𝓼𝓮𝓬𝓸𝓷𝓭 𝓬𝓸𝓯𝓯𝓮𝓮

Ich bin ein wenig nervös. Nachdem Jeno mich gestern noch zu Hause abgeliefert hat und Donghyuck und Renjun mich daraufhin mit Fragen gelöchert haben, frage ich mich schon die ganze Zeit, ob er heute wieder neben mir sitzen wird. Ich muss ihn unbedingt nach seiner Handynummer fragen, aber ich werde mich das garantiert nicht trauen. Also hoffe ich einfach, dass das gestern nichts Einmaliges war.

Ich kann nicht aufhören, an Jeno zu denken. So kann ich mich nicht auf das saubere Abschreiben meiner Notizen konzentrieren – ich weiß bei jedem Stichpunkt, der besonders unleserlich ist, dass ich danach zu Jeno gesehen haben muss, und finde sogar die Stelle wieder, an der ich ihn komplett verträumt angestarrt habe. Da stoppt der Satz nämlich mitten im Wort und dank Jenos erfolgreicher Ablenkung fällt mir auch nicht mehr ein, was die Park gesagt hat. Aber vielleicht kann ich das als Ausrede nehmen, um wieder mit Jeno zu reden. Einfach nach den gestrigen Notizen fragen. Nur nach seinen gestrigen Notizen. Und hoffen, dass er sich nicht direkt danach verabschiedet.

"Jaemin!" Ich zucke heftig zusammen, als Renjun plötzlich vor mir auftaucht.

"Himmelherrgott! Erschreck mich nicht so!"

"Tut mir nicht leid. Warum stehst du auch noch so blöd hier herum? Professoren warten nicht!"

"Es ist doch erst..." Zehn vor acht. Scheiße.

"Beeil dich, du Idiot! Du kannst später von Jeno träumen."

"Habe ich überhaupt nicht!", verteidige ich mich, während ich eilig meine Schuhe anziehe.

"Und ob du das hast." Renjun steht in der Tür, ungeduldig mit dem Fuß wackelnd. "Du hast blöd gelächelt und in die Gegend gestarrt, du musst an Jeno gedacht haben." Ich antworte nicht und gehe an ihm vorbei aus der Wohnung, meinen Mantel überziehend.

Es ist genau so kalt wie gestern, als wir über den Campus hetzen.

"Warum bist du so spät heute?", frage ich Renjun. Dabei bildet sich eine Atemwolke vor meinem Mund.

"Weil ich im ersten Raum links bin und keine drei Minuten brauche, um den zu erreichen. Im Gegensatz zu dir."

"Ach, fuck", jammere ich, "ich komme garantiert zu spät!"

"Jeno hat dir bestimmt einen Platz freigehalten."

"Halt doch dein Maul."

───── ❆ ─────

Aber es stimmt. Als ich schwer atmend das Auditorium betrete, zum Glück ist der Professor noch nicht da, finde ich Jeno sofort. Und neben ihm ist ein leerer Platz in dem ansonsten überfüllten Saal. Er sieht wie ein Dreiviertel der Anwesenden zu mir, als die Tür hinter mir viel zu laut ins Schloss fällt, und lächelt sofort. Im nächsten Moment betritt Herr Choi den Hörsaal und bevor ich panisch durch den Raum sehen kann, hat Jeno mich schon zu sich gewunken. Eilig setze ich mich in Bewegung, quetsche mich leise Entschuldigungen murmelnd an viel zu vielen Studenten vorbei, die mich größtenteils entnervt ansehen, und bin so unfassbar erleichtert, als ich Jeno endlich erreicht habe.

"Und ich dachte schon, du kommst nicht mehr", flüstert er.

"Hab verschlafen", erwidere ich knapp, denn dass ich seinetwegen in Gedanken versunken bin, werde ich garantiert nicht sagen.

"Gestern gefeiert?"

"Als ob", schnaube ich, und er schmunzelt. Ich beeile mich, meine Sachen herauszuholen, da der Prof bereits zu sprechen begonnen hat, und als ich aufsehe, schwebt ein Kaffeebecher vor meiner Nase.

