Kapitel 38 - Caiden
„Zuerst musst du wissen, Daniel hasst Reporter regelrecht. Als er erfahren hat, dass du Journalistin bist, ist er ganz automatisch auf die Barrikaden gegangen. Das war schon immer so, hat also nichts mit dir persönlich zu tun. Da du kurz bevor du in mich gelaufen bist, das teure Ambiente erwähnt hast, wollte er mich sofort beschützen", begann ich. Amanda runzelte erneut die Stirn, nickte dann aber langsam. „Als er mich dann entdeckt hat, hat er einen... na ja nennen wir es Trick angewendet. Wir haben den tauben Aden erfunden, um..." Ich stockte und kratzte mich am Kinn. „Um?", hakte Amanda nach. „Um Frauen anzusprechen oder abzuschrecken", gestand ich. Amandas Augen wurden groß. „Du meinst...?"
Ich nickte. „Ja, wir haben das zu Studien-Zeiten begonnen und manchmal ist es heute noch ganz hilfreich. Wenn ich meine Ruhe haben und nur mit Daniel etwas trinken gehen wollte zum Beispiel. Viele Frauen wollen keinen tauben Mann kennenlernen. So haben sie sich meist recht schnell wieder abgewandt." Ich zögerte, wusste aber, dass ich die andere Seite ebenfalls erklären musste. „Das ganze funktioniert auch anders herum. Wenn Daniel oder ich... na ja, wenn wir gut bei den Frauen dastehen wollten, spielte meist einer den Tauben und der andere den netten Kerl."
„Und das alles für was? Einen One-Night-Stand?", fragte Amanda. Ich konnte ihre Stimmlage nicht deuten. Sie wirkte weder pikiert noch entrüstet. Aber ihr schien diese Vorgehensweise auch nicht zu gefallen.
„Damals ja", gab ich zu. „Mittlerweile können wir auch ohne Tricks Frauen kennenlernen." Ich warf Amanda ein kurzes Lächeln zu, doch sie sah mich gar nicht andern, sondern schüttelte nur den Kopf. „Männer", murmelte sie missbilligend, bedeutete mir dann aber, weiterzureden, was mich zum Lachen brachte.
„Jedenfalls wollte Daniel dich nicht beeindrucken, sondern schnell wieder loswerden. Daher kam also Aden ins Spiel. Als ich dann deinen Namen erfuhr, musste ich sofort an die Berichterstattung um Senator Cadiz denken." Amanda stöhnte genervt auf und ich konnte mir vorstellen, was in ihrem Kopf vor sich ging. „Damals hatte ich natürlich keine Ahnung, was für eine Journalistin du wirklich bist und welche Art von Artikeln zu schreibst. Meine Engstirnigkeit hat mich annehmen lassen, dass du nur einen reißerischen Artikel über die Stiftung schreiben willst, daher wollte ich dich so weit wie möglich wegwissen", gestand ich. Doch Amanda sah zu meiner Überraschung nicht eingeschnappt aus. Also sprach ich weiter. „Als ich dich dann später im Innenhof des Hotels wiedergesehen habe, hast du dich gerade mit dem Jungen unterhalten und plötzlich überkam mich der Gedanke, dass du vielleicht doch anders sein könntest. Ich verspürte den Drang dich kennenzulernen, denn seitdem ich dich mehr oder weniger von der Veranstaltung ausgeschlossen hatte, hatte ich ein schlechtes Gewissen und suchte unter den Gästen immer wieder nach dir, ohne dich zu finden. Das gefiel mir nicht. Daher wollte ich eine Weile meine Ruhe und auf einmal warst du wieder da. Lachend und unglaublich liebenswert, wie du mit dem Jungen umgegangen bist. Er hat dich angehimmelt." Wahrscheinlich hatte er sich Hals über Kopf in sie verguckt. Verübeln konnte ich es ihm nicht.
