Diagnose

Die Arztpraxis ist wieder hoffnungslos überfüllt. Wir sitzen fast eine Stunde lang da und starren an die Wand, bevor wir drankommen. Aber das finde ich gar nicht so schlimm. Ich habe mal gehört dass es in der Notaufnahme ein gutes Zeichen ist, wenn man warten muss, weil es dann nicht lebensbedrohlich ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch für den normalen Arzt gilt, aber ich gehe mal davon aus. Trotzdem bin ich nicht in der Lage irgendetwas sinnvolles zu tun. Ich lehne an Louisas Schulter und versuche, ein bisschen runter zu kommen und mir nicht all zu viele Gedanken zu machen. Es funktioniert nur begrenzt.

Louisa streicht mir immer wieder beruhigend über den Kopf. Ich habe das Gefühl, die anderen Leute starren uns an. Als wüssten sie alle, was los ist. Natürlich können sie es nicht wissen. Nicht einmal Louisa weiß es. Nicht einmal ich bin mir sicher. Aber ich bin total paranoid. Einmal bilde ich mir ein, dass eine Mutter ihr Kind von mir wegzieht. Eigentlich werden sie bloß aufgerufen, aber dass kapiere ich nicht.

Dann kommt Dr. Desse persönlich rein. Suchend sieht sie sich um und kommt dann zielgerichtet auf uns zu. Alle anderen wurden von Schwestern aufgerufen. Irgendwie scheint das ein schlechtes Zeichen zu sein. ''Frau Carter, kommen sie bitte mit?'' Sie dreht sich ohne eine Antwort abzuwarten wieder um und geht wieder. Ich stehe auf und folge ihr, Louisa ziehe ich mit.

''Wollen sie wirklich, dass Frau'' Dr. Desse unterbricht sich und schaut kurz zu Louisa, ''Dias da bleibt? Das sind sehr persönliche Sachen hier, vielleicht sollten sie das erst mal allein hören?'' Ich schüttele den Kopf. ''Lou bleibt.'' Dr. Desse nickt. ''Dann setzen sie sich doch bitte'' Ich setze mich auf den Stuhl vor ihrem Tisch, Louisa zieht den aus der Ecke heran. Er ist zu klein, sie schaut kaum über den Tisch. Ich muss kichern.

''Frau Carter, ich muss ihnen leider mitteilen, dass wir jetzt wissen woran sie leiden. Es ist nicht einfach das zu zugeben, aber hätten sie es gestern nicht erwähnt, wäre ich wohl nicht darauf gekommen. Wie gesagt, es ist eine sehr seltene Krankheit bei Frauen in ihrem Alter in Mitteleuropa.''
''Ich habe AIDS, oder?'' unterbreche ich sie schnell. Louisa starrt mich schockiert an, aber ich muss es einfach wissen.

''Sie sind HIV - positiv, das stimmt. Aber AIDS haben sie wohl noch nicht. Ich habe gestern als erstes einen HIV Test angeordnet, er war positiv.''

Ich reagiere total gelassen. Nachdem ich den ganzen letzten Tag geheult habe, bin ich irgendwie fast erleichtert. Aber ich sehe, wie Louisa mich anstarrt. Dann steht sie plötzlich auf und rennt raus. Ich kann es fast verstehen. Sie wusste von nichts. Sie konnte es gar nicht wissen.

''Wie lange habe ich noch?'' Meine Stimme klingt gepresst, ich denke immer an Freddie, der fünf Jahre nach der Diagnose tot war. Aber das war '91, ich habe doch sicher noch länger. Erstaunlicherweise lächelt die Ärztin. ''Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich überweise sie an einen Facharzt. Mit den richtigen Medikamenten haben sie eine vollkommen normale Lebenserwartung, auch weil wir es so früh entdeckt haben''. Ich nicke. Ich bin so erleichtert.

Dr. Desse füttert mich noch mit weiteren Fakten über den Verlauf, die Behandlung und den Schutz von HIV. Am wichtigsten finde ich, dass ich noch kein AIDS habe. Solange ich das nicht habe, kann ich auch nicht sterben, oder? In einer Woche habe ich den Termin beim Virologen. Bis dahin wird auch nichts besonderes passieren. Dann meint Dr. Desse noch: ''Pass auf wen du einweihst. Jeder reagiert anders.'' Ich denke daran dass Louisa rausgerannt ist. Ich nicke. Ich weiß, und ich muss unbedingt mit ihr reden.

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So, jetzt geht's richtig los. Was erwartet ihr so?
- Elea

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