Kapitel 24 - Caiden

Der Tag war hektisch und ich schwankte immer wieder zwischen der Erleichterung, dass die Zeit nur langsam verging und ich noch all meine geplanten Aufgaben erledigen konnte und dem Wunsch, dass die Zeit doch etwas schneller vergehen sollte. Denn trotz der Tatsache, dass ich mehr als genug zu tun hatte, sollte das Wochenende einfach nur noch beginnen.

Zur Mittagspause war ich vollkommen erledigt. Der ganze Kaffee, den ich den Vormittag über getrunken hatte, schien keine Wirkung auf mich zu haben und so entschied ich mich für einen kurzen Moment während die meisten essen waren, mich auf dem kleinen Ledersofa in der Ecke meines Büros hinzulegen. Ich stellte mir für den Fall, dass ich wirklich einschlafen sollte einen Wecker und ließ dann meine Augen zufallen.

Als mich ein Vibrieren irgendwann aus dem Halbschlaf riss, war ich versucht das Handy einfach an die Wand zu werfen. Ich wollte den Wecker ausstellen, doch als ich ein Auge öffnete, um nach dem Handy zu tasten, dass ich auf den Holztisch gelegt hatte, musste ich feststellen, dass es nicht mehr vibrierte. Ich stützte mich auf einen Ellenbogen auf und nahm das Handy vom Tisch. Ich hatte gerade mal 15 Minuten die Augen zugemacht. Der Wecker war es nicht, aber eine Nachricht war auch nicht auf dem Handydisplay erschienen. Seufzend, weil ich eindeutig unter Wahnvorstellungen leiden musste, ließ ich mich wieder nach hinten auf das Sofa sinken. Nach einer Minute spürte ich das Vibrieren wieder und erst jetzt fiel mir auf, dass ich es spürte und nicht wirklich hörte.

Ich fischte mein privates Handy aus der Hosentasche und warf einen bösen Blick auf das Display. Ich wollte doch einfach nur schlafen. Doch alle Müdigkeit war vergessen, als ich Amandas Namen auf dem Handydisplay entdeckte. Blinzelnd starrte ich das Gerät in meiner Hand an. Bildete ich mir das ein?

Nachdem ich gestern mehrmals über Amanda und mich nachgedacht hatte, hatte ich mir heute früh kurz nach dem Aufstehen verboten, einen weiteren Gedanken an sie zu fassen. Denn das Einzige, was ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich Amanda wiedersehen und ich sie auch verdammt gern wieder küssen wollte. Ich hatte mir vorgenommen, mich auf meine Arbeit konzentrieren und da war es nicht hilfreich ständig über meine Gefühle, die ich selbst noch nicht richtig einordnen konnte, nachzudenken. Ich entsperrte mein Smartphone.

Amanda: Hallo Aden.
Amanda: Hättest du Lust, dich am Sonntag mit mir zu treffen?

Ungläubig betrachtete ich die Nachricht. Da war doch sicherlich ein Haken, oder nicht? Ich setzte mich auf, ohne den Blick vom Handy zu nehmen und las die Kurznachricht noch mehrere Male. Amanda war gestern nicht wirklich unfreundlich gewesen, aber ich dachte, dass ich sie richtig verstanden hatte und sie auf Abstand gehen wollte. Sie hatte sich immerhin für den Kuss bedankt. Wer tat denn sowas, wen nicht mit der Absicht, dem anderen zu vermitteln: „Danke, aber nein danke"?

Ein Teil von mir wollte Amandas Vorschlag sofort zustimmen. Nicht nur, weil ich sie wiedersehen wollte, sondern auch, weil ich wissen wollte, warum sie um ein Treffen bat. Auf der anderen Seite hielt mich irgendetwas zurück, ohne ein Zögern zuzusagen.

Aden: Hey. Ist am Sonntag etwas los?

Amanda: Nein, nichts Besonderes. Kein Anlass, oder so.

Aden: Wieso dann das Treffen? Ich dachte gestern, dass du „Danke, aber nein Danke" gesagt hättest.

Amanda: Ich weiß, dass es jetzt wirklich komisch sein muss, von mir zu hören. Und irgendwie ist gestern alles in mir auf die Barrikaden gegangen. Aber meine Freundin hat mir ein wenig den Kopf zurechtgerückt. Darum wollte ich dich fragen, ob du am Sonntag Lust hättest, dich mit mir zu treffen. Kein Jogging, weil ich heute einen so schlimmen Muskelkater habe, dass ich wohl nie wieder normal laufen kann.

Die letzte Nachricht ließ mich kurz schmunzeln. Sie trieb entweder wirklich nicht allzu viel Sport, oder aber sie lief nur nicht sehr viel.

Aden: Wieso bist du dann gestern so abrupt gegangen?

Amanda: Weil mein Journalisten-Ich durchgekommen ist.

Mein Herz setzte einen Moment lang aus. Hieß das, sie wusste Bescheid?

Amanda: Ich habe zu viel nachgedacht und hinterfragt. Das ist nicht immer von Vorteil, vor allem dann nicht, wenn die eigenen Gefühle in solch einem Durcheinander sind...

