19. Türchen
von paulax2610
It'll be fine
Ich schrie. Ich wurde geschlagen. Ich weinte.
Gerade sitze ich hier unter der Dusche und das Wasser prallt mir auf den Rücken. Ich fühle mich schmutzig und dieses Gefühl geht einfach nicht weg. Jedes Mal das gleiche Prozedere, immer der gleiche Grund: „Du bist für ihren Tod verantwortlich!"
Wieder einmal gehe ich mit komplett langen Anziehsachen und ungekämmten Haaren in die Schule. Trotz, dass es fast 30 Grad sind, könnte ich mich niemals mit meinen blauen Flecken blicken lassen. Mein Vater war gestern Abend wieder einmal sehr betrunken und hat seine Aggressionen an mir ausgelassen. Das geht jetzt schon so, seit meine Mum gestorben ist und ich mich kurz vorher noch geoutet hatte.
Ich gehe eigentlich gern in die Schule, naja eigentlich auch nur, weil ich so gut wie unsichtbar bin.
Es ist Montag. Erste Stunde. Biologie.
Ich bin noch im Halbschlaf, als meine Lehrerin etwas lautstark verkünden muss. „Ich möchte, dass ihr in Zweiergruppen ein Referat ausarbeitet und spätestens in drei Wochen haltet. Natürlich werden wir aber den geplanten Unterricht weiterführen. Ich werde die Teams zusammenstellen und euch euer Thema geben." Schon nach diesen zwei Sätzen stöhnen alle in der Klasse und die Woche startet für mich mal wieder scheiße. Jedoch redet sie einfach weiter... „Noch dazu möchte ich euch euren neuen Schüler vorstellen. Das ist... ähm." Als ein Junge aufsteht und sich mit dem Namen Harry vorstellt, sind alle Mädchen und ich wie besessen von ihm. Nur weiß keiner, dass ich ihn auch sehr schnuckelig finde, da die einzigen Menschen die wissen, dass ich schwul bin, meine verstorbene Mum und mein andauernd betrunkener Vater sind.
Ich meine, er hat so wunderschön, grüne Augen, so dass ich mich fast fühle, als wäre ich in einem von der Sonne erstrahlten Wald. Die Art wie er sich kleidet und diese kleinen Löckchen in seinen kastanienbraunen Haaren sind atemberaubend. Ich bin komplett abgelenkt bis ich meinen Namen höre.
Meine Lehrerin hatte alle Partnergruppen vorgelesen und dann, wer hätte es wohl gedacht, bin ich noch übrig. „Louis, du machst mit Harry.", sagt sie. „Was? Kann ich nicht einfach, wie sonst auch, allein machen?" „Nein Louis, das ist eine Partnerarbeit und du musst aus dir herauskommen. Noch dazu kann ich dich nicht immer extra beurteilen." Daraufhin gibt es in der ganzen Klasse Gelächter. Na danke, überhaupt nicht peinlich.
Als ich meinen Kopf auf die Tischoberfläche fallen lasse und in die Richtung von Harry sehe, bemerke ich, dass er leise dasitzt und mich durch eine Gardine an Haaren anschaut, während die anderen sich nicht einkriegen können. Ich glaube, er hat genauso wenig Bock darauf wie ich, aber wir müssen wohl beide damit klarkommen. Den Rest der Stunde bewege ich mich nicht mehr und achte auch nicht auf den Unterricht.
