Cordolium |23|
Cordolium
Noun | Meaning:
heartache; heartfelt sorrow
Minho war angepisst.
Mehr als nur angepisst. In ihm glühte eine alles verzehrende Wut, die brennen wollte. Und wenn die Königin der Vampire nicht anwesend wäre, würde er alles und jeden, der ihm zu Nahe kam, in Grund und Boden stampfen. Er hatte Wichtigeres zu tun.
"Wir müssen klären, wie wir weiterhin vorgehen. Die Angriffe der Dämonen häufen sich, weswegen wir zu dem Entschluss gekommen sind, dass es nötig ist, Fallen aufzustellen. Hier hinter mir wurde die Leinwand aufgestellt, um Ihnen alles bildlich zu erklären", sprach die Direktorin und trat zur Seite, als der Beamer angeschalten wurde. Minho knurrte, diese ganze Situation war überflüssig. Eine Heilvampirin konnte feststellen, dass Jisung nicht tot war, zumindest noch nicht. Sein Herz schlug und das hatte Minho so erleichtert, dass er beinahe zusammengebrochen wäre. Also wäre er jetzt lieber dort, als hier. Aber er musste ja schließlich ein Vorbild sein. Vampirfürsten musste sich an Regeln halten. Er verdrehte die Augen. Scheiß Gesetze.
Doch anstatt eines Videos über den Aufbau einer Dämonenfalle erschien das Gesicht von Jisung. Ein allgemeines, verwirrtes Raunen ging durch die Schüler- und Lehrerschaft. Minho starrte zu Jisungs Mutter. Sie schien überrascht und beugte sich vor, um besser zu sehen.
"Nimmt das Ding auf?", hörte man Jisung in die Kamera murmeln. Minho erkannte, dass das Video von seinem Dämonenangriff stammte und war entsetzt, über seinen Zustand. Er hatte schon beinahe vergessen, wie schlimm es damals um ihn stand.
"Es blinkt rot, also bedeutet das ja?"
Der Blonde zuckte die Schultern. Dann setzte er sich bequem auf das Bett und starrte unverwandt in die Kamera.
"Ähm", er lachte kurz und kratzte sich am Kinn.
"Ich habe keine Ahnung, wie ich beginnen soll, aber ich mach es jetzt einfach."
Kurz musste Minho schmunzeln. Das war typisch Jisung. Der Jüngere räusperte sich und schluckte. Dann war er mit einem Mal wie ausgewechselt. Ernst.
"Dieses Video... Es ist nur ein großes Falls. Ein Vielleicht, dass hoffentlich nie passieren wird. Aber ich mache es trotzdem, damit ihr an etwas festhalten könnt, falls, falls ich zu früh gehen sollte..."
Ein erschreckendes Aufkeuchen entfloh Minho, und auch der Rest der Anwesenden wirkte erstarrt. Chan blickte ihn von der Reihe unter ihm, besorgt an.
"Es gibt Vieles, was ich nie gedacht habe hier zu finden, dass man gar nicht alles aufzählen kann. Jungkook-hyung. Du warst der Erste, dem ich begegnet bin zu Beginn des Schuljahres. Du warst offen und ehrlich und ich bin dankbar für die unzähligen Male, in denen du mir das Leben gerettest hast. Wortwörtlich."
Minho war sich nicht sicher, wo Jungkook saß, aber er wusste, dass dem Älteren, diese Worte durch Mark und Bein ging.
Der Vampir presste die Lippen aufeinander und beobachtete, wie das Gesicht von Jisung sich zu einem Lächeln verzog. Dieses Lächeln, welches er so liebte. So vergötterte, weil es anders war. Es hatte eine Intensität, die der Sonne Konkurrenz machen konnte.
Der Blonde vor der Kamera seufzte.
"Innie. Für einen so jungen Vampir hast du den größten Respekt von mir. Ich bin so stolz auf dich und dankbar, dass wir gemeinsam Singen konnten. Denn das Singen hat mir gezeigt, wie schön es ist anderen eine Freude zu machen. Und wie es war, dir eine Freude zu machen. Du hast immer so gestrahlt, so gestrahlt wie der Mond und die Sonne und die Sterne gemeinsam. Und diese Leuchtkraft, lass sie niemals verenden, okay? Versprich es mir, ja?"
Jisungs Stimme wurde dünner. Minho merkte, dass es ihm schwer fiel, all die Erinnerungen, die er hatte, in Worte zu fassen. All das Schöne, dass er erlebt hatte, zu beschreiben.
Jeongin saß nur eine Etage unter ihm, aber jeder im Raum hörte seine Worte.
"Ich verspreche es. Ich verspreche es. Ich verspreche es", wiederholte er wie eine Mantra. Chan nahm den Jüngeren in seine Arme, während das Beben begann.
