fünf jahre

Louis zwingt sich ruhig zu atmen. Auch wenn es nicht klappt. Für die ganze letzte Woche nicht geklappt hat.

Er wird sich jetzt in dieses Flugzeug setzen. Punkt. Es führt kein Weg dran vorbei, auch wenn er am liebsten sofort vom Flughafen zurück nach Hause fahren würde und sich mit El, seiner Mitbewohnerin und allerbesten Freundin auf der Welt, zusammen auf die Couch kuscheln, damit sie ihn trösten kann, bis er aufhört sich zu fühlen, als würde er versinken.

Aber es geht nicht. Das ist er ihnen schuldig. Immerhin aufzutauchen.

Er ist ihnen viel mehr schuldig als nur das und das weiß er auch, aber er verdrängt es in die letzte Ecke seines Herzens hinter eine Tür und schiebt drei Schränke davor. Er kann nicht darüber nachdenken. Kein einziger Gedanke. Es geht einfach nicht. Es geht nicht.

Genau so wie er jetzt nicht umdrehen kann. Also schluckt er, greift nach dem Koffer und steht auf. Tim, sein Bodyguard, ist sofort an seiner Seite. Louis wirft ihm einen Blick zu, der eigentlich ein Lächeln sein sollte, aber kläglich versagt.

Er schließt noch einmal kurz die Augen, dann setzt er sich in Bewegung. Tim und Louis verlassen die VIP-Sektion des Flughafens und begeben sich zu ihrem Gate, wo das Boarding für die erste Klasse gleich beginnen sollte. Louis versucht so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, aber er trägt Sonnenbrille und Käppi und das ist eigentlich schon auffällig genug.

Die meisten der anderen Passagiere sind zwar nicht unbedingt die Hauptzielgruppe seiner Musik (Männer in Businessanzügen und ältere Paare, die alle irgendwie königlich aussehen, die eine Frau trägt sogar einen cremefarbenen Hut, kein Witz), aber er sieht wie zwei Töchter einer wohl sehr wohlhabenden Familie ihn kritisch beäugen.

Schnell wendet er sich ab und kratzt sich an der Augenbraue, um sein Gesicht etwas abzuschirmen.

Fünf Jahre.

Louis schließt seine Augen und spürt wie eine Welle von Unbeständigkeit ihn überrollen will, also öffnet er sie wieder und holt tief Luft. Hölle. Das hier ist die Hölle. Er krampft seine Hand um den Griff des Koffers und versucht gleichmäßig zu atmen. Es gelingt ihm so schlecht, dass er kurz überlegt vielleicht mal zu einem Lungenfacharzt zu gehen und sich checken zu lassen, aber es ist ziemlich sicher einfach Anxiety, die seinen Hals dazu bringt sich zuzuschnüren.

Er schielt unter seiner Sonnenbrille zurück zu den Mädchen, die glücklicherweise mit ihren Handys beschäftigt sind und ihn nicht mehr anstarren und beißt sich auf die Lippe. Es sind bald Weihnachtsferien und die beiden sind bestimmt unterwegs, um zusammen mit ihren Eltern die Feiertage in London zu verbringen.

Louis fliegt zwar auch nach London, aber das ist nicht sein Endziel. Und er fliegt nicht dorthin, um Weihnachten zu feiern.

Wenn es doch nur das wäre.

Tim reicht Louis eine geöffnete Flasche Wasser als hätte er Superkräfte, um genau zu wissen, was Louis gerade braucht (vielleicht hat er die auch wirklich) und Louis nimmt sie dankbar an und schenkt Tim ein - diesmal sogar echtes - Lächeln.

Er trinkt ein paar Schlücke und versucht sich zu entspannen, aber mit jeder Minute die das Boarding und damit auch sein Flug nach England näher rückt wird er unruhiger. Und das ist logisch.

Es sind schließlich 5 Jahre vergangen.

Niemand spaziert nach 5 Jahren gelassen wieder zurück und tut so als wäre alles normal. Und schon gar nicht Louis. Louis, für den es fünf Jahre voller Erfolg, aber gleichzeitig fünf Jahre voller Schmerz waren.

Das Boarding beginnt. Louis möchte kotzen.

