2. Mai 2019

Als ich meine Augen öffnete, hatte ich einen Moment jegliche Orientierung verloren. Dass ich nicht Zuhause war, wurde mir sofort klar, doch sah die Umgebung um mich herum auch nicht nach einem Hotel aus.
Erst als ich mir verschlafen über die Augen fuhr und ich mich auf dem ausgezogenen Sofa aufrichtete, erkannte ich Liams Wohnzimmer wieder.
Der gestrige Abend schoss in meine Gedanken und ließ sofort ein Lächeln auf meinen Lippen erscheinen. Im Großen und Ganzen war er wirklich ein Erfolg gewesen.

Einen Augenblick horchte ich, ob von oben etwas zu hören war. Kein Gelächter, keine Stimmen und keine Kinder, die auf dem Laminat auf und ab liefen.
Scheinbar schliefen sie noch oder wollten ihr Wachsein noch nicht verkünden, um noch länger im Bett liegen bleiben zu können.

Langsam erhob ich mich und lief gedankenverloren um dem Glastisch herum. Ich war eine lange Zeit nicht mehr hier gewesen.
Mein Blick schweifte von dem großen Fernseher, zu der Regelwand an der anderen Seite. Liam hatte nicht mehr ein solchen Ordnungswahn wie er ihn früher gehabt hatte, doch achtete noch immer stark darauf, dass alles seinen Platz hatte. Bear würde wahrscheinlich ein ordentlicher Mann werden, bei den beiden Vorzeigeeltern.

Ich lief zu eines der Regale, in dem ein paar Bücher standen. Die sieben Harry Potter Teile und daneben ein paar Krimis.
Die Fantasybücher waren ziemlich abgenutzt. Ich brauchte für ein Buch schon gefühlte zehn Jahre. Wie konnte Liam dann nur Büchr dutzende Male hintereinander lesen?
Mein Finger streifte über den Buchrücken von Harry Potter und der Feuerkelch, als mein Blick an einem eingerahmten Bild hängen blieb.

Es zeigte uns fünf damals bei X-Faktor. Es war schon verrückt. Auf dem Foto sah man nichts, als unerfahrene Kinder, die nicht die leistete Ahnung hatten, was alles kommen würde.
Vorsichtig nahm ich den Bilderrahmen hoch und konnte in dem Glas mein eigenes Lächeln spiegeln sehen.

Da wurde meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt. Unter der Regalreihe befanden sich ebenfalls zwei Bücher.
Es waren jedoch keine Exemplare, die man in einem Buchladen hätte finden können. Das eine hatte die Aufschrift: The Story of our life (2010-2015).
Das andere: The Story of my life (2015-2019).

Mein Neugierde war geweckt. Ich hatte es noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Schnell nahm ich The Story of our life aus dem Regal und blätterte es im Schnelldurchlauf durch.
Ich erkannte Fotos, Songtexte, Zitate, eingeklebte Zeichnungen, die nur von Zayn stammen konnten und ein paar Briefumschläge, die nur darauf warteten geöffnet zu werden.

Aus unerklärlichen Gründen begann mein Herz schneller zu schlagen. Den Blick noch immer auf das Buch geheftet, schlängelte ich mich an den Tisch vorbei, wobei mein Knie um ein Haar die Glasplatte getroffen hätte, und ließ mich auf dem Sofa nieder.
Auf den ersten Seiten waren hauptsächlich Fotos von X-Faktor, die der sechzehnjährige Liam mit seiner unverwechselbaren Schrift kommentiert hatte. Ein paar Seiten weiter fand ich eine Art Ausfüllbogen:

Das mag ich an Louis: Er ist lustig und meistens hilfsbereit!
Das mag ich nicht an Louis: Er ist vorlaut, unordentlich und laut!

Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Früher waren Louis und Liam wie Feuer und Wasser gewesen. Oft hatten sie sich gestritten.
Wobei Liam immer den kürzeren gezogen hatte. Meistens hatte er das damit gerechtfertigt, dass er der Klügere nachgeben würde.
Schnell überflog ich Harrys und Zayns Bogen und blieb schließlich bei meinem eigenen hängen.

