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Meine Sicht wurde klar. Ich hatte nichts anderes erwartet, doch als ich neben den lichtblauen Mustern des Hologramms sanftmütige, kluge Augen erblickte, führte mein Herz einen Stepptanz auf.
Es war zur Gewohnheit geworden, aber trotzdem nicht zur Selbstverständlichkeit. Lilith könnte mich zu jeder Minute verlassen, nicht mehr in der Lage sein, sich mit dem Viewfinder zu verbinden, und ich würde nichts davon erfahren. Dann würde ich zurückkehren in ein Leben, das mir im Vergleich zu unseren Treffen mittlerweile wie das ödeste Moloch vorkam. Es war so riskant wie alles an meiner bescheidenen Existenz.
"Was geht? Und, was hast du in letzter Zeit so gemacht?", begrüßte sie mich. Wie jedes Mal betrachtete ich zuerst ihre geschwungenen Lippen und die herzerwärmenden Grübchen, die darauf prangten wie Abzeichen. Ihr Gesicht, das ein einziges Kunstwerk war, und mir für einige Sekunden die Sprache verschlug. Immer und immer wieder. Ich fragte mich, ob sie das merkte.
Es war bei Weitem nicht der einzige Punkt, in dem ich mehr wie sie sein wollte.
"Das, was ich immer mache. Moderieren, schlafen und zwischendrin... ein wenig Freizeit. Ist ein ziemlicher Vollzeitjob, dieses Leben".
Sie nickte zustimmend. "Ich habe ja nicht so viel zu tun. Immer, wenn ich mich auslogge, treibe ich zurück in das farblose Meer, in dem ich kein richtiges Bewusstsein habe. Meine Gedanken zu den Dingen, über die ich träume, können sich erst sammeln, wenn ich hier bin. Bei dir".
"Klingt spannender, als es ist, nehme ich an".
Wieder nickte Lilith, und diesmal schlich sich ein Hauch Wehmut in ihre quietschfidele Heiterkeit.
"Wenn ich dann hier bin, kommt mir so vieles in den Sinn. Oftmals überfordert es mich zuerst, aber das wird wieder. Trotzdem verharrt all das in meinem Schädel, wartend darauf, dass ich mich daran zu schaffen mache. Hach", seufzte sie.
Doch das schadete ihrem optimistischen Strahlen nicht. Die Art und Weise, wie sie an alles heranging. Lilith zeichnete mit dem Zeigefinger Kreise in die Luft und malte sich währenddessen einen Wunsch aus.
"Wenn ich könnte, würde ich ein Notizbuch verfassen, oder ein dickes Tagebuch, oder beides in einem, um meinen Gedanken ein vernünftiges Zuhause geben zu können".
"Man merkt durchaus, dass du über fast alles philosophierst, selbst über Essen. Ich finde das interessant, weil du ganz anders bist als ich".
"Danke. Worüber wir reden und was ich mitbekomme, lässt mich auch keinesfalls locker". Jetzt massierte sie sich die Schläfe, als bräche eine gewaltige Welle über Lilith zusammen, die ihre Tonnen an Überlegungen durcheinanderschleuderte.
"Neulich, als wir miteinander gesprochen haben, hörte ich durch den Viewfinder Regen gegen die Fensterscheiben trommeln. Ganz leise. Regen schafft eine schöne Atmosphäre, finde ich. Ich hatte so ein warmes Gefühl dabei, im ganzen Körper. Es war herrlich, das zu fühlen, ich weiß nicht, wann ich das das letzte Mal vor dem Koma getan habe", schwärmte Lilith.
'Ob sie Sehnsucht nach der Natur hat?', grübelte ich vor mich hin. Ich konnte bis heute nicht ganz nachvollziehen, was sie an Rinnsälen auf Straßen und stygischen Nebelschwaden so begeisterte, doch nach einigen Wochen im Koma wäre mir das Wetter auch egal- ich würde einfach nur raus wollen. Vielleicht könnte ein Teil der Welt mir in dem Fall doch helfen, mir zumindest einen Halt geben.
