13. Türchen
von RockTheWorld754
Happy Christmas, My Love
Als ich an diesem Montagnachmittag ins Lehrerzimmer komme, riecht es nach Zimt und Tannennadeln. Scheinbar hat der Hausmeister heute unseren Weihnachtsbaum aufgestellt und den Weihnachtstee aufgefüllt, den ich so liebe.
„Louis", ruft jemand meinen Namen. Mein Kollege Niall sitzt grinsend auf einem der schwarzen Sofas und schaut deutet auf den geschmückten Baum. „Hat Mr Wilson das nicht toll hinbekommen?", fragt er enthusiastisch und reicht mir eine Tasse Tee. Sofort strömt mir ein Duft von Zimt und Vanille in die Nase und ich seufze. Als ich mich neben ihn fallen lasse, nehme ich den ersten Schluck und schließe für einen Moment die Augen. Der Tag war anstrengend. Eine Doppelstunde englische Literatur mit den Zehntklässlern, Musik mit den neuen Fünfern und dann bis eben Musical-AG. Zwar liebe ich meinen Job, vor allem den Part, der mit Musik zu tun hat, aber manchmal sind die Kinder wirklich anstrengend. Die Musical-Nachmittage zerren immer am meisten an meinen Nerven. Und das obwohl ich sie am meisten liebe.
„Hast du das gesehen?", fragt Niall und deutet auf einen Flyer, der auf dem Kaffeetisch liegt. Ich beuge mich nach vorne und muss sofort lachen. Es sieht aus als hätten es die Schüler selbst gebastelt, und das nicht mal schlecht. Mein Gesicht ziert, neben dem meines Kollegen Harry, das Blatt. Viele kleine Herzen sind zwischen unsere Köpfe gemalt und die Schüler scheinen „Beweise" gesammelt zu haben, dass Harry und ich zusammen sind.
„Die haben zu viel Zeit", meint ebenjener belustigt und setzt sich neben mich. Ich nicke zustimmend und lege meine Hand auf seinen Oberschenkel.
„Ja, aber unrecht haben sie ja nicht." Liebevoll lächle ich ihn an und gebe ihm dann einen kurzen Kuss auf den Mund. Dann will ich mich auch schon wieder zurückziehen, immerhin sind wir an der Arbeit, aber Harry hält meine Wange an Ort und Stelle und sieht mir tief in die Augen.
„Dir geht es nicht gut", stellt er fest. Ich sage nichts, lasse aber zu, dass er mich noch etwas länger mustert. Schließlich legt er mir eine Hand auf die Brust und meint: „Du hast Kopfschmerzen, habe ich recht? Und es bahnt sich Husten an."
Ich nicke nur. Manchmal überrascht es mich noch immer, wie gut Harry mich kennt. Für viele andere ist es schwer mich zu lesen. Viele denken sogar, dass ich unnahbar bin. Mit meiner sarkastischen Art und den oftmals fiesen, aber lieb gemeinten, Kommentaren kann man es ihnen aber auch nicht verdenken. Aber für Harry war es noch nie eine Schwierigkeit genau zu erkennen, was in mir vor sich geht.
Gut, wie kennen uns aber auch wirklich schon verdammt lange. Eigentlich schon immer. Eine meiner frühsten Erinnerungen ist, wie ich hinter Harry durchs Haus seiner Mutter renne. Aber selbst davor haben wir uns schon gekannt. Dank unserer Mütter, die eigentlich jeden Tag zusammen Tee getrunken haben. Also haben Harry und ich unsere Kindheit und Jugend gemeinsam verbracht. Und irgendwann waren wir mehr als Freunde geworden, was weder seine noch meine Mutter sehr überrascht hat.
„Wollen wir nach Hause?", reißt Harry mich aus meinen Gedanken. Ich deute auf den Stapel Klausuren vor mir, bei denen ich eigentlich noch mit der Korrektur anfangen wollte. Zuhause komme ich meistens nicht dazu, weil es Harry des Öfteren schafft, mich erfolgreich von der Arbeit abzulenken.
