Tenebrose |9|
Tenebrose
Adjective | Meaning:
Dark and gloomy
Der Regen versetzte Jisung in eine dunkle, trübe Stimmung. Die Wolken am Himmel zogen düster über ihn hinweg, als wären sie auf dem Weg zu einer Beerdigung. Sein Blick schweifte über den Schulhof, welcher mittlerweile durch den stetigen Regen eine Art Teich gebildet hatte. Früher, in seinen Kindertagen, war er immer hinaus gegangen, um durch Pfützen zu springen und durch den Regen zu rennen. Er trotzte dem nasskalten Wetter mit einer unbekümmerten Reinheit eines Kindes. Es konnte noch so schlimm stürmen, sein Weg fand sich anschließend immer in die Natur. Er genoss zu diesem Zeitpunkt immer den Geruch, der nach einem solchen Unwetter entstand. Er genoss sein Wissen, dass die Blumen und Sträucher und Bäume sich über jeden Tropfen freuen. Er genoss das Zwitschern der Vögel, welche sich nicht stören ließen durch nasse Äste oder Blätter. Doch heute, heute sah er anders auf den Regen, heute zog es ihn nur runter und machte ihn traurig. Weil er wusste, dass es nicht wie früher war, dass es niemals wieder so sein würde. Natürlich liebte er den Regen immer noch, und auch den Donner und die Blitze. Er fand sie immer noch majestätisch, besaß immer noch diese Anziehungskraft zu dem Wetterphänomen. Seine Mutter hat einmal gesagt, er wäre irgendwann mit dem Unwetter verheiratet, so sehr vergötterte er es. Über ihre Aussage hatte er gelacht und den Kopf geschüttelt, aber insgeheim wusste er, dass sie im Recht war.
Das Klingeln riss ihn aus seinen Gedanken.
"Erde an Jisung? Endlich fertig mit dem Träumen?", fragte San lachend.
Peinlich berührt kratzte sich der Blonde am Hinterkopf. Offensichtlich war er richtig schlecht im Tagträumen. Er seufzte und erhob sich. Er hatte keine Lust. Das Wetter veränderte seine Gemütslage, dass er lieber in seinem Bett liegen und schlafen würde.
"Kommst du mit in die Cafeteria?"
Jisung schüttelte den Kopf. Er hatte gleich eine Freistunde und die wollte er in der Bibliothek verbringen. San nickte und hob zum Abschied die Hand.
Anstatt die Bibliothek zu finden, stand er nun in einem großen leeren Raum mit Spiegelwand. Der Parkettboden schimmerte in einem einladenden hellen Braunton.
"Was suchst du denn hier?"
Die Stimme von Hyunjin ließ ihn herumfahren. Der Blonde stand ihm in Sportklamotten gegenüber. Sein Haar war in einem Zopf zusammen gebunden.
"Ich habe mich verlaufen. Schon wieder."
Der Vampir begann zu lachen.
"Menschsein ist schwierig, oder?", fragte der Größere belustigt und ging mit seinem Handy zu einer Box, die Jisung zuerst gar nicht wahrgenommen hatte. Die Musikanlage gab einen Laut von sich, dass das Handy mit ihr verbunden war. Jisung dachte über die Aussage Hyunjins nach. Er gab ihm Recht, doch er glaubte auch, dass das Vampire-Dasein nicht weniger schwierig war. Leben an sich war mühsam und anstrengend. Es ging dabei nicht um die Person an sich, sondern um die Ereignisse, die geschahen, Ereignisse, die Menschen genauso wie Vampire veränderten. Jedes noch so kleine Ereignis im Leben einer Person hatte Auswirkungen auf ihr späteres Ich, auf die Persönlichkeit, auf den Charakter und auf die Personen in seinem Umfeld. Veränderungen machten uns zu dem, was wir waren.
Jisung setzte sich an die Wand und beobachtete wie Hyunjin einige Tanzschritte durchging.
Die Anlage stand still.
"Wie lange machst du das schon? Das Tanzen, meine ich."
Hyunjin senkte den Kopf, Jisung konnte ihm klar im Spiegel beobachten. Er überlegte.
"Seit ich klein bin. Meine Mum war eine begnadete Tänzerin. Sie war atemberaubend. Sie war ein Stern unter den anderen Tänzern. Sie war, sie war-"
Hyunjin brach ab und wandte den Kopf zu der Anlage.
"Sie war so viel mehr, als ich verdient hatte. Denn als sie Schwanger wurde, musste sie aufhören. Sie hat es mir nie vorgehalten, aber ich konnte es in ihren Augen sehen, dass sie es vermisste, sich so zu bewegen."
Der Blonde seufzte.
"Und dann stellte sich heraus, dass ich ein Vampir war."
Es war nicht ungewöhnlich, dass Menschen Vampire zu Welt brachten. Manchmal übersprang die Mutation eine Generation oder zwei.
"Und dann, und dann sah ich ihr beim Sterben zu."
