Kapitel 40

Lange konnte ich mir aber nicht Zeit lassen, um über meine neu erworbene Erkenntnis nachzudenken, denn jetzt wartete eine klitschnasse Bluse darauf, notdürftig trocken geföhnt zu werden.

Ich wrang das nasse Kleidungsstück so gut es ging aus und hielt es dann ausgebreitet unter den Handtrockner. Der tiefrote Fleck hatte eine leichte rosa Schliere hinterlassen, die ich nicht ganz hatte herauswaschen können.

Die warme Luft wurde auf die Bluse geblasen und langsam wurde sie trocken. Als sie nur noch leicht klamm war, zog ich sie bereits wieder an und band mir dann die Schürze um, um die Verfärbung zu überdecken.

Der noch feuchte Stoff klebte auf meiner Haut, ließ mich abkühlen und sandte einen Schauer durch meinen Körper, aber ich hatte jetzt nicht die Zeit, um die Bluse komplett zu trocknen. Ich musste wieder nach draußen und meine Tische übernehmen, damit das Chaos nicht noch größer wurde.

Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es noch nicht einmal eine Stunde dauern würde bis - hoffentlich - die erste Studenten eintreffen würden. Das hieß also noch knapp zwei Stunden Arbeit. Bis dahin sollte meine Bluse vollständig trocken sein. Ich hoffte nur, dass ich mir keine Erkältung holte.

Als ich nach draußen lief, kam mir schon Paolo entgegen.

"Gut, dass du wieder da bist! Ich hätte mich sonst gleich klonen müssen", scherzte er, obwohl er sichtlich gestresst war.

"Ein Paolo reicht völlig", ärgerte ich ihn. "Ich mache mich sofort wieder an die Arbeit!"

"Junges Fräulein, nicht so frech", rief er mir noch lachend hinterher, als ich zurück zu meinen Tischen eilte. Das Chaos hielt sich in Grenzen, doch es erforderte trotzdem so einiges, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Als ich Antonias Blick auffing, mimte sie ein "Entschuldigung" und ich machte eine wegwerfende Geste, während ich sie anlächelte. Es war ja nicht Absicht gewesen.

Dann plötzlich wurde das Lokal leerer. Die Gäste des Abends waren satt und zufrieden und hinterließen nur noch ein gespanntes Zittern.

Es war ja nicht so, dass wir auf ein proppenvolles Lokal hofften. Die extra Stunde für Studenten diente ja eigentlich dazu, restliches Essen noch zu verwenden. Falls Fabio extra für diese Idee mehr Lebensmittel einkaufen musste, standen wir nach der Stunde mit dem gleichen Problem des Wegschmeißens da.

Aber falls keiner kam...

Ich wollte gar nicht dran denken.

"Also, ich mache mich dann mal vom Acker", hörte ich Antonia sagen, die gerade aus dem Mitarbeiterraum kam. Drei Kellner waren zu dieser Stunde unnötig.

"Komm' gut heim!", rief Francesca, Paolo und ich winkten ihr zu und als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, legte sich eine unangenehme Stille über das Lokal.

Und dann warteten wir.

Und wurden immer nervöser.

Ich sah auf die Uhr und der Zeiger schien durch die Kurven zu schleichen.

"Meint ihr, es kommt jemand?", fragte ich nervös, obwohl erst fünf Minuten vergangen waren. Fünf Minuten, die mir wie die Ewigkeit vorkamen.

Und dann ging die Tür auf. Drei junge Männer betraten mit dem Selbstbewusstsein der ganzen Welt das Lokal und sahen sich um, als würden sie etwas suchen.

Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Es war tatsächlich jemand gekommen!

Ich wechselte einen kurzen Blick mit Paolo und er nickte, zum Zeichen, dass er sich um die drei kümmern würde. Dankbar lächelte ich, während Paolo zielstrebig auf die drei zu lief. Mitten in der Nacht hatte ich keine Lust mehr, mich mit drei Kerlen und ihren Anmachsprüchen herumzuschlagen. Auch wenn das ein Vorurteil war - genau so sahen dir drei aus. Ich war mir sicher, dass sie nichts anbrennen ließen.