Harry schüttelt den Kopf und zieht mich auf die Beine. „Heute nicht mehr, Darling", sagt er bestimmend. „Dir geht es nicht gut." Dann sammelt er die Klausuren ein und zieht mich aus dem Lehrerzimmer. Niall winke ich im Gehen noch zu, dann lasse ich Harrys Hand los, als wir über den Flur in Richtung der Parkplätze gehen.
Immerhin wissen die Schüler nicht, dass wir zusammen sind. Und das soll auch so bleiben, das war eine der Bedingungen, die Direktor Young an uns hatte, als wir uns beide an der Schule beworben haben. Wir wollten schon immer am selben Ort arbeiten, einfach weil es angenehmer ist und da war uns das wirklich nur Recht. Immerhin geht es die Teenager ja auch gar nichts an was wir in unserer Freizeit machen.
Im Auto macht Harry das Radio an und startet den Motor. Natürlich läuft ein Weihnachtslied, wie könnte es auch anders sein. Seit Mitte November kann ich mir beinahe täglich „Last Christmas" oder „Underneath the Tree" anhören. Und auch wenn ich Weihnachten liebe, darauf habe ich keine Lust.
„Zieh nicht so eine Schnute", meint Harry nur grinsend und legt eine Hand auf meinen Oberschenkel. Ich muss sofort lächeln und schiebe meine Finger zwischen seine. Während er konzentriert auf die Straße schaut mustere ich ihn und bin erneut von seiner Schönheit eingenommen. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich ihn das erste Mal sehen. Was bescheuert ist, immerhin kenne ich ihn, wie gesagt, mein ganzes Leben. Aber jeden Tag tut er etwas, weswegen ich ihn noch mehr liebe als am Tag davor. Es ist beinahe magisch. Wenn auch manchmal gruselig. Wir kennen uns so lange, dass wir oft nicht einmal reden müssen um uns zu verstehen.
„Ich liebe dich so sehr", sage ich dann, meine Stimme leicht kratzig. Harry sieht mich kurz an und verzieht die Lippen zu einem stillen Lächeln.
„Woher kam das denn?", fragt er nach. Normalerweise ist Harry eher derjenige, der mir Liebeserklärungen macht und süße Dinge flüstert. Natürlich erwidere ich diese, aber von mir aus romantische Dinge sage ich eigentlich selten.
„Weiß nicht", gebe ich zu. „Ich wollte es dir einfach sagen. Weil es stimmt. Und weil ich so ein verdammtes Glück habe, dass es dich gibt, Harry. Ohne dich, wöllte ich einfach nicht. Ich hoffe, dass du das weißt. Und, dass du weißt, dass ich dich immer lieben werde."
Von meinen eigenen Worten überrumpelt drehe ich meinen Kopf leicht zur Seite. Meine Wangen werden rot und ich schüttle über mich selbst den Kopf. Nach 14 Jahren Beziehung und sieben Jahren Ehe sollte ich wirklich nicht mehr rot werden, wenn ich meinem Mann sage, dass ich ihn liebe.
„Das weiß ich, Darling. Und ich liebe dich auch. Unendlich", gibt er zurück und drückt meine Hand. Einen Moment ist es still, dann sagt er: „Ich mag es, wenn du mir sowas sagst. Ist das die Weihnachtsstimmung in dir?"
Ich zucke mit den Schultern. Weihnachtsstimmung vielleicht, aber vermutlich eher nicht. Als ich nicht antworte, scheint auch Harry aufzufallen, was los ist.
„Tut mir leid, Darling", sagt er. „Ich hab nicht nachgedacht."
Ich nicke nur und drücke seine Hand. Ich bin ihm nicht böse. „Alles gut", versichere ich deshalb.
„Können wir morgen auf den Friedhof fahren? Die Mädchen haben mich heute Morgen gefragt, ob du mitwillst."
