Augenscheinliches Dilemma

Serpi22
„Du...!", ruft jemand hinter mir und bevor ich realisieren kann, dass ich gemeint bin, werde ich schon gegen die Wand gestoßen. Für einen Moment fühle ich den Aufprall und mein Hinterkopf schmerzt etwas. Ich halte meinen Hinterkopf und schaue zu den Personen. Es sind die vier von den ich so eine Aktion erwarten würde. Unter ihnen ist auch Rina, deren Augen geschwollen aussehen. Wahrscheinlich hat sie viel geweint... Schnell spüre ich einen Stich, aber ich lasse es mir nicht anmerken.

Mit einer gleichgültigen und doch etwas genervten Stimme frage ich: „Braucht ihr etwas von mir?" Diejenige, die mich zur Wand geschubst hatte, schaut mich zornig an. „Tue nicht so unschuldig! Wir wissen was passiert ist. Wir haben das Gerücht gehört, dass du und Felix zusammen bist. Stimmt das wirklich?!", brüllte sie mich vorwurfsvoll an. Gelassen werfe ich meine blonden Haare zurück, die ich heute zu zwei Zöpfen gebunden habe. War ja klar das sie so eine Szene machen würden...

„Ja es stimmt und was wollt ihr tuen?", frage ich unbekümmert. Bei meiner Antwort schnappen alle vier geschockt nach Luft. Rina neben ihnen fängt das Gesicht mit ihren Händen zu verdecken. Während sie schluchzend von den anderen trösten lässt, knöpft mich die von vorhin vor. „Aber du wusstest, dass Rina in Felix verliebt ist! Du hast ihn ihr weggenommen!" Bedrohlich kommt sie mir näher und ich antworte trotzdem ruhig: „Und ich habe gestern auch gestanden, dass ich auch in Felix verliebt bin. Außerdem gehört Felix nicht ihr, sondern er entscheidet selbst mit wem er zusammen sein will. Falls du es nicht mitbekommen hast, er ist ein eigenständiger Mensch." Ihre Stirn liegt in Falten und sie sieht noch wütender aus, falls das eigentlich möglich ist.

„Ich habe es schon immer gewusst, dass du so eine bist. Du kannst wohl nicht anders als die Aufmerksamkeit zu wollen. Nur weil dich Rina damals unbedingt mit dabei haben wollte, haben wir uns mit dir abgeben. Aber das du sogar diese Freundlichkeit benutzt... Das mit Felix wird nicht lange halten. Sobald er erkennt wie verdorben du bist, wird er sich von dir trennen. Dann hast du das bekommen was du verdienst!" Mit dieser Rede wendet sie sich von mir angeekelt ab. „Okay danke für die Warnung. Es war nicht gerade übel mit euch.", sage ich ihnen mit einem ernsten Blick. Für diese Antwort schnaubt das Mädchen vor mir. „Komm gehen wir! Ich kann nicht mal eine Sekunde in ihrer Gegenwart aushalten." Die anderen antworten mit einem nicken und Rina wird rausgebracht, während die anderen versuchen sie zu trösten.

Als die Klassentür in das Schloss fällt, entweicht all die aufgestaute Luft, die sich in meinen Lungen angesammelt hat. Langsam gehe ich zu meinem Tisch am Fenster und greife zur Stuhl lehne. Ich fühle das kalte und harte Holz durch meinem Griff. Mit einer behutsamen Bewegung ziehe ich den Stuhl zurück und setze mich hin. Wie sonst auch lehne ich mich zurück und schaue zur Decke oben.

Wie konnte alles überhaupt nur passieren? Was ist schief gelaufen? Hätte ich etwas anders machen sollen? All diese Fragen brennen sich in mein Gedächtnis und lassen meinen Kopf wieder schmerzen. In meinem inneren Auge schwimmt eine Erinnerung nach der anderen und bevor ich etwas tuen konnte, erlebe ich die Vergangenheit wieder vor mir.

Schon mein ganzes Leben lang werde ich wegen meinen Aussehen entweder bevorzugt oder ausgegrenzt. Als Kind fällt einen es nicht sofort auf, aber ich bekam viel Aufmerksamkeit von Leuten. Viele Erwachsene sagten meinen Eltern wie schön ihr Kind sei und sie nickten stolz bei den Komplimenten. Aber nach und nach bemerkte ich, dass Leute zu mir nett sind nur, weil ich schön aussehe. Am Anfang war es nur ein Verdacht, aber ich dann bekam ich die Gewissheit.