"Kaffee?"

"Ich liebe dich", seufze ich, nehme Jeno den Pappbecher ab und setze ihn sofort an meine Lippen. Es ist der gleiche wie gestern, die gleiche Menge Zucker, und er ist göttlich. Aus dem Augenwinkel sehe ich Jeno schmunzeln und hätte ich den Becher nicht gerade abgesetzt, hätte ich mich verschluckt. Er ist wirklich verboten hübsch.

───── ❆ ─────

Den Rest der Vorlesung schweigen wir, aber wie gestern sehe ich ab und zu zu Jeno herüber. Er sieht konzentriert aus, ist eindeutig auf Choi fokussiert, und merkt erst nach einer ganzen Weile, dass ich ihn wieder ansehe. Dann wendet er sich mir zu, lächelt und nickt in Richtung Tafel.

"Den musst du ansehen, nicht mich", sagt er leise.

"Du bist mir aber lieber."

"Ich schreibe nicht für dich mit, wenn du anwesend bist", warnt er grinsend, also seufze ich, ziehe einen Schmollmund und wende mich nach vorne.

Ein paar Minuten später kritzelt er auf meine linke Heftseite.

Gehen wir gleich wieder einen Kaffee trinken? :)

Nichts lieber als das. Also nicke ich und er grinst zufrieden.

Es ist kein Date. Es ist kein Date. Es ist kein Date. Ist es ein Date?

Verdammt, ich kann mich schon wieder nicht konzentrieren.

───── ❆ ─────

Wie gestern reden wir beinahe pausenlos, während wir zum Café laufen, diesmal über das Schulsystem. Auch als wir an einem Tisch sitzen, zwei dampfende Tassen vor uns, hören wir nicht auf zu reden, auch wenn die Themen variieren. Zwischenzeitlich geht Jeno unsere Tassen nachfüllen, und als er zurück ist, sehe ich hinter seinem Rücken Donghyuck durch die Tür kommen.

"Was zum Teufel?"

"Hm?" Fragend legt Jeno den Kopf schief.

"Der mit den orangefarbenen Haaren. Ganz hinten in der Reihe."

"Ist das nicht..."

"Der wohnt bei mir. Und er wagt es nicht, mir mitzuteilen, dass es hier den besten Kaffee der Welt gibt?" Jeno grinst, runzelt aber gleich darauf wieder die Stirn.

"Was ist?", frage jetzt ich.

"Wenn ich mich nicht irre, hat Mark schon seit einiger Zeit seinetwegen ein Gefühlsdilemma."

"Nicht ernsthaft."

Und so sehen wir zu, wie mein WG-Mitglied mit seinem flirtet und ihn damit vollständig aus der Fassung bringt.

"Das ist gerade nicht ernsthaft passiert." Ich rutsche hastig weiter in die Ecke, damit Donghyuck mich nicht sehen kann, aber er ist auch viel zu konzentriert auf den Becher in seiner Hand.

"Was meinst du, wie lange das schon läuft?" Jeno dreht sich zurück und sieht mich an, sodass ich mich konzentrieren muss, einen vernünftigen Satz zustande zu bringen.

"Wohl schon eine ganze Weile, so wie Donghyuck aussieht." Ziemlich zufrieden nämlich.

"Pass auf, nachher passiert uns das auch." Hastig trinke ich etwas Kaffee, obwohl der eigentlich noch viel zu heiß ist, um über eine Antwort nachdenken zu können und meine roten Wangen zu verstecken.

"Bin ich so schlimm?", grinse ich dann. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

"Definitiv nicht. Aber du wirkst so, als wärst du bereits vergeben."

"Bitte? Oh nein. Meine letzte Beziehung ist drei Jahre her und hat zwei Wochen gehalten."

Jeno lacht. "Dann bin ich beruhigt." Schon wechselt er das Thema, und doch hänge ich noch ein wenig an seinen Worten. "Dann bin ich beruhigt"? Was soll mir das jetzt sagen?

Gott, Jeno, mach das doch nicht mit mir.