Harry nickt. „Na klar, ich kann euch fahren."
Dankbar nicke ich. Harry muss meistens den Job des Fahrers übernehmen, wenn wir am Todestag meiner Mutter auf den Friedhof fahren. Meine Schwestern trauen sich nie, allein zu fahren, weil sie nicht verweint zurück nach Hause fahren wollen. Und Harry kann sich meistens am besten beherrschen. Auch, wenn er meine Mutter natürlich ebenso geliebt hat. Immerhin kannten die beiden sich auch schon immer.
Gerne erinnere ich mich an den Tag unserer Hochzeit. Mum stand vorne bei mir vor dem Standesbeamten und hat meine Hand gehalten, als ich Angst hatte, Harry könnte es sich in letzter Minute anders überlegen. Ein lächerlicher Gedanke. Als er dann bei mir stand, hat sie ihm ins Ohr geflüstert, dass er auf mich aufpassen soll. Nicht, dass er mich nicht verletzten soll, nein. Lediglich, dass er gut auf mich Acht geben soll, weil sie wusste, dass es mit mir manchmal nicht einfach ist.
Ich vermisse sie so.
*****
Am nächsten Tag holen wir nach der Schule die Mädchen ab und fahren auf den Friedhof. Im Auto ist es recht still, einzig die leise Weihnachtsmusik aus dem Radio durchbricht die angespannte Stimmung. Und auch, wenn ich sie sonst nicht leiden kann, bin ich heute froh, dass Mariah Carey die Stimmung auflockert.
Am Grab meiner Mum legen wir einen Kranz Blumen auf die Erde und Lottie zündet eine Kerze an. Dann stehen wir zusammen, halten uns an den Händen und denken an sie. Niemand redet, alle schwelgen in den schönen Erinnerungen, die uns von ihr geblieben sind.
Dann fährt Harry uns zurück nach Hause. Wir treffen uns an diesem Tag immer in meinem Kindheitshaus und trinken zusammen Tee. Als wir ankommen, erwartet uns Dan mit seiner neuen Frau und den kleinen Zwillingen, Mark und seine Frau sind ebenfalls da.
Das habe ich an unserer Familie schon immer geliebt. Auch, wenn Dinge nicht funktioniert haben, wir konnten uns immer als Familie treffen, wenn es darauf ankommt.
Während des Tees wird die Stimmung wieder lockerer, wir erzählen Geschichten von früher, Mark gibt seine Lieblingsgeschichten aus meiner Kindheit zum besten und Harry steuert nur zu gerne bei, dass sich bei den meisten Sachen nichts geändert hat.
Hier, umgeben von meinen Geschwistern und den Menschen, mit denen ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe, fällt mir mal wieder auf, wie sehr ich sie alle brauche. Zwar war ich schon immer, und das bin ich auch immer noch, sehr eigenständig, aber trotzdem brauche ich diese Stütze. Meine Familie. Und ich liebe sie alle so sehr.
Immer wenn ich hier bin, überkommt mich diese innere Ruhe und tiefe Zufriedenheit. Und mal wieder fällt mir schmerzlich auf, dass ich zu selten nach Hause komme.
*****
Der weitere Dezember verschwimmt in einem Sog aus Weihnachtsliedern, Arbeit und Glühwein. Mittlerweile kann ich die Abende, die ich mit Harry und Niall auf dem Weihnachtsmarkt der Stadt verbracht habe har nicht mehr zähen und ich stehe mit dem ganzen Stress und dem süßlichen Heißgetränk an der Kippe zum Alkoholiker.
Naja, vielleicht etwas übertrieben.
Die schönen Momente mit Harry, die abends am Kamin, Weihnachtsplätzchen backen oder die Familie besuchen, lassen mich immer mehr zufrieden sein und langsam aber sicher bahnt sich die weihnachtliche Harmonie in mir an.
Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich am Samstag vor dem dritten Advent gerne zusage, als meine Schwägerin mich und Harry bittet, auf ihre Kinder aufzupassen. Also fahren Harry und ich in die nächste Kleinstadt, in der Gemma und Michal wohnen um auf Amy und Noah aufzupassen. Die beiden sind wirklich niedlich und Noah sieht Harry fast wie aus dem Gesicht geschnitten aus. Oder eher Gemma. Aber egal, die beiden sehen sich immerhin auch sehr ähnlich.
Gemma bedankt sich tausend Mal, dass wir auf die beiden aufpassen, während die und Michal sich mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt treffen, aber sowohl Harry als auch ich winken nur ab. Wir tun das gerne, immerhin lieben wir die beiden. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie geboren wurden.
Es war mitten in der Nacht als der aufgeregte Anruf von Michal kam, dass Gemma in den Wehen liegt. Also sind wir ins Krankenhaus und nach fast sieben Stunden konnten Harry und ich unsere kleine Nichte und den kleinen Neffen im Arm halten.
Das war das erste Mal, dass ich mir Harry als Vater vorgestellt habe. Und seitdem hat auch Harry das Thema schon angesprochen. Jedoch habe ich ihn immer abgewiesen, wenn er mal wieder wissen wollte, ob ich meine Meinung geändert habe. Bis wir uns dann einmal richtig gestritten haben.
Das war vor einem Jahr, wir kamen von Gemmas Geburtstagsfeier zurück und Harry hat abends im Bett gefragt, wie es denn eigentlich mit Kindern aussähe. Er hat von Noah geschwärmt, von Gemmas Schwangerschaft und wie schön er es doch fände, wenn wir auch so ein kleines Wesen hätten, auf das wir aufpassen können. Er hat gar nicht mehr aufgehört von Elternzeit, Kindergärten und Sommerferien zu sprechen, die er in Brighton verbringen will. Ich saß eine Zeit nur still neben ihm, der Artikel über einen Autoren auf meinem Handy vergessen.
Bis es dann irgendwann nicht mehr ging und ich ihm gesagt habe, dass er endlich die Klappe halten soll und er mit diesem verdammten Thema aufhören soll. Verletzt hat er mich aus seinen grünen Augen angesehen. Der Schimmer in ihnen war verschwunden und er sah nur noch traurig aus. Aber ich konnte es nicht ertragen. Die Vorstellung ein Kind zu haben, es zu lieben, alles für es zu geben... um es dann allein zu lassen. Das konnte ich nicht.
Ja, ich hatte immer Kinder gewollt. Das wusste aus Harry und deshalb konnte ich es ihm auch nicht wirklich Übel nehmen, dass er immer und immer wieder nachgefragt hatte. Aber seit meine Mum nicht mehr da war, seit ich an mir selbst und an meinen Geschwistern gesehen habe, wie sehr es weh tut, wenn ein Elternteil geht, kann ich nicht mehr daran denken, Kinder zu bekommen. Der Gedanke, dass ich der Grund dafür sein könnte, dass es diesen Kindern schlecht geht, wenn auch ich gehen muss... das kann ich nicht.
Seit diesem Tag hat Harry nicht mehr nach Kindern gefragt. Zwar weiß ich, dass er sich immer noch welche wünscht, aber er sagt nichts mehr. Stattdessen schaut er mit verliebten Augen Gemma an, wenn sie die Kleinen im Arm hat und schweigt. Es macht mich fertig ihn so zu sehen...
Auch heute schmerzt es, Harry mit Amy und Noah zu sehen, es schmerzt zu wissen, dass Harry sich das hier mehr wünscht, als irgendetwas anderes auf der Welt.
Als Gemma und Michal nach Hause kommen und Harry Amy an seine Schwester übergibt, meine ich eine Träne in seinen Augen entdecken zu können. Schluckend nehme ich seine Hand und wir machen uns auf den Weg nach Hause.
„Ich geh ins Bett", sagt Harry direkt, als wir zuhause ankommen. Ich nicke. „Soll ich mich zu dir legen?" Harry schüttelt den Kopf.
