Kapitel 54 - Caiden
Teil 3 der Lesenacht
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Ich starrte auf die Themse, während ich wartete, dass Amanda sich endlich meldete. Daniel saß neben, scrollte entspannt durch seine Social Media Accounts und hatte die Füße hochgelegt. Mehr als einmal hatte er mir in Erinnerung gerufen, dass ich nur darauf warten konnte, dass Amanda sich meldete, aber ich hatte wieder dieses ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Da konnte auch der Ausblick von meinem Balkon nichts ändern.
Immerhin hatte ich mich Daniel gefügt und aufgehört, wie ein Tiger im Käfig hin und her zu laufen. Letzten Endes gab es für mich gerade wirklich rein gar nichts zu tun. Dennoch spürte Daniel meine Anspannung, denn er seufzte und sagte: „Caiden. Was soll ihr denn passieren? Denkst du, Samantha kratzt ihr die Augen aus, wenn Amanda sie mit der Wahrheit konfrontiert? Du hast selbst gesagt, dass Samantha eine Zicke und ein Biest ist, aber auch nicht mehr."
Ich nickte, da ich das alles wusste. Trotzdem hatte ich das Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben. Irgendetwas Wichtiges. Dann riss mich ein Klingeln aus den Grübeleien. Hektisch griff ich nach dem Handy, als ich Amandas Namen auf dem Display las und nahm den Anruf entgegen.
„Amanda?", fragte ich fast ein wenig atemlos. Keine Antwort. Nur ein Rascheln war zu hören. Darum wiederholte ich ihren Namen. Nun legte Daniel sein Handy weg, als er meinen irritierten und besorgten Gesichtsausdruck bemerkte. „Stell auf laut", sagte er und ich schaltete den Lautsprecher an. Bevor ich erneut Amandas Namen sagen konnte, hörte ich ihre Stimme. Doch die Erleichterung, sie endlich zu hören, verwandelte ich sich eiskalte Angst, als mir die Bedeutung ihrer Worte bewusst wurde.
„Maximilian. Samantha braucht einen Arzt. Bitte. Sie können sie nicht mit einer Kopfverletzung hier liegenlassen. Sie ist Ihre Schwester."
„Meine Schwester, die zu dumm ist, um einen Journalisten auszuwählen, der einfach tut, was man von ihm verlangt", entgegnete Maximilian wütend.
Nein. Nein. Nein. Nein. Schockiert sah ich Daniel an, in dessen Augen sich nun Sorge abzeichnete. Bevor ich noch einmal Amandas Namen sagen konnte, schnellte Daniels Arm nach vorne und er stellte uns auf stumm.
„Was machst du?"
„Du kannst nicht mit ihr sprechen. Denkst du, Maximilian würde es gefallen, dass sie jemanden angerufen hat?"
Richtig. „Tut mir leid." Daniel winkte ab und stand auf, während er eine Nummer in sein Handy eintippte. Er deutete mir, ihm zu folgen. Irritiert und noch immer unter Schock folgte ich ihm ins Innere. Mein Handy hatte ich fest umklammert. Dann fiel mir etwas ein. „Die Polizei. Wir müssen ihnen sagen, dass Amanda in Gefahr ist." Daniel nickte und hatte schon sein Telefon am Ohr.
„Ich muss einen Notfall melden." Seine feste Stimme riss mich aus meiner Panik, die mich jeden Moment versuchte zu übermannen. Er telefonierte mit der Polizei. Dem Himmel sei Dank! Während Daniel der Person in der Notrufzentrale alle Daten gab, liefen wir schnell zu meinem Auto. Daniel riss mir die Autoschlüssel aus der Hand. „Du fährst nicht. Wenn wir einen Unfall bauen, bringt uns das auch nichts." Widerstandslos ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder, auf dem gestern noch Amanda gesessen hatte.
Herrgott, Amanda. Wenn ihr etwas passierte. Wenn er ihr etwas antat. Samantha hatte eine Kopfwunde. War sie auch verletzt? Was war passiert? Wieso war es eskaliert und was zum Henker machte er überhaupt bei Amanda? Rasend schnell schoss eine Unmenge an Fragen durch meinen Kopf. Es war Amandas Stimme, die mich dieses Mal aus meinen Gedanken riss.
„Wieso haben Sie das getan, Maximilian?", fragte Amanda.
„Das war ein Unfall Hergott. Sie lebt doch. Jetzt komm mal runter."
