nein, du bist gegangen

Nach der Zeremonie gehen einige schon nach Hause, einige gehen noch zu Jays Grab, aber egal was er machen würde, Louis spürt unglaublich viele Blicke auf sich.

Er weiß, dass er die Skandalstory des Dorfes ist, das waren er und Harry früher irgendwie schon, weil schwule Liebe meistens doch zu viel für diese konservativen Wichser war. Wie hält Harry es hier nur aus?

Gut, Louis muss ein bisschen zurückschrauben. Eigentlich war es nie wirklich ein Problem. Es war vielleicht ein bisschen ein Tabuthema und viele haben es nie richtig ausgesprochen, aber irgendwie haben sie sie ja doch alle unterstützt. Wenn jemand etwas gegen sie gesagt hat haben sich alle ganz unauffällig auf ihre Seite gestellt.

Einmal zum Beispiel hat jemand aus der Nachbarstadt von ihrer High School in Charles' Kneipe einen homophoben Spruch rausgelassen und obwohl Charles mit den Dingen, an die er glaubt eher nach Südtexas passen würde, hat er den Typen und seine Freunde rausgeschmissen, Louis und Harry eine Runde Limonade ausgegeben und gefragt ob sie okay sind.

Irgendwie waren gefühlt alle homophoben Menschen im Dorf so drauf, dass sie dachten „Schwule nein danke, aber Harry und Louis, die beiden sind okay".

Vielleicht war es, weil immer alle sehen konnten wie sehr die beiden sich geliebt haben. Louis legt die Blume, die Harry ihm aus dem Strauß gegeben hat noch zu den anderen, dann folgt er seiner Familie zum Parkplatz. Sie werden jetzt noch zu den Tomlinsons fahren und Kuchen essen und obwohl so ein schwieriger Tag ist, fühlt Louis sich seiner Familie näher denn je.

Na gut. Außer Fizzy. Die scheint ihm immer noch mit ihren Blicken erdolchen zu wollen und dabei dachte Louis schon sie hätten einen Moment gehabt. Bei der Rede.

Deshalb ist er heilfroh, dass er einfach mit Harry fahren kann und noch ein paar Minuten Schonfrist hat.

Bevor er aber mit zum Parkplatz geht, sieht er Tim in ein paar Meter Entfernung stehen. Er geht auf ihn zu, lächelt und umarmt ihn. „Danke, dass du hier bist, Tim. Danke, dass du überhaupt mitgekommen bist."

Tim lächelt zurück und hält Louis an seinen Schultern fest. „Ich bin nicht nur dein Bodyguard, Louis. Ich bin auch ein Freund."

Louis umarmt ihn nochmal.

„Danke."

_____

Die Zwillinge können unglaublich backen und der Kuchen schmeckt wirklich gut. Und obwohl die Stimmung wirklich die ganze Zeit gleich melancholisch, traurig aber schön ist, Fizzy hat es sich wohl zur Aufgabe gemacht, Louis sich schlecht fühlen zu lassen.

Und er weiß, dass er es verdient, aber er will mit ihr reden. Und als er irgendwann für eine Zigarette vor die Tür geht, ist er fast verwirrt, sie dort auch zu sehen.

Er dachte, sie wäre nur auf Toilette gegangen.

Aber nein. Fizzy ist aus dem gleichen Grund hier auf der Veranda. Sie raucht.

Und Louis kann sich gerade noch davon abhalten „Seit wann rauchst du?" zu fragen, denn er weiß, dass das einerseits nicht sein Recht ist und es Fizzy andererseits noch wütender machen würde. Also nimmt er einfach stumm sein Feuerzeug aus der Hosentasche, zündet seine Zigarette an und stellt sich neben seine Schwester. Die würdigt ihn keines Blickes.

Louis ignoriert das und raucht einfach neben ihr. Eine ganze Weile sagt er nichts, alleine schon, weil er nicht weiß, wo er anfangen will, wo er anfangen kann...dann räuspert er sich leise.

„Ähm...Fizzy?", sagt er, aber sie schüttelt sofort den Kopf.

„Nein, Louis", sagt sie. „Nein."

Louis' Finger mit der Zigarette zittern ein wenig.

„Nein, du bist gegangen", sagt Fizzy und schließt ihre Augen. „Du bist gegangen und du hast nicht...du hast nicht mal was gesagt. Wir haben keine Verabschiedung bekommen, keine einzige Nachricht, nichts. Das einzige was wir bekommen haben war wie Harry hier weinend reingekommen ist, weil du weg warst und dann nichts für fünf Monate. Louis, wir hatten keine Ahnung, wo du warst. Wie es dir ging. Ob du überhaupt noch am Leben warst. Wir hatten gerade erst Mum verloren und dann..." Sie holt tief Luft und Tränen steigen in ihre Augen. „Wir hatten so Angst, dass wir dich auch verloren hatten." Sie schüttelt den Kopf.

„Und dann finden wir fünf Monate später raus, dass es dir tatsächlich absolut super geht und du absolut perfekt in der Lage gewesen wärst uns eine fucking Nachricht zu schreiben. Weil du plötzlich auf jeden Magazincover des Landes warst. Was sag ich, des Landes, eigentlich der ganzen Welt. Jeder hat deine Musik gehört, jeder wollte wissen, wer Louis Tomlinson ist, abgesehen von Louis Tomlinson selbst. Weil Louis Tomlinson vor sich selbst weggelaufen ist."