───── ❆ ─────

Zum Mittag trennen sich unsere Wege, da er nach Yangyang sehen muss und ich mich nicht wohl dabei fühle, dem das erste Mal zu begegnen, während er krank ist. An seiner Stelle hätte ich darauf nämlich gar keine Lust, aber Jeno versucht dennoch, mich zu überzeugen, dass es Yangyang nicht störe. Anders gesagt, er versucht, mehr Zeit mit mir zu verbringen.

"Tauschen wir dann wenigstens Nummern aus?"

Ich erstarre. Reagieren, Jaemin. Antworte! Das ist keine große Sache, nur ein paar Zahlen.

"Klar. Warte." Ich wühle in meinen Manteltaschen und angle mein Handy aus der rechten.

"Bevor ich meines jetzt aus den Untiefen meiner Tasche krame, sage ich dir einfach meine, ja?" Ich nicke und öffne eilig meine Kontakte. Meine Hände zittern. Ungünstig.

Während er mir seine Handynummer diktiert, versuche ich mehr oder weniger erfolgreich, runterzukommen und nicht darüber nachzudenken, was hier gerade passiert.

"Schreib mir einfach, wenn du Zeit hast. Ich habe eh nachmittags nur Langeweile, weil Yangyang schläft und Mark arbeiten ist."

"Gut zu wissen. Rechne ungefähr in zehn Minuten damit, dass ich dich volljammere, dass ich den dritten Tag in Folge Ramen esse."

"Ramen sind doch gut."

"Aber nicht drei Tage hintereinander mittags und abends!" Jeno lacht und wir verabschieden uns, da wir gleich darauf vor meinem Wohnhaus stehen und ich ihn diesmal davon überzeugen konnte, mich nicht bis vor die Wohnungstür zu bringen - noch so eine Fragerei kann ich mir sparen.

"Bis nachher, Jaemin." Dieses Lächeln, Himmel.

"Bis nachher, Jeno." Eines Tages bist du noch mein Tod.

───── ❆ ─────

Da Donghyuck glücklich grinsend im Wohnzimmer sitzt, scheint es mir passend, ihn zu konfrontieren, also setze ich mich ihm gegenüber und warte, dass er mich ansieht.

"Was willst du, Jaem?"

"Du crushst auf einen Freund meines neuesten Crushes und sagst mir das nicht?! Hallo, wir hätten gemeinsam hingehen können und gegenseitige Wingmen sein können!"

"Ich wollte es euch doch sagen... Aber ich wollte erst abwarten, bis ich mir sicher bin, dass es etwas werden könnte."

"Wieso sollte es das nicht? Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie das zwischen euch aussieht! Es hätte mich nicht gewundert, wäre Mark über den Tresen gesprungen und hätte dich abgeknutscht."

"Er hat jemanden, den er mag. Und ich weiß auch, wer es ist."

"Und trotzdem flirtest du mit ihm?"

"Naja, er... er weiß das ja nicht. Also dass ich weiß, wen er mag. Also... versuche ich einfach... ihn davon abzubringen...?"

"Du bist wirklich verzweifelt, Hyuck."

"Ich mag ihn so gerne." Er starrt auf den Becher in seiner Hand. "Er ist toll."

Ich schmunzle. "Sprich mit Renjun darüber. Er hat bestimmt einen Vorschlag."

"Ja, vermutlich. Ich weiß nicht. Ich werde es ihm sagen, wenn du es schon weißt... Aber helfen kann er mir sowieso nicht."

"Das ist Renjun. Der kann immer helfen."

"Hm."

"Ich bin in meinem Zimmer. Jeno hat mir seine Nummer gegeben." Und damit renne ich vor dem zeternden Donghyuck weg, verbarrikadiere mich in meinem Zimmer und vergesse vor lauter Jeno, dass ich essen wollte.

Erst als Renjun zurückkommt und der Geruch von Pizza durch die Wohnung zieht, bemerke ich, wie leer mein Magen sich anfühlt. Also gehe ich in die Küche und mache mir meine Instant-Nudeln, Jenos Chat geöffnet. Während ich etwas Wasser abgieße, betritt Renjun die Küche, und dass er auf mein Handy sieht, bemerke ich erst, als es zu spät ist.

