Listen

Ich habe mich in meinem Zimmer unter der Decke verkrochen. Schon wieder. Das wird langsam zur Gewohnheit. Ich habe noch lange mit Nick gesprochen und ihm alles erklärt, aber jetzt packen mich Zweifel. Ich weiß nicht, ob es richtig war, ihm das zu sagen. Er hat gut reagiert, aber ich kenne seine Gedanken nicht. Kann es sein, dass er es weiter erzählt? Kann es sein, dass er es irgendwelchen Freunden sagt? Ich kenne ihn einfach nicht gut genug, um ihn einzuschätzen, und ich habe schreckliche Angst. Aber diesmal weine ich nicht. Ich habe in der letzten Zeit viel zu oft geweint. Lieber sollte ich meine Gedanken ordnen und mir eine Lösung für meine Situation überlegen. Am besten mit einer Liste. Listen beruhigen mich.

Meine Situation:
● HIV
- Medikamente einstellen
● Leute einweihen
- Lou, Nick, Anna und ich wissen es.
- Soll ich es mehr Leuten sagen?
-- negative Reaktionen?
● Lou
- Ich muss es ihr erklären.
● Nick unterstützt mich.
● Meine Mutter?

Ich starre die Liste an. Sie bringt mich nicht im geringsten weiter. Ich weiß nicht mehr als vorher. Aber meiner Mutter kann ich es sicher nicht sagen. Mit Lou muss ich dafür umso dringender reden. Ich ertrage es nicht, wenn sie mich ignoriert, und wer sagt, dass sie nicht mit ihren Eltern spricht? Bis jetzt hat sie das anscheinend nicht getan, aber irgendwann muss sie auch mit jemandem sprechen, und ich hätte gerne, dass das ich bin.

Ich streiche den Punkt mit meiner Mutter durch. Einmal, zweimal, nochmal. Immer fester fahre ich mit dem Stift über das Papier. Solange bis es reißt. Ich höre auf. Ich weine immer noch nicht, auch wenn mir danach zumute wäre.

Vielleicht sollte ich nochmal mit Anna reden. Das kann ich jederzeit tun, hat sie gesagt. Aber sie bringt mir Lou ganz sicher nicht zurück. Das muss ich schon selbst tun. Außerdem habe ich Lou mit einem fremden Jungen gesehen, und irgendwie fühle ich mich schuldig. Lou ist so, kein Junge kann sie halten, aber bis jetzt habe ich ihr immer wenigstens ins Gewissen geredet, wenn so was war. Klar, das ist ihr Problem, und sie hat auch nie auf mich gehört, aber jetzt kann ich nicht mal das machen. Und wenn ich es versuchen würde, dann würde sie nicht zuhören. Sie kann sich sogar zusammenreimen, bei wem ich mich angesteckt habe. Sie weiß, das ich mich lange nicht mit so vielen Jungs einlasse wie sie. Und deshalb habe ich Angst um Lou, fällt mir auf. Ich habe Angst um meine beste Freundin.

Ich füge meiner zerrissenen Liste noch einen Punkt hinzu.
● Ihn warnen.
Er sollte sich auch testen lassen. Er hat HIV, ganz sicher, und er braucht Medikamente. So schnell wie möglich, schließlich hat er es schon länger als ich. Falls er es noch nocht weiß, steckt er außerdem immer mehr Frauen an.

Das Problem ist, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, wie ich ihn finden soll. Ich kenne nur seinen Vornamen. Ich habe ihn ein Jahr lang nicht gesehen. Ich habe keine Ahnung, wo ich suchen muss.

Aber Lust zu grübeln habe ich auch nicht mehr. Ich zerreiße meine Liste, in viele winzige Stücke, bis man nichts mehr erkennen kann. Ich brauche die Liste nicht, ich kann sie auswendig. Bald ist der Arzttermin. Ich habe das Gefühl, dann wird alles besser.

Heute kann ich eh nichts mehr machen, deshalb setze ich mich ins Wohnzimmer und schaue fern. Ich bekomme nicht viel mit, aber meine Mutter ist erleichtert, dass ich mich wieder halbwegs normal verhalte. Sie setzt sich neben mich und umarmt mich. Und ich weiß, dass ich sie liebe. Egal was ich ihr erzähle oder nicht. Aber bei manchen Sachen kann sie mir nicht helfen. Trotzdem tröstet sie mich.

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Auch hier gibt es eine Liste - die Longlist der Wattys. Dieses Buch hat es unter die Top 500 geschafft. Das ist mega, bei so vielen Geschichten. Es waren 12559. Ich freu mich total!

Außerdem bin ich endlich mal wieder zuhause und kann häufiger updaten.
- Elea

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