Leal |13|
Leal
Adjective | Meaning:
faithful; true
Jisung langweilte sich zu Tode.
Ihm ging es viel besser, was nicht zuletzt an der Vampirin lag, die ihn mehr oder weniger wieder zusammengeflickt hatte. Er spielte schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, einfach aus dem Krankenzimmer zu flüchten. Es würde bestimmt nicht auffallen und falls doch, war das schlimmste Übel, dass er wieder hierher geschleppt wurde. Aber unter Leute zu kommen, und nicht isoliert zu sein, klang so verlockend, dass er schon seine Beine über der Bettkante baumeln ließ. Er müsste es nur wagen, loszugehen. Jisung selbst konnte seinen Gedanken und Gefühle nicht trauen. Er hatte siebzehn Jahre lang in einem Haus verbracht, jedes Buch gelesen, jede Tür gezählt, jeden Teller begutachtet und jede Treppenstufe abgehört, ob sie knackte, um danach alles erneut durchzugehen.
Und jetzt. Jetzt wollte er nicht mehr in einem Zimmer gefangen sein, wollte unter Leute gehen, wollte frei sein. Es fühlte sich so an, als würde sein Körper, sein Geist, endlich verstehen, dass er nicht dazu verdammt war, eingesperrt zu sein. Er war frei. Er konnte in einem gewissen Maße alles tun, was er wollte. Er seufzte schwer. Dann stand er auf, wobei gleichzeitig die Tür geöffnet wurde und Chan ins Zimmer trat. Hinter ihm sein behandelnder Arzt.
"Ich bin Wang Yibo. Freut mich Jisung, dass es die besser geht. Ich wollte gerade nach dir sehen."
Herr Wang kam auf ihn zu und Jisung ließ die Prozedur der Kontrolle über sich ergehen, wenn das hieß, er könne schneller gehen, war das auch gut so. Nach einem kurzen Hin und Her, einem Blutdruck- und Sehtest, schien der Vampir zufrieden.
"Die letzten drei Tage Ruhe schienen dir hervorragend bekommen zu sein. Ich kann dich also guten Gewissens entlassen."
Jisung verkniff sich jeglichen Kommentar, schenkte dem Arzt ein Lächeln und verschwand mit Chan im Schlepptau nach draußen. Sachen hatte er keine, da irgendjemand ihm früh immer welche vorbeibrachte.
"Deine Mum hat angerufen. Sie bittet um Rückmeldung."
Der Blonde verdrehte die Augen. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Absolut nicht. Er atmete genervt aus, als er sah, dass Chan ihm sein Handy reichte. Scheinbar war es wirklich dringend. Gut, er wäre beinahe gestorben, aber das wusste sie wahrscheinlich längst. Er wählte ihre Nummer und merkte im Augenwinkel, wie der Ältere ihn in einen Raum lotste. Ein Musikraum, wie sich herausstellte. Ein großer weißer Flügel stand in mitten des Zimmers, nahm all den Platz und die Aufmerksamkeit auf sich.
Es begann zu Läuten. Sie nahm beim dritten Klingeln ab.
"Hey, mir geht's gut. Mach dir keine Sorgen."
Als sie anfing laut zu werden, hielt er das Telefon weg und blickte entschuldigt zu Chan, welcher es sich bereits auf dem Flügel bequem gemacht hatte.
"Du hast es versprochen. Nein, nein, du hörst mir zu!", entgegnete er ihr. Er ballte die rechte Hand zu einer Faust, sodass seine Knöchel weiß hervortreten.
"Ich gehe hier nicht weg. Auch nicht, wenn du mit einer Herrschar von Dienern ankommen solltest!", brüllte er in das technische Gerät. Er würde niemals klein beigeben, zumal sie es ihm versprochen hatte und in ihrer Welt bedeutete das etwas. Und das wusste sie.
Nachdem sie weiter und weiter, all das, was passiert war aufgezählt hatte, legte er einfach auf.
Es vergingen vielleicht fünf Minuten, in denen er einfach nur da stand und versuchte seine Tränen zurückzukämpfen.
