12. Kapitel
the longest one in this calendar (and one of the best)
by: irishkween
Ein rivalisches Weihnachten
Fast schon gelangweilt sah Zayn auf, als das Fenster seines Büros zersplitterte und sich die Scherben über den gesamten Teppichboden verteilten. „War das nötig?", fragte er die Person, die mitsamt dem Glas ins Zimmer gekommen war und ihn mit geballten Fäusten selbst durch die Sturmmaske hindurch wütend ansah. „Du müsstest doch wissen, dass ich die erst wieder nach Weihnachten austauschen lassen kann."
Die Person ignorierte das Gesagte völlig, kam stattdessen mit großen Schritten auf ihn zu und pinnte ihn mit einer behandschuhten Hand auf seinem Drehstuhl fest - nicht, dass Zayn irgendwelche großen Anstalten gemacht hätte, sich zu wehren. „Wo ist er?", zischte die Person ihn an. Ihre Augen sprühten Funken. Zayn pustete sich eine schwarze Haarsträhne aus den Augen. „Keine Ahnung, von wem du redest", sagte er.
„Tu nicht so, du Penner! Du weißt genau, wen ich meine!" Ein Seufzen entwich dem Sitzenden. „Ich dachte, ihr wolltet zusammen deinen Geburtstag feiern", meinte er, „Happy Birthday, by the way." Sein Einbrecher knirschte mit den Zähnen. „Steck es dir sonst wo hin!", knurrte er, „Dir bin ich doch ein noch größerer Dorn im Auge, seit ich mich mit Harry treffe! Es ist also mehr als plausibel, dass du ihn vor meiner Nase kidnappst, um unsere Verabredung zu versauen!" Zayn hob seinen freien Arm, um sich damit die Nasenwurzel zu massieren. „Louis...", begann er, stockte dann aber, als ihm bewusst wurde, was dieser gerade gesagt hatte. Seit Kopf flog hoch. „Jemand hat Harry entführt und du sagst mir nichts davon?"
„Ich- was?" Louis war so irritiert, dass er seinen Griff lockerte und Zayn schlug seine Hand unwirsch weg, ehe er aufsprang. „Ich kann nicht fassen, dass du mir nicht direkt davon erzählt hast!", empörte er sich. „Was?", fragte Louis erneut und, als hätte er immer noch nicht all seiner Unverständnis Ausdruck verliehen, gleich noch ein drittes Mal: „Was?" – „Wer? Wo? Wann?" Zayn ging gar nicht auf den langsam von Wut zu immer mehr Irritation wechselnden Gesichtsausdruck seines Gegenübers ein. „Was haben sie mit ihm gemacht? Louis, antworte mir!" Louis -Schande über ihn- antwortete nicht.
„Hallooo? Malik an Tomlinson!", brauste Zayn auf und fuchtelte seinem Gegenüber aggressiv mit der Hand vor dem Gesicht herum. „Was. Ist. Mit. Harry. Passiert?" Noch immer schwieg Louis, glotzte nur doof durch die Gegend und machte Zayn damit so verdammt, aggressiv, dass er ihn am liebsten genommen und geschüttelt hätte und- „Du willst mich grad verarschen, oder?", erwachte Louis plötzlich aus seiner Starre und schob Zayns Hände wütend von seinen Oberarmen, die wohl doch schon automatisch dort gelandet sein mussten. Die Sturmmaske zog er sich in einem Ruck vom Kopf, vermutlich, um seiner Rage noch besser den passenden mimischen Ausdruck verleihen zu können. „Fass mich nicht an, du blöder-" – „Du hast mich vorhin genauso angelangt, du scheiß Zwerg!", schnappte Zayn zurück, noch bevor Louis seinen Satz überhaupt beendet hatte - und bevor er sich daran erinnerte, dass es gerade wirklich wichtigere Dinge gab, als auf Louis einzuschimpfen, ganz egal, was für Aggressionen dieser in ihm auslöste. „Ist ja auch egal, jetzt!", wischte er das Thema beiseite, „Aber meine Fresse, kannst du endlich mal ausspucken, was mit Harry passiert ist?"
Louis sah ihn absolut fassungslos an. „Du willst mich wirklich verarschen", sagte er, „Aber ich schwöre dir, wenn Harry deinetwegen irgendwie zu Schaden kommt, warst du die längste Zeit am Leben, Malik!" Zayn hätte schreien können. „Louis, ich hab keinen blassen Schimmer, wovon zur Hölle du redest! Dass du mich gerne umbringen willst, ist echt nichts Neues für mich" -und basierte meistens auch definitiv auf Gegenseitigkeit- „aber sag mir doch wenigstens, aus welchem fucking Grund diesmal!"
Louis stieß ihn mit erstaunlicher Kraft zurück in seinen Drehstuhl, um sich, eine Hand in Zayns Kragen gekrallt, wutschnaubend über ihn zu beugen. „Weil du Harry entführen lassen hast, du Scheißkerl! Soll ich es dir in deinen bescheuerten Kopf prügeln, damit du verstehst, dass der ganze Kack langsam nicht mehr lustig ist?" Zu seinem Leidwesen musste Zayn feststellen, dass Zorn Louis wohl immer noch zu einer Furie mit übermenschlichen Kräften zu machen schien, denn der Schraubstockgriff um den Stoff seines T-Shirts ließ sich ums Verrecken nicht lösen, weshalb er sich darauf beschränkte, sein Gesicht so nah wie möglich an das seines Gegenübers zu bringen und ihn so die ganze Abfälligkeit in seinen Augen erkennen zu lassen.
„Soll ich dir einmal in die Eier treten, damit dein Hirn wieder etwas durchblutet wird oder schaffst du es mittlerweile sogar, mal mit deinem Kopf zu denken? Ich habe Harry nicht entführt -und auch nicht entführen lassen- und du musst mich für wirklich verdammt tief gesunken halten, wenn du mir zutraust, sowas abzuziehen, nur um eure dumme Verabredung zu zerstören." Diese Aussage zog zumindest so weit, dass Louis seinen Griff etwas lockerte, aber noch nicht ganz von Zayn abließ. „Und warum hatten die Kerle dann genau die gleichen Tattoos, die ich auch schon an deinen Leuten gesehen hab, hm? Willst du mir das vielleicht erklären?"
Kurz schwieg Zayn, eine ungute Vorahnung setzte sich langsam in seinem Kopf zusammen. „Was für Tattoos?", fragte er dann, „Und wie viele Leute waren es?" Sein Ton war auf einmal so ruhig und beherrscht, dass die Überraschung darüber sogar in Louis' steingemeißelter Miene zu erkennen war. Sie war es vermutlich auch, die ihn das erste Mal eine richtige Antwort auf Zayns Fragen geben ließ, ohne einen großen Aufstand drum herumzumachen. „Zwei", sagte er, „Zwei Männer, der eine mit einem Skorpion auf dem Handrücken und irgendeinem Schriftzug im Nacken. Und bei dem anderen Tentakeln über die ganze Brust. Das war der, der Harry mitgenommen hat. Und der, den ich ganz sicher als einer von deinen Leuten erkannt hab, wie auch immer der Typ heißt..." – „Eric", sagte Zayn mit kalter Stimme. „Er heißt Eric. Und er ist nicht mehr einer von meinen Leuten... Scheiße!" Jetzt war es vorbei mit seiner Beherrschung und er wischte Louis' Hand, die sich nun endgültig gelockert hatte, von sich, um aufstehen und in seinem Büro umhertigern zu können. Mit den Handflächen wischte er sich über das Gesicht, seine Frustration und Sorge deutlich erkennbar. „Der andere Kerl, den du beschrieben hast, ist Jared. Er ist als einer der ersten mitgegangen, als ich Eric rausgeschmissen hab. Ich hab damit gerechnet, dass von ihnen noch was kommt, aber nicht, dass sie... nicht, dass sie wirklich auf Harry gehen. Fuck!"
„Tja, das haben sie aber gemacht!", fuhr Louis ihn schriller an, als Zayn erwartet hatte - und scheinbar auch, als sein Gegenüber selbst, denn er schien über sein kurzes Aufbrausen den Kopf zu schütteln, während er seine Mimik dadurch tarnte, dass er sich mit einer Hand durch die braunen Haare fuhr. „'Tschuldigung", murmelte er überraschenderweise, „Ich mach mir nur echt... ich mach mir- ich- whoa, warte. Was hast du gerade-?" Louis unterbrach sich selbst, um Zayn fassungslos anzuschauen. „Fahr mal kurz das Band zurück, ja? Was soll das heißen, als einer der ersten? Verlierst du etwa deine Gefolgsleute, Malik?" Zayn knirschte mit den Zähnen. „Wow, danke für diese Formulierung, du Giftzwerg. Wenn du es unbedingt wissen musst: ich hab ihn rausgeworfen, weil er mir den Führungsposten streitig machen wollte und ich das nicht zulassen konnte."
Louis nickte bedächtig. „Du hast ihn also vorher eliminiert, weil du wusstest, dass du dich in einem Wettbewerb nicht beweisen kannst, ist notiert." – „Halt die Fresse!", fauchte Zayn ihn an. „Nein, ich hab ihn vor die Tür gesetzt, weil er unsere Arbeit deutlich skrupelloser durchgeführt hätte, als ich es tue und ich nicht riskieren kann, dass unschuldigen Menschen was passiert."