Das mag ich an Niall: Er ist nett, lustig und versüßt einen den Tag!
Das mag ich nicht an Niall: Er hat eine große Klappe und ist manchmal anstrengend!

Ich konnte förmlich Liams Stimme heraus hören. Früher war unser Verhältnis noch einmal ganz anders gewesen. Und doch trafen die Punkte noch immer halbwegs zu.
Fieberhaft blätterte ich weiter in dem schwarzen Buch und blieb schließlich bei einem Foto hängen, das mit „Filmabend bei Harry" kommentiert wurde.

Tatsächlich erinnerte ich mich noch daran, wie Anne es geschossen hatte.
Während Louis mit seiner karierten Schlafanzughose auf dem Sofa herum sprang, stritten Harry und ich uns um die Chipstüte, die drohte jeden Moment auseinander zu reißen.
Im Hintergrund veranstalteten Liam und Zayn eine Kissenschlacht, die Louis wie ein Fußballkommentator verfolgt hatte.

Ich hatte das Gefühl gehabt, dass wir uns kaum verändert hatten, doch wenn ich mir diese Bilder anschaute, wurde mir klar, dass ich mich da gründlich geirrt haben musste.
Über die neun Jahre war so vieles passiert.
Natürlich waren wir noch immer die selben Menschen, doch die Welt dort draußen hatte die Kraft einen trotz allem zu verformen. Ich war froh, dass keiner von uns vier sich dem Promistatuts ganz ausgeliefert hatte.

Da fiel mein Blick auf ein paar Zitate.
29.05.2012, Harry: Zayn ist schon ziemlich hot!
2.06.2012, Zayn: Niall wird eines Tages seine Gitarre heiraten!
10.06.2012, Niall: Larry ist real! Louis: Sag das noch einmal und deine irische Klappe lernt meine Faust kennen!

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen und sah rasch auf, um zu überprüfen, ob ich Jemanden geweckt hatte. Doch herrschte noch immer absolute Stille im Haus.
Das Grinsen wollte meine Lippen einfach nicht mehr verlassen und wurde nur noch stärker, als das nächste Zitat in meine Augen fiel.

13.06.2012, Niall: Harry hat den Größten!

Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern das gesagt zu haben und doch zweifelte ich keine Sekunde daran, dass dieser Satz vor sieben Jahren meine Lippen verlassen hatte.
Eine Weile war ich völlig in die Seiten vertieft. Wie konnte Liam uns das nur vorenthalten haben? Und warum hatte ich es nie bemerkt?
Zwischen den Seiten dieses Buches lebte unsere Geschichte. Die Erinnerungen überwältigen mich ganz aufs neue. Vieles hatte ich bereits vergessen oder es fiel mir erst dann wieder ein, als ich es mir durchlas.

Liam musste Stunden damit verbracht haben diese Erinnerungen festzuhalten. Schon allein die Songtexte mit Zeichnungen und anderen Verschönerungen aufzuschreiben, hatte sicherlich viel Zeit in Anspruch genommen.
Er hatte zwar nur seine Lieblingslieder genommen, aber dennoch waren es nicht wenige.

Schließlich war ich bei unserem vierten Album angekommen.
Etwas irritiert betrachtete ich die leere Seite, die darauf folgte. Kurz kam mir der Gedanke, dass Liam das Buch abgebrochen haben musste, doch da erkannte ich die Schrift auf der Rückseite.
In schwarzen, großgeschriebenen Worten stand dort: Zayns Austritt- Ich werde dich immer im Herzen behalten.

Augenblick verschwand das Lächeln von meinen Lippen. Ein merkwürdiges Gefühl suchte mich auf, welches mit keinem Adjektiv dieser Welt beschrieben werden konnte.
Mit zittrigen Fingern blätterte ich um und sah, wie schon auf ein paar Seiten davor einen Briefumschlag, der mit der Rückseite in das Buch geklebt wurde. Davor hatte ich sie mir nicht durchgelesen, da sie größtenteils von mir selbst oder Harry kamen und ich ihren Inhalt noch im Gedächtnis hatte. Das hier jedoch war etwas anderes. Ich hatte diesen Brief mit der Aufschrift „Für Liam, meinen besten Freund" noch nie gesehen.