_____

Als er aus dem Flugzeug steigt, friert er. Er ist es nicht gewohnt anzukommen und es ist kalt. Flüge die „nach Hause kommen" bedeuten, heißen normalerweise die angenehmen Temperaturen Kaliforniens. Nicht Schnee.

Und hier ist wirklich alles weiß. Und selbst der Flughafen ist voll mit Weihnachtsdekorationen. Louis feiert kein Weihnachten. Er hasst alles was mit Weihnachten zu tun hat. Für ihn bedeutet Weihnachten alleine zu Hause zu sitzen, sich zu betrinken und dabei so viele Marvel Filme nacheinander anzusehen, bis er einschläft.

Zumindest war es das die letzten fünf Jahre. Dieses Mal wird alles anders.

Louis zieht seine Kapuze über sein Käppi und ist froh, als Tim zu ihm zurück kommt. Er hat einen Autoschlüssel in der Hand und irgendwelche Dokumente in der anderen.

Er nickt in eine Richtung und Louis ist erleichtert, dass sie den Flughafen nicht mal verlassen müssen, um zu ihrem Mietwagen zu kommen, weil er in einer der Tiefgaragen geparkt ist. Es ist irgendein altes Opelmodell, aber sie werden trotzdem auffallen. Niemand dort fährt normale Stadtautos, entweder man hat einen Pick-Up, oder man hat ein Pferd.

Gut, das ist übertrieben und das weiß Louis auch, aber er hat keine Kraft seine Gedanken zurückzuschrauben. Sie sind all over the place und er lässt sich einfach nur in den Beifahrersitz fallen und schließt die Augen. Tim ist so nett auch seinen Koffer zu verstauen und obwohl Louis selber ein Problem damit hat, wenn er mit Tim umgeht, als wäre er sein Diener und nicht sein Bodyguard, manchmal ist er wirklich froh, dass Tim da keins mit hat.

„Danke Tim", murmelt er, als der Mann sich neben ihn setzt, die Tür schließt und sich anschnallt.

Er kriegt noch mit, wie sie losfahren, aber nicht, wie sie die Tiefgarage verlassen. Dafür ist er viel zu erschöpft.

Als er wieder aufwacht, sind sie irgendwo in England auf einer Schnellstraße. Die Bäume, die die Straße säumen sind voller Schnee und aus dem Radio dudelt Last Christmas.

Louis will es ausmachen, aber er will auch kein kompletter Arsch sein, immerhin wippt Tim fröhlich zum Beat mit den Fingern und er verpasst für Louis Weihnachten zu Hause. Er hat zwar keine Familie mit der er feiern würde, das hat er Louis dreimal versichert, aber Louis fühlt sich trotzdem schuldig.

Deshalb hält er es einfach aus und starrt nach draußen. Sie sind anscheinend schon sehr lange unterwegs, denn nach ein paar Minuten kommen Louis die Umgebung und die Schilder bekannt vor. Das ausgeblichene Blau, das eine Schild, das seit Jahrzehnten schief steht, das eine viel zu große Schild, das irgendetwas über den Berg links von ihnen erklärt, auf dem jemand beim Wort documentary mit Sprühfarbe alle Buchstaben außer die mittleren überfärbt hat, sodass dort nur noch cum steht, die unendlich vielen Schlaglöcher, die nie jemand repariert hat. Auch dafür wäre ein Pick-Up besser gewesen. Oder zumindest ein SUV.

Louis wird schlecht. Wieso ist denn auch alles genauso gleich? Warum kann nicht irgendwas anders sein, irgendwas, das ihn nicht daran denken lässt, dass es eben nicht mehr alles gleich ist.

Louis seufzt, seine Gedanken ergeben keinen Sinn und Tim wirft ihm einen skeptischen Seitenblick zu.

„Alles okay, Louis?"

Louis sieht nur zu ihm, schüttelt den Kopf und nickt dann. „Nein", sagt er. „Aber das ist normal."

Tim verzieht den Mund, sagt aber nichts mehr und lässt seine Augen auf der Straße. Und als sie dann das Ortsschild passieren, wird Louis so schlecht, dass er nach der Papiertüte greift, in dem das Sandwich war, das er am Flughafen gegessen hat und sich übergibt.