„Arbeit", hustete Louis und malte Anführungszeichen in die Luft. Zayn spießte ihn mit seinem Blick auf, aber bevor er etwas dazu sagen konnte, sprach Louis schon wieder weiter: „Und ein paar deiner Leute fanden das wohl nicht so toll, hm? Die hätten lieber ein unschuldiges Leben auf dem Gewissen, als ihrem Boss treu zu bleiben. Die Frage ist, sagt das jetzt mehr über deine Art, eine Gang zu führen aus, oder über deine Fähigkeit, Anhänger deiner Überzeugungen zu finden?" – „Louis, ich werfe dich gleich aus demselben Fenster, durch das du auch reingekommen bist!", knurrte Zayn und deutete auf die zerstörte Scheibe, als böte er seinem ungeladenen Gast die Option du darfst aber auch gern einfach allein rausspringen an.
Der Angesprochene warf ihm bloß ein falsches Lächeln zu. „Nein, danke", sagte er. „Aber was mich interessiert ist, warum zur Hölle ich erst von der Aufspaltung deiner Gang erfahre, wenn Harry von der skrupellosen Hälfte entführt worden ist." Stöhnend fuhr Zayn sich mit den Handflächen über das Gesicht. „Okay, erstens: Hör auf, uns Gang zu nennen, wir sind wenn überhaupt eine organisierte Verbrechergruppe, die gezielte und gut durchgeplante Rechtsverstöße begeht, dass das klar ist."
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass das so ziemlich genau eine der Begriffserklärungen von dem Wort „Gang" ist", gab Louis unterdrückt murmelnd von sich, aber Zayn überging ihn, indem er seine Stimme etwas erhob. „Und zweitens", sagte er, „Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Du willst mich seit ungefähr drei Jahren hinter Gittern sehen, weil du die Dinge nicht einfach ruhen lassen kannst! Da schmiere ich dir doch nicht noch aufs Brot, dass ich gerade in Mitarbeitermangel komm und deswegen schön angreifbar bin, du Trottel!" – „Ich will dich hinter Gittern sehen, weil du illegalen Scheiß machst!", brauste Louis auf. Zayn hatte mit seiner Aussage einen blanken Nerv getroffen. „Es ist mein blöder Job, Kriminelle festzunehmen, ich dachte, das solltest du langsam begriffen haben."
Sein Gegenüber schnaubte bloß. „Du bist kein Polizist", erinnerte er Louis, „Du könntest dir in Sekundenschnelle einen anderen blöden Job suchen, bei dem du a, mehr verdienst, b, mehr Spaß hast und bei dem c, deine Fähigkeiten auch tatsächlich gefördert werden. Aber stattdessen verschwendest du deine letzten Talente darauf, mir fast täglich mit diesem Katz und Maus Spiel auf den Sack zu gehen, obwohl du genau weißt, dass du jedes Mal den Kürzeren ziehst. Erzähl mir also nicht, dass das nichts mit deiner persönlichen Revanche zu tun hat!"
„Hat es nicht!", hielt Louis stur dagegen, obwohl seine Körperhaltung deutlich bewies, wie nah Zayn mit seinem Vorwurf an der Wahrheit lag. „Können wir jetzt eigentlich endlich mal aufhören zu diskutieren und uns um die wirklich wichtigen Sachen kümmern? Rausfinden, was diese Arschlöcher mit Harry gemacht haben, zum Beispiel? Oder hast du was Besseres zu tun, als deinen sogenannten besten Freund zu retten?" Zayn rollte mit den Augen. „Da sind meine restlichen Leute doch schon längst dran, du Schnellchecker."
Louis zog die Stirn in Falten. „Wie zur Hölle geht das denn? Können die jetzt auch noch Gedankenlesen, oder was?" Ein Seufzen entwich dem Schwarzhaarigen. „Glaubst du wirklich, du kannst mein Bürofenster zerdeppern, ohne irgendwo einen Alarm auszulösen? Und ist dir vielleicht schonmal der Gedanke gekommen, dass ich an meinen Klamotten ein Mikro trag, falls genau so etwas wie heute passiert? Meine Güte, Louis, das hier ist doch genau der Grund, warum das vor drei Jahren schon eine so große Sache war. Du denkst einfach viel zu Zivil für einen Agenten."
„Hör auf!" Mit geballten Fäusten sah Louis ihn an. Sein Gesicht hatte im Sekundenbruchteil eine definitiv rötliche Färbung angenommen und seine Mimik spiegelte sowohl Wut als auch Scham wider - zumindest letzteres war eine definitiv gerechtfertigte Emotion, wenn man an das drei Jahre zurückliegende Desaster dachte, das trotz all der Zeit noch immer eine präsente, unsichtbare Wand zwischen ihnen darstellte. „Hör einfach mal auf und halt die Fresse, okay? Das damals war scheiße genug von dir, da musst du nicht jedes Mal noch drauf rumreiten, wenn wir uns begegnen!"
Zayn warf ihm einen grimmigen Seitenblick zu. „Ich kann nichts dafür, wenn du davon ausgehst, mit deinen Kurzzeit-Kollegen ewig währende Freundschaften schließen zu können, ohne vorher die Fronten abzuklären", meinte er, „Sorry not sorry, aber diese Naivität hatte da sowieso nichts zu suchen." Louis öffnete den Mund, zweifellos um einen weiteren ungerechtfertigten Vorwurf an Zayn abzugeben, aber bevor er tatsächlich etwas sagen konnte, leuchtete eine Lampe über dem Türrahmen auf, gefolgt von einem Piepton, und unterbrach ihn damit erfolgreich. Sie beide wandten den Kopf, als die Bürotür aufging und eine breite Statur den Raum betrag.
„Zayn", sagte die Person und nickte ihm zu. Und dann „Louis, hi. Happy Birthday!", als wäre seine Anwesenheit kein bisschen eine Überraschung. Die Glasscherben auf dem Teppichboden ignorierte sie komplett. „Liam." Zayn nickte seinem Kollegen zu. „Das ging schnell." Er kam ihm entgegen und nahm das Tablet an, das dieser seinem Boss entgegen streckte, um konzentriert auf den Bildschirm zu starren.
Louis begrüßte den Neuankömmling nicht ganz so relaxt. „Liam", knurrte er seinen Namen und verschränkte in abwehrender Haltung die Arme vor der Brust. Auch sie beide waren schon das ein oder andere Mal aneinander geraten (meistens eher zu Ungunsten von Louis), wenn es Mal wieder Polizei gegen Zayns Gang hieß und der junge Mann hatte nicht die positivsten Gefühle für diese Verbrecher - selbst wenn der größte Schaden bisher nur ein abgebrochener Zahn und einiges an Prellungen gewesen war.
Liam ging nicht auf Louis' feindselige Haltung ein (wenn er sie denn überhaupt wahrnahm) und sah nur zusammen mit Zayn auf das Tablet hinunter. „Da irgendwo müssen sie Harry haben", sagte er und deutete auf eine Stelle auf dem Bildschirm. „Ich tippe mal auf den oberen Teil vom Kirchturm, aber irgendwas stört das Signal, deswegen bin ich mir nicht zu hundert Prozent sicher. Ich weiß nicht, ob Eric was von einem Chip ahnt und deswegen Vorkehrungen getroffen hat oder ob in der Kirche selbst Störbalken eingebaut sind, die er leider sinnvoll nutzt."
Zayn nickte bedächtig, während Louis nur die Hälfte von dem zu verstehen schien, was Liam von sich gab, zumindest seinem Gesichtsausdruck nachzuschließen. „Ihr wisst also, wo Harry ist?", entschied er sich schließlich für die offenbar wichtigste Frage in seinem Kopf. Liam nickte. „Ja, wir konnten ihn orten. Oder zumindest den Radius erschließen, in dem er sich befinden muss." – „Orten?", wiederholte Louis. Sein Tonfall war skeptisch geworden. „Und ihr habt etwas von einem Chip gesagt...? Habt ihr... was zur Hölle meint ihr damit? Dass ihr ihm einen Ortungschip eingepflanzt habt, oder was?"
„Whoa, werde mal nicht gleich hysterisch, ja?" Unbegeistert sah Zayn ihn an. „Hier hat keiner irgendeinen Chip eingepflanzt bekommen, erst recht nicht gegen seinen Willen. Aber nur, weil ich nicht damit gerechnet hab, dass Eric und seine Leute wirklich auf Harry gehen, heißt das nicht, dass ich nicht trotzdem Vorkehrungen getroffen hab. Seit ein paar Wochen sind in allen seinen Schuhsohlen GPS-Tracker versteckt, dadurch konnten wir ihn finden."
Louis sah gegen seinen Willen beeindruckt aus. „Gut.", knurrte er nach ein paar Sekunden des Schweigens. „Gut, okay. Und wo ist er?" Zayn drehte ihm das Tablet hin. „Irgendwo in diesem Kirchenschiff vermutlich. Warum auch immer Eric dachte, dass das an Heiligabend eine gute Idee ist. Aber gut... haben wir noch mehr Infos zu irgendwas, Li?"
