Kapitel 50 - Caiden

Einige Stunden und Konferenzen später betrat Daniel mein Büro. Ich hatte mich in einem langen Meeting mit den von mir ausgewählten Mitarbeitern zusammengesetzt, und wir hatten ihre Ergebnisse ausgewertet. Denn nicht nur wir hatten versucht, die undichte Stelle in der Stiftung zu finden. Entsprechend Isaacs Anweisungen habe ich vertrauenswürdige Personen mit einbezogen, und sie gebeten, Augen und Ohren offen zu halten. Ich hatte nicht direkt gesagt, dass Spendengelder verschwunden waren, aber ich war mir sicher, dass einige von meinen Kollegen etwas ahnten.

Ohne Begrüßung setzte Daniel sich mir gegenüber an den Schreibtisch und lehnte sich entspannt zurück. „Haben wir schon einen Plan, wie es weitergehen soll?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Nicht wirklich. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, bin mir aber sicher, dass wir zu dritt eher eine Lösung finden." Daniel nickte verstehend. Bevor wir weitersprechen konnten, klopfte es erneut an der geschlossenen Bürotür und kurz darauf steckte Amanda ihren Kopf durch einen kleinen Türspalt.

Sofort stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht und ich stand auf. „Tut mir leid, bin ich zu spät?" Mit einem kurzen Seitenblick auf Daniel trat sie ein und schloss die Tür wieder hinter sich. „Nein. Daniel sitzt auch noch keine zwei Minuten hier", beruhigte ich sie, während ich ihr entgegenging.

„Hallo Liebling", murmelte ich an ihren Lippen, ehe ich Amanda sanft küsste. Ein Teil der Anspannung, die ihr Körper ausgestrahlt hatte, fiel von ihr ab, als die den Kuss erwiderte. Für meinen Geschmack zu früh, zog Amanda sich zurück. Als ich ihre freudig glänzenden Augen sah, konnte ich nicht anders, als mich rundum gut zu fühlen. Schnell gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn, ehe ich ihre Hand nahm und wir wieder zum Schreibtisch gingen.

Es war verrückt. Obwohl wir uns gestern erst gesehen und vorhin miteinander telefoniert hatten, musste ich sie so nah bei mir haben, wie möglich. Der Körperkontakt zu ihr war fast schon zwanghaft notwendig. In all dem Chaos war Amanda mein Ruhepol. Wann immer sie in meiner Nähe war, ich sie berühren konnte oder ihre Stimme hörte, rutschte etwas tief in mir wieder an seinen Platz. Dann sah nicht mehr alles so verloren und verteufelt aussichtslos aus.

„Guten Morgen." Daniel warf Amanda ein sympathisches Lächeln zu, was sie in der Bewegung für einen kurzen Moment innehalten ließ, ehe sie sich neben Daniel auf den Besuchersessel setzte. Ich konnte sehen, wie es in ihren hübschen Kopf zu arbeiten schien. Denn der freundliche Ton und die offene Miene schienen sie zu verwirren. Ich hatte Amanda nichts von dem klärenden Gespräch und Daniels Versprechen erzählt. Ich wollte, dass die beiden von sich aus zueinanderfinden würden.

„Hi." Amanda hatte sich wieder gefangen und lächelte Daniel ebenfalls an.

„Bevor wir uns mit dem eigentlichen Thema auseinandersetzen. Amanda und ich sind morgen bei meinen Eltern zum Brunch eingeladen. Bist du auch dabei?", fragte ich meinen besten Freund. Daniel zog die Augenbrauen nach oben und sah mich überrascht an. Ob die Überraschung daher rührte, dass das Treffen so früh stattfand oder weil ich mein Versprechen ihm gegenüber trotz allem einhalten wollte, wusste ich nicht.

Die Verwunderung wurde von einem freudigen Grinsen abgelöst. „Klar. Lydia ist eine wahre Meisterin im Kochen und Backen. Das lasse ich mir unter keinen Umständen entgehen."

Ich nickte. „Okay. Dann gebe ich ihr und Dad nachher kurz Bescheid. Sie werden sich freuen."

„Vor allem, weil du ihnen Frischfleisch vor die Füße wirfst." Mit einem Zwinkern wandte er sich an Amanda. „Keine Sorge, sie werden dich schon nicht auffressen."