„Das Gespräch mit dir war wirklich angenehm und viel zu schnell vorbei. In dem einen Moment haben wir uns unterhalten. Im nächsten warst du weg. Und da wusste ich mir nicht anders zu helfen, als nochmal Kontakt zu dir aufzunehmen. Und obwohl ich dir das Interview versprochen habe, wollte ich schon vorher mit dir reden. Und irgendwie wollte ich auch überprüfen, ob du wirklich der Mensch warst, für den ich dich seit unserem Gespräch gehalten habe. Also habe ich dir eine Nachricht geschrieben. Es war eine Kurzschlussreaktion, die ich nicht durchdacht habe. Tja und plötzlich habe ich als Caiden alles versaut und musste versuchen es mit Aden wieder gerade zu biegen. Anders wusste ich mir nicht zu helfen. Den Rest kennst du."
„Wolltest du dich wirklich persönlich mit mir treffen?"
„Ja. Das wollte ich. Ich wollte diese Lüge beenden, weil du mir wichtiger geworden bist, als ich es anfänglich für möglich gehalten hätte."
„Und was für eine Art Mensch hast du in mir gesehen nach dem Gespräch im Hotelinnenhof?"
„Eine aufrichtige Frau, die für ihre Ideale einsteht. Eine Frau, die clever und mutig ist. Eine Frau, die taube und stumme Menschen versteht. Und all das bist du. Das und so viel mehr. Als ich es erkannt habe, war es schon zu spät. Da hatte dieses Doppelspiel schon längst ungeahnte Ausmaße angenommen."
„Wieso wurde die Presse überhaupt zugelassen an dem Abend? War das Risiko nicht riesig, entdeckt zu werden?"
„Das musste ich eingehen. Aber ich wollte den Verlagen die Möglichkeit geben, sich ein eigenes Bild zu machen, für eine richtige Berichterstattung."
„Und wieso dann eines der teuersten Hotels ins ganz London?"
Ich legte den Kopf schräg. „Wird das ein Verhör?"
Amanda ging nicht auf meinen neckenden Tonfall an, sondern sah mich noch immer ernst an. Daher seufzte ich. „Wieso ist das Ambiente so wichtig?"
„Weil die Veranstaltung von Spendengeldern, die eigentlich für ganz andere Dinge genutzt werden sollte, regelrecht aus dem Fenster geworfen wurde."
„Das stimmt so nicht", warf ich ein. Amanda blinzelte verwirrt. „Ich habe einen Großteil aus meiner eigenen Tasche bezahlt, als ich erfahren habe, wo die Feier stattfindet, und wie viel sie kosten wird."
„Du hast sie selbst bezahlt?", fragte Amanda schockiert. „Von welchem Geld?"
„Ersparnissen, die ich angesammelt habe. Ich habe immer wenig Geld ausgegeben, ohne meinen Spaß am Leben zu verlieren." Ich zuckte mit den Achseln. Das war jetzt auch keine große Sache. „Wieso bist du so überrascht, dass ich das gemacht habe?" Dachte Amanda doch so schlecht von mir?
„Ich weiß nicht, ich habe nicht damit gerechnet. Wenn du selbst bezahlt hast, wieso dann dieses teure Hotel? Wieso wolltest du dann gleich so viel ausgeben?"
„Ich wollte das nicht, glaube mir. Das Hotel war schon gebucht, bevor ich überhaupt von der ganzen Feier erfahren habe."
„Was?" Amandas Augen wurden groß und kugelrund. Sie sah mich perplex an, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Während ich in ihre braunen Augen blickte, rückte etwas in mir zurück an seinen richtigen Platz. Ich atmete sehr lang aus und zog Amanda im nächsten Moment zu mir, damit ich mein Gesicht wieder in ihrem Haar vergraben konnte. Es überraschte mich nicht, dass Amanda sich versteifte. Doch als sie schließlich die Arme zögernd bewegte, und ich spürte, wie sie ihre zarten Finger links und rechts in mein Hemd krallte, überkam mich eine Ruhe, wie ich sie seit Rogers Tod nicht mehr verspürt hatte. Mit einem Mal hatte ich die Gewissheit, dass alles gut werden würde, denn Amanda war bei mir.
„Caiden?", fragte Amanda leise und fast schon zaghaft. Mein Herz weitete sich und ich schloss genießerisch die Augen. „Ich habe es gehasst, wenn du mich mit Aden angesprochen hast. Ob per Textnachricht oder in Gebärdensprache. Es hat sich so falsch angefühlt." Ich murmelte die Worte mehr in ihr Haar, als dass ich sie laut aussprach, doch Amanda musste sie gehört haben, denn sie löste ihre Finger von meinem Hemd und legte mir ihre Arme um die Taille. Dann erwiderte sie die Umarmung.
