[61] Since we're alone
Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder träumte ich oder ich hatte durch meine einsamen Tagen Halluzination bekommen.
Erneut schaute ich in die vertrauten Augen. Ich hatte sie einen Monat nicht mehr gesehen.
Mein Blick wanderte von der Jogginghose, zu dem Hoddie und schließlich zu dem unordentlichen Dutt, aus welchen sich bereits einzelne Strähnen gelöst hatten. Selbst die Schminke sah ziemlich mit genommen aus.
„Niall“ Hailees Stimme durchschnitt die Stille. Eine Weile herrschte abermals ein Schweigen zwischen uns.
Die Gedanken drehten sich wie wild in meinem Kopf. So schnell, das ich keinen erfassen und aussprechen konnte.
„Ich war wohl die Letzte, mit der du gerechnet hast“, sagte Hailee leise.
„Allerdings“, antworte ich härter als beabsichtigt. Ich war noch viel zu verwirrt, als hätte ich etwas sinnvolles von mir geben können.
„Ich habe dich vermisst, Niall“ Sie sah mich ernst an und für einen Moment trafen sich unsere Augen.
„Aha“, sagte ich und fuhr mir durchs Gesicht. Wie dumm konnte man sein? Nach so langer Zeit bekam man zuhören, dass der Mensch, den man über alles liebte, einen ebenfalls vermisste und das Einzige, das man dazu sagte war ein „Aha“ ?
Das schaffte aber auch echt nur ich.
„Ich will dich nicht überfallen, okay? Und wenn du willst, dass ich gehe, würde ich es verstehen. Aber kannst du bitte mal mehr als nur ein Wort von dir geben?“, fragte sie und brachte ein mattes Grinsen zu Stande.
Es dauerte einige Zeit, bis ich dieser Bitte nachkommen konnte: „Du glaubst doch nicht allen erstens, dass ich dich um diese Uhrzeit auf die Straße setzte?“
Bevor sie etwas hinzufügen konnte, streifte ich ihr ihren Rucksack von der Schulter und trat einen Schritt vor, um nach weiteren Gepäck Ausschau zu halten. Jedoch wurde ich nicht fündig.
„Kein Schminkkoffer und keine halbe Garderobe?“, fragte ich verwirrt nach und konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Du bist so ein Idiot“, entgegnete sie und für einen Moment lachten wir beide unbeschwert wie in alten Zeiten. Zumindest so lange, bis uns wieder einfiel, was alles passiert war.
Schnell wurden wir wieder ernst.
„Der Flug war eine ziemlich spontane Entscheidung und ich wusste ja nicht, wie lange ich bei dir bleiben kann“, erklärte sie da und sah mich fragend an, als würde wenigstens ich ihre Frage beantworten können.
Doch statt darauf einzugehen, schwang ich ihren Rucksack über meine rechte Schulter und trat einen Schritt zurück, sodass sie eintreten konnte.
Mein Herz klopfte wild in meiner Brust. „Was tue ich hier bloß?“, fragte ich mich im Stillen.
Gemeinsam liefen wir durch den Flur ins Wohnzimmer. Hektisch kramte ich die leeren Pizzakartons zusammen und verstaute sie in dem Mülleimer in der Küche.
Auf den Weg machte ich die Fenster auf Kipp, wodurch sofort die Nachtluft in den stickigen Raum drang. Scheinbar hatte ich nicht nur mich gehen lassen, sondern auch mein Haus.
Hailee hätte sich aber auch echt keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um mich zu besuchen.
Nachdem ich noch die Zeitschriften, welche zerstreut auf dem Sofa lagen, auf den Glastisch verstaut hatte, bedeutete ich Hailee Platz zu nehmen. Und das tat sie.
Jedoch nicht so selbstverständlich und Platz einnehmend wie früher. Sie machte sich klein, legte ihre Hände in den Schoß und machte den Anschein, als wäre sie hier das erste Mal.
Ich ließ mich neben sie nieder. Gedankenverloren starrte ich zu dem Fernseher, welcher noch immer leise lief. Sie machte es mir nach.
Schließlich griff ich nach der Fernbedienung und brachte das Gerät zum Verstummen. Nun waren wir der Stille ausgeliefert.
„Und jetzt?“, fragte ich auf einmal nach und schenkte Hailee einen kurzen Seitenblick.
Sie zuckte kleinlich mit den Schultern und wich meinem Blick aus. „Erst stößt du mich zurück und jetzt tauchst du wie aus dem Nichts vor meiner Tür auf. Ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig“, sprudelte es aus mir heraus. Die Verwirrung und Aufregung wandelte sich urplötzlich um in Wut.
„Die hast du doch schon bekommen“, entgegnete Hailee leise und prüfte ihre Fingernägel, um mich nicht ansehen zu müssen.
„Wann bitte sollte ich eine Erklärung für dein Verhalten bekommen haben?“, fragte ich laut nach.
„Ich habe dich vermisst“, wiederholte Hailee ihre Worte von vorhin und atmete geräuschvoll aus.
„Ich dich auch“, dachte ich im Stillen, doch was ich sagte war: „Schön, das fällt dir aber reichlich spät ein“
Hailee machte Anstalten etwas zu sagen, doch behielt den Mund weiterhin geschlossen.
„Warum ist denn das so kompliziert mit uns beiden?“, murmelte sie da und nahm ihren Blick von ihren Händen, um mich von der Seite zu betrachten.
„Wüsste ich darauf eine Antwort, würdest du diese Frage nicht stellen müssen“, gab ich als Antwort zurück. Eine große Leere machte sich in mir breit.
