Kapitel 31 - Amanda

Ich hatte gut geschlafen. Ich hatte generell keine Schlafprobleme, aber in dieser Nacht hatte ich wirklich sehr tief schlafen können und genug Energie für den Start in eine neue Woche tanken können. Pünktlich um halb acht betrat ich daher die Redaktion der Daily Mail, setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete den Entwurf über TiWo.

Während auf deinem linken Bildschirm der Artikel mit vielen Kommentaren und Korrekturen zu sehen war, hatte ich auf dem rechten die ganzen Notizen vom Interview, der Gala und meiner Recherchen geöffnet, um den Inhalt noch einmal abzugleichen. Es war mir wichtig, dass ich mit dem Artikel nicht mehr als die Wahrheit wiedergab. Das hieß, ich verschönerte nichts, gestaltete aber auch nichts dramatischer als es war. Rogers Tod war da das perfekte Beispiel immerhin war er jahrelang das Gesicht der Stiftung gewesen. Ein Gesicht, das nun von einem unbekannten ersetzt wurde, der es noch immer schaffte, sein Aussehen vor der Öffentlichkeit zu vergeben. Dafür musste man Caiden O'Neill schonmal Respekt zollen. Trotz dessen habe ich mich in meinem Artikel wieder nicht damit befasst, sondern über alle anderen Dinge geschrieben und Tiwos Steckbrief aufgearbeitet. 

Nachdem ich den Artikel finalisiert hatte, schickte ich ihn an O'Neills Sekretärin, da ich die E-Mail-Adresse von O'Neill selbst nicht hatte. Ich konnte sie mir denken, immerhin schienen alle E-Mails bei TiWo denselben Aufbau zu haben, ich wollte mein Glück aber auch nicht überstrapazieren. Wenn O'Neill wieder einen seiner schlechten Tage hatte, würde er mich wahrscheinlich wieder fertig machen. Immerhin war es war nicht datenschutzkonform eine E-Mail an jemanden zu schicken, ohne das vorher abgesprochen zu haben. Nach diesem wunderbaren Wochenende wollte ich mich aber nicht gleich wieder auf den Boden der Tatsachen schubsen lassen, denn ich wollte noch ein wenig die glücklichen Erinnerungen spüren.

Aden hatte mir eine halbe Stunde nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten geschrieben, dass er bei sich zuhause angekommen sei, aber ich hatte die Nachricht erst viel später gesehen, als Victoria und ich unser Gespräch beendet hatten. Ich merkte erst, dass ich eines dieser Lächeln im Gesicht hatte, von denen Victoria gestern Abend gesprochen hatte, als mein Telefon klingelte und es mich wieder aus meinen Tagträumen holte. Benommen schüttelte ich meinen Kopf.

„Amanda hier."

„Hi Amanda, hier ist ein Caiden O'Neill für dich, der dich sprechen möchte. Sollte ich ihn durchstellen?" Das ging schnell dachte ich, und bat dann meine Kollegen mir O'Neills Anruf weiterzuleiten. Kurz fiel mein Blick auf einen Post-It, den ich auf meiner Tischplatte kleben hatte und eine E-Mail vom Samstag schoss mir wieder durch den Kopf. Samantha Murphy wollte mit mir sprechen über Caiden O'Neill und die Stiftung. Aber weshalb?

Bevor ich mich mit der Frage auseinandersetzten konnte, klickte es in der Leitung. „Amanda". Die dunkle und klare Stimme ließ meinen Rücken kribbeln und für eine Millisekunde tauchte Adens Bild vor meinem inneren Auge auf. Es wäre eine Stimmfarbe, die zu ihm passen würde, schoss es mir durch den Kopf.

„Amanda?" Mein Name oder besser gesagt der fragende Ton holten mich in die Gegenwart zurück. Erneut. Ich musste wirklich an meiner Konzentration arbeiten. Immerhin konnte ich doch nicht wie ein verliebtes Dummchen nur Löscher in die Luft starren.

„Mister O'Neill", begrüßte ich meinen Telefonpartner absichtlich nur mit Nachnamen. Denn mit seiner Stimme kam auch meine Wut zurück. Das ganze Wochenende über hatte ich Caiden O'Neill verdrängen können, doch jetzt war er wieder da und war wahrscheinlich drauf und dran meinen Montag und damit auch den Rest der Woche in die Tonne zu hauen.