Als es endlich klingelt und alle aus dem Raum stürmen, bin ich mal nicht der letzte wie sonst immer. Harry sitzt noch auf seinem Platz. Als ich gehen will, ruft er meinen Namen. Toll... spätestens jetzt kennt er mich auch... „Hey, willst du heute zu mir kommen, dann können wir schon etwas über Leukämie herausfinden." Ok wow, ich hatte überhaupt nicht darauf geachtet gehabt, was im Endeffekt unser Thema war. Während Harry redet und mit seinem Haar spielt, merke ich nur, dass er sogar seine Nägel lackiert hat. Oh man, er will sich wirklich mit mir treffen und oh man, er lackiert sich wirklich die Fingernägel. Ich wünschte ich könnte mich das auch trauen. Aber ich glaub einfach, dass das nichts für mich ist. „Hallo Louis, geht es dir gut? Willst du nicht mit zu mir kommen?" „Was? Nein, tut mir leid. Naja, also ich weiß schon einiges darüber, und hab eigentlich auch keine Lust es heute schon anzufangen, aber dann muss ich nicht nach Hause und dazu sage ich gern ja." Daraufhin lächelt Harry mich an und ich drehe mich auf meiner Achse um und gehe den kürzesten Weg um noch pünktlich zum Klingeln auf meinem Stuhl zu landen. Juhu, Englisch... Naja, eigentlich mag ich auch dieses Fach, aber mit mir wird immer gemeckert, weil ich einen extrem ausgebildeten Doncaster-Dialekt habe und man mich angeblich nicht verstehen könne. Ich sehe das nicht so, denn nur mein Englischlehrer meckert. Bisher hat sich kein anderer darüber aufgeregt, nichts verstehen zu können.
Nach insgesamt acht endlosen Stunden stehe ich an meinem Spind und packe alles in meinen Rucksack, was ich für meine Hausaufgaben und die Ausarbeitung mit Harry benötige. Dabei bin ich komplett in Gedanken versunken und denke die ganze Zeit an diese Prinzenhaare. „Hey, Louis!" Ich erschrecke mich total und schreie fast das ganze Schulhaus zusammen. Dabei fallen mir mein Biohefter und meine Kopfhörer auf den Boden. Und natürlich muss es noch peinlicher werden, als eine kleine Zeichnung von Harry herausfällt, welche ich heute in Bio gezeichnet hatte. Während wir uns gleichzeitig danach bücken, knallen wir erst einmal schön mit unseren Köpfen zusammen. „Sorry ich wollte dich nicht erschrecken...und dir auch nicht wehtun", kommt es von Harry der sich, genauso wie ich, den Kopf reibt. „...ich wollte nur fragen, ob du jetzt schon zu mir kommen möchtest oder ob wir uns erst heut Abend treffen wollen." Ich bekomme erstmal kein Wort heraus und mein Gehirn arbeitet sehr langsam. „Ich würde jetzt schon gern mitkommen. Jedoch weiß ich nicht, wie ich dann abends heimkommen soll." „Egal, können wir nachher noch besprechen." Noch immer dreht sich mein Gehirn und checkt nicht so ganz, was jetzt passieren wird.
Ich schließe meinen Spind, verstaue meine Zeichnung so, dass er sie nicht mehr sehen kann und muss Harry doch tatsächlich den Weg nach draußen zeigen. Der Neuling wäre sonst statt zum Bus zur Sporthalle gelaufen. Und darauf hätte ich jetzt auch keine Lust gehabt, denn Sport ist Mord. Nachdem wir endlich aus der Schule gefunden haben, gehen wir unseren Weg zur Bushaltestelle. Den ganzen Weg bis dort, kam kein Mucks aus unseren Mündern. Als ich mich in eine Ecke neben der Bushaltestelle positionieren möchte, läuft Harry jedoch weiter und an der Menschenmenge vorbei. Plötzlich hält er an einem schwarzen, so wie es aussieht, teurem Auto an, welches ich mir niemals leisten könnte.
Ein Chauffeur öffnet uns die Tür und fährt uns zu Harry nachhause. Glaube ich zumindest. Die Fahrt ist extrem ruhig und man könnte denken, dass neben mir ein Massenmörder sitzt. Da ich nicht komisch wirken möchte, schaue ich durchgängig entweder aus dem Fenster und beobachte wie ich zurückkommen könnte oder auf meine Vans. Nach einer gefühlten Ewigkeit fahren wir in eine Einfahrt. Als wir eine Allee an Bäumen überwunden haben, sehe ich ein Haus der Größe eines Palastes. Ich bekomme meinen Unterkiefer nicht mehr zu. Und die einzige Frage die sich jetzt noch mein Gehirn stellt ist, warum er überhaupt mitten im Schuljahr auf unsere primitive Schule gewechselt hat.