„Dieses Wochenende werde ich mein Geburtstag feiern! Ich habe mir schon ein tolles Motto überlegt, also stellt sicher das ihr kommt.", sagt eine ehemalige Mitschülerin von mir. Ich stehe selbst gerade vor der Tür der Sportumkleide. Gerade wollte ich meine Hände zur Türklinke führen, aber ich stocke plötzlich als ich höre: „Willst du nicht Cathy einladen?" Schnell weiten sich meine Augen. Meinen sie mich? Es fühlt sich so an als würde mir der Boden von den Füßen weggezogen werden. Erstarrt bleibe ich stehen und höre weiter zu. Man könnte eigentlich sagen, dass ich sie belausche, aber das ist mir in diesem Moment herzlich egal. „Ist das nicht etwas fies? Vor allem würden die Jungs auch zur Party kommen, wenn du sie einlädst.", schlägt jemand anders vor. Ich höre ein Seufzer und die Mitschülerin redet weiter: „Aber mir geht es auf den Zeiger, dass die Jungs sie anstarren. Mal ehrlich das macht sie doch mit Absicht."

Plötzlich fühlt es sich so an als würden meine Tränen kommen. Nein ich mache es definitiv nicht mit Absicht! Auf einmal legt jemand von hinten eine Hand auf die Schulter und ich drehe mich um. Es ist doch Rina. Ich kenne sie zwar bisher nicht so gut, aber sie geht in meiner Klasse. Nach einem ernsten Blick nimmt sie meine Hand und führt mich raus in den Pausenhof. Verwirrt schaue ich zu ihr und sie lächelt plötzlich. „Das war nicht gerade nett von ihnen. Wenn man solche Freunde hat, braucht man wohl keine Feinde mehr." Schnell bricht der Damm in mir und ich fange an zu weinen. Das einzige was mir gerade Halt gibt ist Rina, die mich gerade in die Arme nimmt. „Warum? Was habe ich denn nur getan?", frage ich verheult. Ich erwarte nicht einmal, dass mir jemand darauf eine Antwort geben kann.

Und doch bekomme ich eine. „Du persönlich hast nichts getan und doch haben sie etwas wohl gegen dich. Freunde kommen und gehen. Das ist nur natürlich. Aber du wirst merken welche Freude für immer bleiben." Nach einer Weile beruhige ich mich langsam. Mann wie peinlich! Ich heule vor einer Klassenkameradin. Das ist doch auch sonst nicht meine Art! „Du brauchst dich doch nicht zu schämen nur weil du geweint hast.", spricht mir Rina beruhigend zu. Mit einem besonnen Lächeln strahlt sie mich regelrecht an und ich fühle mich tatsächlich etwas beruhigen. Kann sie etwa Gedanken lesen?! Als sie mein panischen Gesichtsausdruck sieht, lacht sie etwas. „Ich bin halt gut darin zu sehen was andere fühlen und denken. Aber leider kann ich keine Gedanken lesen. Sonst hätte ich nur Einser in den Tests."

Seit dem Tag ist Rina meine beste Freundin geworden. Was ist bloß nur passiert? Deprimiert lehne ich mich weiter mit dem Stuhl zurück. „Du solltest mal aufhören so weit nach hinten zu lehnen. Sonst fällst du von Stuhl und schlägst du dir bloß noch den Hinterkopf.", höre ich eine vertraute Stimme. Diese gehört Felix. Ich setze mich aufrecht hin und stehe auf um zu ihm zu gehen. Schnell setze ich eine belustigte Miene auf und versuche alles was bisher passiert ist zu überspielen. „Ach was es würde eh nichts passieren. Du reagierst über." Ich zwinkere ihm zu und setze ein Lächeln auf. Felix schaut mich prüfend an und fragt schließlich mit einem sanften Lächeln: „Und wie haben die anderen das aufgefasst?" Mein Lächeln verrutscht etwas und sieht wahrscheinlich etwas bitter aus. Schließlich antworte ich ihm sarkastisch: „Nun so wie es dir vorstellen kannst. Sie waren super glücklich."

