Kapitel 17 - Bill
„So, der Worte sind genug gewechselt, so lasst uns endlich Taten ergreifen", sagte der Boss, stand auf und ging zum Fenster. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich wohl angenommen, dass er wieder einmal eines seiner Mittelchen zu sich genommen hatte. Das wäre wohl die einfachste Variante gewesen um seine so plötzliche gute Laune zu erklären. Jedoch war der Boss in dieser Hinsicht ziemlich schwer zu durchschauen.
„Bill, ich bin stolz auf euch! Ich war noch niemals stolzer auf jeden Einzelnen! Euch alle außer Roberto und Pablo natürlich! Ihr steht mir in jeder Sekunde bei und versteht es wenigstens zu schweigen, auch, wenn euch etwas nicht passt, wie klingt das?", fragte er mich.
„Also, ich, äh... danke. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll."
„Schweigen würde vollkommen reichen."
„Wir fragen uns ehrlich gesagt im Moment alle, wie sie die beiden geschnappt haben", fragte ich. Der Boss lachte nur, ohne sich umzudrehen.
„Ein Kinderspiel. Pablo hat mir vorgegaukelt, er wäre betrunken, um eine Ausrede zu haben, dass er an mein Schlüsselbrett gestolpert ist. Weil der Schlüssel zur Hintertür fehlte und Pablo bekleidet war, als wolle er nach draußen gehen, war mir klar wo ich nach ihm suchen musste. Also bin ich aus dem Fenster gestiegen und hab mich vor die Tür gestellt. Ich hätte ihn natürlich gleich hier im Büro stellen können aber ich wollte doch liebend gerne sehen, wie weit der kleine gehen würde, bevor er sich der Konsequenzen klar wird!"
„Er hat es durchgezogen."
„Das hat er durchaus und ich bin mir sicher, dass er es nicht noch einmal versuchen wird. Nun gut. Pablo hat mich gestern Abend aus den Gedanken gerissen. Es tut mir leid, dass ich in letzter Zeit so ein riesen Idiot war und ich möchte mich dafür bei euch allen entschuldigen", er stellte sich vor mich, senkte den Kopf und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich schrumpfte um einige Zentimeter und musste mich zusammenreißen, dass ich nicht zurückwich. Was war denn mit ihm los? Wollte er mich verkohlen? Gerade gestern Nacht hatte er Pablo gefesselt vor die Tür geworfen und Roberto krankenhausreif geprügelt. Das konnte ja wohl nicht sein Ernst sein.
„Bill, was hast du denn?", fragte er plötzlich. Ich sah ihm in die Augen und entdeckte endlich nüchterne Klarheit darin.
„Das ist mein Ernst. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich euch in den letzten Monaten so herum gescheucht habe. Aber ich verspreche euch, das wird ein Ende haben, sobald wir diesen Hund gefangen haben."
Das sagst du jetzt und in zwei Wochen hast du ein neues Opfer gefunden, dachte ich mir mit zynischer Gleichgültigkeit. Ron schenkte sich ein Glas Wein ein, füllte ein zweites und reichte es mir. „Auf eine ruhigere Zukunft!"
Er sah nicht so aus, als wolle er mir etwas vorspielen. Er hatte tatsächlich darüber nachgedacht, sich zu ändern. Ob er es tat war jedoch, nach der gestrigen Aktion, eine ganz andere Angelegenheit.
Ein seltsames Kribbeln lief durch meinen Bauch, als wir anstießen. Ich hatte nie zuvor darüber nachgedacht, dass auch Ron ein Gewissen haben konnte. Für mich war er immer der brutale, skrupellose Tyrann gewesen.
Aus meiner Vergangenheit jedoch wusste ich, dass ich mein Bauchgefühl nicht außer Acht lassen sollte. Es war sein Gesichtsausdruck, der mir dieses Gefühl gab. Ich war es nicht gewohnt, ihn lächeln zu sehen. Bei diesem Anblick, der eigentlich ganz normal sein müsste, schnürte sich mir die Kehle zu. Ich trank ein bisschen Wein und schluckte laut. Viel zu laut. Das merkte er natürlich.