„Ich rede nicht von dem Unfall. Ich frage, warum haben Sie die Berichte gefälscht und vor allem wie? Was hat Caiden O'Neill Ihnen getan, dass Sie ihn auf diese Art aus dem Weg räumen wollen? Dass Sie sogar Ihre Schwester gegen ihn aufhetzen und benutzen. Wenn die Berichte an die Öffentlichkeit gelangt werden und irgendwann jemand herausgefunden hätte, dass sie gefälscht sind, wäre Samanthas Ruf dahin. Ist Ihnen das völlig gleichgültig?" Schockiert sahen Daniel und ich uns an. Maximilian hatte die Berichte gefälscht und Samantha benutzt?
„Die Polizei ist auf dem Weg zum Forschungszentrum. Sie kommt da raus, keine Sorge", sagte Daniel. Ich nickte nur.
„Die Berichte zu fälschen, war nicht schwer. Mach einer Frau, die in der Buchhaltung sitzt, schöne Augen und schon kommt man, wenn sie nicht hinsieht, an die Dateien, die noch bearbeitet werden können."
Ich war schockiert. Ebenso schnappe Amanda hörbar nach Luft. „Aber wieso das alles?"
„Weil Caiden alles geerbt hat, was mir zusteht. Mir! Ich bin der Sohn und damit der nächste Anwärter für den Vorsitzt. Stattdessen wollte mich mein Vater enterben. Das hat er zwar nicht getan, aber er hat mich mit Nichtigkeiten abgespeist!"
„Aber wollten Sie denn die Stiftung führen?"
„Himmel nein. Diese ach so wohltätige Arbeit geht mir am Arsch vorbei. Aber wie soll ich ohne so einem Job wie den Vorsitz dieser Stiftung leben? O'Neill hat sich eingeschlichen bei meinem Vater wie ein Parasit. Er hat ihn so weit gebracht, dass mein Vater mich drei Monate vor seinem Tod zu sich zitiert und mir eröffnet hat, dass ich niemals wieder etwas mit der Stiftung zu tun haben würde."
„Darum haben Sie angefangen, die Spendengelder zu stehlen?"
„Was?", Maximilian wirkte überrascht.
„Mir ist aufgefallen, dass die erste seltsame Transaktion drei Montage vor Roger Murphys Tod war. Was bedeutet, dass Sie aus Trotz und Wut diese Gelder genommen haben." Amanda hielt Daniel und mich absichtlich aus dem Gespräch raus. Aber sie wollte gleichzeitig auch mehr von Maximilian erfahren. Sie spielte mit dem Feuer. „Fahr schneller", bat ich Daniel. Er gab nur ein Schnauben von sich.
„Trotz? Ich bin doch kein sechsjähriges Kind. Es war Rache. Eiskalte Rache."
War Maximilian bewusst, dass er sich gerade mit jedem Wort mehr ins Verderben trieb? Selbst, wenn Amanda das Handy nicht angeschaltet hätte. Sie würde alles wissen und konnte es der Polizei erzählen. Wieso sollte er also mit offenen Karten spielen? Er müsste sie schon loswerden, um...
„Scheiße Daniel, fahr jetzt schneller." Daniel, der scheinbar ebenso wie ich eins und eins zusammengezählt hatte, raste durch London, als wäre der Teufel persönlich hinter uns her. Wenn Maximilian Amanda etwas antat, wenn er ihr auch nur ein Haar krümmte, dann würde ich diesen Bastard mit meinen bloßen Händen erwürgen.
Ich betete, dass wir rechtzeitig ankommen würden. Dass Maximilian einfach nur ein intriganter Idiot war, der Geld über alles stellte. Aber er hatte seine Schwester verletzt. Da war die Wahrscheinlichkeit, dass er einer fremden Frau wehtat, um einiges größer.
„Hätte Samantha nur einen naiven Journalisten kontaktiert, hätten wir diese ganze Misere nicht. Verfluchte Scheiße!"
Mit jedem Wort war Maximilian lauter geworden. Unweigerlich musste ich mir vorstellen, wie Amanda zusammenzuckte und sich versuchte kleinzumachen. Ich war dankbar dafür, dass sie ihm nicht die Stirn bot. Sie war nicht so lebensmüde, um glauben zu können mit ihm allein fertig zu werden. Aber sie hatte ihm die wichtigsten Informationen entlockt, damit wir sie kannten. Himmel, sie befürchtete doch nicht, das Büro nicht mehr lebend verlassen zu können, oder doch?
