Kapitel 34
Oft schon hatte ich gedacht, dass ich nicht noch nervöser sein könnte, wenn ich das Bella Casa betrat. Doch ich hatte mich geirrt.
Heute übertraf alles. Wirklich alles.
Ich hatte meine Augenringe mit mindestens einer Tonne Concealer zu überdecken versucht, sah aber immer noch aus wie eine wandelnde Leiche.
Doch selbst das bedeutete nichts im Vergleich zu meinem inneren Zustand. Ich hatte Angst. Ich hatte buchstäblich Angst, meinen Fuß in das Restaurant zu setzen. Ich war eine verdammte Memme.
Ich atmete tief durch, kämmte mit einer fahrigen Bewegung mit meinen Fingern meine Haare und riss mich dann zusammen. Ich betrat das Restaurant und sah erst nichts. Meine Augen mussten sich erst von der grellen Helligkeit der Sonne auf das gedimmte Licht im Lokal umstellen.
Als ich nicht mehr blind wie ein Maulwurf war, sah ich hoch und direkt zu Fabio, der an der Bar stand und sich mit Paolo unterhielt. Das Wiedersehen war schlimmer als befürchtet. Mein Herz sprang mir bis in den Hals und ich schluckte schwer, fühlte mich aber trotzdem so, als müsste ich mich gleich übergeben. Ich hielt unwillkürlich den Atem an und befahl mit aller Macht den Tränen, die sich einen Weg nach außen bahnen wollten, schön dort zu bleiben, wo sie herkamen.
Ich blendete alles andere aus. Ignorierte alle Gäste und auch Grace, die durch die Tische wuselte.
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden, obwohl ich es versuchte, und da bemerkte er mich. Er warf mir einen kurzen Blick zu, sah weg, sah dann aber erstaunt wieder zu mir und musterte mich grübelnd. Ich konnte über die Entfernung nicht ausmachen, wie genau er mich ansah. Aber alleine dass er mich ansah, bescherte mir eine Gänsehaut. Ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte, sah ich vor meinem geistigen Auge, wie wir gestern rumgeknutscht hatten. Die Röte stieg mir ins Gesicht.
Ich riss meinen Blick von ihm los und lächelte Paolo an, der grüßend die Hand hob.
Schnell flüchtete ich in den Angestelltenraum und versteckte mich hinter der Schrankwand.
"Oh Gott, oh Gott, oh Gott. Reiß dich zusammen!", flüsterte ich mir zu und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Ich zog mir mein Top über den Kopf und holte mein Hemd aus dem Spind, zog es an, knöpfte es zu. Alles in Zeitlupe. Ich wollte mich nicht wieder aus diesem Raum begeben. Ich wollte mich hier verkriechen. Mich für immer und ewig vor Fabio verstecken.
Ich band meine Haare zu einem Pferdeschwanz, trug noch ein wenig Lipgloss auf, um die Kunden nicht zu verschrecken und kniff mir dann in die Wangen. Ich wollte gerade den Raum verlassen, als mein Handy klingelte.
Schnell fischte ich es wieder aus meiner Tasche, die unten im Schrank lag und nahm ab.
"Hallo?"
"Ceil, Schatz, hallo", hörte ich meine Mama am anderen Ende der Leitung.
"Hey, Mama. Alles klar, was ist los?", fragte ich und merkte das schlechte Gewissen. Ich hatte meine Eltern die letzten Wochen vernachlässigt. Klar, meine Bachelor-Arbeit ging vor, trotzdem fühlte ich mich schlecht.
"Ja, passt schon", hörte ich sie müde sagen. Nichts passte, das spürte ich sofort.
"Habt ihr das Auto wieder?", fragte ich vorsichtig nach.
"Nein", kam es zögerlich von ihr. "Es ist noch in der Werkstatt, aber es ist noch nicht repariert. Wir haben eine neue Waschmaschine gekauft und jetzt müssen wir erst ein wenig sparen, bevor wir uns die Reparatur leisten können. So lange bleibt das Auto dort."
