Kapitel 23

"Ceil?"

Ertappt schloss ich kurz die Augen, bevor ich mich umdrehte. Einfach abhauen konnte ich jetzt wohl kaum noch.

"Was machst du denn schon hier?", fragte mich Francesca zwar mit einem Lächeln, das aber sichtlich verwirrt wirkte, während sie auf einen Knopf bei der Tür drückte, der das Außenrollo ausfahren ließ. Hinter ihr kam Fabio mit dem Menüschild aus der Tür und mein Blick huschte kurz zu ihm, bevor ich mich wieder auf Francesca konzentrierte.

"Achso, ich ähm... Ich wollte nur schnell..." Ja, was wollte ich denn eigentlich?

"Ich hatte Ceil gebeten, mir heute ein bisschen zu helfen", kam Fabio mir da zu Hilfe und stellte das Schild zurecht.

"Ja genau!" Bitte, was!?

"Können wir dann anfangen?", fragte er mich, mit einem kaum sichtbaren Lächeln und ich nickte einfach, weil ich keinen Plan hatte, was hier eigentlich gerade lief.

"Ähm, ja? Klar?" Ich war noch immer komplett verwirrt, aber Francesca schien überhaupt nicht überrascht oder gar misstrauisch zu sein.

"Achso, na dann viel Spaß euch beiden!", meinte sie nur mit einem Lächeln, bevor sie wieder nach innen und wahrscheinlich in ihrem Büro verschwand und Fabio und mich auf der Terrasse alleine stehen ließ.

Ein wenig unbehaglich sah ich ihn an. Sollte ich jetzt einfach gehen? Oder sollte ich ihm wirklich bei etwas helfen? Und bei was denn eigentlich?

"Hast du ein wenig Zeit? Ich wollte heute ein wenig an dem neuen Gericht experimentieren." Abwartend sah er mich an, aber bei mir fiel der Groschen immer noch nicht.

"Welches Gericht?", fragte ich nach und brachte Fabio damit zum Grinsen. Amüsiert schüttelte er den Kopf.

"Noch immer durch den Wind, wie immer." Lächelnd sah er mich an und mich überlief ein Schauer. "Deine Idee? Der Gegensatz von Tag und Nacht? Hell und Dunkel?", erklärte er ein wenig ausführlicher und bei mir verknüpften sich auch endlich die losen Enden meiner Synapsen.

"Achsooo. Also... Aber was... Du kannst das doch alleine viel besser?" Ich versuchte mich irgendwie aus der Situation zu winden. Nach gestern Abend konnten wir doch nicht einfach gemütlich nebeneinander in der Küche stehen und über Zutaten diskutieren? Dass wir jetzt gerade einfach so redeten, war schon komisch.

Auch wenn ich mir eingestehen musste, dass ich gerade eben nichts lieber tun wollte als das.

Meine Bachelorarbeit war schon fast wieder vergessen. Und ich wollte Fabio doch helfen?

"Du hast mich gestern inspiriert, also kannst du das auch heute", sagte er und lächelte einfach so unbeschwert, als würde er das jedem zweiten Mädel sagen, das ihm über den Weg lief. Mein Herz schlug hart und schnell in meiner Brust, während ich ihn einfach anstarrte.

"Ähm, okay... Ich kann dabei ja nichts kaputt machen, oder?", grinste ich verlegen und verschränkte verunsichert die Arme.

"Eben, also komm." Er zwinkerte mir zu und ging dann voraus, hielt mir die Eingangstür auf und gemeinsam schlenderten wir dann in die Küche.

Fabio hatte schon einige Zutaten und geheimnisvolle Boxen hervorgeholt, doch sonst war die Küche genauso leer wie gestern Nacht noch. Die LED-Röhre über mir summte geräuschvoll in der Stille, die sich zwischen Fabio und mir ausgebreitet hatte.

"Also, hast du schon eine Idee?", fragte ich deswegen, legte meine Tasche neben dem Spülbecken ab und steckte die Hände in die hinteren Hosentaschen, weil ich sonst nicht wusste, wo ich sie hin tun sollte.