„Ich wusste gar nicht, dass du so poetisch bist“ , meinte Hailee und stieß mir sanft in die Seite. Ich wich erschrocken zurück.
„Es gibt vieles, das du nicht weißt“, entgegnete ich da und sah sie gedankenverloren an.
Ich wusste, dass auf uns beide eine Aussprache wartete. Ich wusste, dass wir miteinander sprechen sollten. Nur waren wir beide nicht sehr angetan davon über die Vergangenheit zu reden. Schon allein bei dem Gedanken an sie zog sich mein Magen zusammen.
„Es ist spät“, platzte es auf einmal aus mir heraus. Unsere Blicke schweiften zu der blinkenden Anzeige unter dem Fernseher, welche uns mitteilte, dass es schon kurz nach Mitternacht war.
Die Uhrzeit war die beste Ausrede unser Gespräch auf morgen zu verschieben.
„Du hast einen langen Flug hinter dir. Mach dich im Bad fertig und leg dich dann ins Schlafzimmer ins Bett. Wenn du noch was brauchst, sag Bescheid“, sprudelte es aus mir heraus. Leise fügte ich hinzu: „Du kennst dich ja hier aus“
Wie auf Kommando gähnte Hailee und setzte ein verlegendes Lächeln auf. Ich wusste nicht, ob ich ihr Gähnen oder ihr Lächeln süßer finden sollte.
„Ich will aber echt keine Umstände machen“, meinte sie schließlich, doch ich hatte mich bereits erhoben und sie auf die Beine gezogen.
Während sie noch zögerte, schob ich sie Richtung Treppe. Mit einem letzten Blick in meine Richtung, griff sie den Rucksack, welchen ich im Flur verstaut hatte, und lief schnelles Schrittes die Stufen hoch. Bald schon war ihr brauner Haarschopf verschwunden.
„Fuck!“, nuschelte ich leise. Ich fuhr mir über die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Das konnte doch alles nicht wahr sein!
Eine Weile tigerte ich im Wohnzimmer auf und ab. Von oben war nichts zu hören. Schließlich entschied ich mich dazu mal nach Hailee zu sehen.
Ich lief zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hoch und kam vor der Badezimmertür zum Halt. Die Tür war nur leicht angelehnt, sodass ich durch den Spalt ins Rauminnere sehen konnte.
Hailee stand mit dem Rücken zu mir vor dem Spiegel und fuhr sich mit Abschminktücher über die Augen. Frauen waren schon verrückt. Sie nahmen nur einen winzigen Rucksack mit und das woran sie dachten, waren Abschminktücher.
Ich sah an ihrem Spiegelbild herunter. Sie hatte ihren Hoodie ausgezogen und hatte nur noch ihren schwarzen Spitzen-BH an.
Mein Blick blieb an ihm heften. Leicht lehnte ich mich an den Türrahmen und beobachtete sie.
Erst als ich plötzlich durch den Spiegel hindurch Hailees Augen auf mir spürte, konnte ich mich aus der Starre befreien und löste meinen Blick von ihrem Oberkörper.
„Ich wollte nicht...“, stotterte ich verlegen und spürte wie mir die Röte in die Wangen schoss.
Ohne etwas zu sagen, schnappte sich Hailee ein schwarzes T-Shirt und ließ ihren BH darunter verschwinden.
Es war schon merkwürdig. Freunde beim Umziehen zu sehen war kein Problem und als Partner das normalste der Welt.
Doch kaum befand man sich zwischen den Fronten, wurde diese Selbstverständlichkeit plötzlich komisch.
„Ich bin fertig“, brach Hailee die Stille und nahm ihren Rucksack mit ins Schlafzimmer.
Schnell bezog ich das Bett mit neuer Bettwäsche, auf welcher eine Irland-flagge zu sehen war. Die Jungs hatten sie mir vor einigen Jahren zu Weihnachten geschenkt und seither hatte ich sie ins Herz geschlossen. Ja, Bettwäsche konnte man tatsächlich ins Herz schließen.
Mit hochgezogener Augenbraue betrachtete Hailee die Decke. Jedoch verkniff sie sich ihr Kommentar, welchen ich mir aber auch so erschließen konnte, und ließ sich auf der Bettkante nieder.
Zögerlich setzte ich mich ein Stück weit von ihr weg ebenfalls hin.
„Hattest du überhaupt Abendbrot? Soll ich uns Essen bestellen?“, fiel es mir plötzlich ein.
Sie schüttelte den Kopf und nuschelte fast tonlos: „Ne, ich habe keinen Hunger“
„Ich auch nicht“, gestand ich und fuhr mit den Fingern über den orangenen Stoff.
„Das hatte noch nie etwas gutes zu bedeuten“ Hailee schmunzelte, doch ihre Augen sahen weiterhin emotionslos gerade aus.
Irgendwann hielt ich die Stille nicht mehr aus und erhob mich ruckartig. Eine Weile blieb ich an Ort und Stelle stehen.
Was sagte man seiner besten Freundin, die schon lange mehr für einen war, und die plötzlich ankam, weil sie einen vermisste?
Da ich keine Antwort auf diese Frage bekommen würde, entschied ich mich für die leichte Variante: „Gute Nacht, Hailee“
Ohne etwas zu erwidern, blieb sie in ihrer Starre sitzen. Ich machte mich auf den Weg zur Tür. In der Hoffnung, dass sie etwas erwidern würde, ließ ich mir extra viel Zeit. Doch es blieb still.
Einen Augenblick hielt ich noch Inne. Dann schloss ich vorsichtig die Tür.
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