Jisung hatte nie darüber nachgedacht, wie sich Vampire fühlten die menschliche Eltern hatten, hatte sich nie gefragt, wie sie sich fühlen mussten, sie sterben zu sehen. Er bekam augenblicklich Mitleid, dabei wollte er keins haben, weil er wusste, dass Hyunjin das nicht brauchte.
"Wie lange lebst du schon?", wollte Jisung wissen. Er ermahnte sich innerlich. Eigentlich wollte er nicht fragen, doch sein Mund war wieder einmal schneller, als sein Kopf. Hyunjin antwortete nicht sofort. Er ging zu der Box und spielte an dem Lautstärkeregler herum.
"Eine ganze Weile. Hundert Jahre vielleicht? Vielleicht auch weniger. So genau hat mich die Zahl nie interessiert."
Jisung nickte, während Hyunjin ein Lied erklingen ließ. Er kannte es nicht, doch der Bass und der Takt brachten seinen Fuß zum mitwippen. Der Blonde begann sich zu bewegen, so geschmeidig und filigran wie er es von Vampiren gewöhnt war. Hyunjin sah atemberaubend aus, wie ein Blatt, welches durch den Wind geweht wurde. Die sich vermischenden Bewegungen waren perfekt auf einander abgestimmt, sie ergänzten sich, sie rundeten sich ab, dass sich Jisung nicht satt sehen konnte. Er wollte das auch können, sich auch so bewegen, in seine eigene Welt eintauchen.
Als das Lied zum Stillstand kam, konnte Jisung nicht anders als zu applaudieren. Es war faszinierend und wunderschön gewesen.
"Ich möchte das auch können", seufzte Jisung, wobei er nebenbei aufstand.
"Ich zeigs dir", sagte Hyunjin.
"Solange dein Knöchel das mitmacht", grinste er vielsagend. Jisung starrte dem Blonden an. Noch jemand, der ihm nicht glaubte. Das war nicht gut.
Zwar trug der Blonde noch seine Uniform, aber das störte ihn nicht. Er legte sein Jacket auf den Boden und stellte sich an Hyunjins Seite. Der Größere zeigte ihm zuerst einige Schritte ohne Musik, damit er erstmal eine Grundlage hatte, um bei dem Lied, welches viel schneller war, nicht sofort zu versagen. Nach mehreren Durchgängen des ersten Teils, meinte Hyunjin er wäre bereit für einen Durchlauf mit Musik. Jisung war sich da nicht so sicher, sagte aber nichts. Er atmete tief durch und versuchte sein schnell schlagenes Herz unter Kontrolle zu bekommen. Sein Atem ging jetzt schon schwer, dabei hatten sie noch gar nicht richtig begonnen. Der Schweiß auf seiner Stirn bahnte sich seinen Weg nach unten.
Die Musik setzte ein und Hyunjin nahm neben ihm Platz.
"Bereit? 3, 2, 1"
Hyunjin folgte der Musik, wie schon zuvor, während Jisung ehrliche Probleme hatte, dem nachzukommen. Irgendwann war er so weit aus dem Takt, dass er es bleiben ließ.
Das Lied endete.
"Du bist wahrscheinlich der Schlechteste, den ich jemals trainiert habe", entgegnete Hyunjin, was Jisung empört aufatmen liefen. Er musste trotzdem lachen.
"Danke für die Ermutigung!", sagte er und verdrehte die Augen.
"Na los, nochmal."
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Guten Abend, meine lieben Leserinnen und Leser!
Ein weiteres Kapitel, ein bisschen Vergangenheit von den einzelnen Charakteren.
Wie findet ihr es bisher?
Im letzten Kapitel kam ein Kommentar von der lieben Linda_mlly , was mich nachdenklich gestimmt hat. Es ging nämlich um die Tatsache, dass sich Frau Liu solche Sorgen um Jisung macht und das bei den meisten Lehrern im echten Leben nicht so ist. Dem muss ich einerseits zustimmen, aber andererseits auch eine Grenze ziehen. Nicht jeder Lehrer oder Lehrerin ist verbittert. Ich hatte an meinem Gymnasium drei Lehrer, die mir unglaublich geholfen haben, bezüglich meiner Magersucht. Und ich bin Ihnen bis heute unendlich dankbar dafür, denn ohne sie, hätte ich es nie meinen Eltern gesagt, oder wäre in Therapie gegangen. Deshalb sind in meinen Geschichten die Lehrer immer nett xd. Ist eine Macke von mir, weil ich daran glaube, dass es auch gute Menschen im Bildungssystem gibt. In meinen Augen sollten die Lehrer, die einem schließlich bestimmte Dinge im Leben beibringen, auch eine Rolle für Mentalität empfinden und diese entgegen bringen. Ich beschuldige hiermit keinen Lehrer, dass er verbittert oder schlecht in seinem Job wäre. Ich habe nur beide Seiten kennengelernt und das ist meine Meinung dazu.
Feel free to comment!
Erin🌸
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