Fabio wiegte den Kopf hin und her. "Ich denke, ich will mit Asche arbeiten."

"Asche?" Die Molekular-Küche war für mich noch immer ein Buch mit sieben Siegeln.

"Ja, zum Beispiel Lauchasche. Sieht gut aus, verleiht aber auch einen überraschend guten Geschmack. Ich dachte mir, dass ich den Boden schwarz gestalte und daraus entsteht irgendetwas Helles, Farbiges vielleicht. Der Tag entsteht aus der Nacht, die Helligkeit und Farbe aus der Dunkelheit. Leben entsteht aus dem Nichts. Verstehst du?"

Wow. Wie er einfach wieder so viel mehr hineininterpretierte.

"Ich denke schon", nickte ich.

Fabio hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah nachdenklich vor sich hin. Gott, er sah einfach so verdammt süß aus, wenn er so nachdachte.

"Also", murmelte er dann und ging zu einem Block, der neben den Zutaten lag. Er lehnte sich mit den Ellbogen auf der Tischplatte ab und starrte auf das Papier. Ich überlegte kurz, dann stellte ich mich neben ihn und tat es ihm gleich.

Fabio hatte sich in der Zwischenzeit einen Kugelschreiber geschnappt und hatte angefangen eine Skizze des Gerichts zu zeichnen, wie er sich anscheinend momentan vorstellte.

"Der Boden soll relativ geschmacksneutral sein", sprach er weiter. "Aber zusammen mit dem farbigen Essen, soll das eine Geschmackexplosion ergeben."

"Wie wäre es mit einem hellen Fisch als Boden? Pangasius vielleicht?", schlug ich vor, ohne meinen Blick von der Skizze zu lösen. "Den könntest du mit Tintenfischtinte schwarz färben."

Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Was war ich nur für ein Genie?

Auch Fabio drehte den Kopf zu mir und sah mich erstaunt an. Dann grinste er schief und nickte anerkennend. "Gute Idee", murmelte er und zeichnete weiter. Ich biss mir in die Lippe, um nicht stolz über das ganze Gesicht zu strahlen.

Dann grübelten wir weiter. Welche Geschmäcker und welche Farben würden das beste Ergebnis bringen?

"Ceil?", fragte Fabio dann nach einer Weile, ohne mich anzusehen.

"Ja?"

"Wieso bist du heute wirklich gekommen?"

War ja klar, dass die Frage irgendwann kommen würde. Nur hatte ich bis jetzt immer noch keine Ausrede gefunden.

"Naja, weil..." Ich seufzte. Sollte ich ihm einfach die Wahrheit sagen?

"Wolltest du kündigen?", fragte er aber dann und sah zu mir. Überrascht erwiderte ich seinen Blick.

"Was? Wieso..."

"Wegen gestern."

Er richtete sich auf und fuhr sich durch die Haare. Mied es, mir in die Augen zu sehen.

"Nein, Fabio." Traurig schüttelte ich den Kopf und richtete mich auch wieder auf. Dann lachte ich leicht resignierend. Bitter. Zuckte mit den Schultern. "Ich brauche den Job." Kurz war es still.

"Hättest du sonst gekündigt?" Jetzt hatte er seine braunen Augen auf mich gerichtet. Direkt auf mich und sie drangen bis auf die Knochen in mich ein.

Würde ich wirklich noch hier arbeiten, mich dem hier fast täglich aussetzen, wenn ich das Geld nicht benötigen würde?

"Ich weiß es nicht." Und das war die Wahrheit.

Einige Sekunden sahen wir uns an. Dann nickte Fabio, als würde er sich mit meiner Antwort zufrieden geben.

Er widmete sich wieder seiner Zeichnung, starrte darauf, aber wirkte leicht abwesend.

