Kapitel 8 - Caiden

Lesenacht Teil 2

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Als ich vorhin die Palmen im Innenhof hatte stehen sehen, war ich schwer beeindruckt gewesen. Palmen bekommt man in London nun nicht wirklich häufig zu Gesicht. Jetzt, im schwachen Licht, wirkten sie sogar noch größer. Während ich den Blick schweifen ließ, hörte ich ein hohes Lachen. Ich folgte der mir irgendwie bekannten Stimme ein paar Schritte, bis ich abrupt stehen blieb.

Ein Page, oder eher ein Praktikant von TiWo, der heute als Page hier arbeitete, schien mit niemand anderem als Amanda Davies zu flirten. Der anhimmelnde Blick, den er ihr zuwarf, ließ zumindest auf nichts anderes deuten. Ganz gleich, dass sie wahrscheinlich fast doppelt so alt war wie der Teenager.

Ich blieb im Schatten einer großen Palme stehen und sah den beiden zu, wie sie sich stumm unterhielten. Es schien, als beherrschte die Journalistin die Gebärdensprache einwandfrei. Sie zögerte zumindest kein einziges Mal, wenn sie antworten oder etwas sagen wollte. Wieso sie die Gebärdensprache wohl so gut beherrschte? Sie war immerhin weder taub noch stumm. Andererseits. Das galt auch für mich. 

Hinter mir erklangen Stimmen. Ich drehte mich um, sah aber niemandem. Doch schon im nächsten Moment lief der Junge an mir vorbei in Richtung der Stimmen die wohl den Festsaal verlassen hatten. Ich drehte mich wieder zu Amanda um. Sie saß nun allein an dem Tisch und schaute auf ihr Smartphone. Das weiße Licht erhellte schwach ihr Gesicht und ließ es recht blass wirken, dabei war ich mir fast sicher, dass sie alles andere als einen blassen Hautton hatte.

Bevor ich wusste wie mir geschah, ging ich zu ihr herüber. Es erschien mir unmöglich, wegzugehen. Kurz bevor ich am Tisch ankam, hob Amanda den Kopf und sah mich überrascht an. Ihre Augen wurden groß, als sie mich wiedererkannte. Sie legte das Telefon auf den Tisch und fragte „Ist die Party schon vorbei?" Ich lächelte und bekam gleich wieder ein schlechtes Gewissen, doch in mir nagte noch immer der Gedanke, dass ich aufpassen musste. Auch, wenn meine Warnsirenen jetzt alle schwiegen. Sie war immerhin Reporterin und ich hatte vor, dieses Geheimspiel um den unbekannten neuen Vorsitzenden noch ein wenig weiter auszureizen, um TiWo in die Medien zu bringen. Außerdem... der Gedanke von Anonymität gefiel mir. Die Security hatte extra dafür gesorgt, dass nicht gelistete Journalisten das Gebäude nicht betreten konnten. Und Fotos waren verboten, weshalb ich mir keine Sorgen machen musste, morgen von der Presse belagert zu werden. Lange würde dieses Versteckspiel nicht funktionieren, doch für den Moment reichte es, um alles Wichtige zu regeln.

Aden? Alles in Ordnung?" Amanda sah mich leicht besorgt an. Ihr Blick war so offen, dass ich mir im Moment schwer vorstellen konnte, sie würde im Dreck anderer wühlen. Vielmehr strahlte das Braun ihrer Augen, das meinem gar nicht so unähnlich war, so viel Wärme aus wie ich es selten sah. Außerdem schien sie nicht nachtragend zu sein. Wenn doch, verbarg sie dieses Gefühl hervorragend.

Ja, tut mir leid. Ich war in Gedanken."

Und du hast überlegt, was du mir sagen kannst und was nicht?"

Alarmiert sah ich sie an, versuchte mir aber nichts anmerken zu lassen. „Was meinst du?"

Es war nicht zu übersehen, was du und dein Freund von mir haltet", antwortete sie schulterzuckend. Dennoch blitzte kurz Verletzlichkeit in ihren Augen auf. Ich bekam sofort wieder ein schlechtes Gewissen, doch anstatt einfach zu gehen, setzte ich mich ihr gegenüber auf den freien Stuhl. Ich wollte noch nicht gehen, selbst wenn ich mir gerade mein eigenes Grab schaufelte.

Es tut mir leid. Das vorhin... das war..." Mir fiel kein Wort ein. Bescheuert. Idiotisch. Gerechtfertigt? Amanda hingegen lächelte und winkte ab. „Schon okay." Es wäre eine Schande, sie nicht hören zu können. Geschockt wandte ich den Blick ab. Was zum Henker dachte ich da?

Amanda sagte nichts. Sie schien zu warten und als ich den Blick wieder auf sie richtete, sprach sie weiter. „Ich weiß, das fragt man nicht, oder besser gesagt, es ist keine gern gehörte Frage, doch... wie lange bist du schon taub?" Über den Themenwechsel überrascht, blinzelte ich. Sie schien mein Schweigen falsch zu interpretieren, denn sie lächelte nun entschuldigend. Bevor sie jedoch erneut das Thema wechseln konnte, sagte ich schnell: „Noch nicht sehr lange." Das war wage, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Verflucht ich hatte das nicht durchdacht, diese ganze Sache. 

Das merkt man, auch wenn du die Gebärdensprache für ‚noch nicht sehr lange' sehr gut beherrschst." Amanda erwiderte meinen Blick aufmerksam, aber nicht so, als versuche sie ein Geheimnis zu ergründen. Sie schien mich wirklich nur für einen beliebigen Kerl zu halten. „Ich bin sehr gut im Lernen." Amanda lachte und ich musste automatisch lächeln. Sie hatte keine Grübchen, wenn sie lachte. Aber ihr volles Lachen, untermauert von geraden weißen Zähnen, die hervorblitzten, wenn sich ihre Lippen teilten, stand ihr außerordentlich gut.