Liam öffnete den Mund, aber Louis kam ihm zuvor. „Wenn die Kirche etwa alle zwei Stunden für den Gottesdienst gefüllt ist, können wir keinen großen Aufstand um Harry machen", sagte er und sah Zayn direkt an, der überrascht zurück schaute. „Eric weiß von deiner Einstellung, auf unschuldige Menschenleben zu achten, richtig? Und er weiß vermutlich auch, dass du weißt, dass ihm relativ gleich ist, wen er abmurkst. Er nutzt den Heiligabend also aus, um dich als Problemmacher möglichst in Schach zu halten - was auch immer dann sein eigentliches Ziel ist, denn das kann ich mir nicht zusammenreimen."
Kurz war es vollkommen still, dass räusperte sich Liam leise. „Darauf hab ich eine Antwort", sagte er, „Wir haben nämlich noch eine E-Mail gekriegt, in der er Lösegeld für Harry fordert. Und alle Gerätschaften und Programme, die wir bisher benutzt haben, um unsere Coups auszuführen." Zayn knirschte deutlich hörbar mit den Zähnen. „Will er auch noch meine restlichen Leute haben, wenn wir grad dabei sind? Fuck. Ich hätte wissen müssen, dass er sich jetzt seine eigene Gang zusammenbasteln will." Louis kaute sich auf der Unterlippe herum. „Dann ist das alles also eine absolut durchgeplante Sache von ihm?", fragte er und Zayn verdrehte die Augen.
„Natürlich ist es das, vermutlich sogar schon seit dem Tag, an dem ich ihn rausgeworfen hab. Kein Schwein würde den besten Freund des ehemaligen Bosses zum Spaß entführen, erst recht nicht ohne einen ausgefeilten Ablaufplan zu haben." – „Ich hab ja nur gefragt." Jetzt war es an Louis, mit den Augen zu rollen. „Wann will er denn diese ganzen Sachen haben?"
Liam nahm das Tablet wieder an sich und tippte kurz darauf herum. „Heute Abend, 19 Uhr", sagte er dann, „An den Friedhofstoren neben der Kirche soll die Übergabe stattfinden. Und wir sollen bloß nicht auf die Idee kommen, Faxen zu machen." Louis zog die rechte Augenbraue hoch. „So steht das da?" – „Eric hat immer irgendwie zu viel von Verbrecherfloskeln der Quentin Tarantino-Art gehalten", sagte Zayn. „Es wundert mich schon, dass er Anstelle eines sorgsam aus Zeitungsausschnitten zusammen gebastelten Briefes eine E-Mail geschickt hat."
Liam schnaubte kurz belustigt auf. „Sie war sogar auch noch im Spam-Ordner, ich hätte sie fast übersehen, wenn die Betreffzeile nicht -jetzt pass auf- Harry Christmas, zumindest bei reibungsloser Lösegeldübergabe gesagt hätte." Louis schien kurz aus seiner Rolle zu fallen. „Ihr habt einen Spam-Ordner? Was für Seiten besucht ein Verbrecherteam bitte, um Spam-Mail zu bekommen?" – „Das Darkweb", sagte Liam, ohne die Miene zu verziehen, „Und Amazon. Die haben ziemlich viel technischen Shit, den wir gebrauchen können."
„Nicht mehr lange, wenn Eric wirklich Arschloch genug ist, uns das alles wegzunehmen", mischte sich Zayn ein und begann wieder, im Raum hin und her zu laufen. „Wenn er die Übergabe wirklich um 19 Uhr will, können wir auch kaum etwas anderes machen, als mitzuspielen. Außer, wir wollen wirklich Harry oder die ganzen Leute gefährden, die da gerade aus dem letzten Weihnachtsgottesdienst kommen - was ich definitiv beides nicht tun werde." Die Finger seiner linken Hand fanden ihren Weg in seine schwarze Haare, ein gepeinigter Ausdruck auf seinen Lippen. „Ich kann aber eigentlich auch nicht riskieren, dass unsere Technik in Erics Händen landet, weil ich zehn verschiedene Wege sehe, wie das ausgeht und keiner davon ist ein guter."
Wieder schwiegen sie alle drei, hingen schwer ihren Gedanken nach und versuchten, eine Lösung für dieses scheinbar unlösbare Problem zu finden.
Dann, irgendwann, holte Louis tief Luft. „Was, wenn wir uns Zugunsten machen, dass der Gottesdienst genau zur Übergabezeit vorbei ist?", fragte er. Zayn und Liam sahen ihn an, ersterer skeptisch, zweiter etwas offener. „Wie meinst du das?" – „Wie spät ist es jetzt?", stellte Louis eine Gegenfrage. Liam sah auf das Tablet. „Kurz vor 2." Louis nickte. „Okay, das muss reichen. Ich hab eine Idee, hört zu."
***
„Fast wie in alten Zeiten, was meinst du?" Der Satz war Zayn entschlüpft, bevor er über Louis' mögliche Reaktion darauf nachdenken konnte.
Seine tatsächliche Reaktion war es, seinen Kopf zu Zayn herumfahren zu lassen und die Hand, mit der er die Knarre umschloss, soweit zu heben, dass Zayn für eine halbe Sekunde dachte, Louis wolle ihn für das Gesagte tatsächlich erschießen. Dann aber senkte er die Waffe wieder gen Boden, was ein gutes Zeichen dafür war, dass Zayn zumindest die nächsten paar Stunden noch überleben würde - alles danach kam ganz darauf an, wie gut ihr mehr oder weniger ausgefeilter Plan, der auf Louis' Schnapsidee basierte, am Ende tatsächlich funktionieren würde.
„Wie ironisch, dass du ausgerechnet jetzt die alten Zeiten rauskramst", schnaubte Louis, „Besonders, weil ich im Gegensatz zu früher definitiv nicht auf freiwilliger Basis mit dir zusammenarbeite." Er warf Zayn einen vernichtenden Blick zu, ehe er geschickt das Magazin der Waffe in seiner Hand austauschte -eine Abwicklung, die sie beide schon oft genug durchgeführt hatten-, ehe er sie nach einem letzten prüfenden Blick in die Halterung steckte, die um seine Hüfte herum angebracht war.
Zayn seufzte leise auf. Bei ihrer schwammigen Vorgeschichte (war es denn nun als Verrat zu definieren, was sie auseinander gebracht hatte, oder tatsächlich einfach nur Naivität am falschen Platz?), hätte Zayn seinen ehemaligen Kollegen normalerweise nie im Leben an seinen Waffenschrank gelassen. Zu aufbrausend verhielt sich Louis auch nach den drei Jahren, die der Auslöser der ganzen Rivalität zwischen ihnen nun her war, immer noch.
Aber jetzt, hier, heute ging es um Harry. Und darum, dass sie das Bestmögliche aus dieser Situation raus holten. Was wohl so viel bedeutete wie hoffentlich überleben alle Beteiligten das, was wir uns ausgedacht haben. „Hey", sagte er deshalb zu Louis, anstatt auf dessen vorherige Aussage einzugehen und griff nach einer der beiden schusssicheren Westen, die auf einem Tisch an der Wand lagen. „Soll ich dich verschnüren?"
„Glaubst du, das kann ich nicht selbst?", giftete Louis ihn jedoch an. Scheinbar brauchte er noch etwas länger, um vom feindseligen zum professionellen, konzentrierten Modus zu wechseln. „Das war nicht böse gemeint", sagte Zayn und rollte mit den Augen. „Ich weiß, dass du dir die Dinger anlegen kannst, ich stand neben dir, als wir es richtig gelernt haben, du Troll. Aber heute geht es hier auch darum, dass es unter den Klamotten nicht auffällt, deswegen biete ich dir meine Hilfe an."
Louis schien mit sich zu hadern. Dann jedoch gab er sich einen Ruck und griff nach der Weste, die Zayn ihm hinhielt, und schlüpfte hinein. „Ich schwöre dir, wenn der mieseste Fall eintritt, dass ich was abkriege und dieser Scheiß nicht sauber hält, verklag ich dich auf mein Lebensende." – „Ist notiert", gab Zayn zurück und verkniff sich ein hoffentlich ist das nicht schon in ein paar Stunden. Stattdessen griff er um seinen Gegenüber herum und zurrte die Verschlüsse des Überzuges mit sicheren Fingern nochmal etwas fester.
Anschließend zog er sich die zweite Schutzweste selbst über und ließ sich in stummer Übereinkunft nun seinerseits von Louis helfen. Also doch wie in alten Zeiten, dachte er - und vermutlich dachte es auch Louis, aber keiner von ihnen sprach es noch einmal aus.
Wenige Minuten später standen sie beide schließlich in fast voller Montur da, mit Pullovern über die kugelsicheren Westen und die Waffengürtel gezogen und fest verknoteten Winterstiefeln an den Füßen. Nur der dunkle, lange Mantel mit dem falschen Charity-Logo drauf, den Louis kriegen würde, fehlte noch. „Scheiße, seht ihr nervös aus!", machte sich eine neue Stimme von der Tür bemerkbar, als sie sich gerade beide ein letztes Mal selbst und gegenseitig musterten, um sicher zu gehen, dass die Menge der Verteidigungsmaßnahmen an ihren Körpern nicht zu sehr auffielen.