Das Geständnis überraschte mich. Wieder einmal fiel mir auf, wie wenig ich eigentlich von Amanda wusste. Durch das Interview hatte sie hingegen viel mehr Informationen über mich, selbst wenn sie mein Gesicht nicht den Informationen zuordnen konnte. Ich hingegen kam mir so vor, als hätten wir uns noch nie wirklich unterhalten. Das war dumm, denn was sonst hatten wir gestern und am Montag auf der Veranstaltung getan? Aber dennoch fragte ich mich plötzlich: Was mochte Amanda? Warum schrieb sie über die Menschen? Was machte sie gern in ihrer Freizeit? Wieso hatte ich eine Frau geküsst, von der ich so gut wie nichts wusste? Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken und starrte an die graue Decke. Es war nicht sehr leicht, mir meine Gedanken rund um Amanda zu verbieten, wenn ich mit ihr schrieb.

Aden: Okay. Ich bin dabei.

Amanda: Super. Ich melde mich nochmal bei dir, wenn ich weiß, wann und wo, okay?

Ich schrieb Amanda eine kurze Zustimmung und ließ mich dann wieder zurück auf das Sofa sinken. Was war das nur für ein hin und her?

Ich schlief natürlich keine weitere Sekunde mehr. Dafür waren meine Gedanken nun wieder viel zu sehr mit Amanda und ihrer Bitte um ein erneutes Treffen verbunden. Zu der Vorfreude auf das Treffen mischten sich aber auch Bedenken, dass das Treffen vielleicht ähnlich wie das gestrige enden würde. Andererseits... Vielleicht sollte ich sie einfach nicht küssen. Dann würde ich die Barrieren, von denen sie gesprochen hatte, nicht wieder überschreiten. Aus einem Impuls heraus griff ich nochmal nach meinem Handy.

Aden: Haben wir ein Date?

Es dauerte eine ganze Weile, bis Amanda antwortete.

Amanda: Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das nicht so genau.

Das war jetzt nicht die beste Antwort, die ich auf meine Frage hätte bekommen können, aber immerhin auch kein ‚Nein'. Und irgendwie, war es eine typische Amanda-Antwort. Sie war einfach nur ehrlich. Dennoch versuchte ich sie ein wenig aus der Reserve zu locken.

Aden: Wenn es sich als Date herausstellt werde ich unseren Kindern später erzählen, dass DU mich zuerst um ein Date gebeten hast.

Amanda: Mach das. Dann erzähle ich ihnen aber, dass du mich bei unserem Kennenlernen aus einem Ballsaal geworfen hast, nur um dich mir im Nachhinein an den Hals zu werden.

Ich lachte leise. Es schien, als wären wir wieder zur Normalität zurückgekehrt und hätten die seltsame Stimmung hinter uns gelassen.

Aden: Touché.

Amanda: Du hast bist morgen ja noch genug Zeit, die über deinen Konter Gedanken zu machen. Ich muss mich jetzt erstmal wieder meinem aktuellen Artikel widmen. Bis später!

Plötzlich motiviert, stand ich schwungvoll auf und ging zurück zum Schreibtisch. Einen kurzen Moment erlaubte ich mir noch, wie ein Idiot vor mich hin zu grinsen, bevor ich versuchte, meine Gedanken um Amanda in die hinterste Ecke in meinem Kopf zu schieben, um mich auf die Arbeit konzentrieren zu können.

Weit kam ich jedoch nicht, da plötzlich meine Bürotür aufgerissen wurde. Ich sah von einem Stapel Papiere hoch und entdeckte Samantha, die in der Tür stehengeblieben war, eine Hand noch immer an der Klinke, während sie mich mit einem unnachgiebigen Blick fixierte. Ich stöhnte innerlich auf, weil ich wirklich keine Lust hatte, mich erneut auf ein Gespräch mit ihr einzulassen. Sie war aber Rogers Tochter und leitete das Forschungszentrum, das einen Großteil der Spendengelder für TiWo bereitstellte. Diplomatie war also gefragt. Und vielleicht ein wenig Charme. Irgendwie würde ich sie schon für mich gewinnen können, redete ich mir ein, während ich von meinem Platz aufstand und Samantha anlächelte.

„Hallo Samantha, was führt dich her?", fragte ich. Samantha trat in mein Büro und ließ die Tür hier sich zufallen. Ich deutete ihr lächelnd auf dem Stuhl vor meinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Nachdem Samantha sich gesetzt hatte, tat ich es ihr gleich. Abwartend sah ich die Frau vor mir an. Wie immer war Samantha perfekt gekleidet, hatte ihr schwarzes Haar zu einer aufwendigen Hochsteckfrisur zusammengesteckt, dabei aber darauf geachtet, dass ihr rechtes Ohr von den Haaren bedeckt war, um das Hörgerät zu verstecken.

