F o u r | The guest

I don't really like you, but I ain't a monster.≪

Chelseas durchdringender Schrei war das schönste Geräusch in Giselles Ohren. Zufrieden sah sie auf Chelsea herab. Im Café herrschte urplötzlich Stille, man hörte nur das Geräusch von kaltem Kaffee, der von Chelseas Klamotten in die Pfütze auf dem Boden tropfte. 

„Hashtag wir lieben Quickies, nicht wahr, Chelsea?", fragte Giselle süß. „Eine Quickie-Dusche, in dem Fall." 

„Wie kannst du es wagen?", brachte Chelsea erstickt hervor und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie war von Kopf bis Fuß mit Eiskaffee überschüttet, der ihr die teuren Klamotten an die Haut klebten. „Schau nur, wie ich jetzt aussehe!" Ihr Make-Up verwischte zu unvorteilhaften Streifen, als sie sich die Augen freizuwischen versuchte. Ihre Haare klebten an ihrem Kopf und verpassten ihm eine eierhafte Form. 

„Ich weiß nicht, Chelsea. Durch den Eiskaffee kann man dich nicht mehr so gut erkennen, das ist besser für unser aller Augen." 

„Wie kannst du es wagen?", zischte Chelsea erneut. 

„Nein, wie kannst du es wagen, Bilder von mir und Alexander auf Instagram zu posten? Ich kann doch auch nichts dafür, dass er sich auf mich schmeißt, während er dich nicht einmal mit einer Fingerspitze anrühren will." Giselle funkelte das Mädchen vor ihr wütend an. Sie zu vermöbeln wagte sie jedoch nicht, da die Kellner schon jetzt aussahen, als würden sie Giselle gleich rauswerfem. 

„Das wirst du noch bitter bereuen, du Schlampe", fauchte Chelsea. 

„Ach, wird sie das?", ertönte eine kalte Stimme direkt hinter Giselle. Ihr wurde schlecht. Jetzt mischte sich auch noch Anastasia ein. Sie trat dicht neben Giselle, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Stattdessen verengte sie ihre Augen und sah Chelsea direkt an. 

„Ich glaube eher, du wirst es bereuen, Chelsea Marissa Wotch. Weißt du eigentlich, dass du dich mit dem Posten des Bildes strafbar gemacht hast?" Chelsea schien zu erbleichen. Giselle starrte Anastasia verwirrt an. Was ging hier ab? 

„Das tut nichts zur Sache", knurrte Chelsea. 

„Oh doch, das tut es", sagte Anastasia zuckersüß. „Du weißt, dass mein Vater Richter ist, oder?" 

Chelsea wurde jetzt eindeutig weiß blass. „Fahrt doch zur Hölle", blaffte sie und rauschte an ihnen beiden vorbei aus dem Café. Anastasia sah zu Giselle. 

„Gern geschehen. Verschwinden wir", sagte sie. Giselle nickte und verließ das Café, ehe sie Ärger vom Besitzer kriegen konnten.

„Wieso hast du mir geholfen?", fragte Giselle, als sie schweigend nebeneinander her liefen. „Wir waren doch immer... naja, Feinde." Anastasia seufzte. 

„Ich mag dich nicht besonders, aber ich bin kein Monster. Was sie getan hat, war echt unter aller Kanone." Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: „Ich gehe mal davon aus, dass Alexander und du es nicht wirklich auf dem Klo getrieben habt?" 

Giselle schnaubte. „Da vermutest du richtig. Den würde ich nicht mal mit ner Kneifzange da unten berühren. Ein Fleischwolf jedoch wäre in Ordnung." Anastasia schnaubte und Giselle warf ihr einen Blick zu. Ihre Miene schwankte zwischen belustigt und abweisend. 

„Was? Ich darf doch wohl lachen." 

„Das letzte Mal, dass du in meiner Gegenwart gelacht hast, war, als ich mir aus Versehen den halben Fingernagel ausgerissen habe." 

„Da ist was dran. Aber wir alle sind erwachsener geworden." Giselle antwortete nicht, denn dass sie Recht hatte, war offensichtlich. Sie packte ihre Tasche fester, nickte ihr halbherzig zu und bog dann in eine Straße ein, die sie zum Haus von Isabelle bringen würde, und die Anastasia nicht entlanglaufen würde. 

Kaum war Giselle alleine, nahm sie ihr Handy raus, suchte in ihrer Kontaktliste Anastasia, schrieb ihr eine kurze Nachricht mit „Danke" und ging dann kurz auf Instagram, nur um zu sehen, dass Chelsea das Bild wieder runtergenommen hatte. 