Tim fährt sofort rechts ran und hält, Louis fällt fast aus dem Auto, weil er die Tür so schnell aufreißt.

Tim stützt ihn, während Louis seinen Magen entleert und Louis weiß ernsthaft nicht, wie er an so einen tollen Bodyguard wie ihn gekommen ist. Aber er dankt dem Universum dafür.

Als es ihm wieder ein bisschen besser geht, trinkt er einen Schluck von dem Wasser, das Tim wieder irgendwo hergezaubert hat und atmet tief durch.

„Okay", sagt er. „Okay, alles gut, ich schaff das."

Tim sieht besorgt aus, aber er nickt und die beiden steigen wieder ins Auto. Tim fährt Louis' Fenster aber ein bisschen runter und obwohl es scheiße kalt ist, wirft Louis ihm wieder einen dankbaren Blick zu. Frische Luft ist vermutlich tatsächlich die beste Idee.

Aber sein Hals schnürt sich so oder so zu, als sie wirklich ins Dorf reinfahren und er die ekelhafte Weihnachtsdekoration an jedem Haus sieht, die er früher sogar mal mochte.

Alles ist so gewohnt. So vertraut.

Er hatte immer schon das Gefühl, das Dorf besteht eigentlich nur aus einer Straße und obwohl das nicht stimmt, kommt es ihm immer noch so vor.

Ohne dass es ihm bewusst ist, sinkt Louis immer weiter nach unten, weil er Angst hat, dass jemand ihn erkennen könnte. Dabei ist es sogar schon fast dunkel draußen, der Schnee sieht in der Dämmerung blau aus und er sieht nur eine einzige Person draußen rumlaufen.

Bei genauerem Hingucken sieht er, dass es Mrs Canterburh ist. Er hätte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass sie noch lebt, geschweige denn alleine mit ihrem ungefähr genauso alten Hund draußen herumläuft.

Sie wird ihn nicht erkennen, sie ist fast blind, aber Louis' Herz legt beim Schlagen trotzdem einen Zahn zu. Er kann das nicht. Er kann das einfach nicht, das hier ist zu viel für ihn und er hätte niemals in das Flugzeug steigen sollen.

Ohne El ist es zu Hause zwar auch immer etwas trostlos, aber alles ist besser als das hier.

Trotzdem kann er nicht einfach umdrehen. Es geht nicht, er ist es ihnen wirklich schuldig. Also schluckt er und schließt kurz die Augen, um sich zu sammeln. Dann erklärt er Tim den Weg. Es liegt etwas außerhalb, und das bedeutet vielleicht dreihundert Meter vom letzten Haus der Straße entfernt, mitten im Feld.

In dem Feld hinter dem jeden Morgen der schönste Sonnenaufgang der Welt stattfindet. Louis schluckt.

Jetzt ist das ganze Feld voller Schnee und Louis schluckt nochmal, denn die Sonnenaufgänge im Winter waren immer ganz besonders. Er und-

Louis holt tief Luft und verdrängt den Gedanken in seinen Armen zu liegen, sich an seine Brust zu lehnen und der Welt beim aufwachen zuzusehen. Verdammt, sie saßen dabei sogar auf einem bekackten Schaukelstuhl, sie konnten sich nie altersgerecht verhalten.

Louis wird wütend, weil ihm die Erinnerungen so wehtun.

Tim hält, Louis steigt aus und fühlt sich als würde ihm seine Vergangenheit ins Gesicht spucken. Es ist widerlich, wie viele Gefühle durch ihn strömen, als er das Haus sieht und den bekackten Schaukelstuhl, der immer noch auf der bescheuerten Veranda steht.

Das hier war nicht die große Geschichte seines Lebens. Die letzten fünf Jahre, die waren die große Geschichte seines Lebens. Sind es. Er ist im Moment der erfolgreichste Sänger der Welt und es war die richtige Entscheidung zu gehen!

Sich auf die Lippe beißend öffnet er den Kofferraum und zieht seinen Koffer raus, der mit einem eklig krachenden Geräusch auf dem Asphalt landet. Vermutlich hat er ihn jetzt irgendwie kaputt gemacht, aber das ist ihm gerade egal. Normalerweise ist er nicht so abgehoben, aber er kann einfach einen neuen kaufen.