Bei der Aussage fuhren sie zu der Person herum, die hinter ihnen stand und sie, eine Schulter gegen den Türrahmen gelehnt, musterte. „Wow, danke Niall", sagte Zayn sarkastisch, „Das ist sehr hilfreich."
Niall ignorierte, dass sein Boss überhaupt etwas gesagt hatte und schob sich stattdessen die Brille wieder etwas höher, ehe er sich aus seiner Schieflage aufrichtete und einen Schritt in den Raum machte. „Zee, ich hoffe, du bist dir sicher mit dem, was du hier tust", sagte er und griff in seine Hemdtasche, um ein kleines, silbernes Rechteck herauszuholen, das er Zayn widerstrebend hinhielt, der danach griff.
„Ist das... was ich denke, was es ist?", wollte Louis aus dem Hintergrund wissen und spähte über Zayns Schulter auf das Kästchen hinunter. Niall zog ein gequältes Gesicht. „Unsere Festplatte", bestätigte er, „Ich will, dass ihr wisst, wie verdammt weh es mir tut, sie aus der Hand zu geben und ich schwöre euch, so sehr ich will, dass ihr heil wieder kommt... wenn diesem kleinen Teil etwas passiert, werde ich erst euch umbringen und dann mich selbst, um euch auf alle Ewigkeit in der Hölle zu verfolgen, ist das klar? Dieses Ding ist heilig."
„Oha." Louis zog eine Augenbraue nach oben. „Was ist da alles drauf?" Zayn schüttelte den Kopf. „Frag lieber, was nicht drauf ist. Das ist es, was Eric von uns haben will, weil er damit und mit den richtigen Leuten ein halbes Imperium aufbauen könnte." – „Mhm", machte Niall und schien sich zurückzuhalten, um die Festplatte nicht doch wieder an sich zu reißen und sie zum Abschied weinend abzuknutschen. „Puuh okay, tja. Das ist mein Lebenswerk in deinen Händen, Zayn. Und ein bisschen auch in deinen, Louis. Aber gut, wisst ihr was? Ich glaube ich gehe lieber weg, bevor ich das zerdenke und doch noch versuche, mit diesem Baby hier durchzubrennen." Er lachte einmal auf und fuhr sich durch die braunen Haare, dann entfernte er sich rückwärts laufend und langsamer als nötig von Zayn, der den kleinen Kasten noch immer in seinen Händen hielt.
Bei der Tür angekommen blieb er stehen und warf einen letzten Blick auf sein sogenanntes Lebenswerk, ehe er sich endgültig davon zu verabschieden schien.
Bevor er ganz verschwand, fiel ihm aber wohl noch etwas ein. „Ach, übrigens Louis", sagte er, „Happy Birthday." Mit diesen letzten Worten hob er grinsend die Fingerspitzen an einen nicht-vorhandenen Hut, dann verschwand er schließlich ganz.
Louis stemmte die Hände in die (von der Weste etwas aufgeplusterten) Seiten und sah Zayn grimmig an. „Sag mal, wissen alle deine übrig gebliebenen Leute, wann ich Geburtstag hab, oder was?" Zayn zuckte nur mit den Schultern und ließ die Festplatte ungalant in seine Hosentasche gleiten. „Wir haben halt gerne so viele Informationen wie möglich von unseren Gegnern." Louis schnaubte. „Und ich hatte schon den Verdacht, euch alle bei unserer letzten Schießerei versehentlich Geburtstagseinladungen zugesteckt zu haben."
„Oh, nein", sagte Zayn, das Gesicht plötzlich wie eine kalte Maske. „Von deinen Geburtstagsplänen hab ich erst durch Harry erfahren, als der unsere eigentliche Verabredung heute abgesagt hatte, um an diesem besonderen Tag bei dir zu sein." Der grimmige Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Und jetzt -schau an, schau an- sind wir dabei, ihn zu retten, weil du nicht auf ihn aufpassen konntest."
Seinem Gegenüber klappte der Kiefer nach unten. „Jetzt hör mal gut zu, du arrogantes Stück Sch-" – „Hey, Jungs!", wurde er von Liam unterbrochen, der seinen Kopf ins Zimmer steckte und damit verhinderte, dass sich Louis richtig in Rage reden konnte. „Ihr seid soweit?" Liams Blick wanderte prüfend über die beiden Männer, dann nickte er zufrieden. „Gut, dann los. Louis, der Mantel liegt im Auto auf der Rückbank. Ich bin euer Chauffeur, auf geht's!"
***
Natürlich war der erste Song, der im Autoradio lief, Mariah Carey's All I want for Christmas. Natürlich. So, wie Liam sie mit verkniffenem Blick durch den Stadtverkehr lenkte, hatte auch er keinen Bock auf das Weihnachts-Gedudel mehr, aber wegen der angespannten Stimmung, die seit ein paar Minuten wieder zwischen Louis und Zayn herrschte, schien er sich doch lieber durch die Lieder zu quälen, die ihm eigentlich schon längst aus den Ohren raushingen.
Die beiden Streithähne selbst saßen hinter ihm auf der Rückbank des SUVs (Louis hatte beim Anblick dieser Monsterkarre nur die Augen verdrehen können, war aber ohne Proteste eingestiegen) und schwiegen sich grimmig an. Zayns Kommentar von vorhin hatte definitiv nicht zur Beilegung ihrer gegenseitigen Abneigung beigetragen, aber es schien auch keiner von ihnen zuerst nachgeben und die Sache nochmal anschneiden zu wollen.
Die Musik wechselte zu Joy to the world (Louis schnaubte) und Liams sah durch den Rückspiegel zu seinen schweigsamen Mitfahrern. „Der Plan ist allen noch klar?", fragte er. Zayn verdrehte die Augen. „Ja, Li. Wir sind ihn vorher ungefähr 28 Mal durchgegangen. Der Plan ist uns geläufig." Louis sagte gar nichts und starrte nur angestrengt aus dem Fenster. „Ich mein ja nur", sagte Liam und seufzte, als er die Spur wechselte. „Ich will hier niemanden beleidigen, aber Niall hat Recht damit, panisch zu sein, eben weil es hier neben Harry auch um unseren gesamten Datenschutz geht und wir uns vollkommen darauf verlassen müssen, dass ein Cop uns nicht sitzen lässt."
Zayn ließ nun selbst einen Seufzer hören und massierte sich die Nasenwurzel. Er verstand Liams Bedenken, aber an dieser Stelle lag er falsch. Louis und er hatten vielleicht einen gewissen Zwiespalt gehabt -waren vielleicht auch immer noch nicht darüber hinweg-, aber sie hatten nun mal auch schon miteinander gearbeitet, gelernt und auf einer Seite gestanden, und das ganze sechs Monate lang. Zayn vertraute ihm bei dieser Sache. Musste ihm vertrauen, genauso wie Louis ihm vertrauen musste, dass alle Infos, die er über Harrys Entführer gekriegt hatte, legitim waren. Und außerdem... irgendetwas anderes lag ebenfalls noch in Louis' neuestem Dasein; etwas, das Zayn nicht sah, nur wie durch ein Milchglasfenster erahnen konnte. Etwas, das ihn darin bestätigte, zumindest einmal das gleiche Ziel wie sein eigentlicher Rivale zu verfolgen.
„Ich hab keine andere Wahl", gab er Liam schließlich eine Antwort. Und dann, weil es sich nicht verkneifen ließ: „Außerdem ist er kein Cop, er macht nur gerne ihre Arbeit." Louis' Kopf flog zu ihm herum. „Ich arbeite mit den Cops zusammen, weil wir genau dafür ausgebildet wurden, du dummer Sack!" – „Hmm, du wurdest ausgebildet", sagte Zayn, „Ich hab mich nur weiterbilden lassen." Nämlich, um sich das Wissen anzueignen, wie die andere Seite tickte und was ihre Tricks waren.
Sein Nebenmann grunze. „Ja, fachspezifisch zum größten Wichser auf diesem Planeten", giftete er zurück, „Übrigens, nur dass du es weißt, Deputy Cowell ist dir und deinen nächsten Bankrauben schon ziemlich auf die Schliche gekommen. Sieht also nicht so aus, als wäre das alte Kurswissen, auf dem du ja scheinbar so baust, noch ein langfristig brauchbares Werkzeug."
Zayn verdrehte seine Augen so sehr, dass er sich sicher war, dass kurzzeitig nur noch der weiße Teil davon zu sehen war. „Deputy Cowell kann mich mal am Arsch lecken", sagte er, „Wenn er nur auf Leute wie dich vertraut, kann der mir eh nicht gefährlich werden. Und außerdem", fuhr er fort, bevor Louis etwas Empörtes entgegnen konnte, „Zieh ich es nur den reichen Schweinen aus der Tasche."
Louis schnaubte abfällig. „Wie ehrenhaft, man könnte dich glatt mit Robin Hood verwechseln! Nur leider, Malik, ist das immer noch eine Straftat." Zayn zuckte bloß gleichgültig mit den Schultern. „Die Teenies lieben mich dafür. Wusstest du, dass es sogar mal kurzzeitig einen Instagram-Account gab, der mich voll gefeiert hat? Zumindest, bis die scheiß Polizei wieder mal mit rein gefummelt hat."