Ihr Stolz hatte Giselle daran gehindert, sich in Person bei ihr zu bedanken, doch das hieß nicht, dass sie undankbar war. Anastasia schickte ihr einen Emoji zurück, der ihr gruselig zuzwinkerte. Giselle öffnete die Nachricht nicht. Anastasia sollte nicht denken, dass sie auf eine Antwort wertgelegt und gewartet hatte. Stattdessen wählte sie die Nummer von Isabelle. Während es klingelte, kam Giselle vor dem Gartentor der Tonkins zum Stehen. Das Haus wirkte irgendwie seltsam leer. 

Der Anrufbeantworter ging dran und Giselle legte auf. Sie klingelte und ein paar Sekunden später öffnete sich die Haustür. Mrs Tonkins trat aus dem Haus und kam nach vorne an den Zaun, die Stirn in verwirrte Falten gelegt. 

„Guten Tag?", sagte sie mit einer leichten Frage in der Stimme. 

„Guten Tag, Mrs Tonkins, ist Isy da?" Mrs Tonkins guckte noch verwirrter. 

„Wer bist du? Und wer soll Isy sein?" 

„Mrs Tonkins, soll das ein Scherz sein? Ich bin es, Giselle!" Mrs Tonkins schüttelte den Kopf. 

„Tut mir leid, aber ich habe noch nie eine Giselle gekannt." 

„Aber ich bin die beste Freundin Ihrer Tochter, Sie haben mir erst vorgestern einen Apfelkuchen gebacken!" 

„Ich backe nicht", stammelte Mrs Tonkins. „Und ich habe noch nie einen Apfelkuchen gebacken, warum auch? Bei uns mag den niemand." 

„Doch, Isabelle, Ihre Tochter, die liebt doch Apfelkuchen! Sie backen den besten!" 

„Soll das alles ein Streich sein?", fragte Mrs Honkins und trat zornig einen Schritt zurück. „Ich hasse Backen! Ich habe keine Tochter und dich habe ich noch nie gesehen!" 

„Aber Mrs Tonkins-" 

„Verschwinde, sofort, sonst rufe ich die Polizei!", sagte Mrs Tonkins mit einem Kreischen in der Stimme, das ihr den Eindruck verlieh, wahnsinnig zu sein. Mrs Tonkins drehte sich wankend und schwer atmend um und kehrte in ihr Haus zurück. Die Tür schlug sie mit einem Knall hinter sich zu, der die Fensterscheiben erzittern ließ. 

Ungläubig starrte Giselle auf die Tür, nicht sicher, was gerade passiert war. Das musste ein ganz übler Scherz sein. Sie überprüfte mit einem kurzen Blick den Fahrradständer und suchte nach Isy's Rad, doch da war kein Fahrradständer und erst Recht kein Rad. Wieder rief Giselle Isy an, doch sie ging nicht ran. Das selbe versuchte sie bei Ryan und Jackson. Keiner nahm ab. 

 „Ach kommt schon", murmelte Giselle und packte verbittert ihr Handy weg. Ratlos lehnte sie sich an den Gartenzaun der Tonkins. Was zum verfluchten Henker ging hier vor sich? Stirnrunzelnd machte sie sich auf den Weg nachhause. Jackson war ein Handy-Suchti und es war noch nie vorgekommen, dass er einen Anruf verpasst hatte. 

Ryan war immer da. Immer. 

Gedankenverloren setzte sie einen Fuß vor den anderen und bemerkte kaum, wie sie ankam. Erst als eine grässlich quietschende Stimme „Gistel!" brüllte, sah sie auf. Giselles Herz blieb stehen und sie stutzte. Das konnte doch nicht wahr sein. Durch den penibel ordentlichen Vorgarten kam ein kleines, dickes Kind gerannt. In seiner Faust trug es etwas, das verdächtig wie ein Regenwurm aussah, der sich verzweifelt hin und herwandt. Die Wangen, Arme und Beine waren schlammverschmiert. 

Abel. Ihr Cousin, der gerade mal vier war und sie immer noch Gistel nannte, weil er zu dämlich war, um Giselle zu sagen. Vielleicht war er auch einfach zu jung. 

„Hey", sagte Giselle und setzte ein schiefes Lächeln auf. Wenn Abel hier war, würde auch Tante Mandy dasein. Tante Mandy, die Giselle bei jedem ihrer Besuche eine Benjamin-Blümchen-Torte schenkte. Das machte sie deutlich sympatischer als ihren Sohn, der bei jedem Besuch irgendetwas in ihrem Zimmer zerstört hatte. 