„Okay", sagt er und sein Mund ist trocken. „Danke, Tim. Zum B&B musst du nur neben der Kneipe links rein und gerade aus."

„Sicher, dass ich nicht-"

„Ja", unterbricht Louis seinen Bodyguard und zwingt sich wieder zum Lächeln.

„Okay." Tim sieht nicht besonders überzeugt aus, aber Louis muss jetzt alleine sein. Es ist auch nicht so als bräuchte er hier einen Bodyguard, er hat Tim nur für den Flughafen und den Weg mitgenommen und wenn er ganz ehrlich ist, damit er zumindest eine Person hier hat, die ihn nicht hasst.

Tim fährt weg und Louis und sein Koffer stehen alleine vor den drei Stufen, die zur Haustür führen.

Er wünschte er könnte einfach mit Tim in dem einen winzigen B&B im Ort bleiben, aber das geht nicht. Jeder hier kennt ihn und jeder weiß, was er getan hat. Betty würde ihn keine drei Schritte in die Lobby setzen lassen.

Und zu seiner Familie kann er einfach noch nicht. Es geht nicht, er kann ihnen noch nicht unter die Augen treten.

Also ist er hier. Aber das scheint ihm gerade die schlechteste Entscheidung von allen gewesen zu sein.

Er ist vermutlich gerade nicht da, denkt Louis, denn es steht kein Auto hier. Aber das hilft nicht, ihn irgendwie zu beruhigen, seine Hände zittern und sein Puls hat einen neuen Rekord erreicht. Er atmet tief ein, verfestigt seinen Griff um den Koffer und zieht ihn dann hinter sich nur Tür hoch.

Als er das Klingelschild sieht, wendet er den Kopf schnell ab und schluckt.

Er weiß nicht, warum er den Schlüssel überhaupt noch hat. Aber er ist immer ein fester Bestandteil seines Schlüsselbundes geblieben, selbst als er wollte, konnte er ihn nicht wegwerfen und jetzt tastet er danach. Und er weiß auch, dass er hier eigentlich nicht einfach reinspazieren kann, aber er braucht einen Ort zum bleiben. Und er hat keine andere Option.

Vielleicht komme ich auch gar nicht rein, denkt Louis. Vielleicht hat er ja die Schlösser ausgetauscht.

Der Gedanke beweist sich als falsch, als der Schlüssel ohne Probleme und mit einem fast zu weichen Gefühl ins Schlüsselloch gleitet. Louis dreht, öffnet die Tür und tritt ein.

Er wird von angenehmer Wärme empfangen und dem Geruch nach Liebe. Sein Herz ist komplett außer Kontrolle und er weiß nicht, was er machen soll. Es riecht nach der gleichen Mischung aus Vanilleduftkerzen und Blumen und Louis muss schlucken. Er hätte nicht kommen sollen.

Zumindest nicht hier hin, nicht in dieses Haus. Wieso ist er hier?

Jeder Winkel, den er sehen kann birgt eine andere Erinnerung.

Und alles sieht gleich aus. Es sieht aus als wäre Louis nie gegangen. Der Schuhschrank links von ihm, nur dass keine dreckigen Vans davor liegen, die Kommode vor der Tür in die Küche, auf der sie Post und ihre Schlüssel abgelegt haben, die Kleiderhaken an der Wand rechts von ihm.

Doch bevor Louis sich wirklich aktiv umsehen kann, hört er ein lautes Bellen und zuckt zusammen.

Er ist doch hier.

Sein Blick schießt zur Treppe ihm gegenüber und eine Sekunde später fliegt ein dunkler Hund förmlich die Stufen runter und auf ihn zu. Er springt an Louis hoch, bellt und leckt durch sein Gesicht und Louis lässt sich auf den Boden fallen, streicht durch das zottelige Fell und kann nicht anders, als die Tränen einfach zuzulassen.

Verdammt, er hat selbst Clifford hinter sich gelassen. Wie?