Das sanfte Lächeln von Felix verschwindet nicht und mit einem selbstbewussten Blick schaut er mich an. „Es wird sich alles schon regeln. Zerbreche dir nicht den Kopf darüber." Ich verziehe mein Gesicht etwas und hebe eine Augenbraue herausfordernd hoch. Provokant frage ich: „Hm...? Worüber sollte ich mir bitte den Kopf zerbrechen? Ich meine es ist ja nicht so als würden mir diese Freunde mir etwas bedeuten." Entgegen meinen Erwartungen kommt Felix mir näher und ich fühle das Kribbeln. Wahrscheinlich bin ich errötet, aber was soll ich bloß dagegen machen? Jedes Mal wenn er in meiner Nähe ist, spielen meine Gefühle verrückt. Nervös und etwas trotzig streiche ich mir eine Strähne, die von der Frisur abweicht weg. „Ich weiß dass dir Rina viel bedeutet. Sprich mit ihr." Leise Schnaube ich und verenge meine Augen etwas. Manchmal frage ich mich echt, warum ich mich bloß in ihn verliebt habe. Bevor ich mir eine Antwort überlegen kann, höre ich plötzlich eine Stimme: „Ich will mit dir reden Cathy." Es kann doch nicht sein... es ist Rina!

Überrascht schaue ich zu ihr und mir fehlen die Worte. Was macht sie hier? „Felix hat mich gebeten mit dir zu reden. Also könntest du bitte gehen Felix?", fragt Rina eindringlich. Er nickt ihr zu und geht aus dem Raum. Bevor er dies tut wirft er mir einen aufmunternden Blick zu. Man seit wann ist er zu meinem Kindermädchen mutiert?! „Sag mir bitte warum es gerade Felix sein musste?", fragt sie mich unerwartet. Perplex starre ich sie an und frage mir selbst die gleiche Frage. Warum wohl...? Als ich an die gemeinsamen Erinnerungen denke, rede ich los ohne groß nachzudenken: „Ich denke es hat damit angefangen, als ich ihn mal außerhalb der Schule sah. Es war kurz nachdem du mir mitgeteilt hast, dass du in Felix verliebt bist. Damals habe ich ihn in einen Supermarkt gesehen. Ich wurde etwas neugierig und bin zu ihm gegangen, weil du ja in ihn verliebt bist. Felix hatte sich damals ziemlich erschreckt, als ich zu ihm gegangen bin, weil er so in sein Handy vertieft war."

Bei der Erinnerung muss ich schon lächeln und unbeirrt fahre ich fort: „Als ich mich vorgestellt habe, stellte ich fest das Felix Probleme damit hatte Google Maps zu benutzen. Du kannst echt nicht glauben wie ungeschickt er sich angestellt hatte. Er hatte sich bei einem Buchstaben vertippt und ihm wurde eine Straße in Ungarn angezeigt. Als ich das bemerkt hatte, musste ich so loslachen." Immer noch kann ich den Blick spüren den er mir damals zugeworfen hatte. Es war eine Mischung aus Verlegenheit, Trotz und Griesgrämig. Bei der Erinnerung muss ich noch mehr lächeln und lache etwas dabei.

„Nun ich habe, wie es ein perfekter Gentleman machen würde, ihm die Straße richtig eingeben und schwupps kam die richtige raus. Nie werde ich vergessen wie beeindruckt und erstaunt er zu mir geschaut hat. Als ich dachte die Sache wäre abgeschlossen, ging ich auf dem Weg nach Hause und bemerkte, dass Felix in die komplett falsche Richtung ging. Natürlich habe ich es ihm gesagt und dann hat er mir mitgeteilt, dass er absolut keine Erfahrung hat mit Google Maps hat. Plus kann er wohl kaum zwischen rechts und links unterscheiden. Ich konnte ihn doch nicht in diesem Zustand einfach da lassen. Deswegen habe ich meine wertvolle Zeit geopfert um ihn zu helfen. Währenddessen haben wir uns näher kennengelernt und ich schätze da hat alles angefangen. Vorher kannte ich ihn nicht wirklich, weil er in der Klasse kaum spricht. Damals dachte ich er wäre lieber für sich, aber jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt." Als daran denke, wie ich damals von ihm gedacht habe, tut es mir schon fast leid. Damals dachte ich er wäre eine langweilige und komische Person. Aber in Wirklichkeit ist er herzensgut, sanft, scharfsinnig und vor allem auch findet er immer die richtigen Worte.

