Kapitel 2 - Amanda
Am Drehkreuz angekommen, blieb der Mann stehen und ließ mich los. Ich sah noch einmal zu ihm auf. „Wollen Sie denn das Abo?"
„Das bieten Sie mir immer noch an?", fragte er verwundert. Erstaunlicherweise wirkte er nicht mehr verstimmt, sondern fast schon gleichgültig mir gegenüber. Das lag wohl daran, dass ich kein großes Aufheben um meinen Rauswurf gemacht hatte. Na ja, immerhin war er ja auch irgendwie gerechtfertigt. Doch es kitzelte mich einfach immerzu, etwas zu wagen. Dass das nicht immer die schlausten Ideen waren, wusste ich. Spaß machte es mir trotzdem. Und nach dem heutigen Tag brauchte ich noch ein wenig Unterhaltung.
„Aber natürlich. Das war kein plumper Versuch, Sie davon zu überzeugen, mich hier weiter herumlaufen zu lassen. Okay vielleicht ein wenig, aber das Angebot steht trotzdem noch. Ich mache keine leeren Versprechen." Ich ließ einen meiner Träger der Handtasche von meiner Schulter gleiten, um an den Reißverschluss zu kommen. Geübt zog ich ein Notizbuch und einen Stift heraus, schlug wahllos eine Seite auf und hielt es dem Mann hin. Er zögerte kurz, nahm dann aber doch beides in die Hand und schrieb seine Daten auf.
Ich lächelte freundlich und wartete geduldig darauf, dass er fertig wurde. Als der Mann es mir wiedergab, warf ich einen kurzen Blick darauf, schloss das Buch und verstaute alles wieder in meiner Handtasche. „Okay Issac. Sie werden spätestens nächste Woche von uns eine Mail bekommen. Dann können Sie auswählen, was Sie von uns lesen wollen. Klingt das gut?" Er nickte und lächelte nun auch. „Meine Frau wird sich freuen." Ich lachte. „Nun, dann haben wir beide heute eine gute Tat vollbracht. Man sieht sich!" Ich drehte mich um und ging zu dem Drehkreuz. „Aber dann kommen Sie bitte ohne große Handtasche und durch den Haupteingang wie alle anderen auch." Ich lachte erneut und sah nochmal kurz über meine Schulter. „Ich werde versuchen, mich daranzuhalten!" Isaac schüttelte sichtlich amüsiert den Kopf. Ich schien einen neuen Freund gewonnen zu haben.
Auf dem Weg nach draußen, lief ich an dem Security-Mann vorbei, der mich eigentlich abgewiesen hatte. Als er mich aus dem Kaufhaus kommen sah, wurden seine Augen groß.
„Keine Sorge. Ihr Kollege hat mich schon rausgeworfen. Sie sind mich wieder los", kam ich ihm zuvor. Die Menschen um mich herum sahen mich kurz verwirrt an, schenkten mir aber sonst keine weitere Aufmerksamkeit.
Also machte ich mich direkt auf dem Weg nach Hause. Es wurde Zeit für eine warme Tasse Tee und Kuschelsocken. Den ersten Teil für meinen Artikel hatte ich jetzt schon im Kopf.
Während ich auf die U-Bahn wartete, musste ich wieder schmunzeln. Natürlich war es nicht nur Freundlichkeit gewesen, die mich zu diesem Angebot veranlasst hatte. Ich konnte mithilfe seines Namens nun herausfinden, wann Isaac arbeitete und wann nicht. So konnte ich ihn gezielt umgehen, wenn ich wollte, oder ihn bewusst auf seiner Arbeit treffen. Security Mitarbeiter wussten immer viel, schon allein, weil sie immer alles im Auge behielten. Ob ich gezwungen war, Isaac aus dem Weg zu gehen, konnte ich noch nicht sagen, aber es war immer besser auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. So oder so. Der kurze Abstecher ins Harrods hatte sich gelohnt.
Gerade als die U-Bahn einfuhr, vibrierte mein Handy in der Jackentasche. Ich stieg ein und holte dabei das Handy heraus. Ohne groß auf meine Umgebung zu achten, setzte ich mich auf einen freien Platz und öffnete die Nachricht von Victoria.