„Hey Cliff", murmelt er, lacht leise, als der Hund seine Tränen von Louis' Wangen leckt, drückt Cliffs Schnauze aus seinem Gesicht und krault ihn hinter den Ohren. „Ich hab dich auch vermisst", flüstert Louis und Clifford ist immer noch komplett aufgedreht und kann sich kaum beruhigen.

Da hört Louis Schritte.

Eben dachte er, dass sein Herz einen neuen Rekord aufstellt, jetzt ist es wohl tot. Louis weiß wirklich nicht, ob es noch schlägt.

„Louis." Seine Stimme lässt einen Schauer über Louis' Rücken laufen, aber einen guten und Louis will sofort verschwinden.

Louis hebt seinen Blick.

Er hat sich so sehr verändert. Er ist so erwachsen geworden. Wie kann man sich in fünf Jahren so verändern?

Er ist viel größer, viel breiter, hat viel längere Haare und seine Gesichtszüge sind viel markanter.

Aber es ist sein Blick, der den größten Unterschied darstellt. Er hat Louis noch nie so angesehen.

„Harry." Louis' Stimme versagt, als er den Namen nach so vielen Jahren wieder ausspricht und er schluckt nochmal und spürt seinen Puls endlich wieder. Überall, bis in seine Ohren.

Harry blinzelt. „Du bist wirklich gekommen."

Der Tonfall ist so kalt, dass Louis fast das Gefühl hat er würde sterben. Denn - genau wie der Blick - es ist etwas, das Louis nicht kennt. So hat Harry noch nie geklungen, wenn er mit Louis gesprochen hat. Selbst bei ihren schlimmsten Streits nicht.

Louis findet seine eigene Stimme nicht, er kann nichts sagen und er sitzt immer noch auf dem verdammten Fußboden, also steht er auf. Clifford bellt.

Louis schluckt, wischt mit seinem linken Ärmel die Tränen weg, ohne es wahrzunehmen und er nickt vorsichtig.

„Ja", haucht er dann, als seine Stimme ihm wenigstens teilweise gehorcht und muss fast lachen, weil er so erbärmlich klingt. „Ja, bin ich."

Clifford scheint zu merken, das irgendwas nicht stimmt, denn er hat sich beruhigt und winselt leise. Louis streicht ihm abwesend über den Kopf.

Harry sieht Louis nur an.

„Was tust du hier?"

Sein Blick ist unergründlich. Louis kann ihn nicht mehr lesen und diese Erkenntnis trifft ihn so unvorbereitet, dass er zitternd einatmet. Aber trotzdem ist er ein bisschen verwirrt, er scheint doch eigentlich zu wissen, warum Louis hier ist.

„Das schulde ich ihnen.", murmelt er. „Immerhin nach-"

„Nein, ich meine, was tust du hier?", schneidet Harry ihm sofort das Wort ab und Louis läuft ein weiterer Schauer über den Rücken, weil Harrys Tonfall gefühlt noch eisiger ist als gerade eben. „In meinem Haus?"

Mein Haus. Es ist nicht mehr ihr Haus. Das weiß Louis, das ist keine Überraschung. Es sollte ihm nicht so schwerfallen, normal weiter zu atmen. Andererseits atmet er gefühlt seit zehn Minuten schon nicht mehr normal, also ist das vielleicht der neue Ausgangszustand.

„Ich..." Louis beißt sich auf die Unterlippe. „Ich wusste nicht wo ich sonst hinsollte."

Wieder guckt Harry nur. Sein ganzes Wesen wirkt anders. Er scheint viel ruhiger, geerdeter irgendwie. Erwachsener.

Und sein Blick wird gerade irgendwie weniger feindselig. Ein winziger Funken Hoffnung keimt irgendwo tief im Inneren von Louis auf. Vielleicht muss er doch nicht auf der Straße schlafen.

Er muss wohl sehr flehend aussehen, denn es kommt Louis fast so vor als würde Harry aufgeben, als er einmal tief durchatmet.

„Okay", sagt Harry. „Okay, du kannst auf der Couch schlafen." Er zeigt zur Tür zum Wohnzimmer links von ihm und rechts von Louis. „Ich bring dir eine Decke und ein Kissen."

Louis nickt und Harry verschwindet wieder die Treppe hoch. Clifford bleibt bei Louis, hechelt und stupst ihn mit der Pfote an. Louis muss lächeln und streicht ihm über die Schnauze.

