𝓯𝓲𝓻𝓼𝓽 𝓬𝓸𝓯𝓯𝓮𝓮

Es ist kalt. So kalt, dass ich mir wünsche, die Semesterferien hätten schon begonnen und ich müsste nicht noch weitere drei Wochen jeden Morgen durch die Kälte stapfen. Es schneit ja nicht einmal. Ich hasse Winter ohne Schnee. Da kann er lieber gleich ausfallen. Und so wie es aussieht, wird es wohl auch nicht wirklich bald schneien. Seit Tagen schon brennt mir die Sonne in den Nacken, wenn ich von meinen Lesungen zurückkehre, oder aber es ist so windig, dass ich mehr fliege als zu gehen.

Aber ich habe dieses Los gezogen, jeden Tag bei Wind und Wetter durch die Gegend zu marschieren, bin studieren gegangen statt mich einfach einer Ausbildung zu widmen, wie meine Eltern es angedacht haben. Und ich hätte mich wohl jetzt im Nachhinein auch lieber dafür entschieden, aber ich bin schon zu lange hier, als dass ich aufgeben will.

Und gute Punkte gibt es ja durchaus auch. Hier laufen viele nette Menschen herum, ich lerne einiges und auch Nützliches, die Partys sind genial, und man trifft nicht wenig gutaussehende Jungs.

"Jaemin! Ich habe dir gesagt, dass du auf mich warten sollst, ist das denn so schwer?!" Scheiße, stimmt. Ich drehe mich auf dem Pflaster um und sehe Donghyuck entgegen, der mir hinterherhetzt.

"Sorry", sage ich nur, bevor ich mich wieder in Bewegung setze.

Donghyuck und ich wohnen mit Renjun in einer Wohnung in der Nähe des Campus, und von Zeit zu Zeit haben wir gleichzeitige Vorlesungen. Meistens denke ich auch daran, auf ihn zu warten, aber heute habe ich es einfach vergessen.

"Du bist wirklich... schneller als man es morgens um halb neun erwartet."

"Ich bin seit sieben wach."

"Du Unmensch."

"Ich gehe nur nicht unter der Woche feiern", schnaube ich und beschleunige meine Schritte.

"Welche Laus ist dir denn über den Weg gelaufen, hm? Bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden?"

"Lass mich in Ruhe. Unser Kaffee ist leer, falls du es noch nicht bemerkt hast."

Donghyuck lacht lauthals auf, sodass ich zusammenzucke. "Kein Wunder, dass du so ein Griesgram bist. Der Kaffee hier ist auch erträglich, das weißt du?"

"Oh nein. Den werde ich nicht trinken, merk dir das endlich und nerv mich nicht damit! Der schmeckt, als wäre er das dritte Mal aufgewärmt und mit der zehnfachen Menge Wasser gekocht worden!" Donghyuck lacht erneut und als wir das Gebäude endlich erreicht haben, schiebe ich mich erleichtert vor ihm durch die Eingangstür.

"Du bist unverbesserlich, Jaemin." Schon ist er im rechten Gang verschwunden und ich drehe mich sofort nach links, da ich auf keinen Fall zu weit hinten, oder besser noch, vorne, sitzen will.

Ich komme auch rechtzeitig an, es ist noch ruhig und relativ leer. Also sitze ich standardmäßig in der hinteren Mitte und lege mein Notizheft sowie meinen Kugelschreiber vor mir ab. Eigentlich stünde da auch mein Kaffee. Ich verfluche Renjun dafür, nicht an die Bohnen gedacht zu haben.

"Ist da noch frei?", reißt mich eine Stimme aus meinen Verwünschungen. Ich sehe auf und direkt in das Gesicht meines umwerfend hübschen Kursmitglieds Lee Jeno.

"So wie jeder andere der hundertdreiundzwanzig Stühle in diesem Raum, auf denen noch niemand Platz genommen hat." Warum muss er mir ausgerechnet heute Aufmerksamkeit schenken? Ohne Kaffee habe ich die mieseste Laune überhaupt, und genau heute habe ich natürlich vergessen, meine Augenringe nach der nächtlichen Leseeinlage abzudecken.

"Du kannst auch einfach direkt sagen, dass du keine Menschen um dich herum haben willst." Jenos Augen funkeln herausfordernd.