"Seungmin. Hätte ich noch mehr Zeit, dann, dann würde ich mit dir die ganze Bibliothek durchstöbern. Buch für Buch. Seite für Seite. Ich würde jede freie Minute mit dir verbringen, denn du hast mir gezeigt, dass es okay ist, Schwäche zu zeigen und dafür einzustehen. Das es okay ist, um Hilfe zu bitten."
Seungmin krümmte sich nach vorn und Minho strich ihm über den Rücken. Hyungjin sprach leise Worte, die den Braunhaarigen beruhigen sollten. Doch es brachte den Vampir noch mehr zum Weinen. Seine Schluchzer wurden hemmungslos. Laut und unbändig.
"Auch wenn ich nie gut im Kochen war-", Jisung lachte kurz. "-es hat mir unglaublich Spaß gemacht mit dir vor dem Herd zu stehen, Felix, und über irgendwelche Dramen zu diskutieren. Hör niemals auf damit, verstanden? Du musst der Welt zeigen, was du kannst."
Der Braunhaarige konnte nur von oben auf den blonden Vampir sehen, aber er bemerkte wie seine Schultern im stetigen Takt auf und ab wippten.
Jisung, der mittlerweile in einer anderen Pose saß, seufzte kurz und wischte sich über die Augen. Könnte Minho durch Wände gehen oder durch die Zeit reisen, würde er zu dem Blonden treten und seine Tränen beiseite küssen. Ihn umarmen und nie wieder loslassen.
"Tanzen war befreiend, Hyunjin-Hyung. Du hast mir durch deine Leidenschaft einen kleinen Einblick in dein Wesen geschenkt und dafür bin ich dir dankbar. Es war mir egal, dass ich immer schnell außer Atem gekommen bin, solange ich deinen Bewegungen folgen konnte, habe mich lebendig gefühlt. So lebendig wie nie zuvor."
Hyunjin presste sich die Hand vor den Mund, zog seine Mütze über die Augen und begann still zu weinen. Seungmin nahm seinen Seelenverwandten in den Arm. Sie hielten einander so fest, dass Minho sich wünschte das Gleiche mit Jisung machen zu können.
"Changbin-hyung, du tust zwar immer so, als wärst du hart wie Stein, aber ich bin froh, dass ich auch deine andere Seite sehen durfte, dass du dich mir anvertrauen konntest und ich im Gegenzug das Gleiche. Du hast mir gezeigt, dass sich Stärke nicht durch bloße Muskelkraft zeigt, sondern aus seinem Inneren."
Changbin ließ sich nicht anmerken, dass diese Worte ihn zertrümmerten, aber Minho wusste es besser. Er erkannte es an dem kaum merklichen Zucken seiner Achseln, als wolle er den Schmerz, welches Jisungs Worte auslösten, abschütteln.
"Es war mir eine der größten Freuden, dass wir gemeinsam Klavier spielen konnten, Chan-hyung, wie wir uns ergänzt und ausgetauscht haben. Wie wir gemeinsam Licht waren, dass den ganzen Raum erfüllt hat. Ich hoffe, du hörst niemals auf dieses Licht zu sein, eine Geschichte zu erzählen mit Hilfe der Tasten."
Minho wusste, dass sein Leader bei dem Gesagten nicht ruhig bleiben konnte. Er merkte es an der sich ändernden Temperatur im Raum. Chan war traurig , unendlich traurig. Wie sie alle.
Jisung blickte direkt in die Kamera, nein, er blickte allen direkt in die Seele.
"Eins habt ihr alle gemeinsam: Jeder von euch hat mit geholfen zu vergessen, dass ich sterbe."
Eine Welle krachte auf alle Anwesenden nieder. Eine Welle aus Freude und Trauer und Dankbarkeit. Aus unendlicher Schwärze, welche sie alle festhielt. Auch wenn die Hälfte der Schüler ihn nicht persönlich kannte, konnten seine Worte jeden hier innerlich zerstören.
Doch das Schlimmste würde erst noch kommen. Jisung hatte sich noch nicht über ihn geäußert. Und Minho war zum ersten Mal in seinem Leben unsicher. Unsicher, was der Blonde sagen würde, unsicher, was die Worte mit ihm machen würden, unsicher, dass er das alles nicht überstehen würde. Denn er konnte niemals akzeptieren, dass man ihm seinen Seelenverwandten nehmen würde. Niemals.
"Minho", ein Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Blonden. Seine Augen sahen so lebendig und freundlich und doch so traurig aus, dass Minho wegschaute. Er ertrug es nicht, wie Jisung ihn ansah.
"Ich fand es nie schlimm zu sterben. Ich habe damit schon vor langer, langer Zeit abgeschlossen", er holte kurz zittrig Atem, als wäre die Luft in dem Krankenzimmer knapp geworden.
