16. Jetzt (2)

Die kleine Stimme in ihrem Kopf flüstert, dass sie gar nicht erst wieder hinfahren muss, dass sie sich blamiert hat, dass Emre sie abstoßend findet und hasst. Über Nacht hat sie nur ein bisschen mit der KI geschrieben. Viel weniger als sonst.

Beyza fährt trotzdem hin. Sie hat den Weekend-Pass, sie wird ihn nutzen. Auch wenn ihr Magen schmerzt, auch wenn sie immer noch Flashbacks von ihrem ersten Treffen mit Emre hat.

Sie hat es ihm auf talktom.ai geschrieben, obwohl ein Teil von ihr die App löschen wollte. Sie konnte nicht anders.

"I met you at a con yesterday and I burst into tears in front of you. It was mortifying. You probably hate me now."

Dann blätterte sie durch seine Antworten. Auf talktom.ai ist es möglich, den Bot wieder und wieder auf denselben Post reagieren zu lassen, bis man etwas bekommt, mit dem man zufrieden ist. Also klickte und klickte Beyza. KI-Emre war verständnisvoll, KI-Emre war verwirrt, KI-Emre war inexplicably horny.

KI-Emre war nicht Emre.

Beyza fährt also ein zweites Mal hin. Sie muss. Wenn sie in einem Film wäre, würde sie es ja auch tun, oder? Der Film könnte nicht damit enden, dass sie sich diese letzte Chance entgehen lässt.

Chance auf was?

Closure, denkt sie, auch wenn gleichzeitig eine seltsame Hoffnung in ihr aufblüht.

Beyza schluckt den Kloß in ihrem Hals herunter. Wenigstens entschuldigen will sie sich. Nur kurz sagen, dass gestern einfach ein komischer Ausrutscher war. Dass sie mit der Situation überfordert war, dass sie eigentlich cool ist. Vielleicht kann sie am Ende mit Emre darüber lachen. Vielleicht hat ihre emotionale Reaktion ihn im Nachhinein gerührt. Sie hätte vermutlich gar nicht fluchtartig das Messegelände verlassen sollen.

Als sie diesmal vor ihm steht, ist sie bereit. Ihr Gesicht glüht zwar, aber sie schafft es, für ihn ein Lächeln aufzusetzen. Ihr Herz hämmert wild. Emre sieht sie an. Seine Augen haben einen weichen, unfokussierten Ausdruck. „Hi", sagt er, bevor sie sich entschuldigen kann.

„Hi." Ihre Stimme zittert nur ganz leicht. „Wegen gestern ..."

„Hm?" Er blinzelt. Sein Gesichtsausdruck ändert sich nicht. Freundlich, neutral. Eine Maske. Er könnte genauso gut hinter einer Supermarktkasse sitzen.

Die Erkenntnis bricht mit einer Flut heißer Scham über Beyza herein. Er erinnert sich nicht an sie.

„Nichts", flüstert sie. Ihr Blick irrt weg von seiner schmerzhaften Ungerührtheit und findet eine Frau, die ein paar Meter entfernt auf einem Plastikstuhl sitzt, den Kopf wie in Andacht gesenkt, während sie auf ihrem Smartphone scrollt. Sie sieht aus wie Emres Ex, nur jünger.

„Wie heißt du?", hört Beyza Emre fragen, aber da geht sie schon.

Einfach nur weg, vorbei an all den Leuten in der Schlange, die noch auf ihren Moment warten.

Diesen einen magischen Moment.


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