"Lauch-Asche, Pangasius, Tintenfischtinte...", murmelte er vor sich hin und ich versuchte mir die Zutaten genau vorzustellen. Versuchte, den Geschmack auf der Zunge zu haben. Versuchte herauszufinden, was noch gut in die Komposition passen würde. "Es wird langsam heller... Oder doch lieber der krasse Kontrast?" Abschätzend wiegte Fabio den Kopf hin und her, aber schien ganz in Gedanken versunken und mich schon fast wieder vergessen zu haben.

"Nichts ist nur schwarz und weiß", sprach ich aber trotzdem meinen Gedanken aus und bewirkte, dass Fabio den Blick hob und mich wieder direkt ansah. Abwartend, ob ich noch mehr sagen würde. Musternd.

Als nichts mehr kam, nickte er. "Also ein langsamer Übergang."

Ich sah ihm dabei zu, wie er über das Papier gebeugt dastand. Wie ihm eine verwirrte Locke in die leicht gerunzelte Stirn fiel. Ich unterdrückte den Drang, sie ihm sanft aus dem Gesicht zu streichen, wie ich es so viele Male vorher schon getan hatte.

Plötzlich schien ein Damm zu brechen und Fabio ließ den Stift nur so über das Papier fliegen. Ich sah ihm still dabei zu, wie das Gericht entstand, wagte kaum, mich zu bewegen, um seinen Gedankenfluss nicht zu stören.

Ich war völlig versunken darin, Fabio dabei zuzusehen, wie er fast wie besessen zeichnete, dass ich ein klein wenig erschrak, als er sich abrupt aufrichtete und mich mit einem strahlenden Lächeln ansah.

"Was sagst du dazu?", wollte er von mir wissen und hielt mir die beschriftete Skizze hin.

Das schwarz gefärbte Pangasiusfilet auf der tiefgrünen Lauch-Asche wurde von mehreren Gelee-Sorten flankiert, die langsam heller wurden. Es begann mit Rote Beete, ging dann ins hellrote mit Tomate, dann gelber Paprika und dann fast durchsichtiger Zitrone.

Die Geschmackskombination war für mich auf den ersten Blick ungewöhnlich, aber...

"Sollen wir es ausprobieren?", fragte ich, plötzlich Feuer und Flamme. Meine Probleme waren vergessen, Fabios Probleme waren vergessen und ich wollte gerade einfach nur, dass Fabio mir zeigte, wie man so ein Gericht zubereiten konnte.

"Immer mit der Ruhe", lachte Fabio aber. "So schnell kann ich nicht alle Zutaten aus dem Ärmel zaubern." Oh. Natürlich. Daran hatte ich nicht gedacht. Fabio schien mir meine Enttäuschung aber anzusehen.

"Aber ich könnte dir schon einmal zeigen, wie man Lauch-Asche macht", bot er mir dann mit einem Lächeln an und ohne groß darüber nachzudenken, nickte ich.

"Na dann, lass uns loslegen." Fabio langte an mir vorbei und nahm eine Schürze von der Wand, die er mir über den Kopf zog, wobei seine Hände leicht mein Gesicht streiften und mir wahrscheinlich gleich rote Wangen bescherten.

Er wandte sich wieder ab, um zu dem riesigen Kühlschrank zu gehen, während ich die Schürze am Rücken mit einer Schleife festband.

"Wird das so eine dreckige Angelegenheit?", fragte ich mehr, um die Stille zu durchbrechen.

"Nein." Fabio drehte sich mit einem Grinsen zu mir um. "Eigentlich nicht, aber bei dir weiß man ja nie", ärgerte er mich mit einem Zwinkern.

"Hey!", rief ich empört aus, aber musste selbst lachen. Vielleicht kannte er mich doch ein bisschen zu gut.

"Also", murmelte er und sah dann zur Uhr, die an der Wand schräg hinter ihm hing. "Wir haben noch eineinhalb Stunden, bis das Restaurant öffnet. Zeit genug!"

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Wir waren endlich mal wieder fleißig und dachten uns, wir überraschen euch mit einem außerplanmäßigen Kapitel ;)


<3<3<3

Tyskerfie & HeyGuys77

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