Kapitel 33

Ich lief, bis ich mir sicher war, dass Fabio mir nicht nachrennen würde. Erst dann blieb ich stehen und starrte völlig ratlos vor mich hin.

Mein Kopf war wie leer gefegt, aber das Gefühl, das meinen ganzen Körper in Besitz genommen hatte, war übermächtig: Ich fühlte mich schlecht, durch und durch schlecht.

Wie automatisch setzten sich meine Füße in Bewegung und trugen mich zu dem einen Ort, der mir seit Jahren eine Anlaufstelle war.

Ich klingelte und war froh, als Robyn keine Minute später mit einem breiten Lächeln die Tür öffnete, das aber schnell verschwand, als sie bemerkte, wie ich aussah.

"Ceil...was ist passiert? Komm rein!" Sie schnappte sich meinen Arm, zog mich nach drinnen, schloss die Tür und dann fiel ich ihr in die Arme und heulte.

Ja, ich heulte tatsächlich.

Ich konnte mich schon an gar keine Zeit mehr erinnern, als ich so richtig herzzerreißend weinen musste. Das letzte Mal musste gewesen sein, als Fabio noch Italien ging.

Und jetzt, drei Jahre später, lag ich wieder in den Armen meiner besten Freundin und heulte wegen dem gleichen Kerl.

Mir war echt nicht mehr zu helfen.

"Jetzt beruhig dich erst mal. Shhh. Alles wird wieder gut", redete Robyn beruhigend auf mich ein. "Komm, wir setzen uns erst mal und dann erzählst du mir alles." Ich schniefte, folgte Robyn ins Wohnzimmer und ließ mich mit ihr auf die Couch fallen. Dann nahm sie meine Hände in ihre und sah mich an.

"Erzähl."

Und das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

"Ich... Ich war bei Fabio", begann ich ein wenig stockend. Und dann erzählte ich, wie er mich vor der Uni abgefangen und mit zu sich nach Hause genommen hatte. Als der Damm erst einmal gebrochen war, sprudelten die Worte und Emotionen geradezu aus mir heraus. Zwischendurch reichte mir Robyn eine Taschentuchpackung, damit ich mir die Tränen abwischen konnte, die fast ununterbrochen meine Wangen hinab liefen.

Gerade eben war einfach alles zu viel. Die Anspannung der letzten Woche, wegen meiner Bachelorarbeit. Die Erleichterung nach der Abgabe. Der ultimative Schlafmangel. Und dann auch noch Fabio.

"Und dann hat er mich geküsst. Und Robyn... Oh Gott, es war wie damals, als wäre er nie weggewesen. Ich weiß, ich hätte das nicht tun sollen, ich bin noch lange nicht soweit. Aber es war so richtig und so...normal, so vertraut. Ich konnte einfach nicht anders", versuchte ich ihr meine Beweggründe zu erklären, mich zu rechtfertigen, obwohl ich nicht den leisesten Vorwurf in ihrem Blick sah. Vielleicht musste ich mich aber auch nur vor mir selbst rechtfertigen.

"Ich versteh' das, Ceil", redete sie beruhigend auf mich ein und zog mich wieder in ihre Arme wo ich schön weiterheulen konnte. Es war, als könnte ich den Tränenfluss nie wieder stoppen.

"Ich bin einfach weggerannt. Aber wenn Damian nicht gekommen wäre..." Ich ließ den Satz unbeendet, weil mir die Tränen die Kehle zuschnürten und ich kein Wort mehr sagen konnte. Aber es war sowieso klar, was ich sagen wollte.

"Ach, Ceil..." Robyn seufzte und drückte mich noch ein wenig enger an sich, bevor sie mich mit beiden Armen von sich schob, sodass ich sie ansehen musste.

Ich merkte, wie sie zögerte. "Aber Ceil, meinst du nicht auch, dass Fabio eventuell noch Gefühle für dich haben könnte, wenn er so reagiert? Besteht dann nicht die Möglichkeit, dass ihr beide..." Erwartungsvoll sah sie mich an, aber gerade im Moment konnte ich noch nicht mal ansatzweise über diese Option nachdenken.

In mir herrschte ein Gefühlschaos, das nicht in Worte zu fassen war. Alles in mir war durcheinander.

Ja, vielleicht empfand Fabio noch irgendetwas für mich. Aber vielleicht war er ebenso auf Autopilot wie ich und wir waren einfach in alte Muster verfallen. Manche Gewohnheiten legte man eben nicht so schnell ab.

Oder er war einfach auf eine schnelle Nummer aus gewesen und hatte sich gedacht, dass ich das leichteste Opfer wäre... Obwohl, so etwas konnte ich Fabio einfach nicht zutrauen.

