11. Kapitel

by: cryinlikecoolway

„Oh Harry, es ist wundervoll geworden." Gemma hielt mein fertiges Bild in die Höhe und betrachtete es mit Freude. „Es ist bei weitem nicht meine beste Arbeit." – „Bist du denn blind? Sieh nur, die Feinheiten, die du eingearbeitet hast." Sie strich mit ihrem Zeigefinger vorsichtig über die Stellen, dir ihr am liebsten waren. „Die Details der Blätter und des Schnees, dass ist großartig."

Ich folgte ihrem Finger und versuchte die Schönheit in dem Werk zu finden, doch es gelang mir nicht. „Ich finde es furchtbar." – „Hör mal, du Holzkopf. Du bist ein großartiger Künstler. Du brauchst nicht immer so kritisch mit dir selbst zu sein." Sie stellte das Bild zurück an die Wand. „Ich muss jetzt los, bevor das Wetter noch schlechter wird. Wir sehen uns morgen und komm nicht zu spät zum Essen." Ich schaute zum Fenster und sah, wie der Wind den Schnee durch die Luft wirbelte. Gemma gab mir noch einen Kuss auf die Wange und war kurz darauf auch schon verschwunden, bevor ich noch etwas erwidern konnte.

Ich sah mir noch einmal diesen tristen, verschneiten Wald an und fragte mich wo die Magie blieb, von der an Weihnachten immer alle sprachen. Ich liebte diese Jahreszeit und ich hatte gehofft die Liebe während dieser Zeit, auf die Leinwand zu übertragen, doch jetzt habe ich das Gefühl die Dunkelheit würde obsiegen. Vielleicht hatte Gemma recht und ich sollte nicht so selbstkritisch sein, aber ich konnte mir beim besten Willen nicht helfen. Ich fand es fürchterlich. Ich versuchte die Gedanken abzuschütteln und beschloss, hier etwas aufzuräumen, vielleicht half eine kleine Pause von der kreativen Arbeit, die immer alles von mir forderte.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich gerade dabei war die Pinsel in die Schublade zu räumen. Die Tür wurde plötzlich aufgerissen und der Wind trug den Schnee mit samt einem, mir unbekannten Mann herein, der die Tür schnell wieder hinter sich zu knallte. Seine Kleidung war an einigen Stellen etwas dreckig und er trug eine Mütze, die das einzige zu sein schien, dass keine kaputten Fasern aufwies. Als er sich zu mir herum drehte stand ihm dieselbe Panik ins Gesicht geschrieben wie mir.

„Scheiße.", flüsterte er vorweg. „Es tut mir leid... Der Sturm wird stärker und ich... uhm... es tut mir wirklich furchtbar leid, hier einfach so reingeplatzt zu sein." Seine Worte überschlugen sich, doch das einzige, auf das ich achten konnte, war das Blau seiner Augen, in dem ich ertrinken wollte und sein Akzent, der für mich nach Heimat klang.

„Ich will nichts Böses, ich wollte nur nicht im Schnee erfrie-" Ich kam einige Schritte auf ihn zu, um ihn näher zu betrachten und vergaß dabei jegliche Manier, die meine Mutter mich lehrte. Er wich zurück und schaute mich fragend an. „Ich werde wieder gehen, nochmals... entschuldigen Sie mein Eindringen. Ich wünsche Ihnen noch ein frohes Fest."

Gerade als er dabei war sich umzudrehen ging auch ich ein Stück zurück und streckte ihm lächelnd meine Hand entgegen. „Nenn mich bitte Harry." Er lächelte ebenfalls und als seine Hand, die meine umfasste, konnte ich die Kälte spüren, die er von draußen herein brachte und die wahrscheinlich, seinen ganzen Körper durchzog.

„Louis." – „Schön dich kennen zu lernen, Louis." Nichts glitt mir jemals sanfter über die Lippen als der Name dieses Mannes. „Komm ruhig herein." Ich machte einige Schritte zur Seite um ihn weiter reinzubitten. Er ging an mir vorbei und verschaffte sich einen Eindruck von dem Ort, an dem er sich nun befand.

„Hast du die ganzen Bilder gemalt?" Ich nickte und schmunzelte vor mich hin als ich mich zu ihm gesellte. Sein Blick glitt über jedes einzelne meiner Werke und obwohl sie so viel von mir erzählten, fühlte es sich nicht falsch oder gar unangenehm an, ihn sie sehen zu lassen. „Sie sind wunderschön.", sagte er und während er den Blick nicht von ihnen los reißen konnte, konnte ich den meinen auch nicht von ihm abwenden. Zu sehr gefiel es meinem Grün dass leuchten in seinem Blau zu beobachten.

Ich wollte mir jeden seiner Gesichtszüge einprägen und meine Finger kribbelten, während ich mich ihm zuwandte. „Darf ich dich malen?" Ich war zu inspiriert und zu direkt.

Verwundert drehte er sich mir zu und riss etwas erschrocken die Augen auf, denn er war mir nun viel näher als erwartet. Wir schauten einander unentwegt in die Augen und keiner von uns ging einen Schritt zurück. Ich konnte seinen Duft wahr nehmen und die Wärme, die langsam zu ihm zurück kehrte, ließ den Duft nur intensiver werden und aus irgendeinem Grund roch es für mich nach Frühling, obwohl der Winter draußen tobte.