„Oh, klar, vertrau auf die Meinung von Teenagern", brauste Louis auf, „Bloß gut, dass du so viele halbwüchsige Fans deiner Raubüberfälle hast, schmeiß doch demnächst noch eine Tombola-Party oder so." – „Weißt du, dass du verdammt gut darin bist, dich über genau die falschen Sachen aufzuregen?", fragte Zayn, „Ich glaube, dir fehlt der Blick für das wirklich Wesentliche der Dinge." – „Das Wesentliche der Dinge?", wiederholte Louis ungläubig, „Und das sind keine Gesetze, die gebrochen werden, oder was?"
„Komm schon, hör doch einmal auf, so ein verdammtes Muttersöhnchen der Rechtsordnung zu sein!", sagte Zayn und zog eine Grimasse.
Louis knirschte mit den Zähnen. „Dass du es mit den Rechten am Eigentum anderer nicht so genau nimmst, ist mir nach dem ein oder anderen Banküberfall von euch auch klar geworden. Aber ich schätze, das muss man wohl auch, wenn man einmal mit den illegalen Machenschaften begonnen hat, oder? Keine Ahnung, was man im kleinen Verbrecher-Handbuch sonst noch alles für Tipps findet, um in der Schurkenszene so richtig durchzustarten. Lass deinen Agenten-Partner im Stich, vielleicht. Aber hey, was weiß ich schon darüber?"
„Okay, jetzt wirst du unfair!" Grimmig sah Zayn ihn jetzt von der Seite an. „Ich weiß, dass du damals verletzt warst, okay? Und ich bin kein kompletter Arsch, dass ich das nicht irgendwie nachvollziehen kann, ich hab dich immerhin auch gemocht... zumindest, bis du mir dann beim nächsten Treffen auf einmal auf der falschen Seite gegenüber standest!" – „Ich stand auf der falschen Seite?" Louis sah ihn fassungslos an. Den Rest ignorierte er.
Zayn rollte mit den Augen. „Von mir aus gesehen, du Idiot. Ist schon klar, dass deine Welt klassischer in Gut und Böse eingeteilt ist als die, in der ich lebe. Jedenfalls hätte ich mir auch etwas Cooleres vorstellen können, als auf einmal auf meinen ehemaligen Partner schießen zu müssen, weil du natürlich unbedingt zur Polizei gehen musstest!" – „So, wie du es jedes Mal sagst, klingt es, als hätte ich den unerwarteten Abzweig nach der Ausbildung genommen", schnaubte Louis und verschränkte die Arme vor der Brust.
Zayn seufzte auf. „Weil so ziemlich alle anderen nicht in der völlig legalen Szene geblieben sind, Louis. Nur drei von euch sind tatsächlich in der Polizeiarbeit gelandet und du bist der Einzige von ihnen, der jetzt noch am Leben ist, wusstest du das?" Scheinbar hatte er es nicht gewusst, denn nach der halben Sekunde, die ihm sein Gesichtsausdruck entgleiste, kniff er die Lippen zusammen und wandte den Kopf wieder dem Fenster zu, ohne etwas zu antworten und auch Zayn sagte nichts mehr, während Liam -wie schon die ganze Zeit über, in der er dem Streit gelauscht hatte- weiterhin schwieg und den Wagen in Richtung der angepeilten Kirche steuerte.
Mehrere Minuten herrschte außer den Straßen- und Motorengeräuschen sowie der Radiomusik absolute Stille, aber als der fünfte Weihnachtssong nacheinander zu spielen begann, regte sich Louis wieder. „Meine Fresse, jetzt mach doch endlich mal dieses blöde Geklimper aus!", gab er genervt von sich. Zayn hob eine Augenbraue. „Hast du was gegen Wonderful Christmastime?", fragte er und bekam einen grimmigen Blick geschenkt. „Vielleicht ist dir aufgefallen, dass mir die Weihnachtsstimmung gerade ein wenig abgeht." – „Etwa wegen mir?", fragte Zayn und zog nun auch die andere Augenbraue in die Höhe.
Louis stöhnte leise auf. „Was meinst du denn? Ja, natürlich wegen dir. Und wegen der ganzen restlichen Situation, meinem blödem versauten Geburtstag, Harrys Entführung... keine Ahnung, wie du überhaupt so gechillt bleiben kannst, wenn es um deinen eigentlich-besten Freund geht." – „Wow", sagte Zayn trocken und schüttelte den Kopf. „Wirklich wow, Louis. Vielleicht erinnerst du dich mal daran, dass nicht ich derjenige bin, der sich hier in eine Freundschaft einmischt, die ihn nichts angeht. Immerhin kenn ich Harry ein paar Jahre länger als du und nur, weil ihr zwei letzten Monat beschlossen habt, plötzlich auch BFFs zu sein oder was auch immer, heißt das nicht, dass du dir das Recht rausnehmen kannst, meine Beziehung zu Harry in Frage zu stellen, nur dass das klar ist!" Louis hob abwehrend die Hände. „Ist ja gut, sorry. Ich hab's eigentlich nicht mal böse gemeint. Aber schön zu wissen, dass du es immer noch nicht verkraftest, wenn dein bester Freund mit anderen Personen abhängt."
„Das ist nicht der Grund, warum mich eure Freundschaft stört!", stellte Zayn wütend klar, „Ich hab ganz sicher kein Problem damit, wenn Harry sich mit anderen Leuten gut versteht! Entgegen deiner Vermutung auch nicht mit dir, ich bin schließlich kein kontrollsüchtiger Ex. Und Harry kann definitiv treffen, wen er will, auch wenn ich die Person nicht leiden kann, aber vielleicht verstehst du ja, dass ich es nicht super geil finde, wenn mein bester Freund mir auf einmal irgendwelche Sachen verschweigt, nachdem er anfängt, mit dir abzuhängen!" Zayn presste seine Lippen zusammen und wandte den Kopf ab, um angestrengt am Sitz vor ihm vorbei und auf die Straße zu starren.
Ein Seufzen entwich Louis, als hätte er die ganze Zeit schon darauf gewartet, dass sein Nebenmann genau diese eine Sache endlich zur Sprache brachte. „Du würdest verstehen, warum er dir noch nichts gesagt hat, wenn du den Grund dafür kennen würdest", sagte er, vielleicht in einem unüberlegten Versuch, die Stimmung etwas zu regulieren, aber bei seinen Worten flog Zayns Kopf wieder zu ihm herum, eine neu entfachte Wut in seinen Augen.
„Und du kennst den Grund also, oder was? Klasse, das hat mir noch gefehlt, um mich mit dem Scheiß besser zu fühlen!", zischte er Louis an. „Hey!", meinte dieser defensiv und kurz sah es so aus, als würde er noch irgendwas hinterher schießen wollen, dann aber schien er sich das erste Mal an diesem Tag zu einer friedfertigen Problemlösung zu entscheiden, denn die Spannung verließ seinen Körper und er wandte sich Zayn noch etwas mehr zu, ehe er einmal tief Luft holte. „Hör zu", sagte er, „Bitte hör zu, okay? Ja, ich weiß, was Harry dir verschweigt, aber das hat wirklich einen guten Grund. Ich kann ihn dir nicht sagen, weil das... das mache ich nicht. Das ist... nein, das kann ich nicht tun. Aber es hat nichts -nichts, hörst du?- damit zu tun, dass ich dich als seinen besten Freund abgelöst hab, oder was auch immer deine Angst ist. Ganz im Gegenteil." Louis schluckte. „Harry ist zu einer verdammt wichtigen Person für mich geworden, aber ich versuche nicht, mich in irgendeiner Weise zwischen euch zu stellen oder sogar eure Freundschaft kaputt zu machen, verstehst du das?"
Eindringlich sah er Zayn an, aber das unruhige Flackern in seinen blauen Augen konnte er nicht ganz verstecken. Ein paar Sekunden lang versuchte der Schwarzhaarige, den Blick seines Gegenübers zu deuten, aber dieses eine Mal blieb ihm die Bedeutung von Louis' Emotionen ein Rätsel. Doch seine Stimme, die Art, wie er die Sachen aussprach, als wären sie ihm selbst wichtig -verstehst du?-, machten, dass Zayn ihm glauben wollte. Dass er es eigentlich schon längst tat, auch wenn er noch nicht begriff, was dahinter stand.
Er versuchte, unauffällig auszuatmen. „Ich- okay", sagte er dann, „Okay. Aber dann erklär mir, was es sonst ist, was du von ihm willst." Louis' Mund klappte mehrmals auf und zu. „Ich... das...", stotterte er, „Harry ist ein toller Mensch, okay? Ich- ich will ihn einfach um mich herum haben, ist das nicht-? Das reicht doch, oder?" – „Hm", machte Zayn und sah ihn prüfend an. „Sicher würde das reichen, wenn du dich gerade nicht so verdammt ungeschickt ausgedrückt hättest und Harry keine Geheimnisse vor mir hätte. Also. Was ist der Rest?"
„Ich kann nicht...", begann Louis, bevor er das Gesicht in den Händen vergrub und verstummte. Zayn wartete, bis er wieder auftauchte. Der skeptische Ausdruck verließ seine Miene nicht.