Ich wusste es schlicht und ergreifend nicht. Ich wusste nur, dass mich die ganze Situation komplett überforderte und dieses ganze Hin und Her ließ mich langsam schier verrückt werden.

"Wenn Fabio mich tatsächlich zurück haben wollte, warum hat er sich dann so lange nicht gemeldet? Warum hat er nicht gesagt, dass er zurück ist? Warum sagt er nicht, dass er mich zurück will?" So viele Warum's und auf keines hatte ich eine zufriedenstellende Antwort.

Auch Robyn schien sich ihrer Sache nicht mehr ganz so sicher zu sein.

"Vielleicht ist er genauso unsicher wie du", meinte sie dann, aber ich konnte den leisen Zweifel hören, den sie selbst an ihren Worten hatte.

Ich entschied mich, dazu nichts mehr zu sagen. Eine sichere Antwort würden wir eh nicht bekommen. Da konnten wir jetzt so viel rumrätseln und spekulieren wie wir wollten.

Nur Fabio selbst könnte die Fragen beantworten.

"Was hältst du von einem Film?", fragte mich Robyn dann und unwillkürlich lächelte ich müde.

"'10 Things I Hate About You'?", fragte ich zurück.

"Natürlich, was denn sonst?" Robyn grinste mich an. Der Film war unsere Rettung für jede Situation. Wir hatten ihn wahrscheinlich schon hundert Mal geschaut, aber es war eben so unser Ding.

"Leg du die DVD ein und mach's dir gemütlich. Ich bin gleich da", wies sie mich an, bevor sie aufstand. Brav lief ich zu dem Regal mit den DVD's und zog die erste heraus. Unser Film stand immer ganz vorne. Ich legte die DVD ein, als ich Robyns Stimme hörte.

"Ja, es tut mir wirklich leid, aber es gibt einen familiären Notfall, weshalb ich das Shooting verschieben muss. Ich werde mich später bei Ihnen wegen einem Ersatztermin melden." Kurz war es still und ich spürte das schlechte Gewissen in mir hochkriechen.

"Vielen Dank für Ihr Verständnis! Bis später!" Ich machte es mir gerade auf der Couch unter einer der Decken gemütlich, als Robyn mit zwei obligatorischen Cola-Flaschen in der Hand zurück kam.

"Warum hast du mir nicht gesagt, dass du ein Shooting hast? Ich platze hier einfach so rein und stell' deine ganze Zeitplanung auf den Kopf." Aber Robyn winkte nur ab.

"Es ist nur ein Shooting. Ich hab's verschoben, fertig. Jetzt bringen wir dich erst mal wieder auf die Beine", sagte sie und drückte mir eine der Flaschen in die Hand.

"Danke. Du bist die Beste." Ich lächelte und war wieder einmal echt froh, dass es Robyn in meinem Leben gab.

"Na dann, lass uns anfangen!" Robyn krabbelte zu mir unter die Decke und startete den Film. Aber schon nach fünf Minuten übermannten mich die körperliche und seelische Überlastung und ich war eingeschlafen.

___

Ich schlief bei Robyn, weil ich einfach nicht die Kraft hatte, alleine zu sein. Und Robyn war das Doppelbett alleine auch zu groß. Adrian kam erst in zwei Tagen wieder nach Hause.

"Was hast du vor?", fragte sie mich am nächsten Morgen beim Frühstück, als ich gedankenverloren in meine Tasse starrte.

"Erstmal nach Hause und mich umziehen", murmelte ich und seufzte.

"Du weißt, dass ich nicht das meinte."

Ich nickte.

Ich hatte heute Abend wieder Schicht im Restaurant.

Und wie zum Kuckuck das gut laufen sollte, wusste ich beim besten Willen nicht.

"Keine Ahnung. Ich weiß, dass wir darüber reden sollten. Ich sollte wissen, wie er zu der Sache steht. Aber eigentlich will ich das auch gar nicht wissen. Wenn er nichts für mich empfindet, werde ich mich gründlich verarscht fühlen und die ganzen alten Wunden platzen wieder auf. Aber sollte er was für mich fühlen... Damit wäre ich auch überfordert, weil ich selber nicht weiß, was ich will", versuchte ich, meine Gedanken laut auszusprechen. Zu viel Unausgesprochenes stand noch zwischen uns.

Robyn schüttelte den Kopf und haute einen ordentlichen Schub Marmelade auf die Käsescheibe auf ihrem Brot und nahm einen Bissen.

"Deine Unschlüssigkeit ist echt zum Verzweifeln", sagte sie dann mit vollem Mund und kaute wie um ihr Leben.