Behutsam zog ich die Spitze des Umschlags nach draußen und offenbarte so ein liniertes Blatt, welches ein wenig zerknickt war.
Ich holte es heraus, faltete es auseinander und legte es auf meinem Knie ab, um es glatt zu streichen.
Einen Augenblick zögerte ich und ging im Kopf das Briefgeheimnisgesetz durch, dann atmete ich tief durch und begann zu lesen:

Lieber Liam,

vielleicht wunderst du dich über diesen Brief. Ich gebe zu, dass ich durch mein Handy seit gefühlt zehn Jahren keinen Brief mehr geschrieben habe. Außer ein paar Mal an meine Oma. Na ja, aber es sollte wenigstens ein bisschen persönlich sein.

Ich wollte dir nur noch mal sagen, dass du das auch ohne mich packst. Du bist stark, Liam. Und tu mir den Gefallen und passe weiterhin auf die Jungs auf.

Wir wissen beide, was die Folgen von Nialls Naivität sind. Er hört oft nur auf sein Herz und nicht auf seinen Verstand. Achte bitte auf ihn! Denn ich will nicht, dass er irgendwann dadurch ausgenutzt wird.

Auch bitte ich dich ein Blick auf Harry zu werfen. Er ist sehr verletzlich und hat nicht nur einmal an sich und sein Können gezweifelt. Du warst ihm immer eine Stützte in seinem Leben und das wirst du wohl auch immer bleiben.

Und was Louis betrifft - Wir wissen beide, dass er oft an die Decke geht und wieder auf den Boden gebracht werden muss. Ich weiß, dass du ihm ein guter Freund sein wirst. So wie du mir ein guter Freund gewesen bist.
Ich weiß selbst nicht, wieso ich hierfür eine Vergangenheitsform nutze... Es ist nur so ein Gefühl!

Aber jetzt kommen wir zum Wichtigsten: Versprich mir, dass du auf dich selbst aufpasst. Du machst eine schwere Phase durch, ich weiß. Liebeskummer setzt dir sehr zu, aber du musst dich entscheiden. Entweder gibst du Sophia und dir noch eine Chance oder ihr beendet es.

Ich empfehle dir, dass zweite zu tun. Und ja, es ist verdammt schwer! Aber ich möchte nicht, dass du darunter leidest. Vielleicht ist es an der Zeit neue Wege einzuschlagen. Hör auf deine innere Stimme, Liam.

Und wenn du Jemanden zum Reden brauchst, sprich mit den anderen. Sie werden dich verstehen.
Denn so scheiße es auch ist: Ich werde nicht länger dein Ansprechpartner sein.

Alles wird gut, Großer!

Dein bester Freund Zayn

Erst als ich geendet hatte, bemerkte ich die Tränen, die meine Wangen hinunter liefen. Wie versteinert blieb ich sitzen und konnte einen Moment nichts anderes tun, als den Brief in meinen Händen anzustarren.
Ich hatte eindeutig eine Überdosis Erinnerungen abbekommen.
Hastig verstaute ich den Brief zurück in dem Umschlag und überflog gedankenverloren unser letztes Album.

Ein paar Zitate fielen mir noch in die Augen, doch sobald ich sie durchgelesen hatte, hatte ich sie wieder vergessen. Nachdem das Jahr 2015 vorangeschritten war, erwartete mich auf einmal unvorbereitet unsere Pause. Wieder wurde sie in dem schwarzen Edding geschrieben und sah so trübselig aus, wie eine Buchseite nur aussehen konnte.
Darauf folgte eine leere Doppelseite. Doch wie zuvor schon bei Zayns Austritt, war die Rückseite beschrieben. Dieses Mal in einer roten und intensiven Farbe: Fortsetzung wird folgen...

Hey, ich weiß, dass ist jetzt mal etwas anderes und hebt sich von der restlichen Geschichte ein wenig ab. Wenn euch der kleine Einblick in die Vergangenheit trotzdem gefallen hat oder ihr vielleicht so etwas in der Art noch mal lesen wollt, könnt ihr mir das gerne mit einem Vote oder einem Kommentar zeigen❤