"Aber was macht ihr ohne Auto?", fragte ich fassungslos.
"Das geht schon, Schatz. Ich radle zum Einkaufen und nehme die öffentlichen Transportmittel in die Arbeit. Das ist ja eh nur drei Mal die Woche."
Ich schloss kurz die Augen. Meine Eltern taten mir so leid. Sie hatten es nicht verdient, so knapp bei Kasse zu sein.
Und eine Tochter, die nicht ein Mal in der letzten Woche angerufen und nachgefragt hatte, wie es ihnen ging, auch nicht.
"Kann ich euch irgendwie helfen? Ich könnte heute ein paar Sachen für euch einkaufen", schlug ich vor.
"Nein, das brauchst du nicht", wiegelte Mama ab. Ich wusste, dass sie mich nicht angerufen hatte, um mir Geld oder anderes zu entlocken, sondern weil sie einfach ihre Sorgen loswerden musste, ohne aber gleich den Teufel an die Wand zu malen.
"Ich kann vielleicht einige Sachen aus meinem Schrank verkaufen. Taschen und Schuhe, die ich eh nicht benutze." Ich wollte meinen Eltern wirklich helfen. "Ausmisten ist sowieso fällig, da könnt ihr auch gleich von profitieren", versuchte ich meine Mama aufzumuntern.
"Nein, Ceil, wirklich nicht. Wir müssen nur das nächste Gehalt abwarten, dann müssten wir genug Geld haben."
"Aber bis Monatsende sind es noch zwei Wochen?"
"Vor dreißig Jahren hatten wir überhaupt kein Auto. Das schaffen wir auch jetzt. Außerdem kann ich Gemüse aus dem Garten verkaufen, wenn es sein muss."
Gemüse aus dem Garten. Mehr als ein paar Euro würden sie davon auch nicht bekommen.
"Ob ihr wollt oder nicht, ich schaue mal, was ich zusammenbringe und dann wird das Auto repariert. Keine Widerrede!"
"Komm uns lieber bald wieder besuchen. Wir wollen lieber dich, als dein Geld sehen."
Ich lächelte. "Ich besuche euch im Laufe der nächsten Tage, okay? Ich muss jetzt aber arbeiten, hab dich lieb, Mama."
"Ich dich auch, mein Schatz."
Wir legten auf und ich verstaute mein Handy wieder im Schrank, als ich hörte, wie die Tür zum Mitarbeiterraum zuging. Verwirrt hob ich den Kopf, als alles still blieb. War gerade nicht jemand rein gekommen?
Ich ging um die Schrankreihe, fand den Raum aber leer vor. Ich schüttelte den Kopf. Ich wurde doch verrückt, so viel, wie ich mir momentan einbildete. Ich band mir meine Schürze um und verließ das Zimmer.
Fabio war nicht mehr zu sehen und das war mir recht so. Das Gespräch mit Mama hatte mich kurzzeitig von meinen eigenen Sorgen abgelenkt und mir vor Augen geführt, dass es schlimmeres als Herzschmerz und Liebesverwirrung gab. Ich schuldete es ihnen, mich darauf zu konzentrieren, wie ich ihnen helfen konnte, statt Fabio und meine Gefühle für ihn die Kontrolle über mein Leben zu überlassen.
Aber apropos Fabio... Ihn jetzt nach einer Gehaltserhöhung oder mehr Schichten zu fragen, war nicht nur unmöglich. Es war absolut und bis in alle Ewigkeit unmöglich!
Sonst dachte er noch, dass ich ihn nur geküsst hatte, um mich bei ihm einzuschleimen, damit ich mehr Geld verdienen konnte.
Mir wurde wieder schlecht.
"Wow, du siehst fertig aus", grinste Paolo mich an, als ich zur Bar ging. "War die Woche so anstrengend?"
'Du hast ja keine Ahnung...'
Ich nickte nur. "Aber jetzt ist es überstanden", lächelte ich. Nicht alles, aber etwas.