„Ich habe dich am Telefon Caiden genannt."
„Dazu musste ich dich regelrecht zwingen", erinnerte ich sie und grinste. Sorglos zuckte Amanda mit den Schultern. „Du bist am Telefon nicht der netteste Mensch."
„Ich weiß, ich habe mich nicht mit Ruhm bekleckert. Aber ab jetzt wird alles anders", versprach ich. Als Amanda nicht antwortete, zog ich mich zurück, legte meine Hände auf ihre Schultern und schob sie ein Stück von mir. „Amanda?"
Sie antwortete nicht sofort, sondern sah mir eine Zeit lang prüfend in die Augen. „Was genau wird sich ändern?"
„Ich werde gut zu dir sein. Immer." Mein Herz begann heftig in meiner Brust zu schlagen. Hatte ich mich doch zu früh gefreut?
„Wieso?"
„Weil du mir wichtig bist."
„Wieso?"
„Weil du eine wunderbare Frau bist und ich mir nicht vorstellen kann, zukünftig mir keinen Schlagabtausch mehr mit dir leisten zu können."
„Wieso?" Ich zog die Brauen zusammen. Verstand sie es wirklich nicht? Oder wollte sie hören, dass ich mich in sie verliebt habe?
„Wieso du eine wunderbare Frau bist, oder ich mich weiter mit dir streiten will?"
„Beides, schätze ich."
Ich seufzte und umfasste Amandas Gesicht mit meinen Händen. Als ich mit den Daumen unter ihren Augen entlang strich, fielen mir zum ersten Mal die kleinen Sommersprossen auf, die Amandas Nasenrücken und den oberen Wangenbereich bedeckten. Ich konnte nicht anders, als zu lächeln.
„Du hast mich nie angelogen", sagte ich. Amanda nickte, so gut es ging mit meinen Händen, die noch immer ihr Gesicht umfassten. Ich hatte es nicht als Frage formuliert, weil ich wusste, dass Amanda ausnahmslos ehrlich zu mir gewesen war.
„Das ist nur ein Punkt, aber er macht dich aus meiner Sicht besonders. Denn obwohl ich aufgrund des doppelten Spiels nicht so wirke, ist mir Ehrlichkeit sehr wichtig. Wenn ich etwas ausgefressen habe als Kind, haben mich meine Eltern nie ausgeschimpft, wenn ich sofort zu ihnen gelaufen bin. Ihnen war es wichtig, dass ich zu meinen Taten stehe, und ich will, dass du mir eines Tages vertraust. Denn ob du mir glaubst oder nicht. Ich habe dich wirklich in keinem unserer Gespräche angelogen. Abgesehen von den beiden offensichtlichen Punkten." Schief grinste ich. „Fische sind mir wirklich gegrillt oder gegart am liebsten. Auch, wenn Sie im Aquarium wirklich sehr nett anzusehen waren. Aber sie schmecken einfach zu gut."
Amanda blinzelte mehrmals. Dann brach sie in lautstarkes Gelächter aus. Ich musste grinsen, hielt mein Lachen aber zurück, weil ich die Frau in meinen Armen ansehen wollte. Stattdessen legte ich meine Arme wieder locker um ihre Taille und genoss den Anblick, der sich mir bot. Sie war bildschön. Ein anderes Wort fiel mir in diesem Moment nicht ein. Amanda lachte, bis es an der Tür klopfte und kurz darauf Daniel den Kopf vorsichtig ins Büro steckte.
„Du lebst noch?", fragte er mich. Seine Mundwinkel zuckten.
Amanda klappte den Mund zu, sodass ihre Zähne aufeinander schlugen. Das hörte sogar ich, weshalb ich von meinem besten Freund zu ihr blickte. Der glückliche Gesichtsausdruck, der eben noch jeden Millimeter ihres Gesichtes eingenommen hatte, war verschwunden. Stattdessen sah Amanda ernst zu Daniel herüber. Die Augenbrauen zusammengezogen, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst.