„Ich wäre gern ein bisschen allein", gibt er zu. Ich nicke erneut und lasse ihn allein die Treppe nach oben gehen. Hoffentlich weint er jetzt nicht. Denn wenn es noch etwas gibt, was ich nicht ertrage, dann ist es ein trauriger Harry.
Weil ich sowieso nichts Besseres zu tun habe räume ich das Haus etwas auf. Harrys Schulrucksack steht nicht auf dem Boden, als räume ich die Sachen aus, die in die Spülmaschine müssen und lege seine Unterlagen auf seinen Schreibtisch im Büro. Als ich seinen Jahresplaner ablege, fällt ein Flyer aus ihm heraus. Ich bücke mich und hebe das kleine Blättchen auf.
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Ich schlucke und schlage den Flyer auf. Harry hat sich die Adresse und die Telefonnummer markiert. Mit einem Kloß im Hals lese ich die Informationen auf dem Blatt und kann dabei nicht verhindern, dass mein Kopf Bilder mit kleinen, lockigen Jungen abspielt. Unweigerlich schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht und mich überkommt eine innere Wärme. Schnell lege ich den Flyer weg und gehe aus dem Raum.
*****
Am nächsten Tag treffen wir Niall auf dem Weihnachtsmarkt. Harry hat nichts mehr gesagt., als ich am vergangenen Abend ins Schlafzimmer kam hat er geschlafen und heute war alles wie immer.
„Meine beiden Lieblings-Turteltauben", sagt Niall lachend und schlägt mit uns ein. „Was geht?", will er wissen.
„Du hängst zu viel mit den Kindern rum", meint Harry nur und zieht eine Braue nach oben. Ich lächle und beantworte dann Nialls Frage.
„Alles gut bei uns, nicht wahr, Liebling?" Harry nickt, aber es sieht etwas gezwungen aus. Niall scheint das auch zu bemerken, aber er sagt nichts.
„Holst du uns Glühwein, Harry?", bettelt er dann und Harry nickt geschlagen. Er drückt kurz meine Harry, dann lässt er sie los und verschwindet in die Richtung, in der der Stand steht.
„Was hast du gemacht?", fragt Niall sofort, eine Braue hochgezogen und mit grimmigem Blick.
„Wieso? Was soll ich gemacht haben?"
Niall ist keinen Moment von meiner gespielten Unwissenheit überzeugt. „Harry sieht aus, als würde er dauerhaft in eine Zitrone beißen. Und, Louis, wenn wir ganz ehrlich sind, Harry ist in eurer Beziehung nicht derjenige, der Fehler macht." Einen Moment will ich protestieren, aber eigentlich hat Niall Recht. Harry ist ein Engel, durch und durch. Das war er schon immer.
„Er will immer noch Kinder", murmele ich dann. Niall und ich haben schonmal darüber gesprochen, wieso ich das nicht will, und dass das zu unangenehmen Situationen in meiner Ehe führt.
„Louis...", seufzt er nur und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Wieso denkst du das? Hat er was gesagt?"
Ich schüttle mit dem Kopf. „Nein, aber ich sehe doch, wie glücklich er mit Amy und Noah ist. Und ich habe einen Flyer gefunden, er hat sich die Telefonnummer markiert."
Niall nickt. „Okay, ich verstehe. Und? Wie stehst du mittlerweile dazu?"
Ich zucke mit den Schultern und sehe in die Richtung, in die Harry verschwunden ist. Dieser Mann ist mir so wichtig, wichtiger als mein eigenes Leben. Ich habe ihm versprochen, immer alles zu tun, damit er glücklich ist. Denn wenn er es nicht ist, kann ich es auch nicht sein. Aber reicht das?
„Ich will, dass er glücklich ist, Niall", sage ich und schaue meinen besten Freund verzweifelt an. Niall nickt verstehend. „Das ist auch richtig, Lou. Aber wenn du keine Kinder willst, dann muss er das akzeptieren. Es geht auch um dich."