Ich sah durch das Lokal und zählte schnell die Kundschaft. Der Betrieb hielt sich noch in Grenzen, aber in spätestens einer halben Stunde würde die Bude hier brechend voll werden. Samstag Abend halt.
"Oh, die Grissinis sind alle", stellte ich fest, als ich im Schrank hinter der Bar nachsah. "Ich hole mal welche aus dem Lager", sagte ich an Paolo gewandt, der gerade ein Bier einschenkte.
Ich ging nach hinten in den Vorratsraum für unser Trockenlager und schnappte mir einen ganzen Arm voll mit dem Gebäck, drehte mich um und blieb abrupt stehen.
Stille.
"Hey", sagte Fabio dann, der in der Tür stehen geblieben war und mich ruhig ansah. Und mir schön den Fluchtweg versperrte.
"Hi", sagte ich atemlos. Ich konnte dem Blickkontakt einfach nicht standhalten und sah nach unten auf die Grissinis in meinen Armen. Wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Dann sah ich wieder hoch und trat einen Schritt auf Fabio zu.
Wieder sahen wir uns nur wortlos an, dann trat er zögerlich zur Seite, ich blieb aber stehen. Wollte er etwas sagen? Wollte ich es hören?
Doch er starrte mich nur an.
"Okay", sagte ich dann und wollte gehen.
"Ähm, Damian hat gestern..." Er stockte kurz. "Er hat gestern einige Entwürfe für die Flyer vorbeigebracht."
Ich nickte. Ich hatte ihn schließlich im Treppenhaus getroffen.
"Du solltest sie dir nachher ansehen."
Wieder nickte ich. "Okay."
"Okay."
"Okay." Ich nickte noch einmal, als wären vier Mal nicht genug, und verließ dann die Kammer.
Argh. Wie awkward war das bitte gewesen!?
Ich widerstand dem Drang, mich noch einmal zu Fabio umzudrehen, sondern verstaute die Grissinis im Schrank an der gewohnten Stelle, als auch schon Paolo zu mir kam und mir meine Tische zuwies.
Ich setzte ein Lächeln auf und lief zum ersten Tisch, an dem ein Pärchen gerade die Karte beiseite gelegt hatte.
"Was darf es sein?", fragte ich, sah aus dem Augenwinkel aber Fabio, wie er mir noch einen kurzen Blick zuwarf und dann in der Küche verschwand und ließ mich davon komplett aus dem Konzept bringen.
"Was für einen Wein könnten Sie uns denn dazu empfehlen?", fragte mich der Mann und sah mich abwartend mit einem unverbindlichen Lächeln an, während sich seine Begleitung auf ihre manikürten Fingernägel konzentrierte.
Ich hatte jetzt bitte nicht ernsthaft nicht mitbekommen, was er eben bestellt hatte, nur weil ich in Gedanken schon wieder bei Fabio war? Das durfte doch nicht wahr sein! Irgendwann trieb ich das Bella Casa noch eigenhändig in den Ruin.
"Verzeihen Sie bitte, für welche Gerichte haben Sie sich entschieden?", fragte ich und schluckte meine Würde herunter.
Der hochmütige Blick des Mannes flog kurz amüsiert zu seiner Begleitung, bevor er wieder auf mir landete, aber zum Glück machte er keine große Szene, sondern wiederholte seine Bestellung. Ich empfahl ihm eine Flasche Wein dazu, die Paolo mir eingetrichtert hatte und gab die Bestellung dann im Computer auf.
Dabei fiel mein Blick auf ein neulich hinzugefügtes Gericht. L'inizio.
Stolz schmunzelte ich. Mein Gericht. Oder naja, es war ja Fabios Gericht. Aber ich hatte mitgeholfen. Und jetzt war es wirklich auf unserer Speisekarte vorzufinden. Unglaublich.
Es war wirklich ein unglaubliches Gefühl.
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Die arme Ceil wieder mal leicht durch den Wind... xD
Tyskerfie & HeyGuys77
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