„Komm, komm!", rief er, warf den Regenwurm beiseite und packte ihre Hand. Seine Finger waren klebrig und matschig, doch Giselle brachte es nicht übers Herz, sie von ihrer Hand zu lösen. Er war zwar unausstehlich, aber immer noch ein Kind. Abel zog sie voran durch die offenstehende Haustür in den Flur, wo Giselle es gerade noch hinkriegte, Schuhe und Jacke abzuwerfen und ihre Tasche irgendwo in eine Ecke zu schleudern, bis sie ins Wohnzimmer geschleift wurde. 

Dort saßen am Tisch Giselles Mutter und Tante Mandy. Tante Mandy hatte dieselben, schwarzen Locken wie ihr Sohn, doch ihre Augen waren von einem warmen Karamell, während die Augen von Abel einfach nur die Farbe von Durchfall hatten. 

„Giselle, mein liebes Kind!", rief Tante Mandy und legte sich eine Hand aufs Herz. Mit theatralischer Miene erhob sie sich und betrachtete sie wohlwollend. „Du bist ja so schön geworden! Du siehst aus wie dein Vater." 

Giselle, die einen Vergleich ihrerseits mit dem Gesicht ihres Vaters durchaus nicht als Kompliment sah, hob kaum merklich die Augenbrauen. Sie lächelte jedoch und kam näher, um sie zu umarmen. Ihre Tante roch nach Erbeeren und Vanille. Vielleicht kam der Geruch aber auch von der Benjamin-Blümchen-Torte, die bereits auf dem Tisch stand. Giselleriss ihren Blick schweren Herzens von der Torte los und sah ihre Mutter an. "Ist alles okay mein Schatz?", fragte diese sanft und strich Giselle ein Haar aus der Stirn. "Du wirkst so erhitzt." Bevor Giselle antworten konnte, klatschte Tante Maddy laut und erschreckend in die Hände. 

„So! Giselle, ich habe ein Geschenk für dich!" Giselles Magen grummelte und ihr Blick fiel wieder auf die Torte. Doch ihre Tante drückte ihr ein Magazin in die Hand. "Lies!", wies Mandy sie an. Giselle setzte sich und betrachtete die Zeitschrift skeptisch. Es war ein typisches Alte-Damen-Magazin mit Kuchenrezepten, Tipps, wie man sich akzeptieren konnte, wie man war, und paradoxerweise gleich im Anschluss die besten Diäten für die perfekte Sommerfigur. 

"Danke", sagte Giselle und konnte nur schwer ihre Verwirrung aus ihrer Stimme verbannen. Sie blätterte ein wenig in der Zeitschrift und plötzlich blieb ihr das Herz stehen. Grüne Augen, klar und stechend, starrten sie von einer der Seiten aus an. Was machte Isys Bild in dieser Zeitung? Ihr blondes Haar wirkte seltsam durcheinander und ihr Lächeln war aufgesetzt. Was ging hier nur vor sich? 

"Giselle, Liebling, du hast mir nicht geantwortet", drang die Stimme ihrer Mutter zu ihr durch. Giselle blinzelte und sah auf. Besorgnis legte die Stirn ihrer Mom in Falten. Doch von Tante Maddy und Abel war keine Spur. 

"Mom, wo sind sie hin?", fragte sie verwirrt. 

"Wer?"

Giselle starrte ihre Mutter ungläubig an. "Willst du mich verarschen? Tante Maddy und Abel natürlich, sie hat doch Kuchen mitgebracht und das Heft und Abel hat alles vollgematscht-" Doch gerade in diesem Moment fiel ihr auf, dass auf dem Tisch gar kein Kuchen stand. In ihren Händen hielt sie einen Familienkalender. Absolutes Entsetzen machte sich in ihr breit, Verwirrung, Angst. Was war hier los? Ihr Kopf drehte sich und sie fasste sich an die Stirn. Verlor sie den Verstand. 

"Giselle Liebling, ich hätte gerne, dass du mal eine Therapie ausprobierst. Du wirkst so neben der Spur die ganze Zeit und mich haben heute sowohl dein Direktor als auch eine Lehrerin wegen dir angerufen. Ich mache mir wirklich Sorgen um dich." Sie meinte es nur gut, das wusste Giselle. Aber in diesem Moment konnte sie einfach nichts anderes tun, als den Kalender auf den Tisch zu knallen und mit Tränen in den Augen in ihr Zimmer zu stürmen. 

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