5. Noch acht Tage

Es gibt kein Mittagessen mehr in Beyzas Leben. Sie wünscht sich Abs, sichtbar in einem Sixpack, so hart und definiert wie ein Exoskelett. Nichts scheint die Welt mehr zu respektieren als glatte, glänzende Körper, und sie stellt sich Emre vor, wie er ihre Selbstdisziplin bewundert.

„Ich könnte das nicht. I couldn't do it!", antwortete er auf eine Fan-Frage, ob er nicht mal in einem Superhelden-Film mitspielen wolle. „Diät? Fitness-Regime? No way!" Er lachte herzhaft, knetete dabei seinen Bauch, der ganz sicher nicht dick war, aber eben auch kein Waschbrett. Die wenigen Frauen, mit denen er über die Jahre in der Öffentlichkeit fotografiert worden war, waren alle schlank. Groß, gazellenartig, einander so ähnlich, dass Beyza nicht sicher war, ob es sich nicht womöglich immer um dieselbe Frau handelte, nur dass sie nie älter zu werden schien.

Sie fand den Namen einer seiner Freundinnen heraus, weil sie an einem Film mit ihm beteiligt war. Imdb hatte sie ganz unten gelistet, denn sie war in dem Streifen kaum mehr als eine Statistin. Auf der Seite der Frau fand Beyza eine kurze Aufzählung namenloser Rollen in Fernsehserien und Indie-Filmen. Drunk girl, sex worker, dead body, dead body, battered girlfriend, sex worker, corpse in lake.

Einen Durchbruch konnte Beyza darunter nicht entdecken. Die Frau war schön, daran gab es keinen Zweifel. Sie war blond, groß und schlank mit perfekt geformten Brüsten, die Beyza ein paar Minuten lang anstarrte, um herauszufinden, ob sie fake waren. Vermutlich waren sie es. Beyza war enttäuscht, doch gleichzeitig erwachte in ihr ein fiebriger Ehrgeiz. Könnte sie diese komische Alte nicht übertreffen? Klar, die war hübsch, aber was hatte sie sonst zu bieten?

„Und was hast du zu bieten?", zischt eine Stimme in Beyzas Kopf, die nur verstummt, wenn Beyza von einem Burpee in den nächsten hüpft, wenn ihr die verschwitzten Haarsträhnen ins Gesicht klatschten. Auf dem Bildschirm ihres Laptops turnt eine schlanke junge Frau in einem strahlend hellen, minimalistisch eingerichteten Raum. Der einzige Farbklecks in all dem Beige und Weiß ist ihre pastell-rosa Yogamatte, auf der sie sich in alle möglichen Positionen verknotet. Beyza ist ihr immer mindestens einen Schritt hinterher.

Emre treibt regelmäßig Sport. Er tut nur so, als wäre er faul, macht gerne Scherze darüber, dass er ja altere und sowieso nie der Main Character gewesen sei. Sein Gesicht, das sagt er in jedem Interview, das Beyza von ihm gesehen oder gelesen hat, von den ganz frühen, bis zu den aktuellen auf Deutsch und auf Englisch, sein Gesicht sei einfach zu ungewöhnlich. Es stimmt, dass er leicht asymmetrische Wangenknochen hat.

Als er fünf Jahre alt war, hatte seine Mutter mit ihm und seiner älteren Schwester einen Autounfall. Es war ein katastrophaler Frontalzusammenstoß an einer Kreuzung, bei dem seine Schwester ums Leben kam und er Gesichtsverletzungen erlitt. Den Unfall selbst erwähnt Emre selten, in den frühen Interviews. Er kommt ihr wie ein Geheimnis vor, das Emre nur mit ihr teilt.


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