"Meinst du, ich mache das absichtlich?" Ich rieb mir über das Gesicht. Mir war nicht mehr nach Weinen zumute, dafür fühlte ich mich heute so ausgelaugt wie nach einer einwöchigen Grippe.

"Es kann doch nicht so schwer sein, oder? Magst du ihn oder magst du ihn nicht?"

"So einfach ist es aber auch wieder nicht!", rief ich aufgebracht und nahm einen Bissen von meinem Knäckebrot, das irgendwie härter als sonst war und mir gefühlt den ganzen Mund aufriss. Schnell trank ich einen Schluck Kaffee, um die Krümel aufzuweichen. "Normal sagt man doch immer, 'eine aufgewärmte Suppe isst man nicht'. Wieso sollte ich es also mit meinem Ex wieder versuchen?"

"Weil ihr euch die letzten drei Jahre genug, aber nicht zu viel, verändert habt, um noch eine Chance zu bekommen", sagte Robyn ernst.

Ich seufzte. Wollte Fabio überhaupt wieder aufgewärmt werden? Wollte er wieder eine Beziehung? Hatte er dafür jetzt überhaupt den Kopf und die Zeit? Das Restaurant war sein Leben, er hatte kaum für anderes Zeit...

Trotzdem hatte er sich gestern für mich frei genommen.

"Ceil, hör mir zu. Verweigere dich dem hier nicht, nur weil du in deinem Leben momentan von nichts eine Ahnung hast. Stell dir vor, Fabio ist deine Zukunft. Mr. Right. Deine große Liebe. Schön blöd, wenn er dir durch die Lappen geht, nur weil du nie Entscheidungen treffen kannst. Trau dich doch! Ihr habt schon einmal Schluss gemacht, mein Gott, was ist schon so schlimm, sollte es noch einmal passieren?", fragte Robyn, als würden wir hier über etwas belangloses reden.

"Was ist schon so schlimm, sollte es noch einmal passieren?", fragte ich sie fassungslos. "Du weißt, dass wenn ich mich wieder auf Fabio einlasse, dann wird es mit ganzer Seele sein. Du kannst mich dann nachher gerne wieder zusammenflicken, wenn er mich in tausend Teile zersplittert hat!"

Robyn verdrehte die Augen. "So war das nicht gemeint", erklärte sie sich. "Ich wollte damit einfach nur sagen, dass es immer zwei Möglichkeiten gibt, wie so etwas ausgeht. Warum immer gleich mit dem Schlimmsten rechnen? Warum nicht einmal etwas wagen und dann sehen, wie sich die Dinge entwickeln? Adrian und ich hatten auch die eine oder andere Hürde und ich hatte auch Tage, wo ich dachte, dass das nie was mit uns wird. Aber wir haben es trotzdem versucht. Und schau, wo wir jetzt sind."

Ich schwieg. Robyn hatte Recht. Ich machte mir viel zu viele Gedanken. Und das beschränkte mich in meinen Entscheidungen. Und das wiederrum beschränkte mein Leben.

"Bei manchen Entscheidungen weiß man erst im Nachhinein, ob es die richtige war. Du kannst nicht alles vorausanalysieren. Auch obwohl du das gerne bei wichtigen Dingen tust." Sie hielt kurz inne. Dann erhellte sich ihr Gesicht, als hätte sie einen genialen Gedanken bekommen. "Stell dir vor, Fabio wäre ein Cocktail. Da hättest du dich in Null Komma Nichts dafür entschieden, ihn zu trinken. Du hättest nicht ansatzweise an die Konsequenzen gedacht und sogar Nachschub bestellt", argumentierte Robyn weiter, doch ich sah sie nur entgeistert an.

"Dein Ernst? Du vergleichst Fabio mit einem Cocktail? Das ergibt keinen Sinn?"

"Doch. Weil du bei unwichtigen Dingen ohne auch nur mit der Wimper zu zucken spontan einen Entschluss fasst. Bei wichtigen Dingen ist es genau das andere Extrem. Versuch doch einmal den Mittelweg. Bisschen überlegen, bisschen Spontaneität. Bisschen Spannung", schob sie noch hinterher und wackelte mit den Augenbrauen.

"Ich sollte jetzt gehen", grinste ich, stand auf und trug mein Geschirr zum Waschbecken.

"Ja, und es wäre nicht schlecht, deine fetten Augenringe mit einem Concealer zu verdecken, bevor du dich wieder Fabio zeigst", murmelte Robyn hinter mir. Ich hielt in der Bewegung inne und sah emotionslos über meine Schulter hinweg an.

Was wäre ich nur ohne ihre brüske Ehrlichkeit?

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Ein neuer Sonntag - ein neues Kapitel :)
Macht es euch schön gemütlich :)

Tyskerfie & HeyGuys77

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