Bevor ich Daniel an unser gestriges Gespräch erinnern konnte, fing Amanda an zu lachen. „Vielleicht bin ich morgen die Hauptattraktion, aber Daniel, was ist, wenn ich bald dazugehöre? Werden sich Caidens Eltern dann nicht mit deinem Liebesleben auseinandersetzten wollen?"

Daniels Augen wurden groß. „Du weißt schon. Ein Kind unter der Haube. Dann können wir uns ganz dem zweiten widmen", fügte Amanda mit einem Spitzbuben-Lächeln hinzu. Eins musste man ihr lassen. Sie war ein gutherziger Mensch. Das hieß aber nicht, dass sie nicht auch manchmal ein bisschen gemein sein konnte. Ich versuchte, mir ein Lachen zu verkneifen und ein ernstes Gesicht zu machen, als Daniels fast schon panischer Blick zu mir schoss. „Das wird doch nicht über die üblichen Fragen nach einer Freundin hinauslaufen, oder?"

Gelassen zuckte ich mit den Schultern. „Sieh es mal so. Bisher mussten sie ihre Energie auf uns beide aufteilen. Jetzt wo ich aus dem Rennen bin, können sie dich unter ihre Fittiche nehmen."

Stöhnend ließ er den Kopf in den Nacken fallen und starrte an die Decke. „Ihr seid richtig fies, wisst ihr das?"

„Sei froh, dass wir dich vorgewarnt haben", erwiderte ich amüsiert. Amanda und ich grinsten uns zufrieden an.

„Sie werden mich doch nicht auf Blinddates schicken oder mir irgendwelche Frauen vorstellen wollen, richtig? So sind Lydia und Charlie nicht." Daniel murmelte eine Weile vor sich hin und schien sich selbst Mut zu machen. Die Vorstellung, verkuppelt zu werden, schien ihm fast Angst zu machen.

„Keine Sorge, Daniel." Tröstend legte Amanda eine Hand auf seinen Oberarm. Überrascht blickte Daniel zu ihrer Hand und dann in ihr Gesicht. „Du hast noch etwas Zeit. Wahrscheinlich bin erst einmal ich die Hauptattraktion. Bis dahin kannst du dir sicherlich ein paar Gedanken machen, wie du dich aus der Affäre ziehen kannst. Wenn du möchtest, kann ich ja versuchen die beiden mit meinem Charme so zu umwickeln, dass sie deinen Beziehungsstatus für eine Weile vollkommen vergessen." Wie Daniel vorhin, zwinkerte sie nun zurück. Sie genoss die ganze Situation ungemein. Vor allem, als Daniel ein halb amüsierten, halb klagenden Laut von sich gab und das Gesicht in den Händen vergrub. Großmütig tätschelte sie noch einmal seinen Oberarm, ehe sie sich an mich wandte.

„Also, was steht heute an? Haben wir schon einen Plan zur Rettung der Welt?"

„Reicht es nicht, wenn wir erstmal Caiden und TiWo aus der Scheiße ziehen? Wir sind nicht die Incredibles", erwiderte Daniel.

„Ja du hast recht. Kleine Schritte. Also, was machen wir?"

Schweigen senkte sich über mein Büro. Eine Weile sagte keiner etwas von uns, ehe wir anfingen, uns über die verschiedensten Wege auszutauschen. Oft drehten wir uns im Kreis und verwarfen die Ideen wieder.

Es war letztendlich Amanda, die nach knapp zwei Stunden den entschiedenen Vorschlag brachte. Sie lief eine weitere Runde um meinen Schreibtisch, als sie sagte: „Wenn wir also nicht zur Polizei gehen wollen oder können, wir auch hier bei TiWo so schnell keine Ergebnisse erzielen werden und die echten Finanzberichte keinen Aufschluss darüber geben, wer die Spendengelder kassiert hat, bleibt uns nur die Konfrontation."

„Konfrontation?", fragte Daniel. Er hatte schon zu Beginn unserer Diskussion sein Jackett achtlos über die Rückenlehne geworfen und die Ärmel seiner weißen Hemds hochgekrempelt. Amanda hatte ebenfalls ihre Strickjacke ausgezogen, während sie durch mein Büro marschiert war. Wahrscheinlich half ihr das beim Denken. Ihre schwarze kurzärmelige Bluse schmiegte sich an ihre weichen Rundungen ebenso wie ihre enge Jeans. Ich hatte mich mehrmals zu Räson rufen müssen, um ihr nicht auf den Hintern zu starren. Jetzt blieb sie hinter ihrem Sessel stehen und umfasste die Lehne mit ihren Händen.

