Kapitel 41 - Caiden
„Sie ist tough", stelle Daniel fest, nachdem Amanda das Büro verlassen hatte. Ich nickte und sah auf meine Bürotür. Ja, das war sie tatsächlich. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Wie hatten wir uns nur innerhalb so kurzer Zeit von Fremden zu Liebenden entwickeln können?
„Willst du die Tür noch lange anstarren? Wir können auch morgen weitermachen. Dann kannst du deiner Liebsten direkt hinterherlaufen." Daniel schnaubte. Ich sah zu ihm, als er sich wieder auf das Sofa niederließ.
„Du findest sie gar nicht ganz so schlimm, gibt es zu", forderte ich und ließ mich ebenfalls zurück auf das weiche Möbelstück fallen. Daniel sah mich skeptisch an und schüttelte dann amüsiert den Kopf. „Sie ist tough."
„Das sagtest du bereits."
„Ja, vielleicht kann ich sie ganz gut leiden." Er machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre das nicht von Bedeutung. „Vielleicht solltest du dir schon bald einen Minivan für deine Frau und Kinder kaufen gehen."
Ich beugte mich vor und stützte meine Ellenbogen auf den Knien ab. Die Hände verschränkt sah ich Daniel ernst an. „Wieso hast du sie dann so herablassend behandelt?" Das amüsierte Lächeln verschwand aus Daniels Blick. Er setzte sich aufrecht hin. „Stört dich das?"
„Nun, wenn du jemanden, der mir wichtig ist, versuchst kleinzumachen, dann kann ich nicht sagen, dass es mir gefällt. Ich weiß, dass du ihr nicht trauen kannst, aber ich versichere dir, Amanda ist ein guter Mensch."
„Streiten wir uns jetzt wegen einer Frau? Das ist lange nicht mehr vorgekommen."
„Wir streiten nicht, wir reden. Ich würde mich freuen, wenn ihr beide Freunde werden würdet, zwingen kann ich euch aber nicht dazu. Das heißt, ich muss mit dem leben, was ihr beide daraus machen werdet."
„Glaub mir, wir werden uns schon zu benehmen wissen, wenn wir aufeinander treffen." Daniels Stimme nahm einen bitteren Unterton an.
„Du weißt, dass ich das nicht meine."
„Und du solltest wissen, dass ich mich dir niemals in den Weg stellen würde. Ich habe nicht vor, deine Beziehung zu Amanda zu obstruieren." Die Bitterkeit in seiner Stimme wurde durch Härte ersetzt.
„Daniel, verdammt!" Ich wurde lauter. „So meinte ich das auch nicht. Verstehst du mich absichtlich falsch?"
„Und verstehst du wirklich nicht, warum ich sie so unter Druck gesetzt habe?"
„Nein, sonst würde ich doch nicht fragen."
„Ich will nur sichergehen, dass du nicht wieder eine Frau in dein Leben einbeziehst, die es nicht wert ist."
Ich öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder, als die Bedeutung von Daniels Worten bei mir ankam. „Daniel, sie hat eine beste Freundin, die taub ist. Sie würde niemals schlecht von meinen Eltern denken. Sie kann sich doch sogar fließend mit ihnen in Gebärdensprache unterhalten!"
„Eine Freundin und eine Familie sind zwei verschiedene Dinge."
„Ist das so? Ich finde, du bist für mich ein Teil meiner Familie. Und so wie Amanda über ihre Mitbewohnerin spricht, ist sie für Amanda ebenfalls ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Du kannst dir also sicher sein, wenn jemand meine Familie versteht, dann ist es sie." Ich atmete einmal tief durch. „Amanda wird niemals, und Daniel ich meine niemals, meine Eltern vor anderen vorführen, sie blamieren oder ihnen wehtun."
Jetzt verstand ich wirklich. Daniel liebte meine Eltern. Als ich Amanda erzählt hatte, dass sie Daniel wie einen eigenen Sohn sahen, war jedes Wort wirklich so gemeint. Andersherum galt aber genau dasselbe. Ich wusste, dass Mum und Dad für Daniel ebenfalls so etwas wie Ersatzeltern für seine ignorante Mutter und seinen herrischen Vater waren. Er liebte sie, wie ich es tat, und würde alles für sie tun. Dass ich am College kurzzeitig mit einem Mädchen ausgegangen bin, das meine Eltern zum Semesterstart vor einer Vielzahl an Menschen ausgelacht hatte, weil sie nicht sprechen konnten, hatte er mir lange übel genommen. Vor allem, da er mir öfter gesagt hatte, dass er sie nicht mochte. Im Nachhinein konnte ich auch nicht mehr sagen, warum ich mit ihr ausgegangen bin. Es war ein Fehler gewesen, den ich bis heute noch bedauerte.
„Sie mag nett wirken, aber ich musste einfach wissen, dass sie keine Gehässigkeiten austeilt, wenn man sie unter Druck setzt."