Victoria: Ich habe Nudelauflauf gemacht. Steht im Kühlschrank, wenn du Hunger hast. Ich lege mich erstmal schlafen. War ne lange Nacht.
Ich lächelte. Victoria war die geborene Hausfrau und würde auch eine ebenso perfekte Mutter abgeben. Die Glückliche konnte so viel essen, wie sie wollte, ohne auch nur ein Gramm zuzunehmen. Ich sah an mir herunter auf meinen Bauch, der nachher sicherlich nicht mehr so flach sein würde. Seit ich mit Victoria zusammenwohnte, hatte ich meine sportlichen Aktivitäten hochschrauben müssen. Dank ihr nahm ich viel zu viele Kalorien zu mir. Ich konnte aber auch nur sehr schwer nein zu Kuchen, Auflauf oder Pasta sagen. Und auch wenn ich heute Abend dann mal wieder eine Extrarunde laufen müsste, ich liebte Victorias Essen.
Amanda: Danke. ;) Du weißt, Hunger ist mein ständiger Begleiter.
Ich erwartete keine Antwort. Wenn Victoria schrieb, dass sie sich hinlegen würde, würde sie jetzt mittlerweile im Bett liegen. Also steckte ich das Handy wieder weg, holte mein Tablet aus der Handtasche und begann meine ersten Gedanken und Eindrücke für meinen Artikel aufzuschreiben. Vielleicht konnte ich sogar die Begegnung mit Isaac einbringen.
Eine dreiviertel Stunde später schloss ich endlich die Tür zu meiner Wohnung auf. Ich schlüpfte erschöpft aus meinen schwarzen Absatzschuhen und schob das Schuhpaar an den Rand des Flures. Dann legte ich den kleinen Lichtschalter um, der in jedem Zimmer der Wohnung eine kleine rote Glühbirne anschaltete. Meine Handtasche stellte ich neben meine Zimmertür, bevor ich auf direktem Weg in die Küche ging und die Auflaufform aus dem Kühlschrank holte. Der leckere Geruch des Nudelauflaufs ließ mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen. Schnell nahm ich mir eine große Portion, stellte sie in die Mikrowelle und verstaute den Rest zurück in den Kühlschrank. Ungeduldig lehnte ich mich an Arbeitsfläche und starrte Löcher in die Luft, während die Mikrowelle erwärmende Geräusche von sich gab und meinen Hunger unweigerlich noch größer werden ließ.
Victoria und ich hatten das Glück eine wohnliche Küche mit Fenster zu haben, sodass ich wenigstens von dem Treiben auf der Straße unter uns abgelenkt wurde. Das Dachgeschoss für sich zu haben, hatte seine Vorteile. Schon allein, weil einem keiner auf dem Kopf rumtrampelte. Außerdem war es die Aussicht über die Dächer Londons und den Park hinter unserer Wohnung allemal wert, so viel für diese Wohnung zu zahlen. Und es gab hier das schnellste Internet in ganz London. Das war Victorias einziges Kriterium bei der Wohnungssuche gewesen. Als Online Design Assistentin musste sie jederzeit erreichbar sein können. Und hier hatten wir wirklich verdammt schnelles Internet. Das passte mir auch ganz gut, auch wenn ich nicht so hohe Ansprüche wie meine beste Freundin hatte.
Als wir damals den Zuschlag für die Wohnung bekommen hatten, war unsere erste Handlung gewesen, für Victoria den besten Internetanbieter zu finden. Danach haben wir gleich eine voll ausgestattete Küche besorgt. Und auch nach den vier Jahren sah das rustikale Fichtenholz der Küche noch immer sehr gepflegt aus. Wir verdienten zusammen ganz gut, sodass es uns nicht weh tat, etwas mehr für die Möbel und auch das Internet auszugeben. Letzten Endes legten wir beide großen Wert auf ein schönes Zuhause.