„Ich bat Sie doch, mich Caiden zu nennen."

„Und ich sagte ihnen, dass Sie mich Miss Davies nennen sollen", schoss ich zurück, bevor ich den Ton in O'Neills Stimme deuten konnte. Er wirkte... freundlich? Ich blinzelte, während ich ein Seufzen durch das Telefon vernahm. Aber es war kein genervtes Seufzen, sondern wirkte eher schuldig. Wenn sowas überhaupt ging.

„Amanda... Miss Davies, ich muss mich für die letzte Woche bei Ihnen entschuldigen. Sie haben meinen Frust abbekommen, was vollkommen unprofessionell war. Das tut mir aufrichtig leid, da ich Sie wirklich nicht verärgern will."

„Okay?" Es klang mehr wie eine Frage.

„Also nehmen Sie meine Entschuldigung an?", frage O'Neill noch einmal nach. „Ich verspreche Ihnen, ich werden Sie nie wieder beleidigen, Ihnen Anschuldigen an den Kopf werfen oder Sie anderweitig verletzten. So bin ich wirklich nicht, und es ist mir wichtig, dass Sie das wissen. Dass Sie mir glauben."

„Ich bin nur eine Journalistin. Es sollte Sie nicht kümmern, was ich von Ihnen halte."

„Das tut es aber."

„Weil Sie Angst haben, ich könnte etwas Schlechtes über Sie schreiben?", hakte ich mit trockener Stimme nach. Immerhin war das sehr naheliegend.

„Ganz und gar nicht. Ich weiß, dass Sie nicht so ein Mensch sind. Ich weiß, dass Sie Ihre persönlichen Gefühle, soweit es negative Gefühle sind, außen vor lassen. Sie sind eine sehr versierte Journalistin mit einem großartigen Talent. Ich weiß das, ich wusste das die ganze Zeit über, trotzdem habe ich im Gegensatz zu ihnen meine Gefühle sprechen lassen und meine Professionalität verloren. Das wird nicht wieder vorkommen. Bitte glauben Sie mir."

Caiden O'Neill klang so aufrichtig, dass ich nicht anders konnte, als ihm zu verzeihen. „Gut. Das ist Ihre letzte Chance."

„Danke Amanda." Ich schwieg und Mister O'Neill räusperte sich „Miss Davies", korrigierte er sich schnell, was mich zum Schmunzeln brachte. „Schon okay. Amanda geht vollkommen in Ordnung... Caiden."

Ich hörte ein erleichtertes Seufzen, was ich nicht verstand. Es wirkte fast so, als hinge Caidens Leben davon ab, dass ich ihm verzieh. As vollkommen absurd war. Um die Stille zwischen uns zu überspielen, frage ich: „Also, was kann ich für Sie tun?"

„Ich rufe wegen des Artikels an."

„Den habe ich erst vor knapp 30 Minuten an Ihre Sekretärin geschickt."

„Ich weiß." Verwirrt runzelte ich die Stirn, doch dann sprach Caiden weiter. „Ich habe angerufen, um Ihnen zu danken Amanda. Der Artikel ist wirklich wunderbar."

„Dafür hätte auch eine Mail gereicht. Liebe Amanda, danke passt so. Liebe Grüße Caiden." Das leise Lachen am anderen Ende der Telefonleitung ließ mich aufhorchen. Ich konnte nicht sagen, ob ich Caiden wirklich schonmal lachen gehört hatte. Unterdrücktes Lachen und Hüsteln, ja. Aber so? Es klang, als würde er oft lachen. Auch wenn ich nicht sagen konnte, wieso ich mir sicher war, dass er das oft tat. Immerhin hatte ich mit einem anderen Caiden O'Neill zu tun gehabt.

„Vielleicht, ja. Aber es war mir wichtig, dass wir uns wieder versöhnen."

„Versöhnen? Das klingt so, als wären wir mal Freunde gewesen."

„Nein, aber was nicht ist, kann ja noch werden." Der dunkle Klang seiner Stimme, gepaart mit den Wort, ließ mich erschauern. Aber nicht, weil es unangenehm war. Es fühlte sich eher an, wie eine weiche Decke, die sich um mich legte. Dann riss ich die Augen auf. Flirtete dieser Mann gerade mit mir? Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber mehr als Schnappatmung bekam ich nicht zustanden.
„Amanda, sind Sie noch dran?", fragte Caiden nun etwas besorgt. Ich gab nur ein quietschendes Geräusch von mir, was man als ein Ja verstehen konnte. Zu mehr war ich gerade nicht fähig. Was zur Hölle war los hier?