„Ja, Konfrontation. Es gibt eine Person, die uns auf die Frage, wer hier die Zügel in der Hand hält, eine Antwort geben kann." Abwartend sahen wir zu Amanda. „Wir müssen mit Samantha sprechen."

Wieder trat eine Stille ein. Dieses Mal war sie jedoch drückend. Wir hatten Samanthas Namen bisher nicht ins Spiel gebracht. Daniel und ich vor allem deswegen, um die Geschehnisse von gestern nicht wieder hochkochen zu lassen.

„Denkst du, sie wird uns etwas verraten?", fragte Daniel.

„Ja."

„Aber sie könnte doch dahinterstecken."

„Möglich", räumte Amanda ein. „Aber ich glaube es nicht. Zumindest bin ich mir nicht ganz sicher. Fakt ist, dass wir allein nicht weiterkommen. Wir sind also auf Samantha angewiesen."

„Das gefällt mir nicht. Sie könnte mit den falschen Berichten zu einem anderen Journalisten gehen, der nichts auf die Echtheit der Zahlen gibt. Das wäre Caidens Ende."

„Das Risiko besteht. Aber welche Alternative haben wir? Weiter hier herumsitzen und überlegen, wie wir den oder die Täter ohne Polizei überführen können? Wir drehen uns im Kreis. Wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir irgendetwas unternehmen."

„Was schlägst du also vor?", fragte ich Amanda. Sie musterte mein Gesicht einen Moment lang. Ebenso Daniels Blick konnte ich auf mir spüren.

„Ich werde einen Termin mit ihr vereinbaren, um über die Berichte zu sprechen. Dann werde ich sie mit den echten Finanzberichten konfrontieren. Mal sehen, was sie dazu zu sagen hat." Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. „Immerhin hat es bei dir auch wunderbar funktioniert. Ich bin hier reinmarschiert, habe dich einen Lügner und Betrüger geschimpft und jetzt sieh uns an. Wir verstehen uns blendend."

„Du willst dich allein mit ihr treffen?", fragte Daniel. Amanda sah ihn an und nickte. „Ja, wenn sie herausfindet, dass ich euch beiden von ihr erzählt habe, gewinnen wir nichts. Eher wird sie mich nicht mehr für vertrauenswürdig halten."

Daniel und ich sahen uns kurz an und führten eine stumme Diskussion. Wir beide waren uns einig, dass und die Idee nicht gefiel. Amanda nochmal in die Höhle des Löwen zu schicken, schien falsch. Aber sie hatte recht. Es fehlte uns an Alternativen. Das wussten wir beide. Schließlich nickte ich. „Gut, machen wir es so. Ruf sie an und frag nach einem Termin."

Amanda tat wie geheißen und wählte ohne ein Zögern Samanthas Nummer.

„Hallo Samantha, hier ist Amanda Davies. Können wir uns treffen? Ich muss mit Ihnen über TiWo sprechen." Samantha erwiderte etwas und Amanda verzog kurz das Gesicht. „Ja, es tut mir leid, dass alles etwas länger gedauert hat, aber sie wissen, dass ich normalerweise über ganz andere Themen schreibe. Wann haben Sie Zeit?"

Amanda schwieg eine Weile, nickte dann mehrmals und sagte schließlich: „Super. Ich werde da sein. Bis Sonntag." Damit legte sie auf und sah uns an. „Schritt eins erledigt. Ich treffe Samantha am Sonntag um 14:30 Uhr im Forschungszentrum."

„Gibt es auch Tage, an denen sie nicht arbeitet?", fragte Daniel und schüttelte den Kopf. „Ich werde bis dahin eine Aufstellung machen, wo die Fehler in ihren Berichten liegen, und die richtigen Berichte dagegenstellen."

„Danke. Das wäre großartig. Sonst wüsste ich wohl nicht, wo ich mit dem Finger drauf tippen sollte."

Amanda warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu, das ich augenblicklich erwiderte. Trotzdem mischte sich mit dem Gefühl, endlich einen Schritt weiter zu sein, eine ungute Vorahnung. Und das gefiel mir alles andere als gut. Da weder Amanda noch Daniel besorgt wirkten, verdrängte ich diese Vorahnung und konzentrierte mich auf die guten Dinge, die dieses Wochenende passieren würden. Angefangen mit einem wundervollen Brunch bei meinen Eltern.

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