"Ich habe schlechte Laune. Neben mir sitzen auf eigene Gefahr." Schmunzelnd klettert Jeno über die Lehne auf den Platz neben mir und sieht mich an, sodass ich ihn wohl oder übel ebenfalls ansehen muss.

"Guten Morgen, Jaemin." Heilige Scheiße, er kennt meinen Namen. "Kaffee?" Verdutzt sehe ich auf den Pappbecher in seiner Hand.

"Bitte?"

Er lacht auf. "Kaffee. Für dich, wenn du möchtest. Sonst scheinst du morgens nämlich besser gelaunt zu sein, und heute fehlt dein weißer Thermosbecher. Die kleinen pinken Hasenschnauzen sind wirklich süß." Fuck. Ich bin doch nie jemandem aufgefallen, warum ausgerechnet ihm? Und warum ausgerechnet mein Kaffeebecher?

"Wenn du mich aufziehen willst, kannst du wieder gehen."

"Tut mir leid, tut mir leid. Also?" Er streckt mir den Becher entgegen, und leise bedankend nehme ich ihn aus seiner Hand.

"Ich hoffe, der Zucker stört dich nicht."

"Kommt darauf an, wie viel drin ist."

"Ein Löffel? Ich war im Halbschlaf. Kann mich nicht mehr erinnern."

Ich nehme einen Schluck und blicke kritisch durch den schmalen Spalt auf die dunkle Flüssigkeit.

"Und?"

"Eher zwei." Grinsend dreht Jeno sich nach vorne und pfeffert sein etwas zerfleddert aussehendes Notizbuch auf den Tisch, kramt eine Weile in seiner Tasche und zaubert mit einem leisen "Ha!" einen Bleistift hervor. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen und konzentriere mich stattdessen auf den warmen Becher in meiner Hand.

Himmel, Lee Jeno hat mir seinen Kaffee gegeben.

───── ❆ ─────

"Jaemin-ah!" Ich drehe mich Jeno zu, mit halbem Ohr noch der Professorin zuhörend.

"Was?"

"Ist noch Kaffee da? Sonst schlafe ich mit offenen Augen ein." Ich werfe einen Blick auf die Mittvierzigerin vor der Tafel. Verständlich.

"Ein bisschen." Jeno formt ein "Danke", da wir bereits die ersten Blicke auf uns ziehen, als ich ihm den Becher gebe. Er leert ihn mit einem Mal, verzieht leicht das Gesicht und konzentriert sich wieder auf die Professorin.

Warte mal. Hat er wirklich einfach so aus dem Pappbecher getrunken?! Wenn ich jetzt krank bin und ihn angesteckt habe? Und überhaupt, ist ihm das egal, dass meine Spucke darin geschwommen ist? Naja, vermutlich brauchte er den Kaffee einfach dringender, da ist fremde Sabber wohl irrelevant.

Trotzdem mustere ich ihn immer wieder verstohlen von der Seite. Er ist wirklich ausgesprochen hübsch. Noch hübscher, seit er direkt neben mir sitzt. Seine Haut ist so makellos, seine Haare sehen verdammt weich aus und, und, und... Er hat schöne Augen. Sekunde, Augen?!

"Erde an Jaemin..."

"Was? Was? Ich habe nicht gestarrt! Ich war in Gedanken!" Gott, sie sind noch schöner, wenn er lächelt.

"Du solltest aufpassen, Jaemin. Oder willst du dir die Park noch länger antun?"

"Bloß nicht", murmle ich und wende mich wieder nach vorne. Ist doch nicht meine Schuld, wenn der gutaussehendste Student der gesamten Uni neben mir sitzt und mir dazu noch seinen Kaffee gibt. Sei weniger attraktiv, dann könnte ich mich besser konzentrieren und müsste nicht alle zwei Minuten wieder zu dir sehen.

"Habe ich etwas im Gesicht?" Fuck.

"Ein Muttermal." Ich Idiot. "Das ist schön. Du bist schön." Hör auf zu reden, du Volltrottel! Du blamierst dich schon genug!

Jeno schmunzelt. "Danke. Du auch. Deine Haarfarbe gefällt mir." Pink. Knallpink. Warum denn schon wieder etwas Pinkes?

"Danke", murmle ich, und meine Wangen werden heiß. Na große Klasse, Na Jaemin, damit auch jeder weiß, dass du auf deinen momentanen Sitznachbarn abfährst.

