[81] Rest your head upon my chest
Einige Zeit standen wir still in dem kleinen Zimmer und sagten kein Wort. Jeder schien seinen eigenen Gedanken zu zuhören.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit auf den Boden gestarrt und die Geschichte noch einmal in meinem Kopf durchgespielt hatte, hob ich schließlich meinen Blick und schenkte ihn Harry.
Während des Erzählens hatte er ruhig geklungen und hatte nicht den Anschein gemacht, als wäre ihm gerade etwas schlimmes zu gestoßen.
Doch jetzt wichen die Stärke und die Ruhe aus seinen Gesichtszügen. Zurück blieb nur noch eine Erschöpfung, vermischt mit der anfänglichen Trauer. Sicherlich fühlte er sich vollkommen ausgelaugt und überfordert.
Entweder hatte Liam heimlich Gedankenlesen gelernt oder unsere lange Freundschaft war dafür Verantwortlich, zumindest sprach er meine Befürchtungen im nächsten Moment laut aus: „Harry, du musst total fertig sein. Ich schlage vor, dass wir dich erst einmal ins Hotel bringen und dort in Ruhe über alles reden“
„Das klingt gut. Wir werden sowieso jeden Moment abgeholt“, stimmte Louis ihm schnell zu und sah von einem zum nächsten.
„Hailee und ich müssten noch ihre Sachen aus ihrem vorigen Hotel abholen“, warf ich ein und ließ meinen Blick erneut zu Harry schweifen. Immer und immer hörte ich seine Worte in meinen Kopf widerhallen. Immer wieder ging ich Aidens traurige Geschichte durch und immer mehr verstand ich seine Entscheidung das alles zurück lassen zu wollen. Ich schluckte.
Warum war das Leben auch so kompliziert und die Menschen so gemein?
„Gut“, seufzte Louis da und streckte Harry die Hand entgegen, um ihn auf die Beine zu ziehen. „Dann könnt ihr ja nach kommen“
Eine dreiviertel Stunde später hatten wir Hailees Koffer abgeholt und machten uns ebenfalls auf den Weg zu unserer Unterkunft.
Die Nachtluft, die mir obwohl es Anfang Juni war sehr frisch erschien, streifte unsere Gesichter und verdeutlichte nur noch mehr das ungute Gefühl der letzten zwei Stunden.
In meiner rechten Hand Hailees Rollkoffer, in der linken ihre Hand, lief ich die Stufen empor und sah mich in der verlassenen Lobby um. Da wir schon vorhin in dem Hotel eingecheckt und unsere Sachen verstaut hatten, mussten wir uns hier unten nicht länger aufhalten.
Ich sah vom Aufzug zu Hailees Koffer und wieder zurück. Schließlich nahm ich die Steile der Treppe mit einem leisen Seufzen doch an und trug das Gepäckstück die Stufen hoch, was Hailee nicht mit einem Spruch, sondern nur mit einem dankbaren Lächeln kommentierte.
Unser Schweigen hatte die ganze Fahrt angehalten und verweilte auch jetzt noch in unserer Mitte. Der Tag war einfach viel zu aufschlussreich gewesen, als hätte man jetzt über banale Dinge reden können.
Gerade als wir in den leeren Gang traten und auf unser Zimmer zu steuerten, vernahm ich durch den Teppich gedämpfte Schritte. Dessen Besitzer erkannte ich sofort.
„Louis“ Ich drehte mich zu ihm um. Er hatte sich bereits eine Jogginghose und eine bequeme Trainingjacke über geworfen. In seinen Händen balancierte er ein Tablett mit einer Teekanne und einer Tasse. „Ich war gerade noch in der Küche, um Harry Tee zu besorgen. Der ist bei ihm ja immer die beste Medizin... Warum auch immer“
„Das ist lieb von dir“, murmelte ich nachdenklich, während die Deckenlampen unsere Anwesenheit zur Kenntnis nahmen und augenblicklich den Flur erhellten.
Schließlich nickte Louis nach rechts zu einer Tür, hinter welcher sich sein Zimmer verbarg. „El war ganz schön fertig und hat sich schon mal hingelegt“
Ich beließ es bei einem Nicken, ehe wir bei Hailees und meinen eigenen Zimmer stehen blieben. Gegenüber von diesem befand sich Harrys, wodurch auch Louis zum Halt kam und uns ein mattes Grinsen schenkte. „War alles ein bisschen viel, was?“
Ich nickte leicht, als Hailee Louis plötzlich fragend ansah. „Wo ist Aiden denn jetzt überhaupt. Er fliegt doch erst morgen, oder?“
„Ja, Harry meinte um 2 pm. Und wo er ist... Na ja, seine Sachen sind nicht mehr da, deshalb gehen wir davon aus, dass er sich für die Nacht ein anderes Hotel gebucht hat“
Wieder kehrte Stille ein, während Louis bemüht Harrys Zimmerkarte aus seiner Jackentasche fischte, darauf bedacht, dass die Teekanne nicht in Lebensgefahr geriet.
Meine Reflexe waren in dieser Nacht nicht mehr die besten. Dafür kam mir Hailee jedoch schnell zuvor und nahm das Tablett in beide Hände.
Dankend nickte Louis meiner Freundin zu, ehe er die Karte nun ohne Probleme hervorzog und in den Schlitz über der Türklinke steckte. „Du bist übrigens gar nicht so eine eingebildete Tussi, wie ich immer dachte“
Beinahe hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Wütend funkelte ich ihn und an zischte fassungslos: Louis!“
Doch anstatt mein Verhalten auch nur ansatzweise nachzuahmen, entgegnete Hailee bloß: „Und du bist doch gar nicht so ein schräger Badboy, wie ich erwartet hätte“
„Das hört man doch gerne... Na ja, gute Nacht ihr zwei. Ich bleibe noch eine Weile bei Harry“, mit diesen Worten nahm er ihr das Tablett wieder ab und schob sich mit Hilfe seiner Schulter in das Zimmer.