„Aber ich will ja Kinder", gebe ich zu. Es ist das erste Mal seit Mums Tod, dass ich es laut gesagt habe. Dass ich den Gedanken zugelassen habe, überhaupt jemals Kinder in Erwägung zu ziehen. Nialls Augen erhellen sich.
„Das freut mich", sagt er. Ich seufze tief und schaue in den Himmel. Mum hat sich immer gewünscht, dass ich glücklich bin. Dass ich alle meine Träume erfüllen kann. Und es hat ihr immer so viel bedeutet, dass wir alle eine große Familie waren. Sie wollte immer Enkelkinder haben.
„Ich habe Angst, Niall. Was, wenn ich auch krank werde und ich ein Kind zurücklassen muss? Es tut so weh, ich will nicht, dass jemand wegen mir traurig ist."
Niall scheint zu verstehen worum es mir geht, denn er nickt nur wieder verstehend und nimmt mich in den Arm.
„Lou, ich verstehe, wieso du das denkst. Aber nur, weil du vielleicht irgendwann krank werden könntest, solltest du dir und Harry nicht das Glück verwehren, Eltern zu sein, wenn ihr das beiden wollt. Und ich sage das nicht, damit ihr euch wieder vertragt oder um eure Ehe zu retten. Wenn es dazu ein Kind braucht, solltest du es nicht tun. Aber wenn du es wirklich willst, du Harry genug liebst, um eine Familie mit ihm zu haben, dann mach euch beide glücklich und lass das zu!"
„Ich habe so eine Angst", sage ich erneut, auch, wenn ich weiß, dass Niall Recht hat. Ich will Kinder. Und Harry auch.
„Louis, ja, es tut weh. Und ich verstehe dich wirklich. Aber beantworte mir eine Frage. Wenn du dir es aussuchen könntest, würdest du lieber deine Mum gekannt und geliebt haben, um jetzt mit Erinnerungen an sie weiterzuleben, auch wenn es weh tut, oder hättest du es lieber, dass sie dich nicht bekommen hätte, aus Angst, dass sie dich verlassen muss?"
Ich schweige, aber ich verstehe, dass Niall Recht hat. Ich würde zwar alles dafür tun, dass meine Mum wieder da wäre, aber ich erinnere mich lieber an sie, als sie niemals gekannt zu haben.
„Denk drüber nach, Lou", sagt Niall und winkt dann Harry zu, der mit drei Tassen Glühwein zu uns kommt.
*****
Heiligabend kommt schneller als erwartet und nach einem stressigen Tag in der Küche sitzen wir alle, Tomlinsons, Deakins und Styles' im Esszimmer meiner Familie und essen. Die Stimmung ist ausgelassen, alle lachen und haben Spaß. Das Gesicht meiner Mum lächelt von der Wand aus auf uns alle hinunter und bestärkt mich in meinem Vorhaben.
Harrys Hand liegt während des Essen auf meinem Oberschenkel und er malt wirre Muster auf den Stoff meiner Jeans. Dabei unterhält er sich mit Mark, der neben seiner neuen Frau sitzt.
Wie immer sorgt die Präsenz unserer Familien dafür, dass es in mir ganz warm wird und ich lächle glücklich, während ich all diese Menschen betrachte, die ich so sehr liebe.
Nach dem Essen sitzen wir gemeinsam im Wohnzimmer, die älteren Zwillinge spielen mit Doris und Ernest, Lottie flechtet Fizzy die Haare und Harry unterhält sich mit Dan und seiner Frau. Meine Großeltern haben Marks Frau in Beschlag genommen, während ich neben ebenjenem sitze und glücklich in die Runde blicke.
„Hat er sich gemeldet?", fragt Mark und ich weiß sofort, dass er von meinem leiblichen Vater spricht. Ich schüttle nur mit dem Kopf und er nickt.
„Denk immer dran, Louis. Ich habe dich sehr lieb und du brauchst ihn nicht, okay? Wir alle lieben dich sehr."