Eine Zeit lang, hörten wir nichts weiter. Nur hin und wieder das wütende Murmeln von Maximilian und beruhigende Worte von Amanda, die sie an Samantha richtete, durchbrachen die Stille. Wir waren noch eine Querstraße von dem Forschungszentrum entfernt, als plötzlich ein Tumult losbrach.
Ich hörte einen lauten Knall, Amandas Aufschrei und kurz danach das wütende Brüllen von Maximilian, dann war die Leitung tot. Mein Herz raste in meiner Brust, als wir vor dem Forschungszentrum hielten, wo sich schon mehrere Polizeiautos versammelt hatten. Daniel hatte den Wagen noch nicht einmal richtig zu stehen gebracht, da sprang ich aus dem Auto und lief zum Eingang. Ein Polizist stellte sich mir in den Weg.
„Sir, sie können da jetzt nicht rein."
„Wir haben Sie angerufen. Meine Freundin wird da drinnen festgehalten. Es gab eben einen lauten Knall, dann war die Verbindung weg. Sie müssen etwas unternehmen." Horrorszenarien schossen durch meinen Kopf. Hatte Maximilian eine Waffe gehabt? Daniel tauchte neben mir auf. „Wissen Sie was da drinnen los ist?", fragte er den uniformierten Beamten.
„Tut mir leid, ich kann Ihnen keine Auskunft geben."
„Keine-" bevor ich den Mann vor mir anschreien konnte, zog Daniel mich ein paar Schritte zurück. „Bleib ruhig. Wenn du jetzt Ärger bekommst, weil du dich mit einem Polizisten angelegt hast, wird dich das Amanda auch keinen Schritt näherbringen", ermahnte er mich streng.
Hilflos sah ich meinen besten Freund an. „Was ist, wenn sie verletzt ist? Was ist, wenn er ihr wehgetan hat?"
„So darfst du nicht denken. Amanda ist schlau. Sie wird sich in Sicherheit gebracht haben, was auch immer passiert ist."
Aufregung am Eingang ließ mich herumfahren. Zwei Sanitäter kümmerten sich um eine Frau, die auf einer Krankentrage lag. Mein Herz schien zu zersplittern, als durch die Hektik ein Arm von der Trage rutschte und leblos hängen blieb. Hastig legte der Sanitäter, den Arm zurück neben die Frau und sprach weiter mit seinem Kollegen. Die Welt schien zu wanken, als ich versuchte, einen Schritt nach vorne zu den Sanitätern zu machen. Daniel hielt mich am Oberarm fest. Ich hörte, wie er etwas sagte, aber die Welt schien in einem dumpfen Nebel zu verschwinden und alle Geräusche zu verschlucken.
Wie hatte ich Amanda nur allein zu diesem Treffen gehen lassen können? Seit sie den Termin vereinbart hatte, hatte mich dieses schlechte Gefühl begleitet. Ich hätte darauf hören und sie nicht allein gehen lassen sollen. Jetzt war sie verletzt. Meinetwegen. Weil ich sie in diese ganze Sache mit reingezogen habe und sie mir unbedingt helfen wollte. Meine Beine drohten unter mir nachzugeben, doch Daniel hielt mich eisern fest.
Und dann, ganz plötzlich, so als hätte mein Unterbewusstsein gespürt, dass ich die Eindrücke um mich herum brauchte, kehrten der Krach, die Gerüche und die Umgebung zu mir zurück. Alles drehte sich. Bis ich meinen Namen hörte. Ich blickte zu Daniel, aber der sah nicht mich an, sondern beobachtete die Sanitäter, die die Trage mit der Frau in den Krankenwagen schoben. Wieder war da das Bewusstsein, dass jemand meinen Namen sagte, doch ich konnte es nicht fassen. Bis mein Blick sich endlich von dem Krankenwagen löste und ich wieder zum Eingang zurückkehrte.
Dort stand sie. Mit zerzaustem Haar, Blutflecken auf der hellen Bluse und Tränenspuren im Gesicht. Ein unkontrollierbares Zittern erfasste meinen Körper, als ich mich in Bewegung setzte. Daniel wollte mich stoppen, doch ich riss mich los und taumelte ein paar Schritte Richtung Eingang. Dann wurden meine Schritte fester und mit jedem Weiteren auch schneller, bis sie mir schließlich in die Arme sprang.
„Caiden!", schluchzte Amanda, ehe sie ihr Gesicht an meinem Hals vergrub. Verzweiflung überkam mich. Erleichterung und Verzweiflung. Die Angst saß mir noch immer in den Knochen und wieder überkam mich dieses unkontrollierte Zittern. Meine Beine gaben nach, bis ich auf dem Boden kniete. Amanda noch immer in meinen Armen.