Und die Schuldgefühle. Er hatte bereits genug geweint. Langsam sollte er aufhören eine Heulsuse zu sein.
"Klingt nach einer starken Frau", hörte er Chan weit entfernt sagen. Jisung nickte bloß. Sie war nicht nur stark, sondern auch stur wie ein Esel. Aber sie war seine Mutter und er liebte sie trotz all ihrer Fehler.
Chan klopfte neben sich auf den Hocker. Der Blonde war sich nicht sicher, ob sie beide darauf Platz fanden, aber er kam der Forderung nach.
"Ich spiele schon mein ganzes Leben lang. Seit meine Mum mich eines Tages gefragt hatte, ob ich nicht einen Klang erlernen möchte, den ich nur für mich und doch für andere spielen kann."
Jisung lauschte dem Älteren gespannt und nickte ab und zu. Irgendwann begann Chan zu spielen und eine Melodie erklang, die so magisch war, dass Jisung nicht anders konnte, als sich zu wünschen, auch etwas zu spielen. Der Vampir schien seinen Eifer zu merken und zeigte ihm die ersten Akkorde. Nach mehreren Minuten konnte der Blonde die erste Strophe, was Chan beeindruckte, da er dachte, der Jüngere würde sich schwerer tun. Wie beim Tanzen mit Hyunjin. Sie begannen zusammen zu musizieren. Und sie waren wie Licht und Schatten, wie die schwarzen und weißen Tasten auf einem Klavier. Sie strahlten und spielten und leuchteten, wie ein Meer aus Sternen. Zusammen waren sie eine Supernova. Hell und glänzend, eine Explosion von Lichtern so grell, dass man nicht hineinsehen konnte.
"Als ich zwei Jahre alt war, stellte man bei mir eine Herzschwäche fest."
Jisung war sich nicht sicher, wo der plötzliche Drang herkam sich zu erklären, aber er wollte es so sehr, dass es ihm förmlich in der Kehle brannte. Chan schien ihm der perfekte Ansprechpartner dafür, obwohl man ihm nicht helfen konnte.
"Ich hatte mehrere Operation, in denen man mein Herz durch Neue ersetzte, doch keines hielt lange genug, um mir ein Leben zu schenken, dass sich zu leben lohnte."
Seine Lippe begann zu zittern und er hörte auf zu spielen. Chan tat es ihm gleich mit dem Unterschied, dass er seine Hand hielt.
"Meine Mutter ist eine sehr beschützerischer Person. Seit mein Vater gestorben ist, noch mehr. Sie hat mir nie erlaubt das Haus zu verlassen. Ich durfte die Welt nicht sehen, nichts erkunden außer unseren Garten."
Die Tränen brannte ihm in den Augen, doch er drängte sie zurück. Jetzt war nicht die Zeit zum Weinen. Das hatte er schon so oft getan, aber es hatte nichts geändert. Er schüttelte den Kopf. Nein, das war so nicht ganz richtig. Das Weinen war für einen kurzen Moment sein Ventil, dass ihm half nicht am Leben zu ertrinken.
"Ich habe mit ihr ausgehandelt, dass ich mindestens einmal eine richtige Schule besuchen darf."
Er dachte an jenen Abend zurück, in dem sie und er einander gehalten hatten, sie ihn weinend durch die Haare strich, weil das Ende nun mal unausweichlich war.
"Es gibt kein Herz mehr für mich, dass kompatibel ist, weißt du?"
Chan sah ihn an. Seine Augen ehrlich zerrüttet und voller Kummer. Jisung lächelte ihn, trotz seines inneren Schmerzes, an.
"Das Herz hier", er zeigte auf seine Brust, wo es in einem unstetigen Rhythmus klopfte.
"Das Herz hier, funktioniert nicht mehr lange, aber ich werde jeden Moment davon genießen. Jeden Moment aufsaugen und leben. Alles hier, denn das ist das Einzige, was ich noch tun kann."
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!
Es geht weiter und Jisung hat sich endlich jemandem geöffnet. Ein Schritt, der die Geschichte mehr ins Rollen bringt.
Wang Yibo
Chan
Feel free to comment!
Erin🌸
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