Louis brauchte länger als erwartet und als er tatsächlich wieder hinter seinen Fingern hervor lugte, gab er ein so hilfloses Geräusch von sich, dass Zayn ihm beinahe die Schulter getätschelt hätte, aber er riss sich nochmal zusammen. „Er wollte es dir sagen, weißt du?", sagte Louis schließlich und räusperte sich. „Wir wollten noch meinen Geburtstag zusammen verbringen und Harry wollte Morgen gleich in der Früh zu dir kommen und es dir sagen. Er findet es schlimm, Geheimnisse vor dir zu haben, aber... wir haben uns darauf geeinigt, es zumindest noch eine Weile für uns zu behalten, bis das mit uns wirklich ganz sicher ist. Es dir jetzt ohne Harry zu sagen, fühlt sich... nicht richtig an. Aber offensichtlich hat die ganze Kidnapping-Situation so einiges von unseren Plänen umgeschmissen."
Zayn brauchte ein paar Sekunden, um die eben gesagten Worte richtig zu verarbeiten. Diese Lücke nutzte Louis, um sich wieder mit den Handflächen über das Gesicht zu reiben und sah dabei so elend aus, das Zayn gar nicht anders konnte, als Mitleid mit ihm zu haben.
Gerade wollte er den Mund öffnen, um doch etwas Tröstliches zu sagen, aber Louis kam ihm zuvor: „Ich will dir deinen besten Freund nicht wegnehmen. Wirklich nicht, das schwöre ich dir. Und ich will euch auch nicht an die Polizei verraten - nicht heute. Ich will Harry einfach nur da raus holen und ihn dann die nächsten drei Stunden nicht mehr loslassen, wenn ich weiß, dass es ihm gut geht. Das ist alles, was ich heute noch will." Seite Stimme wurde gegen Ende immer brüchiger und nach seinem letzten Satz schien er sich sichtlich zusammenzureißen, nicht loszuheulen.
Liam fuhr auf den Parkplatz hinter der Kirche und parkte den Wagen in einer der hinteren Ecken unter einer Linde und stellte den Motor ab, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Zayn fing Louis' Blick ein; warmes, vertrautes Braun auf verletzliches, nervöses Blau. „Lou", sagte er leise, denn das hier war definitiv nicht der Moment, um irgendeine falsche Überlegenheit raushängen zu lassen. „Es ist okay, ja? Ich hab es verstanden."
Sein Gegenüber schluckte hörbar und noch immer glänzten seine Augen im schwachen Licht der weit entfernten Straßenlaternen verdächtig. „Es ist wirklich scheiße, wenn jemand anderes deine Geheimnisse ausplaudert, weißt du?", meinte er dann so schwach, dass Zayn ihn beinahe nicht verstand. Dieser nickte bloß und legte nun doch eine Hand auf Louis' Arm, um ihn sanft zu drücken. „Danke, dass du mir immer noch vertraust", murmelte Zayn nach mehreren Schweigesekunden schließlich - Worte, die ihm nicht leicht fielen, aber wo, wenn nicht hier, waren sie angebracht?
Louis sah ihn überrascht an, dann, für einen kurzen Moment, verzogen sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln. „Muss ich doch. Immerhin sind wir zumindest heute wieder Partner... fast wie in alten Zeiten." Zayn legte den Kopf schief, erwiderte das Lächeln, auch wenn es ihm einen gewissen Stich versetzte, daran zu denken, dass sie sich nach diesem Einsatz wohl wieder auf gegensätzlichen Seiten begegnen würden (aber das würde er natürlich nie zugeben).
„Jungs?" Liams Stimme ließ sie beide aufschauen. Ihr Fahrer hatte sich mittlerweile doch zu ihnen umgedreht und sah sie ernst an. Nichts in seinem Ausdruck ließ darauf schließen, was für eine Konversation er gerade mehr oder weniger unfreiwillig belauscht hatte. „Ich will ja niemanden hetzen, aber es wird langsam Zeit... Louis." Er nickte dem Agenten zu. Louis schluckte. „Okay", sagte er. Dann sah er wieder zu Zayn zurück. „Ich hab echt Angst", gab er zu, „Harry ist mir so scheiße wichtig und wenn ihm was passiert... oder schon passiert ist-"
„Er wird okay sein", unterbrach ihn Zayn mit fester Stimme, und wenn sie nur Louis beruhigen und ihren Inhalt manifestieren sollte. „Harry hält mehr aus, als man denkt und wir haben einen Plan, der funktionieren wird, okay?" Sein Gegenüber atmete einmal tief durch. „Okay. Vergiss nicht, du bist genauso meine Rückendeckung wie ich deine, ja?", sagte er, dann warf er sich den Mantel über und öffnete die Autotür. „Bis in einer Stunde. Stirb nicht." Zayn schnaubte. „Viel Spaß beim Gottesdienst."
***
Das Warten war das Schlimmste. Und leider ihre einzige Möglichkeit. Louis musste durch den heiligabendlichen Gottesdienst sitzen, weil das die beste und vor allem unauffälligste Lösung war, ihn um genau um 19 Uhr in der Kirche zu haben. Und es musste Louis sein, denn Zayn, Liam oder auch Niall wären von Erics Leuten auf den ersten Blick erkannt worden, aber für Zayns Ex-Kollegen bei der Polizei hatten sie selten einen zweiten Blick übrig gehabt, weshalb es wahrscheinlich war, dass sie ihn nur als einen in der Masse der Kirchenbesucher wahrnahmen.
Was nun allerdings dafür sorgte, dass Zayn kurz davor war, knapp 50 Minuten lang durchzudrehen, weil einfach absolut nichts passierte. Wenn hier keine potenzielle Lebensgefahr bestehen würde, hätte er sich wohl mit Liam unterhalten, der noch immer auf dem Fahrersitz saß, aber so behielten sie nur beide aufmerksam den Parkplatz im Blick, um mögliche Angriffe auf sie direkt zu bemerken.
Der Friedhofseingang, bei dem die Übergabe von Lösegeld, Waffen und Festplatte in weniger als einer Viertelstunde stattfinden sollte, befand sich nur ein paar hundert Meter von ihrem Auto entfernt, aber bisher war noch absolut nichts Auffälliges passiert, das auf die Ankunft von Eric schließen ließ.
Als die Uhr schließlich knapp fünf Minuten vor 19 Uhr zeigte, rafften sich Liam und Zayn auf, um aus dem Auto zu steigen und die Sachen aus dem Kofferraum zu holen. Wenn alles nach Plan lief, war Louis gerade auf dem Weg durch den Mittelgang der Kirche, getarnt als Spendensammler für einen guten Zweck. Zayn hoffte nur, er würde damit schnell genug durchkommen, um bei den Glockenschlägen zur vollen Stunde oben im Kirchturm zu sein.
Aber gut, das war der Punkt, in dem er sich voll und ganz auf die Fähigkeiten verlassen musste, die Louis doch hatte - er war ein stümperhafter Agent, wenn es um die Theorie ging und darum, den richtigen Leuten zu vertrauen, aber er war ein begnadeter Schauspieler und hatte einen perfekten Sinn für Timing, das musste man ihm hoch anrechnen.
Der letzte Kirchensong des abendlichen Gottesdienstes setzte ein -Zayn kannte das Liedprogramm nicht und die Orgelmelodie, die bis hier draußen zu hören war, ließ auch nichts Eindeutiges erschließen-, als die beiden Männer mitsamt ihrer Last auf das Friedhofstor zugingen. Liam trug die Tasche, in der das Geld, die Waffen und die elektronischen Geräte waren, nur die Festplatte hatte Zayn bei sich.
Noch drei Minuten.
Weder Eric noch einer seiner (ehemals ja eigentlich Zayns) Leute war zu sehen. Vermutlich würde, sie erst wirklich auftauchen, wenn die ersten Kirchenbesucher nach draußen kamen, um sicherzustellen, dass alles reibungslos klappte. Liam stellte die Tasche auf den Boden. Noch zwei Minuten. Die Orgel spielte den letzten Vers lauter mit. Sechs Kerle waren mitgegangen, als Zayn Eric rausgeworfen hatte. Sieben Anhänger hatte er verloren, die ihm jetzt gegenüber standen. Zayn wischte seine Handflächen an seiner Jeans ab.
Eine Minute.
Die Orgel spielte die letzten Töne und verstummte dann. Zayns Herzschlag raste. Louis musste jetzt auf dem Weg die Treppen hinauf sein. Darauf musste Zayn vertrauen.
Ein paar Sekunden noch. Heiße Atemwolken stiegen aus seinem Mund auf.
Beide, Liam und Zayn, hoben den Kopf zum Kirchturm, als die ersten Glockenschläge ertönten. Wenn jetzt nicht alles nach Plan lief, waren sie geliefert.
19 Uhr. Die großen Holztüren der Kirche öffneten sich und spuckten eine lachende, glückliche Menschenmenge aus. Zayn hoffte inständig, dass Louis noch am Leben war. Freunde verabschiedeten sich voneinander, Familien schlenderten gemeinsam zu ihren Autos oder den Fußweg entlang - Teenager, junge Erwachsene, ältere Erwachsene und Rentner. Sie galt es jetzt zu schützen.