„Ich schätze, ich werde gleich nicht mehr leben", sagte Daniel lapidar und erwiderte Amandas Blick. Sie warf mir einen kurzen Blick zu, doch ihre Miene hellte sich nicht auf. Vielmehr schien sie sich noch weiter zu verfinstern. Als ich spürte, wie sich ihre Arme von meiner Taille lösten und sie Anstalten machte aufzustehen, ließ ich sie sofort gewähren. War Amanda immer noch sauer auf Daniel?
„Worüber habt ihr zwei gesprochen, bevor ich das Büro betreten habe?", fragte sie. Die Frage traf mich so unvermittelt, dass ich blinzeln musste. Amandas Stimme klang nun kühl und reserviert. Sie begann sich von mir abzuschotten. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich stand auf, woraufhin Amanda gleich mehrere Schritte zurückwich, als müsste sie genügend Sicherheitsabstand zwischen uns bringen. Noch immer mit gerunzelter Stirn und zusammengezogenen Augenbrauen verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Also?", hakte sie nach. Es dauerte einen Moment, bis ich den Faden wiedergefunden hatte.
Daniel schien schneller gewesen sein als ich, denn er antworte gelassen. „Das geht Sie nichts an, Miss Davies." Er schloss die Tür und stellte sich kurz darauf neben mich. auch das gefiel mir nicht. Die Situation wirkte, als bildeten Daniel und ich eine Einheit gegen Amanda. Daher trat ich auf Amanda zu, doch sie machte einen weiteren Schritt weg von mir.
„Amanda", bat ich und streckte den Arm nach ihr aus. Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Worüber habt ihr euch unterhalten?"
„Das ist eine interne Angelegenheit von TiWo."
Amanda sah mich an, nickte aber in Richtung meines besten Freundes. „Wenn es intern ist, was hat er dann damit zu tun?" Amandas Stimme hatte einen misstrauischen Unterton angenommen und auch Argwohn schwang in ihrem Blick mit. „War deine Aussage, immer ehrlich zu sein, nur heiße Luft, um mich um den Finger zu wickeln? Wofür? Das verstehe ich nicht. Du tust, als wärst du der nette Kerl, um mich bei dir zu halten, aber ich verstehe nicht wieso."
jetzt verstand ich gar nichts mehr. „Was hat das mit dem Gespräch zu tun?"
„Das ist die große Frage. Vielleicht nimmst du dir die Redewendung "sei deinem Freund nahe, aber deinem Feind noch viel näher" ja wörtlich."
„Was soll das? Du bist nicht mein Feind!"
„Eine Journalistin ist jedermanns Feind. Wenn du ein Geheimnis hast" Sie sah kurz zu Daniel, der ein unterdrücktes Knurren von sich gab. „Dann willst du eigentlich niemanden bei dir haben, der herumschnüffelt."
„Du bist nicht meine Feindin", widerholte ich eindringlich.
„Die könnte ich aber werden, wenn es stimmt und TiWo in letzter Zeit ziemlich viel Kleingeld verloren hat." Verwirrt runzelte ich die Stirn. Wieso sollte die Stiftung Geld verlieren? Und dann machte es Klick. Schockiert sah ich zu Amanda, die jedoch wie die Ruhe in Person wirkte.
„Woher haben Sie dieses Gerücht, Miss Davies?" Amandas Lächeln war kalt und falsch. „Woher haben Sie es?", fragte sie Daniel zurück.
„Wer hat dir die Information gegeben?", fragte nun ich. Amanda sah mich ernst an, sagte jedoch kein weiteres Wort. „Amanda, wenn du mehr weißt, dann musst du mir das sagen. Nur so können wir das klären."
„Ohne, dass jemand davon erfährt?" Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Irgendetwas war falsch an dieser Situation. Aber was?
„Mister O'Neill." Die förmliche Anrede ließ mich zusammenzucken. Sowohl Daniel aus auch Amanda merkten es. Doch während Daniels Blick eine Vielzahl von Gefühlen widerspiegelte, hatte Amanda eine Maske aufgesetzt, die ich noch nie an ihr gesehen hatte. War das die Journalistin, die über Cadiz berichtet hatte?
„Die eigentliche Frage sollte lauten, wieso bezahlen Sie eine teure Veranstaltung der Stiftung aus eigener Tasche, wenn Sie die Spenden sowieso für eigene Zwecke nutzen?"
Schlagartig wurde es still.
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