„Gute Nacht“, grummelte ich noch immer wütend über Louis' unverschämte Direktheit und begann schließlich auch unser Hotelzimmer zu öffnen.
Wenig später fiel die gegenüberliegende Tür leise zu und ich wusste, dass Harry, obwohl Louis ein respektloser, Hailee beleidigender, Vorurteile habender Idiot war, bei niemanden in besseren Händen gewesen wäre.
Draußen war es bereits stockdunkel geworden und die Nacht war weit voran geschritten, als Hailee sich auf meine Brust legte und sich schweigend an mich schmiegte. Auch ich hielt der Stille stand und sagte kein Wort.
Noch immer konnte ich nicht begreifen, weshalb so viele dort draußen derart respektlos waren. Leben und leben lassen, das sollte sich jeder einzelne in den Kopf rufen, der andere verurteilte.
Menschen konnten so unglaublich unmenschlich sein. Insbesondere Jugendliche, die durch ihre eigene Unsicherheit sich damit stärker machen wollten, indem sie andere schlecht machten.
Cooper Turner musste einer dieser Kandidaten gewesen sein. Ich kannte ihn nicht persönlich und wusste nicht, wehalb er damals so gehandelt hatte, doch nahm ich es ihm trotzdem sehr übel.
Nachdenklich fuhr ich mit meinen Fingerspitzen über Hailees Arm.
„An was denkst du?“, hauchte ich irgendwann in die Stille hinein und nahm ihre Hand in meine.
Ich vernahm, wie sie mit den Schultern zuckte.
In dem Moment, in dem ich die Hoffnung auf eine Antwort bereits verloren hatte, fragte sie auf einmal: „Glaubst du, dass Harry und Aiden, dass doch noch irgendwie schaffen?“
„Ich weiß es nicht“, murmelte ich und konnte noch immer nicht den Blick von ihr nehmen. „Ich hoffe es aber von ganzen Herzen“
Plötzlich richtete sie sich auf und saß einzig und allein ihren ihren weiten Schlafshirt neben mir. „Grandma hat mal gesagt, dass jeder Umstand und jedes Hinterniss egal ist: Wenn zwei Menschen zueinander gehören, finden und bleiben sie zusammen“
Sie lächelte mich schief an, was ziemlich süß aussah und ließ sich abermals auf meine Brust sinken. Dann kroch sie mit unter meine Decke, wodurch sich ihre Körperwärme sofort mit meiner eigenen vermischte.
„Deine Grandma ist eine weise Frau“, flüsterte ich leise und gab Hailee ein Kuss auf die Haare.
Daraufhin schlich sich abermals eine Stille an, gefolgt von einer Kiloschweren Müdigkeit.
Ich hörte nur noch ein leises „Gute Nacht“, spürte nur noch die Wärme auf meiner Brust, die von Hailee verursacht wurde und sah nur noch ihre braunen Haare vor meinem Gesicht, ehe ich in verwirrende Träume fiel, in denen das von mir erschaffende Bild von Cooper Turner Unheil anrichtete.
2. Juni 2019
Keine Ahnung, wie lange ich geschlafen hatte. Keine Ahnung, wo ich mich gerade befand. Keine Ahnung, was mich aufgeweckt hatte. Ich stockte. Doch natürlich wusste ich, was mich aufgeweckt hatte. Mein Arm.
Wenn er denn überhaupt noch zu mir gehörte. Das unangenehme Kribbeln wurde bei einer noch so leichten Bewegung schlimmer. Murrend öffnete ich die Augen und sah mich verschlafen um. Schlagartig war der eigneschlafende Arm vergessen.
Denn da sah ich aus müden Augen das Bild vor mir, welches ich mir immer gewünscht hatte, als allererstes nach dem Aufwachen zu sehen.
Hailee, die noch immer halb auf meinen Bauch schlief und so friedlich und schön aussah, wie es eigentlich nur Engel taten.
Doch dann wurde dieses wunderschöne Bild von einem unguten Gefühl unterbrochen. Ein Gefühl, das gestern etwas schlimmes passiert war. Plötzlich war ich hellwach. Ich richtete mich so abrupt auf, dass Hailee zusammenfuhr.
Sie gab ein undefinierbares Geräusch von sich und hob schließlich ihren Kopf, um mir direkt in die Augen zu sehen.
„Niall, musst du mich so erschrecken?“, fragte sie nörgelnd nach, ehe sie sich erneut zurück fallen ließ. Der süße Engel, der bis eben noch so friedlich neben mir geschlafen hatte, war offensichtlich ausgeflogen. Ich hatte ganz vergessen, dass wir beide Morgenmuffel waren.
„Sorry“, sagte ich mit heiserer Stimme und fuhr mir über das Gesicht. Die gestrigen Ereignisse prasselten auf mich ein und lösten die restliche Müdigkeit vollständig auf.
Und scheinbar suchten Hailee kurze Zeit später ebenfalls diese Gedanken auf. Denn da wandelte sich ihre schlechte Laune schnell in eine ernste Miene um, mit welcher sie mich ansah. „Wie spät ist es?“
Ich warf einen flüchtigen Blick auf mein Handy, welches neben mir auf dem Nachschrank lag.
Da ich wusste, dass es ihr nicht um die Zeit ging, ersparte ich ihr das Rechnen und antwortete leise: „In drei Stunden fliegt Aiden zurück“
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top