Eine Bewegung hinter dem Friedhofstor zog Zayns Aufmerksamkeit auf sich. „Dramatischer Auftritt, was auch sonst", murmelte er, als Eric zusammen mit zwei seiner Leute im Gefolge nach draußen trat. Beide waren Zayn nur zu bekannt, immerhin hatte er sie damals selbst eingestellt. Jared, der Typ, der laut Louis ebenfalls aktiv an Harrys Entführung mit beteiligt gewesen war, war nicht dabei - vermutlich sollte er im Kirchturm oben dafür sorgen, dass ihr Gefangener nichts anstellte. Zayn betete, dass Louis ihm ordentlich die Fresse polierte.
Eric stellte sich breitbeinig hin, seine zwei Schatten ein Stück hinter ihm. „Zayn", sagte er, „Du kennst den Deal. Reibungsloser Ablauf: Niemand kommt zu Schaden. Weder Harry noch diese ganzen Leute da drüben." Er nickte zum Eingang der Kirche. „Aber wenn du mir irgendwelchen Ärger machst..." Zayn knirschte mit den Zähnen. „Ich bin nicht blöd, Eric. Und wir drehen ähnlich lange schon krumme Dinger, wenn du dich daran erinnerst."
Eric schnaubte so heftig auf, dass Zayn meinte, einen Popel aus seiner Nase fliegen zu sehen. Angewidert verzog er das Gesicht, aber sein Gegner schien es nicht mal bemerkt zu haben. „Und trotzdem bist du noch genauso verweichlicht, wie als ich dir damals beigetreten bin", sagte er verächtlich. „Aber gut, genau deswegen gehen wir ja jetzt getrennte Wege. Ich werde jedenfalls endlich mal so richtig Action in die Stadt bringen. Banküberfälle, pah!" Eric spuckte auf den Boden, wohl um seiner Abfälligkeit noch mehr Ausdruck zu verleihen.
„Ekelhaft", murmelte Zayn und unterdrückte den Drang, auch noch übertrieben zu würgen, nur um seinen Gegenüber zu provozieren. Eric ging nicht darauf ein, zu sehr erfreute er sich gerade an der führenden Position, von der er überzeugt war, sie immer noch innezuhaben. „Wenn wir erstmal anfangen, werden sich die Leute deine dummen Straftaten zurückwünschen!"
Zayn schwieg, obwohl ihm unendlich viel auf der Zunge gelegen hätte. Wenn ihr Plan schief ging und Eric die Festplatte tatsächlich dauerhaft in die Finger bekam, würde er mit seiner Aussage leider vermutlich Recht behalten - dass die Leute sich die Zeit zurückwünschten, als Zayn mit seiner Verbrechergruppe noch in Banken eingebrochen war und Chaos, aber keine Leichen zurückgelassen hatte.
„Na gut", sagte Eric jetzt und klatschte in die Hände. Es hatte wohl enthusiastisch wirken sollen, aber Zayn kam es einfach nur manisch vor. „Ich krieg dann wohl diese Tasche von euch." Liam warf Zayn einen fragenden Blick zu und dieser nickte, weshalb sein Kollege die Reisetasche vor Erics linkem Hintermann abstellte. Dieser ging auf ein Handzeichen seines Bosses in die Hocke und zog den Reißverschluss auf, um ihren Inhalt abzuchecken.
Eric sah aus, als würde er auf eine Beanstandung warten, aber Zayn wusste, dass er die nicht bekommen würde. Das Geld war vollständig und die Tasche bis zum Rand voll mit all ihren wichtigen Geräten und Waffen inklusive Munition, bis auf die, die Zayn versteckt an seinem Körper trug.
„Geld und das andere Zeug sind da", bestätigte nun auch Erics Handlanger und schloss die Tasche wieder. „Nur die elektronischen Daten fehlen noch." – „Nur" war gut, dachte Zayn. Immerhin war das die gesamte Innenausstattung für den Aufbau eines neues Imperiums.
„Die Festplatte hab ich bei mir", sagte er und griff in seine Hosentasche. Eric nickte zufrieden und Zayn hätte ihm am liebsten ins Gesicht gespuckt. Sein Herz raste. Der Erfolg der nächsten paar Sekunden hing allein von Louis ab. Ob er es geschafft hatte, die restlichen von Erics Gruppe auszuschalten. Ob er nicht doch mit Harry abgehauen war und Zayn seinem Schicksal überließ.
Darauf allein basierten die nächsten paar Sekunden: auf seinem Vertrauen in den Typen, der ihm seit drei Jahren einen Verrat vorhielt und bei jeder einzelnen Gelegenheit versucht hatte, ihm das heimzuzahlen. Alles, alles, alles baute auf Louis und seinem Plan, der funktionieren musste. Denn wenn jetzt etwas nicht nach Plan lief, waren sie dran - dranner - am dransten.
Eric starrte gierig auf die Festplatte in Zayns Händen. Er wusste, dass es die echte war und er hatte Träume, was er damit alles anstellen konnte, das war deutlich in seinem Blick zu erkennen. Und das würde Zayn nutzen.
Aus dem Augenwinkel sah er Liams Finger zucken. Er war soweit. Er vertraute Zayn. Und Zayn legte all seine Sicherheit in Louis, weshalb er „Hier" sagte - und die Festplatte zu Erics rechtem Schatten warf.
Ein erschrockenes Luftschnappen entwich Eric und sein Kopf flog zu seinem Hintermann herum, der es geradeso noch schaffte, den kleinen Kasten aufzufangen, bevor er auf dem gefrorenen Boden aufschlagen konnte.
Dann ging alles blitzschnell: Liam griff sich den zweiten Typen mit der Tasche und rang ihn zu Boden, während Zayn seine treue Pistole zog, um sie seinem ehemaligen Anhänger an die Schläfe zu halten. Das Klicken, als er sie entsicherte, schien durch die ganze Nacht zu hallen. „Eine falsche Bewegung und ich puste dir das Gehirn raus", sagte der Schwarzhaarige kalt und für eine Sekunde wirkte Eric tatsächlich einfach nur geschockt, dann aber verzogen sich seine Lippen zu einem gruseligen Grinsen.
„Oh Zayn", sagte er, „Sieht ganz so aus, als würde das mit dem Harry Christmas nichts mehr werden, hm? Oder ist das etwa eine reibungslose Übergabe für dich?" Zayn schwieg. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um mich nicht im Stich zu lassen, Louis, war alles, was er denken konnte.
Nichts passierte.
Eric seufzte. „Tja, ich fürchte, unter diesen Bedingungen nimmt das nicht gerade ein Happy End für dich und deine Freunde, was?" Er sah kurz zum Kirchturm hinauf, dann zu seinem Handlanger, der die Festplatte gefangen hatte. „Noah, tu mir den Gefallen: steck dieses kleine Gerät sicher weg und dann erschieß Zayn und Liam, ja? Der Gute hier" -nun wandte er sein Gesicht wieder seinem ehemaligen Boss zu- „hat nämlich noch nicht ganz begriffen, dass man in der Unterzahl meistens eher schlecht dran ist."
Noah nickte. „Wird gemacht", sagte er und zog den Verschluss seiner Jacke auf, wohl um die Daten in einer Innentasche sicher verstauen, und im Anschluss zweifellos nach seiner Knarre greifen zu können, um Zayn und Liams letztes Sekündlein schlagen zu lassen.
Eric lächelte triumphierend, während Zayns Kopf auf Hochtouren arbeitete, um nach einer Lösung für diese ausweglose Situation zu suchen und Liam verzweifelt zu ihm aufsah, während er den sich stark wehrenden Mann unter sich immer noch gewaltsam zu Boden drückte. War das das Ende? Das fragte sich Zayn. Sollten sie nach jahrelanger, sorgfältiger Arbeit an einem Heiligabend vor einem Friedhofstor umkommen, weil sie sich fälschlicherweise auf jemanden verlassen hatten, der ihnen im Moment der Not offenbar nicht zur Rettung kam?
Am liebsten hätte Zayn die Augen geschlossen und geschrien, aber die Blöße wollte er sich dann doch nicht geben. Und vermutlich war das auch gut so, denn sonst hätte er wohl den wichtigsten Moment von allen verpasst.
Nämlich den, in dem ein hohes Plopp ertönte und Noah plötzlich aufschrie, als seine rechte Schulter nach hinten gerissen wurde, während er noch dabei gewesen war, einen geeigneten Platz für die Festplatte zu suchen. Der kleine Kasten flog durch die ruckartige Bewegung aus seiner Hand, während er selbst zurück taumelte und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Arm fasste. Eric hatte für seinen verletzten Mann nur einen millisekündlichen Blick übrig, seine wahre Panik galt der Datenplatte und ging so weit, dass er im Bruchteil einer Sekunde tatsächlich die Entscheidung traf, ihr hinterher zu hechten und sie vor ihrem Tod auf dem steinigen Boden zu bewahren (das war etwas, das Niall nie erfahren durfte, schoss es Zayn durch den Kopf), obwohl eigentlich noch immer ein Pistolenlauf auf seinen Kopf gerichtet war.