„Wie bitte?"

Ich räusperte mich und wich zurück. „Ich fragte, ob ich dich malen darf, aber das scheint eine dumme Idee zu sein, entschuldige." – „Wieso?" Er blieb an Ort und Stelle und sah mich fragend an. „Weil ich momentan nichts zu Stande bekomme, dass halbwegs gut ist."

Langsam sah er sich noch einmal um, bis sein Blick wieder bei mir angekommen war und er verwirrt eine Augenbraue hochzog. „Du musst scherzen?" Ich schüttelte lachend den Kopf und drehte mich zu dem letzten Bild dass ich gemalt hatte. Er sah es sehr intensive an, während er einige Schritte darauf zu machte.

„Ein toller Ort." – „Ein ziemlich leerer Ort.", gab ich zurück und spürte wieder diese Frustration in mir aufsteigen. „Oder ein schöner Ort, um sich dort zu verstecken." Sein Blick haftete an der tiefe die immer weiter in den Wald hinein führte. Das kalte Weiß konkurrierte mit dem Schwarz der Nacht und irgendetwas an der Art wie er es ansah, sagte mir, er würde sich beidem nur allzu gerne hingeben.

„War es wirklich der Sturm, vor dem du Schutz gesucht hast?" Er schüttelte nur den Kopf und sah zurück zur Leinwand. Ich blieb stumm und noch immer konnte ich den Blick nicht von ihm abwenden während auch er den seinen nicht losriss. Ich war fasziniert von diesem Mann, ohne ihn zu kennen und während es mich gleichzeitig verunsicherte, genoss ich es, etwas so Schönes anzusehen.

„Du bist wirklich gut." Er lächelte mich an und mein Herz stolperte einen Schlag voraus. Sein Blick war intensiv auf mich gerichtet und ich könnte schwören, er lag für einen kleinen Augenblick auf meinen Lippen.

„Du kommst aus England, richtig?" Geschickter Themenwechsel, meinerseits. „Hört man es so deutlich?" Ich nickte nur und lächelte wieder. „Doncaster.", fuhr er fort, sein Blick galt wieder meinem Werk und ich hoffte still, er würde weitersprechen. Ich wollte alles von ihm hören, ganz gleich was er zu erzählen hatte.

„Ich vermisse es, dort zu sein." Ich konnte die Schwere, die seinen Körper erfasste, förmlich sehen als er das sagte. „Warum bist du es dann nicht?" – „Weil das nicht so einfach ist." Er sagte es mit einem gewissen Nachdruck, der keine weiteren Fragen forderte, ohne dabei unhöflich zu wirken. Eher erkannte ich den Schmerz, der diesem Satz inne wohnte. Von meinen Gedanken mitgerissen, zog es mich näher zu ihm. Ich hob meine Hand und war kurz davor, mit den Fingerspitzen, die immer noch kribbelten, seine Schulter zu berühren.

Im letzten Moment hielt ich inne und konnte spüren, wie rot ich wurde, als er zu mir sah. „Hoffnung.", flüsterte er. „Was-" – „Deine Augen. Ihre Farbe bedeutet Hoffnung." Ich war wie versteinert und schaute ihn völlig verwirrt an.

„Tut mir leid, manchmal rede ich einfach drauf los." Peinlich berührt kratzte er sich am Hinterkopf, verschob seine Mütze und einzelne Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn. Ich war versucht, sie wegzustreichen, doch ich musste mich zusammen reißen. Er war mir immer noch ein Unbekannter, auch wenn es sich nicht hätte, weniger danach anfühlen können.

Ich fühlte mich auf eine seltsame Art zu ihm hingezogen, auch wenn ich nicht wusste, woher dieser Gefühl kam, umso sicherer war ich mir dass es nicht verschwinden würde. Die Magie, die ich in meinem Bild vermisste, fand ich in seinen Augen und wie sie mich ansahen.

„Ich werde jetzt gehen. Danke, dass ich mich hier etwas aufwärmen durfte." – „Warte." Verwundert sah er mich an, als ich die Leinwand in die Hand nahm und sie ihm entgegen streckte. „Bitte behalte es." – „Das kann ich nicht, ich-" – „Sieh es als ein Geschenk zu Weihnachten. Ich möchte, dass du es hast."

Er schaute zwischen mir und dem Bild hin und her und schien gründlich zu überlegen. „Ich werde einfach das Gefühl nicht los, ich hätte es für jemanden wie dich gemalt. Bitte, nimm es mit und hab eine frohe Weihnacht."

Zögernd nahm er das Bild in seine Hände, als er schlussendlich doch lächelte und ich mir schwor, es mir genau einzuprägen und nichts von diesem Moment jemals zu vergessen.

„Danke Harry, wirklich." Die Freude in seinem Gesicht war alles, was ich brauchte und auch wenn es mich etwas schmerzte, ihn durch die Tür gehen zu sehen und wie der Wind ihm den Schnee entgegen wehte, so froh war ich, als ich mir eine leere Leinwand auf meine Staffelei stellte und nach einer Blauen Tube griff.


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