„Daniel." Ich seufzte. „Tut mir leid. Ich habe den Zusammenhang wirklich nicht gesehen. Aber glaub mir, Amanda ist anders."
„Schon gut. Vergessen wir das Ganze einfach uns konzentrieren uns wieder auf das eigentliche Problem."
„Okay, aber nur noch eine Sache. Wenn es dir lieber ist, sorge ich dafür, dass Amanda Mum und Dad an einem Ort ohne fremde Menschen kennenlernt. Und du wirst auch dabei sein. Deal?" Daniel machte ein teils lachendes teils schnaubendes Geräusch, was mich grinsen ließ. „Deal."
„Warum reden wir überhaupt schon von einem Treffen mit meinen Eltern? Wir sind seit nicht mal einer Stunde ein Paar", fragte ich und hob meine Augenbrauen. Daniel lachte und schüttelte den Kopf. Zwischen uns war wieder alles in Ordnung, stellte ich zufrieden fest. „Weil sie, so wie du sie ansiehst, bestimmt schon bald in dein Haus zieht, ihr den Zaun mit frischer weißer Farbe bestreicht und einen Minivan kauft."
„Was hast du nur mit diesem Minivan? Ist das ein Pseudonym für irgendwas oder eine unterschwellige Botschaft, in der du mir mitteilen willst, dass du so einen gerne hättest?"
Daniel schüttelte sich, als würde ihm als unangenehmer Schauer über den Rücken laufen. „Himmel. Jetzt hör auf mir zu drohen. Ich werde ja schon nett zu ihr sein. Versprochen." Als würde sich Daniel ergeben hob er die Hände und machte eine abwehrende Handbewegung.
Nach unserem Geplänkel konzentrierten wir uns wieder auf die Finanzberichte, die Amanda uns dagelassen hatte. Ich kopierte sie und legte die Originale in den Umschlag zurück, um sie ihr später zurückgeben zu können. Denn sie hatte recht. Amanda kannte mit Sicherheit sehr viele Leute. Mit Daniel hatten wir zwar schon einen Zahlenexperten an Bord, aber ich wollte auch, dass Amanda sich nicht ausgeschlossen fühlte. Sie war zu mir gekommen. Wütend und enttäuscht, weil sie dachte, ich hätte etwas mit den gefälschten Berichten zu tun. Das zeigte deutlich, wie bindend ihr die Wahrheit und wie wichtig ihr TiWo war. Und dass sie mir meine Lügen uns die Maskerade verziehen hatte, untermauerte, was für ein großes Herz sie hatte.
Mit Amandas Unterstützung konnten wir, wenn nötig, die fachliche Meinung von anderen Personen einbeziehen, was sicherlich eine große Hilfe sein konnte. Stolz breitete sich meiner Brust aus. Stolz auf diese Frau, die sich nicht kleinkriegen ließ. Außerdem war sie meine Frau. Und das war verdammt großartig.
Daniel verabschiedete sich zwei Stunden später und wir hatten einen ersten Plan, wie wir mit dem Problem umgehen wollten. Wir hatten uns darauf geeinigt, den Vorstand bis auf weiteres nicht mit einzubeziehen, da wir weiterhin nicht sagen konnten, wer die Spendengelder für private Zwecke nutzte. Zudem wussten wir nicht, ob es eine Person oder mehrere waren. Daniel war zuversichtlich, dass das die Analyse der Transaktionen ergeben würde.
Ich arbeitete bis spät in den Abend, da durch die Gespräche mit Daniel und Amanda einiges nachzuholen war. Meine Sekretärin schickte ich gegen 18 Uhr nach Hause, während ich weiterhin über Fördermöglichkeiten, Abstimmungen und gemeinschaftliche Programme mit anderen NPOs brütete. Als ich das nächste Mal aufsah, war die Sonne schon längst untergegangen und es war kurz vor 21 Uhr. Ich seufzte und fuhr mir müde mit den Händen über das Gesicht. Der Nachteil an dem Job war eindeutig die lange Arbeitszeit, die man in Kauf nehmen musste, damit man alles absegnen konnte. Ich zog mein privates Handy aus meiner Hosentasche und schaltete den Bildschirm ein, doch es gab keine neuen Nachrichten. Auch Amanda hatte sich nicht gemeldet, schoss es mir durch den Kopf. Sofort schüttelte ich den Kopf und rief sie kurzerhand an. Ich wollte nicht darüber grübeln, wer den nächsten Schritt machen sollte.
Das Freizeichen ertönte und fast sofort nahm Amanda den Anruf entgegen.
„Kannst du Gedanken lesen?"
Ich blinzelte. „Nein, ich glaube, das wäre nicht die Superkraft, die ich gerne hätte." Ein helles und unbeschwertes Lachen erklang am anderen Ende der Leitung, was augenblicklich einen Großteil meiner Erschöpfung und Müdigkeit vertrieb. „Und welche Superkraft wäre das dann?"