Bevor ich sie darauf ansprechen konnte, fuhr Lilith fort. "Sag mal, wie oft stellst du dich ans Fenster und schaust einfach eine Weile nach draußen?"
"Oft", antwortete ich. Meistens, wenn ich gewisse Sachen rauchte.
'Oft'.
"Gestern Nacht konnte ich beispielsweise nicht schlafen. Da habe ich am Nachthimmel nach einer Sternschnuppe gesucht, um mir die Zeit zu vertreiben. Habe leider keine entdeckt".
"Wenn du eine sähst, wüsstest du, was du dir wünschen würdest?"
Ich nickte nachdenklich. Leider waren es Wünsche, die viel zu groß waren, um je Realität werden zu können.
"Denkst du, man kann sich auch etwas Schlechtes wünschen? Etwas, das besser nur Fantasie bleiben sollte?", fragte ich.
"Es kann nichts Falsches sein. Zumindest, solange es etwas ist, was dir gut tut und nicht nur einen Umweg um das pflastert, was du wirklich willst und brauchst. Deine Träume sollen dich glücklich machen, deinen Wünschen Freiraum schaffen. Nur das zählt".
Wie selbstsicher sie über Glück sinnierte, ließ etwas in mir bluten.
Ich hätte mir am liebsten jeden ihrer Sätze über dieses unerreichbare Ziel ausgedruckt und aufgehängt, bis jeder Fleck meiner ranzigen Tapete damit bedeckt war. Bis ich vergaß, dass es unerreichbar war.
Lilith wusste so viel über Glück und Freiheit.
Dabei hätte ich gerne erfahren, ob ihre Fröhlichkeit in Wahrheit ein stummes Weinen war. Ob sich hinter ihrem Lächeln etwas Kaltes, Leeres verbarg. Ein Herz so gefroren, dass nicht mal mehr starker Alkohol einem die Illusion von Wärme geben konnte.
"Aber was ist mit dir? Hast du Wünsche?", erwiderte ich besorgt.
Lilith fuchtelte mit den Händen herum, als wäre sie gar nicht der Rede wert. "Ach, ich. Ich bin doch eigentlich egal. Vielleicht überlebe ich, vielleicht nicht. Ich war ein bisschen anders, ich wurde ein bisschen zerstört, habe daraufhin viele ungesunde Dinge gemacht und bin schlussendlich hier gelandet. Das Übliche eben.
Um mich ist es wohl geschehen. Wer jetzt wichtig ist, bist du, du bist noch bei vollem Bewusstsein und hast eine Zukunft vor dir. Man muss Prioritäten setzen".
Sie lehnte sich vor und fixierte mich eindringlich. "Was hältst du davon?", bohrte sie mit gespielter Ernsthaftigkeit nach.
"Wenn ich zusage: Wirst du mich begleiten und vor allen Gefahren beschützen?", erkundigte ich mich theatralisch und unterdrückte mir im letzten Moment, den Satz mit "solange du noch kannst" zu beenden.
"Genau, Riley. Lass mich dein eigener, persönlicher Jesus sein". Ich grinste sie an, doch ihrem Blick nach zu urteilen, erhoffte sie sich noch eine andere Reaktion.
Hinter einer dick aufgetragenen Schicht Sarkasmus lag ein ernst gemeinter Wunsch. Einen, den man an eine Sternschnuppe richten könnte- falls man jemals eine sah.
"Lass mich die eine gute Sache sein, die dir passiert ist", flüsterte sie.
"Wer sagt, dass du das nicht schon erreicht hast?" Ich konnte nicht anders, als erneut in mich hinein zu schmunzeln. Denn Lilith, die Weisheit in Person, starrte mich zum ersten Mal sprachlos an.
"Ich... Echt?"
Ich holte tief Luft.
"Ich sag's so: Vor nicht allzu langer Zeit waren meine Tage chaotisch und trostlos. Jetzt sind sie nur noch chaotisch".
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