„Mr. Styles wen haben sie denn mitgebracht?", fragt ein Mann, sobald wir beide ausgestiegen sind. Harry ignoriert ihn völlig, nimmt nur meine Hand und zieht mich hinter sich her. Oh mein Gott!
Das Haus ist von innen noch größer als es von außen aussieht und er zieht mich in ein Zimmer. Sein Zimmer. Wir sitzen noch nicht einmal, da klopft es an der Tür und eine hübsche Dame, welche wahrscheinlich Harrys Mutter ist, schaut hinein. Ein kleines bisschen sieht sie aus wie meine Mum früher. „Hallo Schätzchen, hast du schon Freunde gefunden?" Sie sieht mich etwas verdutzt an und fragt weiter: „Na wen hast du denn mitgebracht?" Sie kommt kurz ins Zimmer und gibt mir eine Umarmung. Noch während Harry irgendwelche Unterlagen in einer Schublade sucht, kommentiert er monoton: „Das ist Louis, wir müssen ein Referat zusammenhalten." Sie nickt, begrüßt mich kurz liebevoll, lächelt noch kurz und verlässt dann wieder den Raum. Erst da fällt mir auf, dass hier keine Umzugskisten stehen. „Weswegen genau bist du eigentlich mitten im Schuljahr zu uns gewechselt?", kommt es aus mir geschossen, ohne darüber nachgedacht zu haben. „Bin vom Internat geflogen, aber denk jetzt nicht, dass ich schlimme Sachen gemacht habe. Ich war für deren Ansprüche nur zu dumm. Also ich bin nicht dumm, aber die Ansprüche waren einfach zu hoch und ich hatte einfach keine Zeit mehr für mich. Ich glaube einfach, das ist der Nachteil an Internaten." Dann folgte eine längere Pause, in der sich wieder keiner traute, irgendwas zu sagen. „Ich wollte mich selbst finden, also wer ich eigentlich bin und habe angefangen meine Haare auswachsen zu lassen und meine Nägel zu lackieren. Nur leider war das gegen irgendwelche Vorschriften, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierten." Dann klopft er auf den Stuhl neben sich an seinem Schreibtisch und ich setzte mich.
Zunächst recherchieren und schreiben wir kurze Stichpunkte und deren Links auf. Dabei sind wir so in die Arbeit vertieft, dass wir nicht merken wie spät es eigentlich schon geworden ist, bis Harrys Mum ein zweites Mal diesen Abend hereinkommt und uns fragt, ob wir Hunger hätten. „Scheiße, ich muss nach Hause!" Merke ich dann, als ich auf die Uhrzeit schaue. „Also, wenn du kein Problem hast, dann kannst du auch hier übernachten, wenn du willst." Sprachlos versuche ich zu erklären, dass ich leider nicht hierbleiben kann und nach Hause muss. Daraufhin sieht Harry etwas betrübt aus. „Naja, also wenn du musst, dann kann dich mein Fahrer nachhause bringen." „Wirklich? Also meinst du das wirklich ernst?" „Ja, natürlich meine ich das ernst, warum sollte ich darüber Witze machen?" Ich schüttle nur meine Schulter, packe meine Sachen zusammen und muss mir von Harry zeigen lassen, wohin ich laufen muss.
Sobald ich zuhause angekommen bin, und der Fahrer weggefahren ist, öffne ich so leise wie möglich die Tür. Jedoch vergeblich. „Da bist du ja endlich! Wo bitte warst du? Die Küche ist dreckig, die machst du jetzt noch sauber! Und mache mir gleich noch etwas zum Essen, ich verhungere ja fast, weil du dich vom Acker gemacht hast." Ich gehe nur an ihm vorbei in die Küche und mache, was er verlangt. Dabei sind meine Gedanken jedoch noch immer bei Harry.
