpfte in einen offenen Geräteschuppen und machte es sich auf dem Boden bequem.
„So, jetzt bleiben wir erst mal hier. Die anderen können mich jetzt gerade mal. Wichtig ist erst einmal, dass du wieder zu Kräften kommst. Wir warten einfach, bis es aufgehört hat zu regnen, dann können wir meinetwegen weiter."
Ich gehorchte widerstandslos. Stella war äußerst überzeugend. Bei ihr hatte man wirklich das Gefühl, dass alles wieder gut wurde, egal wie schlimm es um einen stand.
Ich ließ mich neben ihr nieder und leckte ihr das Wasser aus dem Fell. Sie wollte bei mir das gleiche machen, doch mein Fell war noch immer voller Ruß und Asche. Es war wohl nicht ganz so appetitlich, das sah ich ein.
Nachdem ich sie sauber geputzt hatte legte ich mich auf die Seite und platzierte meinen Kopf auf ihren Vorderpfoten. In diesem Moment merkte ich wie sehr sie unserer Mutter glich. Nicht nur im Aussehen, das war mir schon vorher aufgefallen, aber auch ihr Charakter war identisch mit dem unserer lieben Mutter, die sich einst so liebevoll um uns gekümmert hatte. Willensstark, freundlich, temperamentvoll, gutmütig und voller Hoffnung. Bei ihr hatte man immer das Gefühl, geborgen zu sein.
„Danke, Schwesterchen", wuffte ich dankbar und lächelte schwach. Stella lächelte zurück, die Ohren wachsam aufgestellt. Ich wusste genau, dass sie gut auf mich aufpasste, während ich mich ausruhte. Ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit und ich fühlte mich für einen kurzen Moment wieder wie der Welpe, der sich bei Sturm an seine Mutter kuscheln konnte und sich vor nichts mehr fürchten musste.
„Das ist doch das Mindeste, kleines Brüderchen", flüsterte sie mir sanft ins Ohr, „Schlaf jetzt ein bisschen. Du hast heute einen sehr anstrengenden Tag gehabt. Ich halte hier Wache."
Ich schloss die Augen und schlief sofort ein, doch ein unheimlicher Albtraum verhinderte, dass ich im Schlaf meine Ruhe fand. Kälte zerrte an meinen Gliedern und Hitze schoss mir in den Kopf. Krankheit und Fieber machten mir zu schaffen und letzteres sorgt ja bekanntlich für äußerst nette Träume.
Ich liege in einem großen, dunklen Raum in einer Ecke zusammengerollt neben einer Tür. Ich hatte mich unter eine warme Decke gekuschelt, die mich beruhigte und mir Sicherheit gab. Dann sah ich mich um.
Der Raum hatte weder Fenster noch hing etwas an den Wänden. In seiner Mitte standen nur ein Schreibtisch und ein Stuhl und darauf saß ein junger Mann mit langen, lockigen Haaren. Ich kannte den Kerl nicht, ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen.
Er sah mich an und lächelte, was eigentlich sehr freundlich aussah. Plötzlich bekam ich das Gefühl, dass ich mich vor irgendetwas versteckte, doch ich wusste nicht, vor was. Ich kuschelte mich ganz tief in meine Decke und rollte mich noch enger zusammen, als ich sowieso schon getan hatte.
Mit einem ohrenzerreißenden Knarzen ging die Tür neben mir auf und versteckte mich hinter sich. Ein langer Schatten wurde über den Boden geworfen, der bis zu dem Stuhl reichte, auf dem der Mann mit den langen Haaren saß. Der Schatten zeichnete die Silhouette eines großen, muskulösen Mannes ab. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Er war es. Na ja, Du kannst Dir sicherlich schon denken, wen ich meine.
Er ging auf den Kerl zu und unterhielt sich mit ihm. Seltsamerweise verstand ich kein Wort, aber der langhaarige Mann schien mich auch nicht verraten zu wollen, zumindest sah er nicht mehr zu mir und auch der Schwarze Mann schien nichts von meiner Anwesenheit bemerkt zu haben. Ich drückte meinen Kopf in eine Falte der Decke und schloss die Augen ganz fest. So würde er mich nicht sehen. Ganz bestimmt nicht. Wenn er mich vorher nicht bemerkt hatte würde er es auch jetzt nicht tun.