„Na dann komm, Cliff. Gehen wir mal ins Wohnzimmer." Er hatte nicht vor, dass seine Stimme so eingeschüchtert klingt. Aber das tut sie, denn er weiß nicht was schlimmer wäre; wenn das Wohnzimmer genau gleich oder komplett anders aussieht.

Der Flur ist genau gleich. Und Louis weiß nicht wie er damit umgehen soll.

Als er das Wohnzimmer betritt, stockt ihm (wieder mal) der Atem. Denn irgendwie ist alles genau wie früher, aber gleichzeitig wirkt alles neu. Und das ergibt irgendwie keinen Sinn. Aber die Wände sehen frisch gestrichen aus und der Boden ist statt weichem Teppichboden mit hellen Holzdielen ausgelegt, aber jedes einzelne Möbelstück ist dasselbe und steht am gleichen Platz wie vor fünf Jahren.

Harry hat das Zimmer also komplett renoviert und dabei aktiv entschieden, es genau gleich zu lassen.

Louis kann nicht klar denken. Was bedeutet das jetzt? Bevor seine Beine komplett versagen, tragen sie ihn zum weinroten Sofa und er lässt sich darauf sinken.

Clifford springt neben ihn und ohne, dass er etwas dagegen tun kann, sagt Louis „Cliff, nicht." und schiebt ihn mit der Hand runter.

Dann erstarrt er in sich und spürt wie sich ein Kloß in seinem Hals bildet. Clifford bleibt vor ihm sitzen und legt seinen Kopf auf Louis' Knie, weil er merkt, dass er Trost braucht und Louis streichelt ihn nur weiter und beißt sich auf die Lippe.

Die Gewohnheit hat ihn jetzt schon eingeholt. Nach nicht mal zwei Minuten in diesem Haus.

„Er darf jetzt aufs Sofa", hört Louis Harry sagen und sieht erschrocken auf. Harry steht ihn der Tür, eine Decke im linken Arm, ein Kissen im rechten.

„Was?" Louis runzelt seine Stirn. „Aber du warst doch immer derjenige, der-"

„Dinge ändern sich, Louis", unterbricht Harry ihn scharf und kommt auf ihn zu, um ihm das Bettzeug zu geben. Er legt es neben ihm ab, mustert Louis dann und Louis kann nicht anders, als sich sehr unsicher zu fühlen.

„Du gehst morgen sofort rüber", sagt er dann. „Keine Ausreden, kein Zeitschinden."

Louis nickt. „Ja."

„Aber ich denke mal der Jetlag ist nicht ganz ohne, also kann ich verstehen, dass du dich...erstmal ein wenig ausruhen willst." Er blinzelt und hustet dann leise, was in ein Räuspern übergeht. Louis' Herz rastet mal wieder aus, denn das hat Harry schon immer gemacht, wenn er in unangenehmen Situationen war. Nur waren diese Situationen meistens nicht mit Louis.

„Cliff", sagt Harry und der Hund sieht auf. Harry macht eine Handbewegung und sagt „los, ab nach oben" und Clifford sieht noch einmal zu Louis, dann trottet er aus dem Zimmer.

„Ähm ja, dann...schlaf gut." Harry dreht sich um und geht ebenfalls, doch dann bleibt er stehen und legt seine Hand neben sich an den Türrahmen, als müsste er sich physisch davon abhalten nicht zu fliehen. Er dreht seinen Kopf vielleicht 20 Grad, sodass er Louis nicht mal annähernd angucken könnte, aber klar ist, dass er mit ihm spricht.

„Sprich mich bis morgen nicht an. Ich brauche Zeit."

Louis ist eh viel zu erschöpft und fertig, um sich noch mit Harry zu unterhalten, aber als dieser dann das Zimmer verlässt und die Tür zuzieht, fällt Louis etwas an dem Bild von Harry, wie er ihm Türrahmen stand, auf. An seiner Hand.

Als Louis realisiert, was er da gerade gesehen hat gefriert das Blut in seinen Adern und er kann ein leises, schockiertes Keuchen nicht zurückhalten.

Der Ehering.

Harry trägt ihren Ehering.

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