Ich liebte diese Wohnung einfach. Was nicht nur daran lag, dass wir einen guten Geschmack für Möbel hatten. Der Flur war zwar etwas klein und erinnerte mehr an einen kleinen quadratischen Kasten, trat man jedoch in das Wohnzimmer, das deckenhohe Fenster hatte und somit unglaublich hell war, selbst an all den regnerischen Tagen, wurde man sofort von dem Zauber der Wohnung umhüllt. Es war der Kamin in der Ecke des Wohnzimmers gewesen, der mich von den Qualitäten dieser Wohnung überzeugt hatte. Dazu kamen noch der große Balkon mit Blick auf den Park und die Tatsache, dass die Sonne, wann immer sie durch die Wolkendecke brach, in mein Zimmer schien.
Das Ping der Mikrowelle erlöste mich schließlich und holte mich aus meiner Bewunderung für diese Wohnung heraus. Seltsamerweise freute ich mich oft über unser Zuhause. Auch nach all den Jahren.
Ich machte es mir auf dem Sofa bequem, schaltete den Fernseher ein und ließ irgendeinen Nachrichtensender laufen, während ich mich über den Nudelauflauf hermachte. Gesättigt und zufrieden legte ich mich später der Länge nach auf das Sofa und seufzte wohlig. Ich war kurz davor einzudösen, als etwas in Augenwinkel ihre Aufmerksamkeit erregte. Die rote Glühbirne, die in jedem Zimmer oben in einer Ecke an der Wand hing, war ausgegangen. Ich richtete mich auf und stützte den Ellenbogen auf die Rückenlehne des Sofas während ich wartete. Einen Augenblick später kam Victoria in den Raum und lächelte mich etwas verschlafen und doch wunderbar erholt an. Ihre rotbraunen Haare hatte sie scheinbar nur schnell zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich legte den Kopf schräg und fragte mich nicht zum ersten Mal, wie es sein konnte, dass Power Napping bei Victoria aber nicht bei mir selbst funktionierte. Obwohl Victoria die ganze Nacht durchgearbeitet hatte und sie jetzt nicht länger als anderthalb Stunden geschlafen hatte, sah sie quicklebendig aus. Diese Gabe hätte ich auch gern.
Plumpsend ließ sich Victoria neben mir auf das Sofa fallen, zog die langen Ärmel ihres Pullovers bis über die Fingerspitzen und kuschelte sich in die Sofaecke. So zierlich, wie sie war, könnte man fast meinen, sie würde gleich vor Ermüdung zusammenbrechen. Doch ihre Augen funkelten wach hinter ihrer schmalen Brille und sahen mich fröhlich an. Ich zog die Beine an und setzte mich im Schneidesitz hin, um Victoria ansehen zu können. Sie tat es mir gleich.
„Hast du genug geschlafen?", fragte ich in Gebärdensprache. Victoria nickte lächelnd. „Ja. Ich werde heute nicht mehr arbeiten und früh ins Bett gehen. Versprochen."
Ich sah Victoria skeptisch an, seufzte dann jedoch ergeben. „Na gut. Pass aber bitte auf dich auf. Ich liebe dich, wie eine Schwester, aber wenn du krank wirst, bist du unausstehlich."
Victorias Schulter bebten. In Kombination mit ihrem breiten Grinsen war das ein Zeichen, dass sie lachte. „Es geht dir also nicht um mich.", schlussfolgerte Victoria und ich nickte wie selbstverständlich. Wir grinsten uns an.
„Dein Auflauf war fantastisch. Wie immer!"
Victoria grinste. „Gut, dass immerhin ich kochen kann."
„Hey. Ich kann ja nicht in allem gut sein. Auch ich brauche meine Fehler. Ich suche mir einfach einen Mann, der gut kochen kann und das Problem ist gelöst."
„Oder einen, der genug Geld hat, um jeden Tag mit dir Essen zu gehen", schlug Victoria vor, doch ich schüttelte den Kopf. „Ich brauche keinen reichen Mann an meiner Seite. Im Zweifelsfall gibt es ja noch die Mikrowelle." Wir lachten.
„Wie lief das Interview?"