„Amanda." Mehr brachte ich nicht über die Lippen, ehe ein klagender tiefer Laut meine Kehle verließ und ich spürte, wie sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen sammelten. Ebenso durchnässten ihre mein Hemd durchnässten. Wir heilten uns, wiegten uns und streichelten einander. Jede Berührung war wie ein Versprechen. Ein Versprechen, dass es uns gut ging. Dass es Amanda gut ging und sie bei mir war. Sie würde nirgendwo hingehen. Maximilian hatte sie nicht verletzt.
„Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich hätte bei dir sein sollen. Hätte ich beschützen sollen. Stattdessen konnte ich nichts anderes tun, als eurem Gespräch zuzuhören und hier auf dich zu warten."
„Ihr habt mich gerettet. Wenn ihr nicht die Polizei gerufen hättet, wäre ich vielleicht noch immer in dem Büro gefangen."
Amanda löste sich leicht von mir. Nur soweit, damit sie mir in die Augen sehen konnte. Mehr Raum wollte und konnte ich ihr im Augenblick nicht geben. „Wenn ihr die Polizei nicht angerufen hättet, hätten sie den Sicherheitsdienst nicht benachrichtigt. Der ist dann in das Büro gestürmt und hat Samantha und mich da rausgeholt. Danke, Caiden." Sie gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen.
„Der Sicherheitsdienst?", fragte ich noch immer neben der Spur. „Die Polizei ist richtiggehend wütend geworden, weil sie die Anweisungen nicht befolgt und nach eigenem Ermessen gehandelt haben. Aber es ist alles gut gegangen."
Mein Blick fiel auf Amandas rot leuchtende Wange. Zorn breitete sich in mir aus. „Er hat sich geschlagen", grollte ich. Amanda betastete vorsichtig ihre Wange. „Eine Ohrfeige. Nichts weiter. Samantha hat es schlimmer erwischt. Er hat sie von sich gestoßen und sie ist so ungünstig gefallen, dass sie auf dem Tisch gelandet ist. Aber es geht mir gut Caiden. Es geht mir gut. Ich habe nicht einmal einen Kratzer davongetragen. Nur mein Handy. Das ist jetzt kaputt."
„Kaputt?"
Amanda nickte. „Ich habe es unter dem Tisch versteckt, damit Maximilian es nicht bemerkt. Der Security Mann, der das Büro gestürmt hat, hat Maximilian wie beim Wrestling von den Füßen gerissen und zusammen sind sie auf dem Glastisch gelandet, der in tausend Scherben zerbrochen ist. Mein Handy hat das bestimmt nicht überlebt."
„Die Verbindung war einfach weg. Ich dachte, es wäre sonst was passiert. Ich habe deinen Schrei gehört und diesen lauten Knall. Bei Gott, für einen Moment dachte ich, er hätte eine Waffe."
„Keine Waffe. Maximilian ist ein Arschloch, aber er hat nur reflexartig gehandelt und vollkommen überreagiert. Weder Samantha noch mich hat er absichtlich verletzt. Die Ohrfeige hat mich eher daran erinnern sollen, wo mein Platz war. Es geht mir gut, Caiden."
„Mir nicht. Mir geht es ganz und ganz nicht gut."
„Dann werden wir dafür sorgen, dass es dir bald besser geht."
„Dafür wirst du dich 24/7 in meiner Nähe aufhalten müssen", entgegnete ich, was Amanda zum Lachen brachte. Der helle Klang ließ mein Herz anschwellen und verdrängt die dunkle Wolke, die mich umgeben hat. Die Angst war noch nicht komplett fort, aber es war besser.
„Wenn du das möchtest, dann werde ich jeden Tag den ganzen Tag bei dir sein."
Ich nickte. Wahrscheinlich benahm ich mich gerade wie ein Idiot und Volltrottel. Doch jede Faser meines Körpers wollte Amanda bei mir behalten. Damit ich sie sehen und anfassen konnte. Ich wollte sicher sein, dass es ihr gut ging.
„Ich liebe dich", sagte Amanda leise und umfasste mein Gesicht. Sie gab mir einen hauchzarten Kuss auf die Lippen. Dann lächelte sie mich an. „Ich hatte Angst. Keine Frage, aber jetzt bin ich in Sicherheit. Ich bin bei dir und ich weiß, du würdest alles für mich tun."
„Alles", bestätigte ich sofort. „Ich liebe dich. Aber Maximilian. Ihn werde ich in seine Einzelteile zerlegen."
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