Aber woher weißt du, dass ich nicht mein Leben lang taub war?" Ich ritt mich immer weiter in die Scheiße. Doch warum sollte ich nicht einfach eine nette Unterhaltung mit einer hübschen Frau, die keine speziellen Erwartungen an mich oder das Gespräch stellte, haben? Es war angenehm mit Amanda zu reden.

Deine Augen. Du siehst eher in die Augen und auf meinen Mund anstatt auf meine Hände. Und wenn wir kurz nichts sagen, schaust du dich um, so bekommst du nicht mit, wenn ich weiterreden will."

Wie kommt es, dass du... die Gebärdensprache so gut beherrschst und..."

Wieso ich dich so einschätzen konnte? Es ist offensichtlich. Aber auch ganz normal. Ich habe am Anfang genau denselben Fehler gemacht, aber mit den Jahren klappte es immer besser."

Wie lange?", fragte ich. Es beruhigte mich, dass Amanda meine Geschichte scheinbar einfach so akzeptierte. Doch es fühlte sich auch falsch an. Sie zu belügen, nur um mich selbst irgendwie zu schützen. Mein Instinkt, mich nicht zu verraten, überwog trotz meines schlechten Gewissens.

Seit der sechsten Klasse. Da habe ich meine beste Freundin getroffen und sie hat es mir beigebracht."

Ist die taub?"

Amanda zögerte kurz, nickte dann aber. Auch wenn ich mir das Zögern nicht erklären konnte, lächelte ich. „Das ist dann wohl mein Glück." Sichtlich überrascht zog Amanda die Augenbrauen hoch. Ein anderes Gesicht machte ich im selben Moment wohl auch nicht. Was zum Henker war hier eigentlich los mit mir? Ich log und flirtete zur selben Zeit? Ich war wirklich ein Vollidiot. 

Eine feine Röte zog sich langsam über Amandas Hals bis zu ihren Wangen. Sie senkte den Blick und biss sich auf die Unterlippe, als wüsste sie nicht, wie sie mit meiner Bemerkung umgehen sollte. Sie sah plötzlich so süß aus, dass mich der Drang überkam, sie zu berühren. Ich atmete einmal tief durch, um mich zu beruhigen.

Flirtete sie nicht oft? Der Gedanke gefiel mir, wenn ich auch nicht ganz verstehen konnte. WIe kam es, dass die Worte sie so schnell fast schon verunsichert hatten?

Es war ihr Handyklingeln, dass die Situation letzten Endes auflöste. Oliver. Wer das wohl war? Ihr Freund? Auf ihrem Handy war nur der Name der Kerls zu lesen. Erleichtert, aber auch entschuldigend sah sie mich an, ehe sie abnahm.

„Hallo Oliver." Amanda sah mich kurz an. Ich versuchte ein ausdrucksloses Gesicht zu machen, als würde ich nichts verstehen.

„Ähm... Ja, die Feier ist ganz nett... Nein ich konnte nicht mit O'Neill persönlich sprechen... Ja, aber ich habe seine Rede gehört. Die können wir gut verwerten." Meine Augen wurden groß, was Amanda nicht bemerkte, da sie den Blick gesenkt hatte und die Stirn runzelte. War sie im Saal gewesen? Sie wusste, wer ich war und hatte jetzt nur so getan, als wüsste sie nichts?

„Nein, ich... nein... Aber ich habe die Rede aufgenommen... Ich schicke dir noch bevor du Morgen im Büro bist den ersten Entwurf, ja... Nein, ich werde jetzt nicht auf die Suche gehen und ein Foto von ihm machen." Oliver war scheinbar Amandas Chef. So viel konnte ich aus dem Gespräch heraushören. Mir schien aber trotzdem noch ein Puzzleteil zu fehlen. Amanda zuckte plötzlich zusammen, als ihr Chef lauter wurde, sodass sogar ich ihn hören konnte.

„Amanda, es war deine Aufgabe zu enthüllen, wer sich hinter dem Namen Caiden O'Neill versteckt und nicht einen netten Artikel über die Feier und seine Rede zu schreiben."

„Nein, stopp. Ich bin keine Enthüllungsreporterin und es ist mir auch ziemlich egal, wie dieser O'Neill denn nun aussieht. Es geht in meinem Artikel um die Stiftung und um die Menschen, denen geholfen wird." Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen, doch zu meinem Glück sah Amanda mich nicht an. Mit so einer Antwort, die mir auch sehr gefiel, hatte ich nicht gerechnet. Und wie kam es, dass sie meine Rede gehört, mich aber nicht gesehen hatte? Zufrieden mit Amandas Reaktion und gleichzeitig verwirrt, wartete ich, wie das Gespräch weiter verlief. 

„Das ist nicht deine Aufgabe!", schrie Oliver.

„Genau das ist meine Aufgabe. Genau davon handeln meine Artikel normalerweise. Ich habe keine Lust, Artikel zu schreiben, die mir selbst nicht gefallen. Ich wurde eingestellt, um über das echte Leben zu schreiben, nicht um mich..." Sie brach ab, obwohl ich sehr gern den Rest des Satzes gehört hätte. Ihr Chef sprach leiser weiter, doch Amandas Miene hellte sich nicht auf. Sie schwieg eine ganze Minute lang, ehe sie ohne ein weiteres Wort das Telefonat beendete. 

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