Mir war kalt und ich fing an zu zittern. Ich musste mich jetzt zusammenreißen. Ich hörte, wie der Schwarze Mann sich verabschiedete und sich zum Gehen wendete. Noch fünf Schritte bis zur Tür. Langsam und bedrohlich schallten seine Schritte durch den Raum.
Vier.
Drei.
Zwei.
Stille...
Mein Fell sträubte sich vor Angst. Er war noch hier und er starrte mich an. Sein Blick brannte sich förmlich in meinen nachtschwarzen Pelz und schmerzte, als bohrte er sich durch mich hindurch.
„Wen haben wir denn hier?", fragte er auf einmal spöttisch und griff nach meiner Decke. Ich rollte mich noch fester hinein in der Hoffnung, ich würde irgendwann darin verschwinden, doch seine Hand griff sie fest und zerrte die Decke von mir herunter. Plötzlich fühlte ich mich vollkommen nackt und schutzlos.
Ich presste die Augen zusammen. Das war alles nur ein Traum, ich würde gleich aufwachen und wieder neben Stella, Juan, Seven, Trueno und Charlie liegen und alles, was an diesem Tag passiert war, wäre dann nur ein Traum gewesen. Alles. Ich würde morgen zu Jake gehen und er würde sich noch an mich erinnern, wie früher. Doch so kam es nicht.
Der Schwarze Mann packte mich am Nacken, wie er es früher gemacht hatte, als Plato mich retten musste. Plötzlich hatte der Kerl einen ganz merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. Er schrie laut auf und schleuderte mich von sich weg an die Wand. Was war das denn? Hatte er etwa Angst vor mir?
Es schien wirklich so, er stand da, bäumte sich vor mir auf und zitterte. Ich lag am Boden, mein Rücken schmerzte von dem harten Schlag und ich versuchte aufzustehen. Mit einem Sprung sauste ich am Schwarzen Mann vorbei und landete in der Mitte des Raumes, doch plötzlich war dieser komplett leer. Weder der Mann auf dem Stuhl, noch der Schreibtisch waren da. Auch die Tür war verschwunden. Es gab keinen Ausweg mehr.
Panisch rannte ich im Kreis, umzingelt von Schatten, die mich immer enger umzingelten. Es war eine Flutwelle schwarzer Gestalten, die ihre langen Arme nach mir ausstreckten und über mich herfielen. Im Hintergrund der Schwarze Mann, der lachend dastand und sich von oben das ganze Schauspiel ansah. Ich schrie vor Angst, es gab kein Entkommen, ich war ohne Zweifel dem Untergang geweiht. Schließlich packten mich die langen, schwarzen Arme. Sie rissen und zerrten an mir. Ich wollte schreien, doch ich brachte keinen Laut heraus. Immer stärker rissen die Arme an meinem Fell, bis der Boden unter mir nachgab. Ein Loch tat sich unter mir auf, in das mich die Hände hinein zerrten. Es gab keine Chance, mich zu befreien. Immer tiefer rutschte ich in das schwarze Loch hinein und fiel...
Hechelnd, zitternd und völlig erschöpft erwachte ich aus meinem Albtraum. Stella saß neben mir und sah mich traurig an.
„Du armer Kerl. Du musst schlimm geträumt haben. Ich glaube du hast Fieber. Du bist ganz heiß", sie drückte mir ihre Nase zwischen die Augen und nickte.
„Ja, eindeutig Fieber. Du musst dich ausruhen, Fieber bringt meistens noch schlimmere Sachen mit sich!"
Ich sah sie skeptisch an. Ich glaubte kaum, dass Fieber etwas Schlimmeres herbeiführen konnte, als das was an diesem Tag passiert war. Schlimmer konnte der Tag doch eigentlich nicht mehr werden... doch ich irrte mich.
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