„Amanda, ich..." Caiden brach ab und ich vernahm im Hintergrund eine weitere Stimme. Was sie allerdings sagte, konnte ich nicht verstehen. Nachdem ich das Klicken einer sich schließenden Tür gehört hatte, sprach Caiden weiter.

„Es tut mir leid, aber ich habe gleich einen Termin. Amanda, ich würde sehr gern etwas mit Ihnen besprechen."

„Und das wäre?"

„Das zu erklären geht jetzt nicht einfach so auf die Schnelle. Hätten Sie heute oder Morgen Zeit?"

„Für einen weiteren Call? Klar. Morgen auf jeden Fall." Schnell schnappte ich mir meinen Kalender und öffnete die aktuelle Woche.

„Nein." Ich stoppte in der Bewegung, als ich nach einem Stift greifen wollte, um den Termin einzutragen.

„Nein?", wiederholte ich wenig einfallsreich.

„Ich möchte Sie gern treffen." Schweigen. „Persönlich."

„So von Angesicht zu Angesicht?", japste ich, was Caiden dazu veranlasste erneut leise zu lachen.

„Ja. Das impliziert ‚persönlich'."

„O-okay?" Wieder war es mehr eine Frage als eine Zustimmung, doch Caiden ignorierte es glücklicherweise. Ob er das tat, weil er mir eben erst versprochen hatte, mich nicht mehr zu ärgern, oder weil er keine Zeit mehr hatte aufgrund des nächstens Termins, wusste ich nicht, aber das war mir auch egal. Denn in deinem einen Augenblick ging mir nur ein Gedanke durch den Kopf. Ich würde Caiden O'Neill persönlich kennenlernen. Ich würde sein Gesicht sehen und erfahren, wer sich hinter diesem Namen verbarg.

„Meine Sekretärin schickt Ihnen zwei oder drei Terminvorschläge. Wählen Sie einfach einen davon aus. Wie Sie zur Stiftung kommen, wissen Sie?" Ich nickte.

„Amanda?"

„Ja? Oh ja, natürlich. Im Zweifelsfall nutze ich diese ausgeklügelte Technik namens Smartphone." Wieder lachte Caiden, und ich konnte mir ein kleines Lächeln ebenfalls nicht verbergen. Na, immerhin hatte ich meinen Verstand und damit auch meine schlagfertigkeit wiedergefunden. Das war ein Anfang.

„Gut. Ich freue mich auf das Treffen", sagte Caiden. „Und Amanda?", fügte er noch an.

„Ja Caiden?", erwiderte ich lachend. Doch Caidens Stimme war ernst, als er weitersprach. „Ich hoffe, dass Sie mir wirklich verzeihen können. Wirklich." Eigentlich wollte ich erwidern, dass ich schon über seine bösen Kommentare hinweg war, aber ich verkniff es mir. Ich entschied, dass ich es ihm noch einmal sagen würde, wenn wir uns gegenübersaßen.

„Okay." Erleichtert darüber, dieses Mal kein Fragezeichen an das Wort gehängt zu haben, atmete ich aus und entspannte meine Schultern, die ich unbewusst im Laufe des Telefonats angespannt hatte.

„Danke, Amanda. Wir sehen uns. Bald."

„Bis dann, Caiden."

Wir legten auf und ich ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Denn der Tonfall von Caiden, als er mich ein letztes Mal um Vergebung bat, hatte es in sich gehabt. Aber ich hatte es nicht verstanden. Vielleicht war Caiden O'Neill einfach ein sehr emotionaler Mensch. Das würde auch erklären, warum er die letzten Male so unfreundlich gewesen ist. Vielleicht hatte er wirklich einfach nur schlechte Tage gehabt. Nun, vielleicht würde ich bald, wenn wir uns treffen würden, endlich erfahren, was für ein Mensch er war. Denn über das Telefon konnte ich niemanden wirklich einschätzen. Ich musste in die Augen der Person schauen. Denn irgendwie waren die Augen wirklich das Tor zur Seele.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top