"Aber...aber dann kamst du. Du gabst mir einen Grund am Leben zu bleiben. Am Leben bleiben zu wollen. Und plötzlich war der Tod beängstigend, weil ich nicht gehen wollte, weil ich dein Lachen hören und deine Lippen schmecken wollte, weil du mir das Gefühl gabst nicht zu sterben, obwohl es so war. Und dafür bin ich dir so dankbar. Für diese kleine Weile voller Glück und Freude und Lachen und Liebe. Dieser wunderschönen Liebe, die du mir unaufhörlich entgegengebracht hast."
Die Tränen des Blonden flossen und flossen und flossen, wie ein Wasserfall. Unaufhörlich, ununterbrochen. Minho sah seinen Seelenverwandten an und spürte sein Herz sich schmerzhaft zusammenziehen. Jisung entschuldigte sich kurz und griff hinter die Kamera. Einen Augenblick später hielt er ein Taschentuch in der Hand. Er räusperte sich, strich sich durch die Haare.
"Es geht nicht um die Zukunft, oder die Vergangenheit, sondern um das Jetzt. Und das Jetzt war eine der schönsten Zeiten meines gezählten Lebens. Zu anfangs habe ich mir gewünscht, wir hätten die Ewigkeit für einander, aber das spielt mittlerweile keine Rolle mehr, denn ich bin glücklich, so wie es jetzt ist. Ich hoffe, du auch."
Minho wollte sich die Ohren rausreißen, um sich die gebrochene Stimme, die kaum mehr als ein Hauchen war, nicht anhören zu müssen. Es gab noch Hoffnung, wieso machte er einen Abschied daraus? Der Braunhaarige ballte die Hände zu Fäusten, allerdings spürte er Seungmins Hand an seinem Bein. Seine verweinten Augen ließen ihn in seinem Gedankengang inne halten.
Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Er verstand es endlich.
Weil Jisung davon ausging, dass es keine Hoffnung gab.
"Ich habe jede Sekunde genossen. Jeden Moment in mich aufgesaugt, um ihn nicht zu verpassen, weil du großartig bist und ich dich liebe. Weil dieses Jahr wunderschöne Erinnerungen mit sich gebracht hat. Von anfänglichen Streitereien bis hin zu unserem ersten Kuss. Das Leben ist nicht fair, aber ich bin dankbar, so dankbar, dass ich dich kennenlernen durfte, dich lieben durfte. Denn du bist und warst der Sauerstoff, der mir schon immer gefehlt hat. Du hast es mit deiner Anwesenheit geschafft, dass der Schmerz verging.
Du warst mein Sauerstoff, als das Leben mich zu ersticken drohte."
Der Vampir hatte bisher noch nie geweint, zumindest nicht vor seinen Freunden oder Schulkameraden. Das kam ihm immer schon einer Kapitulation gleich. Aber jetzt. Während er seinen Mweya auf dem Bett im Schneidersitz sitzen sah, und die Worte eines Abschiedes sprach, brach die Mauer in ihm. Sie bekam Risse, dann fielen kleine Steine aus dem Fundament und mit den letzten Worten des Blonden, barst sein Inneres in Millionen Stücke.
"Ich hoffe, wir finden uns im nächsten Leben wieder und ich hoffe, wir lachen, teilen alte Erinnerungen über die Zeit, in der wir es beinahe geschafft hätten."
Sein Herz wurde gesprengt. Salzige Flüssigkeit schoss seine Wange hinunter. Ewig und ewig und ewig. Es war so, als wäre die Zeit stehen geblieben. Als wäre er in einem Vakuum voller schwarzer Leere. Voller Untergang. Voller Trauer. Eigentlich war es lächerlich. Schließlich lag Jisung im Krankenflügel, nicht unweit von ihnen entfernt und trotzdem weinte er. Erst dann realisierte Minho, dass dieses Video wahrscheinlich das letzte Stück Jisung war, was er für die Unendlichkeit behalten würde und diese Erkenntnis, sie schnürte ihm die Kehle zu, ließ all seine Zelle gefrieren und seine Tränen nur noch mehr werden.
Jemand kam durch die große Hallentür gestolpert. Völlig außer Atem.
"Jisung. Jisungs Herz. Es ist stehen geblieben."
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Guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen! Ich hoffe, ihr hattet Taschentücher parat, falls ihr welche brauchtet.
Cordolium war das erste Kapitel dieser Fanfiktion und ich werde jedes Mal zu Tränen gerührt. Tatsächlich habe ich quasi durch dieses Kapitel die komplette Fanfiktion aufgebaut.
Das obrige Lied stammt übrigens aus dem Drama Goblin und ich finde es einfach fantastisch und großartig und unglaublich passend für dieses Kapitel.
Feel free to comment!
Erin🌸
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