Vermutlich war es nur Zayns Überforderung mit der ganzen, plötzlichen Situation zu verdanken, dass er nicht sofort abdrückte, als Eric auch nur den ersten Schritt in die falsche Richtung machte, aber als es zwei, drei Augenblicke später doch zu ihm durchdrang, was gerade passiert war -dass Louis sie nicht im Stich gelassen hatte, dass sie nicht an einem Heiligabend vor einem Friedhofstor sterben würden und dass ihr Plan tatsächlich wie geplant verlaufen sein musste-, sprang er seinem Gegner schon beinahe hinterher, der sich zur Rettung der Festplatte sogar auf den Boden geworfen hatte, und stellte sich über ihn, die Waffe erneut auf ihn gerichtet.
„Eric, es ist vorbei", sagte er mit fester Stimme über die ächzenden, schmerzerfüllten Laute von Noah hinweg, der wenige Meter weiter am Zaun des Friedhofs auf die Knie gesunken war und seinen blutgetränkten Jackenärmel panisch umkrallt hielt.
„Nein!" Eric fuhr auf dem Boden herum, der unbeschädigte Datenspeicher in seinen Händen, und starrte mit großen, geschockten Augen zu Zayn auf. „Ich hab noch meine Leute! Die, die dich verlassen haben! Du bist in der Unterzahl! Du bist-" – „Deine Leute werden dich nicht retten!", fuhr Zayn zwischen Erics immer manischer werdendes Geschrei. „Und ich bin nicht in der Unterzahl!"
Schwer atmend wechselte Erics Blick zwischen Zayns Gesicht und der auf ihn gerichteten Waffe hin und her. Begriff wohl, dass Zayn Recht hatte. „Wer?", flüsterte er, „Wer ist noch bei dir, von dem ich nichts weiß?" – „Das geht dich gar nichts an", sagte Zayn und beugte sich etwas vor, um Eric den Pistolenlauf direkt auf die Stirn zu setzen und die Hand auffordernd hinzuhalten. „Jetzt gib die Festplatte wieder her, bevor das hier noch unschöner wird."
„Fick dich", zischte Eric, beugte sich aber seinem Schicksal. Vielleicht lag ihm etwas daran, seine Schädeldecke vorerst unbeschadet zu behalten. Zayn steckte die Festplatte zurück in seine Hosentasche und richtete sich wieder auf, behielt den anderen Verbrecher allerdings im Fokus seiner Knarre.
„Li, ist alles klar bei dir?", fragte er und sah seinen Kollegen aus dem Augenwinkel nicken. „Geht schon. Wäre einfacher, wenn man Kabelbinder oder so hätte. Keine Ahnung, ob dieser Typ checkt, dass er schon längst verloren hat." Ein ganz kurzes Lachen entwich Zayn, aber zu tief saßen die Anspannung und der Schrecken noch - und ganz war noch nicht alles vorbei.
Er zwang sich, sich nicht umzusehen, als rennende, näherkommende Schritte zu hören waren und jemand seinen Namen rief. Harry seinen Namen rief. Die Erleichterung darüber schwemmte wie eine große Welle über ihn hinweg.
„Harry!", atmete er aus und traute sich, kurz den Blick von Eric abzuwenden. Sein bester Freund sah blass aus, war zerzaust und hatte einen eingerissenen Jackenärmel. Aber ansonsten schien er nicht verletzt zu sein. Zayn hätte ehrlich weinen können.
Stattdessen ließ er seinen Blick über Harrys Arm nach unten wandern, wo er seine Finger, mit denen von Louis verschränkt hatte, der neben ihm stand und verschwitzt und ein wenig verflennt, aber ansonsten völlig gesund aussah. Eine erneute Erleichterungswelle spülte über Zayn hinweg. Seinen Leuten ging es gut!
Louis hatte zu seiner Überraschung einen ähnlich erleichterten Blick aufgesetzt und sie nickten einander zu, ehe der Agent Harrys Hand losließ und neben Liam in die Hocke ging. „Ich hab Handschellen mit", sagte er und lächelte kurz, „Vorteil an der Polizeiarbeit." Zayn beobachtete ihn, wie er dem Kerl unter Liam geübt die Ringe anlegte und sich anschließend wieder aufrichtete.
„Was ist mit dem?", fragte er und nickte zu Noah, aber Louis schüttelte den Kopf. „Ich glaub nicht, dass der noch irgendwohin abhaut", sagte er, „Eigentlich hatte ich auf die Beine zielen wollen, aber ihr standet zu sehr im Weg und ich sollte nur denjenigen mit der Festplatte umnieten."
„Du hast uns aber auch ordentlich drauf warten lassen", mischte sich Liam jetzt ein und stand selbst auf, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. „Zee und ich dachten echt, wir sterben gleich. Was hast du da oben im Kirchturm gemacht, Däumchen gedreht?"
„Entschuldigung?" Louis stemmte die Arme in die Seiten. „Ich musste auf dem Weg nach oben vier von solchen Kerlen ausschalten, auch noch darauf achten, nur während der Glockenschläge Schüsse abzufeuern, damit die hier unten nichts merken, dann sicherstellen, dass es meinem Freund halbwegs gut geht und mit einer fremden Waffe in kürzester Zeit auf die Ferne schießen lernen! Mach du mir das mal nach, Neunmalklug!"
Liam setzte schon zu einer Antwort an, da gab Harry plötzlich ein alarmiertes „Zayn!" von sich und - Mist! Shit! Fuck! Wie hatte er sich so ablenken lassen, dass er ein paar Sekunden lang gar nicht mehr auf Eric geachtet hatte? Der sich offenbar im Gunst der Stunde unter dem Pistolenlauf weggeschlichen hatte und gerade durch das geöffnete Friedhofstor in die Dunkelheit dahinter entkam?
„Nicht!", warnte Louis, als Zayn die Waffe wieder hochriss und schon blind ins Unbekannte schießen wollte, bei dem Wort aber innehielt. „Es bringt nichts! Hatte er eine Waffe?" Zayn schüttelte den Kopf, seufzte. „Soweit ich weiß, nicht. Aber scheiße, ich bin so blöd! Das hätte das Ende von der Sache sein sollen!"
Louis legte ihm eine Hand auf den Rücken. „Mach dir keine Gedanken darüber, ja?", sagte er, „Ihr beide" -er deutete auf Liam und Zayn- „solltet jetzt eigentlich eh besser abhauen. Ich hab auf dem Weg vom Kirchturm runter meine Polizeikollegen kontaktiert, damit sie Erics Leute von hier mitnehmen... zumindest diejenigen, die von mir keine Kugel ins Knie gekriegt haben. Aber ich weiß nicht, was die mit euch anstellen, wenn sie euch hier sehen, deswegen solltet ihr besser gleich von hier verschwinden."
Zayn starrte ihn sprachlos an. „Verhilfst du uns hier gerade zur Flucht?", fragte er vorsichtshalber nochmal nach. „Du?" Louis rollte mit den Augen. „Wenn du es nicht so sagst, ja." Er griff nach der großen Tasche, die noch immer dort stand, wo Liam sie vorhin losgeworden war, und scheuchte die beiden Gesetzesbrecher zu ihrem Auto.
Während Liam schon einstieg, fiel Harry seinem besten Freund um den Hals. „Danke", flüsterte er, „Fürs Retten und..." Er schluckte. „Dass du cool bist mit mir und Louis. Es tut mir leid, dass ich nichts gesagt hab." Zayn schüttelte wild den Kopf. „Es ist alles gut, ja? Und wir sehen uns morgen früh zum Weihnachtsmorgen, daran hat sich nichts geändert, oder?" – „Hat es nicht", bestätigte Harry lächelnd und ließ Zayn dann auf der Beifahrerseite einsteigen.
Liam ließ schon den Motor an, da bat ihn sein Nebenmann nochmal „Warte!" und begann hastig, an seiner Türseite herumzufummeln, um das Fenster zu öffnen. „Louis!", rief er und der Gerufene beugte sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu Zayn hinunter. „Ja?" – „Uhm." Zayn schob Panik. Stolperte schon im Kopf über seine eigenen Worte. „Okay, hör zu", sagte er dann und holte einmal tief Luft, „Ich weiß, du bist jetzt bei der Polizei und ich bin eigentlich dein Gegner -Straftaten und so, du weißt ja-, aber wenn du doch mal irgendwie Abwechslung brauchst oder... ich mein, hier draußen läuft jetzt ein Verrückter rum, der definitiv noch gefasst werden sollte, also wenn du mal wieder Bock auf eine Zusammenarbeit hast... naja, du weiß ja, wo du mich finden kannst." Zayn zuckte verlegen mit den Schultern und fuhr sich mit einer Hand über den Nacken.
Louis lächelte. „Ich werde es mir merken", sagte er, „Und ich werde versuchen, beim nächsten Mal auch die Tür zu nehmen." Ein erleichterter Lacher entwich Zayn. „Du schuldest mir übrigens noch was für den Glaser", sagte er. Augenverdrehend grinste Louis ihn an. „Ich setz es mit auf die Rechnung", witzelte er. Dann: „Und jetzt haut endlich ab, bevor die richtigen Cops hier auftauchen."
Zayn salutierte, schenkte ihm ein warmes Lächeln. „Wird gemacht, danke dir, Lou." – „Immer wieder gerne", sagte dieser, sah genauso warm zurück. „Und frohe Weihnachten."
„Frohe Weihnachten", erwiderte Zayn leise, atmete ein. „Partner."
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