Nach einer Woche, die ich zum Recherchieren und Ausarbeiten nur zu ihm gegangen bin, will ich mich revanchieren. Ich habe ihn in der Schule angesprochen und ihn gefragt, ob er zu mir kommen möchte. Noch im Unterricht gebe ihm meine Adresse und räume, sobald ich zu Hause bin, erstmal auf und verstecke die ganzen Flaschen meines Vaters.
Da er nicht direkt kommen konnte, weil er eine Stunde mehr hat, habe ich noch 15 Minuten bis Harry und ich verabredet sind. Und ich will echt keinen schlechten Eindruck machen, weil ich ihn wirklich gern hab.
Ich will gerade das Bad putzen, als mein Erzeuger plötzlich hinter mir steht. Warum bitte ist er hier? Ich dachte er müsse arbeiten...Er kommt auf mich zu, zieht mich hinter sich her und schlägt ohne Vorwarnung plötzlich auf mich ein. Wehren kann ich mich nicht. Er gibt mir eine Backpfeife. Das hat er noch nie gemacht. Meine Nase fängt an mit Bluten. Es klingelt. Scheiße! Ich kann mich nicht von meinem Vater befreien. Ich schreie um Hilfe. Er schlägt immer wieder auf mich ein. Es klingelt wieder. Immer noch bin ich gefangen. Dann klingelt es Sturm. Egal was Harry macht, mein Vater macht weiter. Ich schreie um Hilfe.
Urplötzlich wird die Tür aufgetreten und mein Vater wird von einem, mir unbekannten, Mann entfernt. Ich habe das Gefühl, das alles was je passiert vergessen ist und ich mich nur noch an diese einzige Szene in meinem Leben erinnern kann. Ich weine.
Auf einmal spüre ich, wie mich jemand in den Arm nimmt. In diesem Moment fühle ich mich geborgen und dieser Geruch kommt mir bekannt vor. Es ist wirklich Harry der mich
im Arm hält und versucht auf mich einzureden. Ich bin wie in Trance. Nach einiger Zeit kann ich mich wieder bewegen. Ich stehe auf und gehe an der, am Boden liegenden, Tür vorbei. Harry weicht mir keine Sekunde von der Seite.
Ich höre Sirenen und dann wird es um mich schwarz. Zwischendurch habe ich kurzzeitig meine Augen auf und sehe verschwommene Menschen um mich herumrennen.
Das Nächste, an was ich mich erinnere, war ein mir nicht bekanntes Zimmer und Harry der
vor mir auf dem Bett sitzt. „Louis, du bist endlich wach. Es tut mir so leid, dass du das alles erleben musstest." Ich antworte zunächst einmal nichts, da ich mit dieser Situation erst klarkommen muss. „Meine...meine Mum ist vor ein paar Jahren gestorben. An Leukämie. Man hatte es erst im letzten Stadium herausgefunden und ich hatte mich am Totenbett noch geoutet." Harry verlangt nicht, dass ich weiterrede, zeigt mir aber, dass er mir beisteht. „Mein Vater ist dann, nach ihrem Tod, ein komplettes Arschloch geworden und hat seine Gewalt an mir ausgelassen." Harry ist still. Keiner sagt etwas, aber er steht mir bei. „Soll ich dir was verraten?" Bricht er die Stille. Ich nicke leicht mit meinem Kopf. „Seit ich dich in Bio gesehen habe, wusste ich, dass ich dich sehr gern haben werde und hatte Gefühle für dich. Ich weiß, du musst dir jetzt blöd vorkommen, dass dir jemand den du nur sehr wenig kennst seine Liebe gesteht, aber...", dann küsse ich ihn. Ganz, ohne darüber nachgedacht zu haben. Aber ganz gegen meine Vorstellungen erwidert Harry meinen Kuss. Und hat sich gut angefühlt und ich glaube er ist es wirklich wert.
Nach einigen Minuten finde ich meine Sprache wieder und gestehe ihm, dass er nicht der Einzige ist, der so fühlt.
„Dann gehe ich mal davon aus, dass du...jetzt nichts dagegen hast, ... wenn ich dir anbiete, hier mit mir wohnen zu können?" Ich grinse und nicke energisch, damit Harry weiß, dass ich diese Geste gern annehmen würde.
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