Dankbar nicke ich und umarme ihn. „Ich hab dich auch lieb, Dad", sage ich und lehne mich an ihn. Er streicht mir über den Rücken und scheint die Nähe zu genießen, die ich nicht oft zulasse. Mark ist viel mehr mein Vater, als es mein Erzeuger jemals sein könnte. Mit ihm bin ich aufgewachsen, seinen Namen habe ich.
„Kann ich dir ein Geheimnis anvertrauen?", flüstere ich. Er nickt. „Das weißt du doch, Großer."
Ich nicke. „Es geht um Harrys Geschenk..."
„Wollen wir spazieren gehen?", reiße ich Harry aus seinem Gespräch mit meiner Oma. Er nickt und entschuldigt sich aus der Unterhaltung. Wir ziehen uns warm an und gehen dann durch den verschneiten Vorgarten auf die Straße. Unsere Füße erzeugen Abdrücke im frischen Schnee und Harry drückt meine Hand.
Ich führe ihn durch die Straßen der Stadt, in der wir aufgewachsen sind und als wir irgendwann im Park an der Eislaufbahn ankommen, bleibe ich stehen.
„Was ist los? Willst du dort einbrechen?", fragt er lachend, aber ich schüttle nur den Kopf und nehme seine Hände in meine.
„Ich will dich was fragen", sage ich und lächle ihn an.
„Willst du mich heiraten?", fragt er belustigt, was mich auch lachen lässt. Ja, zugegeben, das sieht gerade sehr nach einem Antrag aus.
„Nein, auch, wenn ich nicht nein dazu sagen würde, wenn wir die Gelübde erneuern wollen. Ich habe dir mal versprochen, dass ich immer alles tun werde, damit du glücklich bist, Harry. Und das meinte ich auch so. Denn erst wenn du glücklich bist, kann ich das auch sein. Ich habe sehr viel nachgedacht, weißt du? Und ich habe auch mit Niall geredet und mit Mark. Und ich will dir gerne einen Wunsch erfüllen."
Aus meiner Jackentasche nehme ich einen Briefumschlag, den ich gestern mit der Post bekommen habe. Ich reiche ihm Harry, der den Brief herausnimmt und ihn liest.
„Meinst du das ernst?", fragt er ungläubig, aber glücklich. Ich nicke.
Sehr geehrter Mr. Tomlinson,
es freut uns Ihnen mitteilen zu können, dass Sie und ihr Ehemann in unsere Agentur aufgenommen wurden. Gerne möchten wir Sie zu einem persönlichen Gespräch einladen, damit wir Sie und Ihre Vorstellungen kennenlernen können.
Vielen Dank, dass Sie Ihr Vertrauen in uns legen,
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„Willst du ein Kind mit mir adoptieren?", frage ich und sehe ihm in die Augen. Er scheint den Tränen nah zu sein, denn seine wunderschönen grünen Augen schimmern verdächtig im Licht der Laterne, die in der Nähe steht.
„Natürlich will ich, Lou. Du glaubst gar nicht, wie glücklich du mich damit machst", sagt er und fängt tatsächlich an zu weinen.
„Das sind Freudentränen, oder?", frage ich und lege meine Hände auf seine Wangen. Er nickt und legt seine Lippen auf meine.
„Danke", haucht er und umarmt mich fest. Ich lächle und sehe dem Mann den ich liebe in die glücklichen Augen.
„Für dich würde ich alles tun, mein Liebling. Und es tut mir leid, dass ich mich so gesträubt habe. Ich hatte Angst. Angst, dass ich das Kind verlassen muss. So wie Mum mich. Aber Niall hat mir die Augen geöffnet."
Harry grinst. „Dann muss ich mich wohl bei ihm bedanken. Und bei dir. Danke, danke, danke, Lou. Ich liebe dich so sehr."
„Ich liebe dich auch! Und fröhliche Weihnachten, Liebling."
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