Fizzy atmet tief ein, um ihre Stimme zu stärken my aber sie bricht im nächsten Satz trotzdem. „Du hast die ganze Welt getourt, Louis. Du hast jeden beschissenen Winkel dieses Planeten gesehen und du hast nicht mal einen Gedanken daran verschwendet nach Hause zu kommen." Sie drückt ihre Zigarette in den Aschenbecher auf dem Geländer neben ihr. „Also nein", sagt sie. „Du kannst nicht einfach herkommen und so tun als hättest du uns - mich - nicht für Jahre verlassen. Es tut mir Leid."

Und damit dreht sie sich um und verschwindet im Haus. Und Louis steht in der Kälte, komplett kaputt und das ganze Gefühl von Zusammenhalt und nicht Alleinsein verschwindet. Er fühlt sich so alleine wie noch nie.

Vorsichtig macht er zwei Schritte nach hinten und lässt sich fallen, als er die Bank in seinen Kniekehlen spürt. Er atmet zitternd ein, dann aus, dann zieht er an seiner Zigarette, aber es hilft kein winziges bisschen, dass er sich beruhigt.

Er geht nicht wieder rein.

Mindestens zwanzig Minuten, die Zigarette schon längst weg, sitzt er einfach nur da und starrt auf den Vorgarten und die Straße.

Er fühlt sich so leer. Denn Fizzy hat mit jedem einzelnen Wort Recht.

Noch fünf Minuten später, hört er wie die Tür aufgeht und kurz darauf fühlt er wie sich jemand neben ihn setzt.

„Hey", sagt Lottie leise und rückt näher.

„Warum..." Louis holt tief Luft, weil seine Stimme nicht funktionieren will. „Warum hasst du mich nicht?", fragt er. „So wie Fizzy? Sie hat Recht. Sie hat mit allem Recht, ich bin gegangen und es ist alles meine Schuld und-"

„Sie hasst dich nicht, Louis", unterbricht seine Schwester ihn. „Sie liebt dich. So sehr. So sehr, dass sie einfach noch nicht damit umgehen kann, dass du hier bist. Noch nicht. Aber vertrau mir, sie kriegt sich schon ein, du kennst Fizzy."

„Tu ich das?", fragt Louis bitter und Lottie schiebt nur ihren Arm um Louis Taille und kuschelt ihren Kopf an seine Schulter.

„Ja, tust du."

Lottie streicht Kreise auf Louis' Rücken und lächelt. „Und was mich angeht...ich hab dir vergeben", sagt sie dann, ohne den Hauch eines Zweifels in ihrer Stimme. „Ich liebe dich, Louis, du bist mein Bruder und du warst einfach...du warst so gebrochen. Und jeder trauert auf eine andere Weise. Deine war zu gehen und ein Leben ohne Mum zu finden."

Louis spannt sich an, Lottie bemerkt es. „Also...nicht ohne Mum", fügt sie schnell hinzu. „Aber ohne, dass Erinnerungen von ihr hinter jeder Ecke warten. Und ja, du hast Recht. Du bist gegangen. Und für fünf Jahre nicht nach Hause gekommen. Aber du bist jetzt gekommen. Du bist jetzt gekommen und wenn du nicht wieder gehst und uns für weitere fünf Jahre ghostest, dann ist das das Einzige was zählt. Fas ist das Wichtige. Du bist hier. Und ich liebe dich und ich hab dich vermisst und du bist hier. Wieso wollte ich das damit verschwenden, sauer auf dich zu sein?

Louis weiß nicht was er sagen soll. Er dreht seinen Kopf einfach nur zu seiner Schwester und die lächelt und streicht mit ihrer linken Hand sanft die Tränen von Louis' Wangen.

Er wirft sich in ihre Arme.

Sie hält ihn.

Und zum ersten Mal hat er nicht das Gefühl irgendwas erklären zu müssen. Lottie versteht ihn und sie denkt nicht, dass er hier fehl am Platz ist. Sie denkt, dass er hier auch hingehört.

Und das fühlt sich unglaublich gut an.

„Bleibst du bitte über Weihnachten?", flüstert sie leise in seinen Nacken und er löst sich von ihr und nimmt ihre Hände in seine.

„Ja", sagt er. „Ja, auf jeden Fall."

_____

Als er abends auf Harrys Sofa sitzt, Clifford neben ihm, Harry ist irgendwo oben, anscheinend wieder am arbeiten (Louis will dringend wissen, was Harry arbeitet. Aber er weiß nicht wie er fragen soll.) guckt er sich irgendwas an was halt im Fernsehen läuft.

Es ist irgendeine schlechte Komödie, er ist unter einer Decke eingekuschelt und alles kommt ihm so vertraut vor, wie früher, aber zum ersten Mal macht ihn der Gedanke nicht so unglaublich krass Angst.

Als er irgendwann Harry die Treppe runterkommen hört, macht er den Film leiser und wartet darauf, dass Harry in der Tür erscheint. Was er dann auch tut. Er sieht friedlicher aus als gestern, aber auch etwas müde und geschafft. Er lächelt Louis leicht zu und will dann in die Küche gehen, aber Louis hält ihn auf.

„Harry!"

Harry dreht sich wieder zu ihm und sieht ihn fragend an.

„Kann ich..." Louis holt tief Luft. „Kann ich für Weihnachten hierbleiben?"

Harry sieht ihn einige Sekunden nur an. Dann beginnt er zu nicken, erst langsam, dann immer schneller.

„Ja", sagt er und Lächeln bricht auf sein Gesicht. „Ja, klar. Kannst du."

„Danke." Louis lächelt erleichtert und glücklich zurück und Harry nickt nochmal, bevor er sich umdreht und in der Küche verschwindet.

Und irgendwas...irgendwas ist gerade zwischen ihnen passiert. Irgendeine Mauer wurde durchbrochen. Sie haben irgendeinen Fortschritt gemacht.

Er fühlt sich besser.

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