„Ich wusste, dass du in ihn verliebt bist und trotzdem konnte ich nicht anders. Ab und zu haben wir uns beim einkaufen oder auch woanders gesehen und geredet. Erst viel später bemerkte ich, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Nachdem ich es bemerkt hatte, hatte ich darüber nachgedacht ob ich einfach es dir sagen sollte oder ob ich es verschweigen soll. Aber am Ende konnte ich es nicht übers Herz bringen meine beste Freundin zu belügen. Deswegen habe ich es gesagt und kurz danach hatte Felix mir die Liebe gestanden." Kurz muss ich daran zurückdenken. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause. Vorher war ich bei Rina gewesen und dort hatte ich vor allen gestanden, dass ich in Felix verliebt bin. Natürlich waren sie nicht begeistert. Als ich mehr oder weniger rausgeschmissen wurde, ging ich alleine zurück. Da die Büsse und Bahnen unbedingt heute streiken mussten, bin ich gelaufen. Auf dem Weg sah ich Felix und eigentlich hatte ich nicht wirklich die Stimmung um mit ihm zu reden. Deswegen versuchte ich an ihn vorbeizugehen. Aber er bemerkte mich und fragte mich was los war. Am Anfang hatte ich es wirklich versucht auszuweichen, aber dann ist es mir doch rausgerutscht. Irgendwie kam ich dann auf dem Entschluss ihm meine Liebe zu gestehen. Ich weiß noch wie nervös ich war. Mein Gesicht war komplett rot und es fühlte sich so an als würde ich gleich explodieren.

Zuerst verstand ich seine Worte nicht und dann sagte er mir auch, dass er in mich verliebt war. In diesem Moment war ich wirklich in Tränen ausgebrochen und war besorgt, wie Rina es auffassen würde. Irgendwie fühlte ich mich schuldig, weil ich so unglaublich glücklich war und gleichzeitig war ich unendlich erleichtert. Bis jetzt habe ich noch diese Gefühle und ich kann nur noch hoffen, dass sie mir diese Entschuldigung abnimmt. Jetzt habe ich alle Karten offengelegt. Als ich in das Gesicht meiner besten Freundin blicke, sehe ich Reue und Traurigkeit. Sie versucht ein kleines Lächeln hinzukriegen, aber selbst dies sieht so unendlich traurig aus. „Ich wusste es schon selbst lange, dass du in ihn verliebt bist. Ich... ich schätze ich konnte mich der Wahrheit nicht entgegenstellen. Schließlich bemerke ich es doch als deine beste Freundin, wie du immer zu ihn schaust. Vor allem wie er zu dir schaut."

Verwirrt und überrascht schaue ich zu ihr. „Warte du wusste es schon die ganze Zeit?!", frage ich sie erschüttert. Langsam nickt sie und ihre Miene wird komisch. So habe ich sie noch nie gesehen. Ich weiß nicht wirklich wie ich sie beschreiben soll. Es ist so eine Mischung aus Belustigt und schon fast überlegen. „Ja das stimmt und ich hatte nie vor dir diese Bürde zu nehmen. Schließlich hätte es mir nichts gebracht." Mein Gesicht ist sicher inzwischen ein einziges Fragezeichen und bevor ich überhaupt was sagen kann, geht sie zur Tür. „Nur damit du es weißt, ich selbst hatte mich nie in Felix verliebt. Eigentlich ist er mir ziemlich egal." Sie dreht sich um und schaut zur Decke. „Naja ich schätze ich brauche wohl jemanden anderen. Aber..." Mit einer schnellen Bewegung dreht sie sich schwungvoll um und lächelt mich schon fast engelhaft an. „Das bleibt doch unter uns nicht." Ihr unschuldiges und fröhliches Gesicht lässt mich schon fast vergessen, was gerade passiert ist. Also habe ich mir etwa umsonst Sorgen gemacht oder sollte ich mir jetzt mehr Sorgen machen?!

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