Francesca hatte sich dezent hinter der Theke platziert und trocknete ein Glas ab. Nur ich stand noch ein wenig planlos in der Gegend herum. Nur ein Pärchen nutzte noch die Zeit aus, die wir neuerdings länger geöffnet hatten. Eigentlich war nur für Studenten geöffnet, um den Überblick zu behalten, aber die beiden waren so in ihrer eigenen Welt versunken, die Finger verschränkt, ein Lächeln auf den Lippen, dass wir es nicht übers Herz brachten, sie zu bitten doch zu gehen.

Lächelnd wandte ich mich um und wäre beinahe mit Fabio zusammengestoßen.

"Die ersten Gäste sind da." Grinsend sahen wir uns an und am liebsten hätte ich mich vor Freude in seine Arme geworfen und Fabio hätte mich herumgewirbelt, wir hätten gelacht und...

"Das ist fantastisch! Dann nehme ich mal meinen Platz hinter dem Herd ein", riss mich Fabio mit seinem Kommentar völlig aus meinen Fantasien und ich konnte nur ein wenig desorientiert nicken.

____

Viel zu tun bekam Fabio aber nicht, denn die drei blieben auch die einzigen Studenten. Und schon war meine Laune wieder im Keller.

"Woran denkst du?", fragte ich leise, nachdem ich Fabio fast drei Minuten nur beim Nachdenken angestarrt hatte.

Wir saßen alleine im Restaurant, alle anderen waren schon nach Hause gegangen, und analysierten den Verlauf des ersten Studentenabends. Da ich an der Idee beteiligt gewesen war und auch über die ökonomische Lage des Restaurants Bescheid wusste, hatte Fabio vorgeschlagen, dass nur wir uns fürs Erste zusammensetzten.

Doch anstatt zu analysieren, hatte er den Wein in seinem Glas hin und hergeschwenkt und keinen Ton gesagt.

Jetzt seufzte er.

"Ich weiß nicht genau", murmelte er. "Also es sind welche gekommen. Das ist schon einmal positiv."

Ich nickte und versuchte mir nicht die Enttäuschung anmerken zu lassen, die sich in meinen Knochen festgesetzt hatten.

"Sie haben zwar ordentlich durchgetrunken und darauf keinen Rabatt bekommen, aber für nur drei Gäste lohnt es sich nicht, dass Restaurant noch länger auf zu haben."

"Aber du hast weniger Essen weggeschmissen", meinte ich mit einem fragenden Unterton.

"Das stimmt, aber die Differenz fällt trotzdem ins Minus."

Wir schwiegen. Ich trank von meinem Glas Wasser.

"Es war der erste Abend." Als ob das alles erklärte.

"Ja."

Wieder Schweigen.

"Und ich habe gesehen, wie sie Bilder vom Essen gemacht haben!", fiel mir ein. "Die haben sie bestimmt online irgendwo gepostet."

Fabio runzelte nachdenklich die Stirn. "Wir brauchen eine Facebook-Seite", sagte er dann fest entschlossen. "Und eine Instagram-Seite vielleicht auch. Aber vor allem Facebook. Wir können den Studentenabend als Event posten und den teilen wir dann. Es wird sich schneller rumsprechen."

Ich nickte langsam. "Und in drei Tagen hast du dann vierhundert Studenten, die Essen zum halben Preis wollen." Facebook war Marketingtechnisch eine Goldgrube. Aber auch so verdammt gefährlich, denn alles verbreitete sich doppelt und dreifach so schnell, sobald Leute anfingen, die Posts zu teilen. Und hier im Lokal hatten wir schließlich nur begrenzt Platz.

Fabio seufzte wieder. "Du hast Recht. Das kann auch gewaltig nach hinten losgehen." Er fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung durch die Haare. "Ich werde Damian fragen. Der hat sicher einen guten Rat."