"Jeno?! Du schreibst mit Jeno und erzählst mir das nicht?!"

"Du bist erst seit fünfzehn Minuten zurück", verteidige ich mich, mein Handy aus seinen Händen befreiend.

"Das sind Nachrichten, die ich sofort kriegen will, sobald ich die Wohnung betrete!" Empört stemmt der Zwerg seine Hände in die Seiten und ich muss grinsen.

"Ist ja gut. Ja, ich schreibe mit Jeno. Er hat mir heute seine Nummer gegeben. Wir waren wieder einen Kaffee trinken. Heute Morgen hat er mir einen Platz freigehalten, als ich zu spät war, und hat mir wieder Kaffee mitgenommen. Er wollte eigentlich, dass ich zum Essen mit zu ihm komme."

"Und du bist hier?! Jaemin! Hallo?!"

"Einer seiner beiden Mitbewohner ist krank und ich fühle mich unwohl, Menschen das erste Mal zu begegnen, wenn sie nicht sie selbst sind."

"Du hättest Jenos Wohnung sehen können! Sein Zimmer! Sein Bett!"

"Renjun!" Ich boxe ihn und nehme die Ramen mit zum Tisch.

"Was denn? Bevor du dich wirklich noch in ihn verliebst, solltest du doch wissen, was er für ein Typ ist."

"Oh hör auf. Ich will mich gar nicht in ihn verlieben."

"Jaemin..."

"Lass mich in Ruhe."

Lachend setzt Renjun sich vor mich. "Du hast deine Chance verpasst. Aber ganz ehrlich, das nächste Mal solltest du das nicht ausschlagen. Sonst fragt er dich nie wieder."

"Okay, okay", murmle ich und fange an zu essen, um nicht noch mehr sagen zu müssen. Gleich darauf piept auch der Ofen und Renjun steht seufzend auf, um seine Pizza zu holen.

"Bist du Donghyuck schon über den Weg gelaufen?", frage ich, als ich mich in Sicherheit vor erneuten Attacken seinerseits wähne.

"Ja. Hat mir von Mark erzählt." Er lässt sich mit dem Pizzateller auf den Stuhl vor mir sinken. "Er soll seinen Arsch hochkriegen und mit ihm reden, meinetwegen auch nur nach seiner Nummer fragen, aber er steht schon so lange auf diesem einen Fleck, dass es so niemals besser werden kann." Eine Nachricht von Jeno trudelt ein.

"Hm." Ich verschlucke mich an meinem Essen.

"Hat er dir ein Nacktfoto gesch– Aua!" Renjun hält sich entgeistert den Arm, als ich ihn mit meinen Stäbchen abwerfe.

"Hat er nicht! Er hat gefragt, ob wir nächstes Wochenende zu Yangyangs Genesungsparty kommen wollen, aber dich frage ich so nicht!"

"Och komm schon", jammert Renjun, während ich nach meinen Stäbchen angle, "ich sage auch bestimmt nicht viel über euch beide!"

"Nicht viel, wow", schnaube ich, "du hast gar nichts zu sagen!"

"Aber dann ist das ja langweilig." Jetzt schmollt er, und ich bin kurz davor, ihn erneut mit meinen Stäbchen zu bewerfen. Aber dann taucht eine weitere Nachricht von Jeno auf und ich bin abgelenkt.

"Gehen wir zu dritt?"

"Wenn Hyuck nicht will, fesseln wir ihn und schmeißen ihn durch Marks Fenster." Ich grinse und tippe also eine Zusage.

"Dann lerne ich ja beide eure Crushes kennen, das wird aufregend~"

"So, mein Lieber, wirst du gleich wieder ausgeladen."

Renjun grinst. "Ohne mich seid ihr verloren."

"Leider wahr", murmle ich und er lacht.

"Irgendwann wirst du noch dankbar sein, dass ich da bin."

April 2020

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