"Die Farbe passt zu dir."

Ein Glück, dass wir von einem Mädchen vor uns darauf hingewiesen werden, leise zu sein. Sonst hätte ich mich nur noch mehr blamiert.

───── ❆ ─────

Nach der Vorlesung besteht Jeno darauf, mir einen Kaffee zu kaufen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass es nicht nottut.

"Und wenn du ihn bezahlst und einfach mit mir trinkst?" Er grinst, einen Mundwinkel höher gezogen als den anderen.

"Einverstanden", gebe ich nach, und meine, ein "Yes!" von ihm zu hören.

"Darf ich das Café aussuchen?"

"Ich wäre einfach-"

"Nein. Ich weiß, wohin wir gehen. Dauert keine fünf Minuten, keine Sorge."

Also verlasse ich neben Lee fucking Jeno nicht nur das Auditorium, sondern auch das Unigelände.

Und es dauert tatsächlich keine fünf Minuten, bis wir in einem kleinen Café stehen, das nach Kaffee und Büchern riecht. Was gibt es Besseres?

"Such dir einen aus. Groß ist die Auswahl nicht, aber du findest keinen besseren."

"Welchen nimmst du?"

"Ganz normal. Meiner Meinung nach immer noch am besten."

"Bestellst du mir einen mit?"

"Zucker, Milch?"

"Schwarz, danke."

"Setz dich hin, wenn du möchtest. Nimm dir ein Buch, wenn du willst. Aber hau nicht ab."

"Du hast meinen Kaffee. Niemals lasse ich jemanden mit Kaffee stehen." Lachend reiht Jeno sich ein und ich setze mich in Bewegung, um ihn nicht schon wieder anzustarren.

Von der Nische, für die ich mich entscheide, kann ich ihn allerdings ziemlich gut beobachten. Er scheint den ein wenig älteren Barista zu kennen, so locker gehen sie miteinander um. Ob das sein Freund ist? Nein, dann wäre er nicht mit mir hierhergekommen.

"Wer ist das?", frage ich sofort, als Jeno eine - rosafarbene - Tasse vor mir abstellt.

"Der hinterm Tresen? Lee Mark, wir wohnen in der gleichen Wohnung und begegnen uns da manchmal." Er grinst leicht. "Er hilft hier aber nur aus, weil der Laden den Eltern unseres dritten WG-Mitglieds gehört. Und da der liebe Yangyang momentan mit Grippe das Bett hütet, steht Mark hier. Manchmal werde ich auch dazu verordnet, aber es macht Spaß, also stört mich das nicht."

"Muss schön sein, hier zu arbeiten." Ich klinge wohl etwas wehmütig, denn Jeno schmunzelt.

"Ich kann dir bestimmt ein paar Schichten beschaffen."

"Nein, vergiss es! Ich kann nicht einfach bei fremden Leuten im Laden stehen, weil ich den Freund des Sohnes der Besitzer kenne!"

"Dann lernst du ihn eben kennen."

"Nein. Nein. Wie kommt das denn rüber?"

"Jaemin, mach dir mal nicht so viele Gedanken. Wir haben uns in einer Vorlesung kennengelernt, und verstehen uns gut, und dann lernst du eben den Rest kennen, wenn du mal bei mir rumhängst. Ist das so schlimm?"

"Nein..." Vor allem nicht der Gedanke, mich gut mit dir zu verstehen.

"Na siehst du." Jeno lehnt sich zurück und rührt in seiner hellblauen Tasse herum.

"Erfüllen die Tassenwünsche?"

Er lacht auf. "Mark kennt mich eben. Und wenn ich nach einer pinken Tasse für den schwarzen Kaffee frage, kriege ich eine pinke Tasse für den schwarzen Kaffee. Ein schöner Gegensatz, findest du nicht?"

"Du reibst mir das auch echt unter die Nase", seufze ich und probiere die dampfende Flüssigkeit. Okay, der ist echt gut.

"Ich finde eben, dass es gut zu dir passt. Und, wie ist der Kaffee?"

"Ziemlich gut."

"Siehst du! Und der steht auch bei uns rum."

"Darf ich bei euch einziehen?"

Jeno grinst. "Schläfst du dann bei mir?"

"Wenn du schon so fragst, werde ich wohl nicht ablehnen."

Ich habe wohl jetzt einen Crush auf dich, Jeno.

April 2020

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