„Heilen. Ich würde gerne alles und jeden heilen können", kam es sofort herausgeschossen. Ich musste leise lachen, da ich seit Jahren nicht mehr daran gedacht hatte. „Als Junge wollte ich immer ein Superheld sein mit heilenden Fähigkeiten." Vor allem meinen Eltern hatte ich helfen wollen.
„Das ist schön." Amandas Stimme war sanft. „Und das bist vollkommen du." Es wirkte, als wüsste Amanda, warum ich mir diese Kräfte gewünscht habe.
„Und du? Welche Superkraft hättest du gern?", fragte ich erleichtert darüber, mich mit Amanda ein wenig von der Arbeit ablenken zu können.
„Das verrate ich dir, wenn du Larry sagst, dass du mich kennst und ich zu dir darf."
„Larry? Larry vom Sicherheitsdienst?", fragte ich verwundert. Dann sprang ich auf. „Du bist hier?"
„Ich habe Chinesisch dabei. Das magst du hoffentlich."
„Ja, ich... natürlich. Warte, ich hole dich ab."
„Das musst du nicht, ich reiche dich kurz weiter. Du kannst schonmal Platz auf deinem Schreibtisch schaffen, während ich nach oben fahre." Ich sah auf meinen Schreibtisch, der voller Papiere und Ordner vollgestellt war. Dann hörte ich ein kurzes Gemurmel und kurz darauf Larrys tiefe, kratzige Stimme, die mich fragte, wer am Telefon war. Als er mich erkannte, schickte er kurz darauf Amanda zu mir nach oben. Die Verbindung brach ab und ich ging in die Küche, um uns Trinken zu holen. Ich trug gerade das Tablett zurück in mein Büro, als die Fahrstuhltüren aufgingen und Amanda heraustrat. Sie sah mich sofort und ein glückliches Lächeln erhellte ihr ganzes Gesicht. Dann senkte sich ihr Blick auf das Tablett.
„Teller und Besteck? Caiden, man isst Chinesisch aus den Pappschachteln." Kopfschüttelnd trat sie neben mich und sah stirnrunzelnd auf das Besteck, dass bei den Wasserflaschen auf dem Tablett lag.
„Ich wollte nur vorbereitet sein. Auf alle Eventualitäten", erklärte ich, was Amanda lachen ließ und mich ebenfalls zum Lächeln brachte. Sie hatte nicht mehr dieselbe Kleidung wie heute Mittag an. Jetzt wirkte sie eher leger in der engen dunkelblauen Jeans, dem schlichten weißen T-Shirt und der Strickjacke, die sie trug. Ihre Haare hatte sich zu einem einfachen Zopf im Nacken gebunden.
„Das glaube ich dir aufs Wort. Lass uns essen." Sie deutete mir voranzugehen, und schloss hinter uns die Bürotür. Nachdem wir die einzelnen Schachteln auf dem kleinen Tisch beim Sofa verteilt hatten und nebeneinander auf den Boden saßen, langten wir zu.
„Hast du noch jemanden erwartet, oder warum hast du für eine ganze Fußballmannschaft Essen gekauft?", fragte ich zwischen zwei Bissen Ente Süß-Sauer.
„Beschwer dich nicht. Ich wollte auch auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Woher sollte ich denn wissen, was dir schmeckt und was nicht?"
„Ich bin nicht wählerisch. Keine Frage, ich mag gutes Essen, aber generell esse ich, was da ist."
„Pflegeleicht also. Das gefällt mir." Amanda grinste, als sie mein Stirnrunzeln bemerkte und aß schnell weiter, ehe sie anfangen musste zu lachen.
„Also, was ist deine Superkraft? Du schuldest mir noch eine Antwort."
„Sprache", nuschelte sie, mit vollem Mund.
„Sprache? Das musst du mir erklären." Amanda nickte und schluckte einen großen Bissen Nudeln hastig herunter, ohne sich zu verschlucken. Ich war beeindruckt. „Ich würde gerne jede Sprache sprechen, die es auf dieser Welt gibt. Ohne Wörterbuch oder Lexikon. Mit jedem Menschen ohne Probleme sprechen zu können. Das wäre wunderbar."
„Das bist vollkommen du", wiederholte ich, was sie vorhin zu mir gesagt hatte. Amanda lächelte mich an und nickte.
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Hallo alle zusammen,
als erstes eine Frage an auch: Wenn ihr euch eine Superkraft aussuchen könntet, welche wäre es? Ich bin neugierig!
Außerdem zeigt sich ja so langsam ab, dass sich das Buch auf das Ende hinbewegt. Ich habe Mitte Dezember jetzt angepeilt. Die letzten Kapitel werde ich wahrscheinlich in einer Lesenacht / einem Special Day (je nachdem wie viele es dann noch sind), hochladen. Wenn alles nach Plan läuft :D
Das heißt, die Geschichte um Amanda und Caiden wird in weinigen Wochen zu Ende sein.
Bis es aber soweit ist, haben wir ja noch ein paar Samstage :)
Ciao und bleibt gesund!
C.N.
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