Samantha musterte mich. Dieses Mal war es jedoch nicht so abschätzig wie sonst, sondern fast schon argwöhnisch. Da sie keine Anstalten machte etwas zu sagen, hob ich eine Augenbraue und starrte zurück. Ich hingegen hoffte, dass mein Blick meine Ungeduld zum Ausdruck brachte. Ich hatte wirklich keine Lust auf ein weiteres Gespräch über eine Abfindung. Sie sollte also schnell sagen, was sie sagen wollte, damit ich sie danach wieder wegschicken konnte.

„Ich will dir eine Frage stellen, Caiden", sagte Samantha nun. Sie verschränkte die Finger und legte sie auf ihren Schoß. Ich runzelte die Stirn, da ich nicht wusste, worauf Samantha hinauswollte. Daher nickte ich. „Nur zu. Was gibt's?"

„Wieso willst du Vorsitzender für TiWo sein?"

„Was meinst du?"

„Wieso ausgerechnet TiWo und ausgerechnet die Position als Vorsitzender?", fragte Samantha. Überrascht sah ich Samantha an. Dann lächelte ich. „Ich arbeite schon eine Weile für TiWo. Ich mag die Arbeit und die Stiftung sehr. Und ich werde die Position als Vorsitzender nicht aufgeben, weil Roger sie mir anvertraut hat und es einer seiner letzten Wünsche war. Ich mochte Roger, er war ein guter Freund. Ich will ihn nicht enttäuschen", erklärte ich ehrlich.

Samantha runzelte nun die Stirn. Ihr Blick scannte jeden Zentimeter meines Gesichts, ehe sie mir wieder in die Augen sah. „Und du sagst, dass istdie Wahrheit? Die einzige Wahrheit und der einzige Grund?", hakte sie nach.

„Sollte es denn noch einen anderen Grund geben?", fragte ich nun etwas verwirrt nach. Samantha zuckte mit den Schultern, ohne unseren Blickkontakt abzubrechen. Scheinbar wusste sie nicht, ob sie mir glauben sollte oder nicht. Wenn sie aber sowieso nicht bereit gewesen war, mir zu glauben, warum hatte sie sich dann extra auf den Weg gemacht, um mich das zu fragen? Ich würde diese Frau wohl nie verstehen. Vielleicht verstand ich Frauen aber auch generell nicht, schoss es mir durch den Kopf, als ich für einen Augenblick Amandas ernstes Gesicht vom Abend der Spendengala vor meinem inneren Auge auftauchte.

„Hast du den Job als Dads rechte Hand damals angenommen, weil du irgendwann seinen Posten haben wolltest?"

„Nein", erwiderte ich heftig und schüttelte den Kopf. „Als ich Roger kennengelernt habe, dachte ich mir, dass es eine Ehre wäre, für so einen Visionär zu arbeiten. Aber nicht, die Stelle des Visionärs zu übernehmen. Denn unter uns, wir beide wissen, dass ich das nicht bin."

„Eben. Maximilian wäre es aber. Daher verstehe ich einfach nicht, wieso er dir den Posten gegeben hat." Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Ich wusste es selbst nicht und konnte nur Vermutungen anstellen. Die Vermutung, dass ich sein Nachfolger geworden bin, weil Maximilian sich in Wirklichkeit einen Dreck um die Stiftung geschert hat, behielt ich lieber für mich.

Der Argwohn war nicht aus Samanthas Blick gewichen. Vielmehr schien er jetzt schon in richtiges Misstrauen umzuschwenken. Dabei hatte ich ihr doch nur die Wahrheit gesagt. Gut, ich hatte meine Eltern und meinen Wunsch, ihnen irgendwann helfen zu können, nicht erwähnt, aber das war Privatsache. Wieso sollte sie also misstrauisch sein?

Samantha sah mich einen Moment lang schweigend an, dann seufzte sie und stand auf. Sie murmelte etwas zu sich selbst, aber ich konnte es nicht verstehen. Mit einem knappen Kopfnicken in meine Richtung machte sich Samantha auf den Weg zur Tür und war einen Augenblick später schon aus meinem Büro verschwunden. Ich starrte noch eine Weil meine geschlossene Bürotür an und fragte mich, was dieser Kurzbesuch zu bedeuteten hatte. Dann widmete ich mich wieder meiner Arbeit. 

Kurz darauf klopfte es und meine Sekretärin warf einen Blick in mein Büro. „Tut mir leid Mister O'Neill ich hatte meinen Platz nur für 10 Minuten verlassen, um mir ein Sandwich zu holen. Miss Murphy muss zufällig genau in der Zeit hergekommen sein", entschuldigte sie sich. Ich warf ihr ein ehrliches Lächeln zu und versicherte ihr, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Sie hatte Pause. Da sollte sie die freie Zeit auch nutzen, die ihr zur Verfügung stand. Dennoch war ich mir nicht sicher, ob es wirklich ein Zufall war, dass Samantha genau in dem Moment mein Büro betreten hatte, als die anderen Essen waren. Andererseits hätte ich sie so oder so empfangen und das wusste sie. Es hätte also keinen Grund gegeben, mich gezielt allein abzupassen. Oder?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top