„Was ist, Bill? Traust du mir nicht?"
„Doch, doch, aber ich trinke nicht so gerne, wie Sie wissen", ich wischte mir den Mund ab. Das war eine ganz miese Lüge gewesen. Er wusste Bescheid. Ich meinte beinahe einen Anflug an Trauer in seinen Augen zu sehen, als fragte er sich, was er denn falsch gemacht hatte.
„Nun gut", der Boss seufzte ein wenig niedergeschlagen und schloss die Augen. Er begab sich zurück zum Fenster und kehrte mir den Rücken zu. Nun war er nicht mehr so warm und offen, wie zuvor. Als er sich abwendete waren seine Augen kalt und der Wahn in seinen Zügen war zurückgekehrt.
„Operation Geisterhund. Noch nie zuvor habe ich einen Fangzug so präzise durchgeplant wie diesen. Es wird kein Leichtes sein, diese beiden Viecher zu fangen, aber es ist nicht unmöglich!"
Ich verschluckte mich und hustete. Nach einer Weile schaffte ich es gerade zwei Wörter zu sagen: „Die...beiden??"
Der Boss nickte. „Es sind zwei Hunde. Einer mit blauen Augen, einer mit braunen, sonst völlig identisch. Habt ihr etwa gedacht ein einziges Tier könnte so schnell an mehreren Orten hintereinander auftauchen? Der blauäugige ist der Anführer. Ihn lasst ihr gefälligst am Leben. Den anderen könnt ihr meinetwegen sofort erschießen, oder was weiß der Kuckuck!"
Jetzt war ich tatsächlich überrascht. Das hätte ich im Leben nicht erwartet. Wie hatte er das herausgefunden? War das etwa auch aus diesem Algorithmus Zeugs hervorgegangen, das er da betrieb? Sein Schreibtisch lag voll mit Papierkram und Aufzeichnungen von den Orten, an denen wir den Hund gesehen hatten. Auf einer Karte hatte er diese Punkte miteinander verbunden und es ergab sich ein Muster aus Dreiecken und Linien. An einem bestimmten Punkt kreuzten sich die Linien am öftesten. Das war dann wohl der Ort, an dem der Hund im Moment hauste oder zumindest ein Ort an dem man ihn am wahrscheinlichsten antreffen würde.
„Pablo und Roberto haben von eurem gemeinsamen Fangzug erzählt. Was haben Sie dem Hund denn eigentlich gegeben, dass er, wie Roberto sagte, einfach umgekippt ist?", ich musterte nachdenklich mein Weinglas und stellte es dann auf den Schreibtisch zurück. Der Boss drehte sich zu mir um, als hätte er eine solche Frage nicht von mir erwartet.
„Ach das, sí, sí. Du kannst dich doch sicherlich noch daran erinnern, dass ich Vincenzo Hernandez aus dem Zoo vor ein paar Monaten einige Betäubungspfeile abgekauft habe, mit denen er die Wölfe immer ruhig stellt, nicht wahr?"
Ich nickte.
„Ich habe sie bei unserem letzten Fangzug benutzt und bin ziemlich zufrieden damit, deshalb habe ich gleich mehrere davon gekauft. So müssen wir nicht einmal nah an dieses Biest rankommen. Es reichen schon wenige Meter und Zack, Das Vieh schläft mehrere Stunden lang. Er wird nicht einmal die Chance haben, wegzulaufen. Ich kann es kaum erwarten sein dämliches Gesicht zu sehen, wenn er aufwacht und merkt, dass sein Albtraum gerade erst angefangen hat!"
Ich merkte, wie ich wieder anfing zu zittern. Dieser übertriebene Enthusiasmus und die Freundlichkeit wurden mir jetzt doch zu viel. Irgendetwas stimmte mit ihm nicht, das spürte ich. Ich stand auf und klopfte mir mit kantigen Bewegungen die Kleidung ab.
„Ein brillanter Plan!", presste ich hervor, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Büro mit schlotternden Beinen, wie ich sie noch nie zuvor gehabt habe.
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