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. „Es kam gar nicht dazu, weil ich nicht ins Hotel gelassen wurde. Dafür stand ich ewig im Regen."
Victoria blinzelte überrascht und sah dann an mir herunter. Ihr Blick glitt wieder hoch zu meinem Gesicht und eine tiefe Falte bildete sich zwischen ihren geschwungenen Augenbrauen. „Amanda! Du musst dir was anderes anziehen. Sonst erkältest du dich noch!" Victorias Handbewegungen wurden schneller, was ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass sie ein klein wenig sauer war.
„Okay. Ich geh ja schon." Amüsiert betrachtete ich meine beste Freundin. Wir hatten uns in der sechsten Klasse kennengelernt. Victoria war neu an meine Schule gekommen und da ihre Eltern schon immer sehr viel von Eingliederung und Inklusion gehalten haben, hatten sie Victoria einfach auf die nächstbeste Schule geschickt. Es war für uns beide das pure Glück gewesen, dass unsere Klassenlehrerin gesagt hatte, Victoria solle sich neben mich setzten. Bis zu diesem Tag hatte ich keine wirklichen Freunde gehabt. Sicher, ich hatte mit anderen Kindern gespielt, aber eine wirklich gute Freundin, hatte ich erst in Victoria gefunden.
Und Victoria, die schon auf ihrer letzten Schule von den Klassenkameraden gehänselt wurde, weil sie nicht hören kann, hatte mehr als dankbar meinen Vorschlag angenommen, sie in der Schule herumzuführen. Am Anfang hatten wir beide unsere Schwierigkeiten. Denn Victoria war nie sehr gut darin gewesen, Lippen zu lesen und nicht jede Sechstklässlerin beherrscht die Gebärdensprache einfach mal so. Der einfachste Weg war es daher, wenn wir uns Zettelchen schrieben. Aber das dauerte seine Zeit und so hatte ich mir von Victoria die Grundlagen der Gebärdensprache beibringen lassen. Über die Jahre hatte ich die Zeichensprache perfektioniert und konnte mich mit Victoria nun problemlos unterhalten.
Wir passten immer aufeinander auf. Manchmal artete es etwas aus und Victoria benahm sich, als wäre sie meine Mum, dabei habe ich ja schon eine, aber ich liebte sie dafür nur noch umso mehr. Wenn auch nicht immer in den besagten „Mum-Momenten".
Ich stand vom Sofa auf, brachte noch schnell meinen Teller in die Küche und sprang kurz danach unter die Dusche.
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Hallo alle zusammen :)
Wie geht es euch? Nach einer langen Pause bin ich nun wieder da und bereit für mein nächstes Buch. Ich hoffe, ihr werdet die Geschichte genauso interessant finden wie ich. Als Einstieg habe ich gleich mal zwei Kapitel hochgeladen.
Wie ihr (vielleicht schon im Klapptext) mitbekommen habt, spielen taube und stumme Menschen eine recht große Rolle in diesem Buch. Daher werde ich, wann immer die Gebärdensprache genutzt wird, die wörtliche Rede kursiv setzen, damit ihr sie gleich unterscheiden könnt. Natürlich versuche ich auch darauf zu achten, dass ihr sowieso mitbekommt, wann die Gebärdensprache notwendig wird und wann nicht. :) Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung für mich!
Außerdem könnte dem einen oder anderen schon aufgefallen sein, dass ich oben im Titel der ersten beiden Kapitel den Namen von Amanda eingetragen habe. Das liegt daran, dass ich erstmals ein Buch aus der Sicht beider Charaktere schreiben werde. Nächste Woche (so viel kann ich schon sagen) lernt ihr Caiden kennen. Noch eine neue Herausforderung!
Eine weitere Frage habe ich noch, bevor ich mir für heute wieder von euch verabschiede. Wie findet ihr das Cover des Buches? Ich habe es dieses Mal selbst gemacht. Und es ist anders als die Cover meiner letzten Bücher. Ich bin noch hin und her gerissen. Eure Meinung ist mir daher sehr wichtig!
Ich freue mich, euch nächsten Freitag wiederzusehen. Bis dahin!
Ciao!
C.N.
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