"Mach das. Und warte erstmal ab. Morgen kommen vielleicht schon sechs Leute und übermorgen neun. Wer weiß", lächelte ich ihn aufmunternd an und griff aus einem Impuls heraus nach seiner Hand, die er auf dem Tisch liegen hatte.

Wir starrten beide auf unsere Hände und langsam, ganz langsam, verschränkte er seine Finger mit meinen.

Ich blickte weiterhin auf unsere nun verschlungenen Hände und war mir sicher, dass auch Fabios Blick noch immer darauf lag.

Mehr und mehr hatte ich das Gefühl, dass Fabio mich ganz gezielt in eine bestimmte Richtung lenkte. Nämlich in seine.

Und obwohl ich mir inzwischen eingestand, dass Fabio noch immer mein Herz zu sich zog, war ich mir noch nicht sicher, ob ich es wieder voll und ganz in seine Hände legen konnte.

Was, wenn er plötzlich wieder ging? Was, wenn das Restaurant hier nicht auf Dauer funktionierte und er wieder zurück nach Italien ging? Was, wenn er mich wieder alleine lassen würde?

Ich vertraute Fabio mit meinem Leben, aber dass er mich vor drei Jahren einfach so, ohne ein weiteres Wort zurückgelassen hatte, hatte mein Innerstes zerrissen. Und ich spürte einfach, dass dieser Riss noch immer nicht ganz verheilt war.

Langsam entzog ich Fabio wieder meine Hand.

Vielleicht würden Fabio und ich irgendwann wieder zusammen kommen. Vielleicht würden wir wieder das Dreamteam werden, das wir einmal waren. Auch wenn unser Shipname eindeutig miserabel war. Ich meine, 'Fail'?

Bei dem Gedanken musste ich grinsen.

Ich hob meinen Kopf und sah in Fabios warmes Lächeln.

"Ich geh dann mal langsam nach Hause", sagte ich leise und Fabio nickte. Er hatte noch ein paar Schluck Wein in seinem Glas und blieb gemütlich sitzen, während ich aufstand, um mich endlich umzuziehen.

In der Umkleide streifte ich mir die Bluse vom Körper und schmiss sie gleich in den Wäschekorb. Noch eine Schicht würde ich damit ganz sicher nicht bestreiten.

Schon ein wenig schlaftrunken, drehte ich mich zu den Spinden und öffnete eine Tür.

Da drin hingen zwei Blusen. Frisch gewaschen. In Größe 34.

Was bitte?

Irritiert sah ich auf die Spindnummer.

Das war nicht mein Spind.

Das war Antonias.

Aber warum hatte sie vorhin gesagt, sie hätte keine frischen Blusen mehr?

Ich war ausnahmslos irritiert. Vielleicht hatte sie vergessen, dass sie doch noch Blusen im Spind hatte?

'Oder vielleicht wollte sie sie dir einfach nicht geben', flüsterte eine kleine, fiese Stimme in meinem Kopf.

Ich schloss die Spindtür wieder und machte die Tür daneben auf. Das war nämlich mein Spind. Schnell schlüpfte ich in meine Jeans und meinen Pulli, während ich mir vornahm, Antonia im Auge zu behalten.

Fertig angezogen, ging ich wieder zu Fabio nach draußen, der sich anscheinend noch keinen Millimeter gerührt hatte und gedankenverloren in sein Glas starrte, das aber inzwischen leer war.

"Gute Nacht, Fabio", verabschiedete ich mich von ihm und er hob den Blick, um mich anzusehen.

Wieder zeichnete sich sofort ein Lächeln auf seinen Lippen ab.

"Gute Nacht, bella", sagte er und dieses Mal lächelte ich nur.

Vielleicht würde aus uns noch einmal etwas werden.

Aber ich würde es definitiv langsam angehen lassen.

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Antonia die ... falsche Schlange? Hat sie die Blusen wirklich vergessen oder wollte sie nur fies sein? ;)

Tyskerfie & HeyGuys77

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